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Projekte


Kunst & Politik 1990/1996

Kunst der Nation?
Kunstpolitik im Dritten Reich

Das Führermuseum

SONDERAUFTRAG LINZ
Die Tätigkeit des "Sonderauftrages Linz" - als kompliziertes bürokratisches und logistisches Geflecht von Sicherstellungen, Beschlagnahmungen, erzwungenen Verkäufen, Ankäufen auf dem Kunstmarkt, Widmungen - ist nur vor dem Hintergrund der zentralen Stellung der Kulturpolitik innerhalb des ideologischen Geflechts des Nationalsozialismus verständlich: der Sonderauftrag Linz war nur eine unter vielen anderen Abteilungen, die sich mit dem Aufspüren und der Aneignung von Kulturgütern beschäftigte. Seine besondere Bedeutung erhält er vor allem durch, daß er exemplarisch das Bestreben nach vollständiger Neuorganisation der kulturellen Landschaft Europas verdeutlicht, eine Neuorganisation, die die Vormachtstellung allein der nationalsozialistischen deutschen Kunst und Kultur bzw. deren vermeintlich neuen Ideale sicherstellen sollte.

"In der geläuterten Neuen Weltordnung sollte alles perfekt und homogen sein, unerwünschte Gedanken, Klänge, Bilder und Lebewesen eliminiert, alles aufs wunderbarste organisiert, effizient und sauber, klassifiziert und in strahlenden neuen Städten arrangiert - dies alles zum Ruhm des Deutschtums."
Lynn H. Nicholas, Der Raub der Europa, München 1995

Im Selbstverständnis der überlegenen Rasse Europas wurde auf nahezu alle Bereiche der Kultur -und Kunstgeschichte Europas Anspruch erhoben - und dies in einem durchaus buchstäblichen Sinn. Der "Sonderauftrag Linz" war ein Vollzugsorgan dieses Anspruchs, die wertvollsten kulturellen Objekte tatsächlich zu besitzen: zahllose Gegenstände des Kunsthandwerks, der Schmuckkunst, Möbel, Rüstungen, Münzen, Porzellan, ganze Zimmereinrichtungen, Skulpturen und Bilder, tausende von Bildern wurden nach Deutschland transportiert, erfaßt, klassifiziert, nach ihrer Verwendung geordnet und größtenteils gelagert oder für die Ausstattung der zahlreichen Dienststellen des Heeres, der Partei, der Verwaltung der besetzten Gebiete und ähnlichem verwendet. Gerade jener Teil, der für das Linzer "Führermuseum" bestimmt war, wurde nur zu Auswahlzwecken kurzfristig aufgestellt und war sonst nur in verschiedenen Lagerräumen untergebracht - eine exemplarisch den Anspruch auf die kulturelle Vormachtstellung der Nationalsozialisten in Europa symbolisierende Sammlung blieb somit doch nur ein imaginäres Museum.

DER EINSATZSTAB REICHSLEITER ROSENBERG
Nur kurz nach der Machtübernahme im Jahr 1933 begannen bereits Beauftragte verschiedener Kulturabteilungen die Bestände der deutschen Museen zu sichten und als entartet einzustufende Werke zu beschlagnahmen. Im April 1933 wurde bereits ein neues "Berufsbeamtengesetz" erlassen, daß es jederzeit ermöglichte, unliebsame Beamte zu entlassen. Alle nicht durch dieses Gesetz erfaßte Beschäftigte wurden im März desselben Jahres bereits in der "Reichskulturkammer" zusammengefaßt. Beides wurde zu einem Instrument der Kulturpolitik und machte es vor allem den Museumsdirektoren nicht leicht, sich den Beschlagnahmungen zu entziehen. Auf diesem Weg wurden tausende Werke deutscher und internationeler Künstler aus den Museen und auch aus ihren Sammlungen entfernt. Im März 1938 erklärte Franz Hoffmann, der Leiter der Beschlagnahmungskommission, die Museen für "gesäubert".Schließlich richtete man eine Kommission zur Verwertung der Werke ein - bereits in diesem Zusammenhang ist das "Amt Rosenberg" aktiv. Alfred Rosenberg gründete diese Abteilung mit dem Ziel, sich weltanschaulich relevantes Material anzueignen und auf seine Verwertung hin zu sichten - neben den Museen wurden Bibliotheken, Archive, wissenschaftliche Sammlungen und vieles mehr auf ideologisch bedenkliche Inhalte hin unter- und durchsucht. Das ganze Material sollte für die Partei- und Wehrmachtsschulung und zur Erstellung für Unterlagen über den weltanschaulichen Gegner dienen. Rosenberg plante ein Institut für Rassentheorien am Cheimsee einzurichten - nach dem Krieg.

