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Projekte


Kunst & Politik 1990/1996

Ein Projekt von Robert Adrian X

Kunstbergungsräume, Salzbergwerk Altaussee, 29. 8. - 2. 9. 1990
Redaktion, Theorie: Reinhard Braun

O.K. Centrum für Gegenwartskunst, Ars Electronica 96, 2. - 6. 9. 1996
Redaktionelle Gesamtleitung: Reinhard Braun
Redaktionelle Mitarbeit, Recherchen: Robert Wölfl, Christine Wassermann

http://residence.aec.at/rax/KUN_POL/index.html



Kunst und Politik

Dieses Projekt geht auf einen 1990/91 (in Teilen) realisierten gleichnamigen Beitrag zum Jahresprogramm der Steirischen Kulturinitiative zurück, der sich, im Jahr 1944 ansetzend, vor allem auf die Bergungsaktionen der Führersammlung im Salzbergwerk Altaussee konzentrierte. Der Beitrag untersuchte anhand von ausgewählten Beispielen die verschiedenen Transaktionen, die sie schließlich zu einem Teil der geplanten Führersammlung werden ließen. Anhand dieser niemals realisierten Sammlung wurden gleichzeitig soziopolitische und ökonomische Aspekte skizziert, denen Kunst ständig ausgesetzt ist.

Jetzt (1996) steht nicht mehr jener "Punkt Null" der Einlagerung von Kunst- und Kulturgütern in das Salzbergwerk Altaussee im Mittelpunkt, sondern das in Linz geplante Führermuseum bzw. der für die Errichtung dieser Sammlung eingesetzte Sonderauftrag Linz, der als kompliziertes machtpolitisches und logistisches Geflecht über Beschlagnahmungen und Ankäufe auf der Grundlage rigoroser Gesetzgebungen einen riesigen Bestand als Grundlage für das Museum zusammenstellen konnte.

Der Sonderauftrag Linz erscheint als ein zentrales Vollzugsorgan für den ideologischen Anspruch der nationalsozialistischen Kulturpolitik an (europäischer) Kultur. Diese offene Ideologisierung von Kunst erlaubt die Darstellung von Schnittstellen zwischen Poltik und Kunst, die Beschreibung von Mechanismen der Politisierung von Kultur und der Positionen von Kunst in der Bildung von normativen kulturellen Wertesystemen. Die Ungeheuerlichkeiten des nationalsozialistischen Systems haben lange einen analytischen Blick auf Kunst und Kultur dieser Zeit verhindert.

Was "Kunst & Politik" versucht, ist weder eine Einbettung jener Kunst in eine allgemeine Kunstgeschichte noch ihre neuerliche Ächtung. Es wird vor allem versucht, kulturelle Koordinaten ausfindig zu machen, die eine politisierte Ästhetik entwarfen: die verschiedenen Institutionen und Einrichtungen, die der Ausführung (nicht nur) des Sonderauftrages Linz dienten, stehen dabei im Mittelpunkt. Grundlage ihrer Arbeit war in jedem Fall der Entwurf einer - wenn auch ekklektizistischen und fragmentarischen - Kultur- und Kunsttheorie, die hier ebenfalls in Ansätzen nachgezeichnet wird. Das Führermuseum und das Projekt einer Kulturhauptstadt Linz, beide nicht realisiert, bildet quasi den Horizont, vor dem diese Überlegungen entwickelt werden.


Kunst und Politik 1990 <-> 1996

Dieses Projekt für das World Wide Web geht zurück auf einen 1990/91 (in Teilen) realisierten Beitrag zum Jahresprogramm der Steirischen Kulturinitiative, das den Titel "Kunst/Museum" trug.

Das Projekt "Kunst & Politik" (1991) von Robert Adrian X "begann" im Jahre 1944. Im Januar dieses Jahres wurde von den Deutschen aufgrund der Kriegslage begonnen, Kultur- und Kunstgegenstände aller Art in bombensicheren Bergungsorten unterzubringen. Innerhalb dieser Bergungsaktion, die das ganze Reich umfaßte, spielte das Salzbergwerk in Altaussee aufgrund seiner Lage und Eigenschaften eine zentrale Rolle, vor allem für die seit 1938 aufgebaute "Führersammlung", für die es den alleinigen Bergungsort darstellte.

