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Projekte


Kunst & Politik 1990/1996

Kunst der Nation?
Kunstpolitik im Dritten Reich

Der "Sonderauftrag Linz"

FRÜHE PLÄNE
Bereits aus dem Jahr 1925 stammen die ersten Entwürfe und Skizzen Hitlers für eine "Deutsche Nationalgalerie", seine Vorstellungen diesbezüglich waren insgesamt schon sehr konkret. Bereits während des Einmarsches in Österreich vom 12. bis 14. März 1938 traf sich Hitler mit dem Direktor des Linzer Landesmuseums und teilte ihm seine Pläne mit, Linz werde Standort für ein neues Museum, in dem die gesamte Kunst Europas vertreten sein sollte - Linz werde damit zu einer der "Kunststädte" des Reiches.

Ausgangspunkt für den Bestand dieses "Führermuseums" sollte Hitlers eigene Sammlung werden, die er ab 1933 zusammengetragen hat und die sich aus Ankäufen aus dem Kunstmarkt zusammensetzte. Reichsbaurat Roderick Frick wird für die architektonische Planung abgestellt. Im Zuge dieser Planung ist eine Umgestaltung des gesamten Linzer Stadtzentrums sowie der beiden Donauufer vorgesehen. Mit der Konkretisierung dieser Pläne erhalten auch die Erwerbsabsichten eine neue Dimension.

Im April 1938 mußten bereits alle jüdischen Personen in Österreich ihr Vermögen deklarieren. Durch die Möglichkeit der Beschlagnahmung jüdischen und staatsfeindlichen Besitzes entsteht nun auch in Österreich ein riesiges Reservoir aus potentiell für das "Führermuseum" zu verwendenden Kunstobjekten. Um unbefugte Bereicherung aus diesen Beständen zu verhindern und eine Aufnahme, Durchsicht und Ortung der für dieses Museum geeigneten Objekte zu gewährleisten, erwägt Hitler bald die Zentralisierung dieser Tätigkeiten.

Am 26. Juni 1939 beauftragt Hitler von Obersalzburg aus Hans Posse "mit dem Aufbau eines neuen Kunstmuseums für die Stadt Linz Donau". Posse, der gerade erst wieder die Leitung des Dresdener Museums übernommen hatte, nachdem er bereits aus dieser Position entfernt worden war, ist als Sonderbeauftragter des Führers mit entsprechenden Vollmachten und Privilegien ausgestattet. Er allein wählt die entsprechenden Werke aus und unterbreitet Hitler diese Vorschläge. Die letzte Entscheidung behielt sich dieser jedoch selbst vor.

Dr. POSSE
Dr. Hans Posse war als Leiter der Dresdener Gemäldegalerie seit 1933 in seinem Amt umstritten, es wurde ihm unter anderem vorgeworfen, "jüdische" Kunst zu unterstützen. Es wird ihm schließlich 1938 nahegelegt, seinen Dienst zu quittieren, auch, weil er sich geweigert hatte, der Partei beizutreten. Im März sucht dieser um Pensionierung an, doch im Juni besucht Hitler die Dresdener Gemäldegalerie und fragt nach dem Direktor. Als er von dessen Entlassung erfährt, von der Sammlung jedoch beeindruckt ist, setzt Hitler auch auf Wunsch seines Agenten Karl Haberstock - der zu diesem Zeitpunkt ein von Hitler bevorzugter Händler ist und der auch einer der Einkäufer für das "Führermuseum" werden sollte - Posse im Juli wieder in sein Amt.

"Ich bin unendlich glücklich darüber, mich auch weiterhin einem von mir als Lebensaufgabe betrachteten Werk, der Arbeit an einer der schönsten Galerien Europas und in einem der bedeutendsten Momente deutschen Kulturwillens widmen zu dürfen." (Dankesschreiben Posses auf die Wiedereinsetzung als Direktor der Dresdener Gemäldegalerie)

Im Juni 1939 erhält Posse eine Einladung auf den Berghof. Hitler möchte seine Museumspläne mit ihm besprechen. In Gegenwart Albert Speers setzt Hitler Posse an die Spitze des Sonderauftrages Linz. Am selben Tag legt Hitler Posse noch die außerordentliche kulturpolitische Bedeutung des Projektes auseinander. Posse wird seine ganze Fachkenntnis in diesem Sinne einsetzen.