Doch neben Rosenberg selbst sicherte sich auch Hermann Göring seinen Einfluß auf den späteren "Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg" (ERR), der mit Kriegsbeginn gegründet wurde und seine Tätigkeit in allen besetzten Gebieten fortführte. Göring war allerdings weniger an weltanschaulich verwertbarem Material als an der unermüdlichen Vergrößerung seiner eigenen Sammlung für Carinhall interessiert. Der ERR bildete dafür die geeignete Infrastruktur, ging doch ein Großteil des beschlagnahmten Materials durch seine Hände.

Am 22. Juni 1940 wird der deutsch-französische Waffenstillstand unterzeichnet. Schon am 30. Juni wird damit begonnen, neben dem Staatsbesitz auch private Kunstwerte vor Verschleppung bzw. Verbergung zu sichern; sie sollen (vordergründig) als Pfand für Friedensverhandlungen dienen. Von den verschiedenen gleichzeitig oder nacheinander im Bereich der Westgebiete für Schutz, Sicherstellung und Beschlagnahmung von Kunstgut tätigen Institutionen entwickelt der "Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg" (ERR) die umfangreichsten Aktivitäten, sicherte sich Rosenberg doch immer wieder durch entsprechende Führerbefehle die Verfügungsgewalt über diese Bestände. Später gelangt die gesamte Verwaltung der Ostterritorien unter die Leitung Alfred Rosenbergs.

Im Rahmen dieser Tätigkeit - allein aus Frankreich wurden zwischen 1941 und 1944 4174 Kisten mit etwa 22.000 Gegenständen abtransportiert - wird dem ERR aufgrund eines Führerbefehls als Bergungsort hauptsächlich das Schloß Neuschwanstein zugewiesen. Zahlreiche Gemälde aus diesen Beständen standen zur Auswahl für die Führersammlung bereit, Hans Posse wählte nachweislich jedoch nur 53 davon für die Führersammlung aus. Ab Februar 1944 wird ein Großteil dieser Kunstwerke aus Luftschutzgründen in das Salzbergwerk Altausse gebracht.

DAS FÜHRERMUSEUM
Das Unternehmen "Sonderauftrag Linz", das ins Leben gerufen wurde, um die Sammlung für ein zukünftiges "Führermuseum" in Linz zu erwerben, ist nicht mit Hitlers Vorliebe für Kunst zu erklären. Das Ziel bestand ja nicht darin, bestimmten persönlichen Vorlieben folgend, eine private Sammlung aufzubauen, die Ansprüche waren höher gesteckt: es sollte ein Museum für das deutsche Volk entstehen, das sämtliche "germanische" Kunsttendenzen an Hand von Beispielen präsentieren würde. Zu diesem Zweck wurde der gesamte irgendwie zugänglich zu machende europäische Kunstbestand durchforstet.

Allein in Paris etwa hatte der "Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg" 218 bedeutende Sammlungen durchzusehen; sie wurden akribisch erfaßt und klassifiziert; die Identifizierung und Bewertung von Tausenden Objekten aus weniger berühmten Sammlungen bedurfte eines erheblichen Nachforschungsaufwandes: die Mitarbeiter des ERR waren mit Sammlungs- und Auktionskatalogen "ausgerüstet", hatten teilweise schon in den 30er Jahren ihre Listen mit denjenigen Werken und ihren Aufenthaltsorten zusammengestellt, auf die sie Anspruch erheben oder die sie in ihren Besitz bringen wollten. Alles war genau geplant. Die Rivalitäten der einzelnen Abteilungen und Einsatzstäbe, der Ehrgeiz einzelner Leiter und Händler oder schlichte Habgier konnte diesen organisatorischen Mechanismus jedoch nachhaltig beeinflussen:

"Beim Eintreten stießen wir beinahe mit einigen SS-Offizieren zusammen, die Silber und andere Beute aus dem Keller wegbrachten. Einer trug ein goldgerahmtes Gemälde unter dem Arm. Einer war der Kommandant. Auf den Armen trug er eine ganze Ladung von Silbermessern und Silbergabeln, was ihm aber nicht im geringsten peinlich war."
William Shirer, Wien 1938, Plünderung der Sammlung Louis de Rothschild

Vor allem im Osten, in Polen und später in Rußland gab es nicht annähernd so komplizierte legalistische Bemühungen wie größtenteils in Deutschland, Österreich, Holland und Frankreich, um all die Beschlagnahmungen und Tauschgeschäfte zu "rechtfertigen". Hier wurde regelrecht geplündert, gleichzeitig wußte man aber sehr genau darüber bescheid, wo sich interessante Kunstwerke befanden. Auch Hans Posse war bereits Ende 1939 in Polen auf "Inspektionsreise".

Diese umfangreiche und umfassende Aktion verdeutlicht den Anspruch des gesamten Projekts: es sollte nach der Beendigung des "aufgezwungenen Krieges" das Material für die Selbstdarstellung der kulturellen Vorherrschaft des deutschen Volkes bereitstellen. Über die Aneignung der Kunstwerke wurde die Aneignung von Kultur insgesamt vollzogen. Der Gegenwert für die atronomischen Summen, die zum Erwerb von Kunstwerken aufgebracht wurden, die "gesetzlichen Grundlagen", die geschaffen wurden und den organisatorischen Rahmen, der bereitgestellt wurde liegt in dieser symbolischen Bedeutung, wie sie im Führermuseum exemplarisch angelegt ist: ein Herrschaftsanspruch, der sublimiert in der Repräsentation durch Kunst formuliert wird - das Museum als Manifestation einer machtpolitischen Vormachstellung.

DER KUNSTMARKT
Der Erwerb bzw. die aus verschiedenen Gründen vorübergehende Aneignung von Kunstwerken in diesem Ausmaß wurde allein durch die Kriegsumstände möglich. Innerhalb des Reiches wurden sehr bald gesetzliche Möglichkeiten geschaffen, um jüdisches oder allgemein staatsfeindlichen Besitz zu beschlagnahmen. Diese Regelungen galten auch für alle besetzten Gebiete - in diesem Sinne waren sie keinerlei Handelsbeschränkungen unterworfen, es gab also keine Ausfuhrbeschränkungen Kulturgut betreffend. Aber dies waren nicht die einzigen Konsequenzen für den Kunstmarkt. Viele - auch kleinere - Sammler sahen sich aufgrund der Situation zur Emigration gezwungen und versuchten vorher, ihre Sammlungen zu verkaufen oder, sofern das nicht gelang, mitzunehmen und zuletzt zurückzulassen. Deshalb gab es zahlreichen herrenlosen Besitz und vor allem große Mengen an Kunst im Handel. Als es zudem offenkundig wurde, daß das Deutsche Reich umfangreiche Käufe tätigte, reagierten auch die Händler in ganz Europa auf dies Konjunktur und baten Hitler bzw. dessen Agenten ihre Objekte an. Im Windschatten des Krieges zeigte sich die Möglichkeit zum Profit, den zahlreiche Händler in Europa auszunutzen versuchten und verstanden. Ein Kunstmarkt wurde gewissermaßen erzeugt: ein Ergebnis der machtpolitischen Verschiebungen in Europa, deren Auswirkungen sich nicht nur auf der Landkarte ablesen ließen, sondern auch und vor allem das wirtschftliche und kulturelle Leben in Europa kurzfristig völlig neu bestimmten. Diese Neuverteilung erzeugte gleichzeitig ein Netz von Intrigen, Interessen, Machtkämpfen, Profitstreben usw., dessen Gegenstand Kunst bzw. Kunstgegenstände im weitesten Sinn waren - ein Netz, das ganz Europa parallel zum Kriegsgeschehen überzog und sozusagen dessen permanenten Hintergrund bildete.

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