Kunstbergungsräume des Salzbergwerkes Altaussee

Punkt NULL

"Kunst & Politik" (1991) setzte die Lagerung von Kunstwerken in diesem Salzbergwerk als "Punkt Null" in ihrer Geschichte und legte von dort aus eine virtuelle Zeitskala sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft. In diese Skala wurden die Geschichten von vier Kunstwerken eingetragen, Geschichten, die am Schnittpunkt "Punkt Null" eine weitere Geschichte sichtbar werden ließen: jene der kulturellen, politischen und ideologischen Aneignunsmechanismen von Kunst. Im Zuge des Projekts wurden die verschiedenen Transaktionen untersucht und dokumentiert, denen die ausgewählte Werke unterworfen waren und die sie schließlich zu einem Teil der geplanten "Führersammlung" hätten machen sollen: eine Sammlung, die niemals realisiert werden konnte und die nur im Salzbergwerk in Altaussee für kurze Zeit zum größten Teil vereint war. Diese somit fiktive Sammlung zeigt geradezu exemplarisch jene ideologischen, d. h. kulturell fundierten Projektionen, denen Kunst permanent ausgesetzt ist. Anhand dieser Sammlung können gleichzeitig die soziopolitischen und ökonomischen Aspekte dieser Projektionen skizziert werden, die Kunst ständig als einem symbolträchtigen Kontext für (scheinbare) Identitätsbildungen und Repräsentationsbedürfnisse annektieren. Der kulturelle Status von Kunst wird dabei neu definiert, die Begriffe Sammlung, Museum, Repräsentation erhalten ständig neue Bedeutungen. Einer spezifischen Konstellation dieser Bedeutungsmuster wird auch in der vorliegenden Weiterführung des Projekts nachgegangen.

"Sammeln"

"Kunst & Politik (1996)" folgt dieser Perspektive auf die (Geschichte der) Kunst. Jetzt steht allerdings nicht mehr jener "Punkt Null" der Einlagerung in das Salzbergwerk Altaussee im Mittelpunkt, sondern das in Linz geplante Führermuseum bzw. der für die "Einrichtung" der Sammlung für dieses Museum eingesetzte Sonderauftrag Linz, der als kompliziertes machtpolitisches und logistisches Geflecht über Beschlagnahmungen und Ankäufe auf der Grundlage rigoroser Gesetzgebungen einen riesigen Bestand als Grundlage für das Museum zusammenstellen konnte: quasi ein "Reservoir" für ein zu entwickelndes, durch Euphemismen gekennzeichnetes kulturelles Selbstverständnis. Der "Sonderauftrag Linz" stellte quasi das Vollzugsorgan für diesen ideologischen Anspruch an (europäischer) Kultur dar. Das Projekt gebliebene "Führermuseum" spiegelt also geradezu paradigmatisch die ideologisch fundierte Aneignung kultureller Werte: es ist Ausdruck eines spezifischen Wertesystems, das als Mischung aus ethnischen und kulturellen Theorien, machtpolitischem "Tarnungs"-Instrumentarium und irrationalen Elementen anzusehen ist. Das vorliegende Projekt, das im Auftrag des Offenen Kulturhauses in Linz für das World Wide Web entwickelt wird, ergänzt das bestehende Projekt aus dem Jahr 1991 inhaltlich um die Schwerpunkte "Sammlung" und "Museum", d. h. um Aspekte der Repräsentation, der Bedeutungsproduktion, der Identität definierendenen Ebenen - zum Vorschein kommt ein kulturelles Wertesystem, das den Zugriff auf Kultur einerseits zur Legitimierung seines Selbstverständnisses gebraucht, andererseits diesen Zugriff als bereits legitimierten voraussetzt.