DIE ORGANISATION
An der Spitze dieser für das geplante Führermuseum in Linz geschaffenen Organisation stand Hitler selbst, ihm allein oblag ab 1939 das erste Verfügungsrecht über allen beschlagnahmten Besitz: am 24. Juli teilte Martin Bormann Reichskommissar Bürckel und anderen führenden Beamten mit, daß von nun an alle beschlagnahmten Bestände in den neu eroberten Gebieten intakt bleiben müssen, damit Hitler persönlich oder sein Kurator daraus das für Linz gewünschte aussuchen könne. Darin sind alle sichergestellten wie beschlagnahmten Bestände eingeschlossen: der "Führervorbehalt". Dr. Posse, der vormalige Leiter der Dresdener Gemäldegalerie, nahm als Kunsthistoriker und Sonderbeauftragter bis zu seinem Tod 1942 dieses Recht für Hitler wahr. Die Anlaufstelle für Posse bildetet Hitlers Sekretär Martin Bormann. Neben Posse sind noch eine Reihe weiterer Personen für diesen Auftrag tätig: Dr. Wolffhardt ist für den Erwerb von Büchern und Handschriften zuständig, für den Aufbau einer Münzsammlung Dr. Dworschak, der Direktor des Kunsthistorischen Museums in Wien, später tritt Dr. Ruprecht für Waffen und Rüstungen hinzu. Die administrativen Aufgaben unterliegen bis 1942 Hanssen, danach von Hummel als persönlicher Referenten Bormanns.

Die finanziellen Angelegenheiten werden über den Chef der Reichskanzlei in Berlin, Dr. Lammers abgewickelt. Die erste Zuweisung für Linz im Jahr 1939 betrug 10 Millionen Reichsmark. In München sind noch der Architekt Reger für die Katalogisierung sowie Dr. Oertlel als Assistent Posses tätig. Posse bis zu seinem Tod im Jahr 1942 beinahe täglich eine detaillierte Korrespondenz mit Bormann, und auf einem Großteil dieser Briefe befindet sich die Notiz "dem Führer vorgelegt." Ab 1941 ist schließlich Dr. Reimer als Referent tätig und direkt Dr. Posse unterstellt und später besonders im Rahmen der Lagerung der erworbenen Bestände in Altaussee tätig

IHR STATUS
Alle Aktivitäten dieser Organisation sind geheim, nur wenige Informationen werden an die Öffentlichkeit weitergegeben. Hinter diesem Projekt als Institution steht letztenendes der gesamte Staatsapparat, der auf allen politischen Ebenen für den Aufbau dieser Sammlung engesetzt wurde, auch ungeheure finanzielle Mittel waren notwendig. Obwohl der "Sonderauftrag Linz" nicht die einzige Organisation war, die mit Erwerb, Beschlagnahmung bzw. verschiedenen Formen der Aneignung von Kunstobjekten betraut wurde, verdeutlicht auch diese relative Zentralisierung vor allem finanzieller Mittel nochmals den Stellenwert, den diese Sammlung im Rahmen auch der ideologischen Selbstdefinition der nationalsozialistischen Machthaber und besonders Hitlers innehatte.

Die Sonderstellung dieses Projekts zeigt sich auch dadurch, daß immer wieder rückwirkend versucht wurde, durch die Verabschiedung zahlreicher Gesetze und Verordnungen die Vorgänge der Aneignung zu "legalisieren", d. h. den Status der Objekte rechtlich zu fixieren. Darüberhinaus stützte sich Posse kaum auf die Tätigkeit etwa der verschiedenen Kunstschutzabteilungen oder des "Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg". Er suchte sich lediglich gezielt wichtige Werke aus solchen Beständen. Posse arbeitete vor allem mit von ihm autorisierten Händlern und setzte dabei seine nahezu unerschöpflichen finanziellen Ressourcen ein.