Kunst

Die Perspektive der Recherchen und Dokumentationen zielen darauf, die Vorstellung von Kunst als Produkt einer ideologie-, macht- und politik-freien Kultur oder kulturellen Sphäre auch Reaktion auf diesen Umstand der rigorosen Aneignung von Kunst, d. h. als Resultat jener massiven Vereinnahmung der Kunst durch den Nationalsozialismus darzustellen - eine Vereinnahmung, die in Reaktion darauf die Geschichte der Kunst in den 50er Jahren nochmals in die Zeit der klassischen Moderne zurückgeführt hat, eine Zeit, die ihre kunsttheoretischen Konzepte sozusagen "vor dem Sündenfall" entwickelte und formulierte und die somit als jene ideologieferne Sphäre definiert werden konnte, als die sie noch heute vielfach verstenden wird. Die Geschichte der Kunst des 20. Jahrhunderts ist dementsprechend (noch immer) durch eine ekklatante Leerstelle gekennzeichnet, eine Leerstelle, in die das vorliegende Projekt zu intervenieren versucht.

1991 > 1996

Im Unterschied zu der 1991 im Salzbergwerk von Altaussee präsentierten Arbeit, die auf einem MacIntosh-Computer als Hypercard-Anwendung installiert worden war und dort von den Besuchern eingesehen werden konnte, bezieht sich die vorliegende Realisierung weder auf einen bestimmten Ort, noch auf ein bestimmtes Zielpublikum. Die Idee des Jahres 1991 war es, vor Ort, am Originalschauplatz sozusagen, die Geschichte dieses Ortes um eine Geschichte zu erweitern und sie den jeweiligen Besuchern zu präsentieren (es war nicht möglich, den Computer in einem der Bergungsräume selbst aufzustellen, da diese immer noch als solche fungieren und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind - das Projekt zielte also darauf, einen bestimmten Ort zu besetzen). Die "Einlagerung" des Computers sollte die ursprüngliche Bergung sozusagen reproduzieren, erneut vier Werke im Berg "lagern".

Das vorliegende Projekt für das World Wide Web verläßt diesen ortsbezogenen Kontext, es richtet sich vielmehr auf globale Informationszusammenhänge und fügt diesen einen neuen Bereich hinzu. Aufgrund dieser völlig veränderten Situation der Präsentation muß das Material selbst völlig anders aufbereitet und verknüpft werden - viele der Einschränkungen der 1991 benützten Software bestehen nicht mehr, vor allem ermöglicht die offene Struktur des World Wide Web freiere und komplexere Referenzierungen und Verknüpfungen des Materials; auch die formale Gestaltung ist in diesem Kontext anders zu bewerten und zu entwickeln.

Knoten

Indem sich das Projekt inhaltlich mit den Zusammenhängen von Gesellschaft, Macht, Politik und Kunst beschäftigt, nicht aber diese Zusammenhänge erneut einer Kritik unterziehen, sondern vielmehr anhand konkreter Vorgänge exemplarisch darstellen und vor allem zeigen möchte, daß diese Verstrickungen nicht nur eine Erscheinung so offensichtlicher Instrumentalisierungen wie jener der Nationalsozialisten sind, sondern ein Teil der Kunst und ihrer Geschichte, lassen sich Verbindungen mit anderen im World Wide Web angelegten Informationsknoten, Archiven oder Datenbanken bzw. datenbankähnlichen Materialsammlungen erwarten. Das Projekt versucht, einen stringent strukturierten Informationspool zum Thema anzulegen und somit diese Geschichte einer durch andere Projekte nachgezeichneten allgemeinen Geschichte der Kunst wie der Politik einzufügen - Geschichten, die zunehmend durch Informationstechnologien produziert wie bewahrt werden. "Kunst und Politik (1996)" ist somit auch daran interessiert, wie durch Informationen und ihre systematische wie chaotische Verbreitung Wissen produziert, Geschichte erzählt, zusammengefaßt und dargestellt wird - anhand eines Themas, das sich auf eine (historische) Zeit bezieht, die zum Teil aus der Geschichte entfernt wurde.

Reinhard Braun © 1991, 1995




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