DIE "TÄTIGKEITEN"
Als Dr. Posse im Juni 1939 zum Sonderbeauftragten ernannt wird, besteht in Österreich noch keine gesetzliche Grundlage für die Verwendung von beschlagnahmtem Vermögen und Kunstgegenständen. Erst im November wird eine Verfügung erlassen, die diese Vermögenswerte dem Land Österreich zuerkennt. Doch bald darauf behält sich Hitler die letzte Entscheidung vor; dieser "Führervorbehalt" dehnt sich später auf die besetzten Westgebiete aus und wird zur Arbeitsgrundlage des "Sonderauftrages Linz". Die Beschlagnahmungen betreffen vor allem jüdischen Kultur - und Kunstbesitz, allen voran die Sammlungen der Rothschilds in Paris und Wien, die Sammlungen Guttmann, Thorsch und Goldmann, Bondy, Weil, Kann, Levy-Benzion, Seligmann und die gro§en Sammlungen Alphonse Schloß und Mannheimer, sowie zahlreiche kleinere Sammlungen. Soweit sie Dr. Posse zugänglich gemacht wurden, entschied er noch vor Ort über jene Werke, die für das Führermuseum in Betracht kamen. Diese wurden dann unter der Aufschrift "A. H." nach München in den Keller des Führerbaues gebracht und von Reger aufgenommen, inventarisiert, katalogisiert und regelmäßig Hitler zur Ansicht vorgelegt. In diese Tätigkeiten wurden zahlreiche Vermittler und Händler einbezogen, um Kontakte herzustellen oder die Objekte im Auftrag zu erwerben, zahlreiche offizielle Dienststellen wurden eingeschaltet, um die Sammlungen oder einzelne Objekte zugänglich zu machen bzw. für das Führermuseum zu sichern und andere Interessen auszuschalten, den Transport sicherzustellen. Mit äußerster Konsequenz und Sytematik wurde der Kunstmarkt, der zum Teil erst durch die Kriegsaktivitäten in dieser Form entstand, sowie große Sammlungen und Museen nach Werken abgesucht, die für eine Verwendung im Rahmen des Führermuseums in Betracht kamen. Dem "Führer" stand in jedem Fall die erste Wahl aus diesen angeeigneten Beständen zu, was gleichzeitig hieß, daß die Beauftragten des Sonderauftrags das erste Zugriffsrecht hatten, daß sie jedoch oftmals gegen andere rivalisierende Kulturgüterinstitutionen und-abteilungen durchzusetzen hatten. Danach waren "diejenigen Kunstgegenstände, die zur Vervollständigung der Sammlung des Reichsmarschalls dienen" zu berücksichtigen. An dritter Stelle standen Kunstwerke, "deren Verwendung beim Aufbau der Hohen Schule und im Aufgabenbereich des ERR angebracht schienen. Eine virte Gruppe war den deutschen Museen zugedacht. Was überig blieb, konnte dem Kunsthandel zugeführt werden, wie es ein Befehl Görings vom November 1940 für Frankreiche bestimmte.

DIE NACHFOLGE POSSES
Als Dr. Posse 1942 stirbt, übernehmen Dr. Reimer und Dr. Oertel gemeinsam die interimistische Leitung der Organisation. Es scheint schwierig, einen geeigneten Nachfolger zu finden. Hitler bestimmt im März 1943 persönlich und überraschend Dr. Voss, den Leiter des Wiesbadener Museums, wohin er 1936 aus Ungnade vom Berliner Kaiser-Friedrich-Museum versetzt wurde, zu dessen Nachfolger. Posse selbst dürfet diesen Vorschlag gemacht haben. Voß erhält jedoch nicht mehr so umfassende Vollmachten wie zuvor Posse und ist auch lediglich für die Gemälde zuständig, verfügt aber dennoch über erhebliche finanzielle Mittel, die selbst jene von Posse übertrafen. Voss arbeitet auch nicht mehr mit Karl Hebarstock zusammen, sondern vor allem über den Händler Hildebrandt Gurlitt. Wolffhardt, Ruprecht und Dworschak, die bereits unter Posse tätig waren, werden Voß in der Verantwortlichkeit jetzt gleichgesetzt und verfügen über ihre Aufgabenbereiche relaitiv autonom. Auch wird die Tätigkeit des Referenten Dr. Reimer jetzt wichtiger, da er über die Aktivitäten Posses unterrichtet war und deshalb von Voß laufend zu Rate gezogen wird. Er stellt auch den Verbindungsmann für die Tätigkeiten in Altaussee dar.

Voß ist also in jedem Fall mehr auf die Tätigkeiten der Mitarbeiter und vor allem auf die Rücksprache mit Hitler über Bormann angewiesen. Schließlich bedient sich Voß zum Teil auch anderer Vermittler, Einkäufer und Händler als Posse, vor allem arbeitet er mit Hildebrand Gurlitt zusammen, der ebenfalls von seinem Posten als Museumsdirektor in Hamburg entlassen worden war.

DIE FINANZIERUNG
Die zum Ankauf der Kunstwerke benötigten außerordentlich hohen finanziellen Mittel stammten zunächst aus dem Erlös aus dem Verkauf des Buches "Mein Kampf", den Mitteln aus einer Dankspendenstiftung der deutschen Wirtschaft und den Einkünften Hitlers aus seiner Tätigkeit als Reichskanzler.

Hitler selbst hatte bis 1938 eine kleine Sammlung aufgebaut, die zum Teil aus denselben Geldern finanziert worden war. Die Kunsthändler zeigten ihre Ware in kleinen Ausstellungen, die im Führerbau in München eingerichtet wurden. Daraus wählte Hitler, teilweise mit Beratung von Fachleuten, die Gemälde aus. Darüberhinaus existierte ein Kulturfond. Weiters wurde ab 1941 eine Sondermarke mit einem Zuschlag herausgegeben, der Erlös aus dem Zuschlag wurde einem weiteren Fond zugeführt. Die "Dankspendenstiftung Sonderauftrag L", die alle diese Mittel umfaßte, wurde von der Reichskanzlei verwaltet, der Dr. Lammers vorstand.

Oftmals wird versucht, die Ausgaben unter Kontrolle zu bringen, dies scheiter jedoch an der großen Unterstützung Hitlers für dieses Projekt. Mit der Invasion der Alliierten am 6. Juni 1944 ändert sich auch die finanzielle Lage des "Sonderfond L", die Devisen beginnen sich zu verknappen. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden bereits 93 Mio Reichsmark aufgewendet, im November desselben Jahres 108 Mio RM. Die Mittel des Sonderfonds sind ausgeschöpft, sie müssen aus einem "Sonderfond R" aufgefüllt werden. Die Kriegslage verhindert in der Folge weitere drastische Erhöhungen der Ausgaben, der zur Verfügung stehende Kunstmarkt reduziert sich allerdings ohnehin mit dem Vordringen der Aliierten im Westen wie im Osten. Trotzdem wird bis in die letzten Kriegstage gekauft. Die insgesamt aufgewendete Summe wird in etwa 115 Mio RM betragen haben, diese Summe entspricht etwa einer heutigen Kaufkraft von 5,5 Mrd Schilling. Der Einsatz dieser immensen finanziellen Mittel (...).

DER BESTAND
Die Möglichkeit der Einschätzung der für das Linzer Museum gedachten Kunstobjekte ergibt sich nur indirekt aus den in Altaussee gelagerten Beständen, denn längst nicht alle der dort gelagerten Güter waren für Linz bestimmt, noch war Altaussee der alleinige Bergungsort für jene Objekte, obwohl dies so geplant gewesen war; es haben bei weitem nicht alle geplanten Transporte Altaussee erreicht.

Der Restaurator Sieber nennt in seinen Listen 4.353 für Linz bestimmte Gemälde. Geht man davon aus, sind noch die zum Teil in Hohenfurth, Rinntal, Seiersberg, Wesenstein, vor allem aber die in München im Führerbau verbliebenen 262 für Linz bestimmten Gemälde hinzuzuziehen. Als zweite Liste existiert jene vo Reger in München angelegte Aufstellung, die das Datum 1. Februar 1945 trägt und alle dort eingelangten Kunstwerke verzeichnet; sie zählt 3.922 Gemälde. Dorthin gelangten jedoch, vor allem in den letzten Kriegstagen, nicht alle für Linz bestimmten Gemälde, andererseits wurden nicht alle eingelangten dem Linzer Museum zugedacht.

Es geht hier jedoch nicht in erster Linie um die genaue Zahl, noch um die Beurteilung der Authentizität bzw. Glaubwürdigkeit dieser Quellen: es soll durch diese Zahlen nur die Größenordnung jener geplanten "Sammlung", die ja nicht allein aus Gemälden bestehen sollte, verdeutlicht werden, der ungeheure Aufwand an Macht, Organisation, Material, Personen und finanzieller Mittel, der hinter diesem Auftrag steckte, die Konsequenz, mit der das Ziel, die größte und bedeutendste Kunstsammlung Europas zu besitzen, verfolgt wurde.

All das verdeutlicht die Bedeutung, mit der diese Aneignung der europäischen Kultur betrieben wurde, läßt rückwirkend auch die Vorbereitungen auf kulturpolitischem Gebiet, die notwendig waren, um ein Unternehmen von diesen Ausmaßen rechtfertigen zu können, als durchaus strategisch erscheinen.

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