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Anhaltender Widerstand gegen Machtverhältnisse
"anhaltender Widerstand gegen Machtverhältnisse" - das klingt reichlich pathetisch. Darüberhinaus wurde von verschiedenen Seiten die Verwendung des Begriffs "Widerstand" kritisiert: er wäre historisch determiniert und im vorliegenden - sprich: regierungskritischen - Kontext inadäquat. 321 Demonstrationen seit Februar 2000 verdienen den Begriff Widerstand nicht ...
Aber darum geht es gar nicht. Worum es aber geht, ist Sprache, ist Sprachregelung, Sprachpolitik, ist Regulierung und Disziplinierung durch Sprache, Sprachspiele, durch Versuche, Sprache in seiner Bedeutung zu fixieren. So sollte es möglich sein, einen Begriff wie Widerstand mit neuen Bedeutungen zu füllen, in neue Kontexte einzuführen, wie es möglich sein sollte, Begriff wie Nation, Nationalität, Identität usw. mit neuen Bedeutungen zu füllen, nicht unbedingt permanent mit alten. Diese Redefinitionen findet aber nicht statt. Wenn alte Wöreter nicht mehr zu passen scheinen, werden neue gesucht und gefunden. "Wende" zum Beispiel - diese wurde so lange als Notwendigkeit kolportiert, dass viele wirklich glauben, sie sei eingetreten und die Gegewart habe sich von der Vergangenheit auf wundersame Weise verabschiedet. Und überhaupt ist Vergangenheit ein Wort, dass wir hier in Österreich nicht so gerne hören. Lieber ist uns bespielsweise Schulterschluss.
Wir haben uns an diesen Umgang mit Sprache scheinbar gewöhnt, daran gewöhnt, nicht mehr von Wohlfahrt oder Fürsorge zu sprechen, von Gleichberechtigung und Chancengleichheit, sondern von Sozialschmarotzern, Treffsicherheit und Standortvorteilen. Diese Sprache, für die Diskurs ein unangebrachtes Wort ist, hat uns nahegelegt, vom Staat nicht mehr in sozialen Kategorien zu sprechen, vor allem nicht mehr in Kategorien der Verantwortung, sondern in Kategorien des Management, der schlanken Verwaltung, von Service und Dienstleistung. Diese Sprachregelungen legen uns ständig nahe, den Staat als etwas Entpolitisiertes, als etwas sich fortwährend Entpolitisierendes zu denken. Expertenkabinett. Rechnungshofbericht. Strukturreform. Politik raus aus wichtigen ökonomischen und sozialen Gremien. Nicht mehr Ideologie scheint am Werk zu sein, sondern das wirkliche Leben, die Expertenmenung, die Tatsachen. Das Blendwerk der Politik muss also zu einem Ende kommen!
Insofern erscheint es folgerichtig, wenn diese Ausstellung nicht von Politik spricht, obwohl sie natürlich auch diese meint, sondern von Machtverhältnissen. Denn diesen ist durch ein paar Sprachverschiebungen nicht so ohne weiteres beizukommen.
Wo verbirgt sich aber das Politische, wenn es so eifrig darauf bedacht ist, aus der Öffentlichkeit zu verschwinden, der Öffentlichkeit zu entkommen?
Franz Morak meinte vor längerer Zeit, die eigentlichen freien Radios seien die kommerziellen, denn diese seien unabhängig vom Staat. Dem Einflussbereich staatlicher Regelung und Kontrolle entkommen, scheint also die Freiheit auf uns zu warten. Das ist nicht nur naiv, sondern schon fast bösartig. Es liegt aber ganz auf der Linie eines anderen Sprachspiels: der Ökonomisierung von Kultur bzw. der Kulturalisierung von Ökonomie. Verkaufen statt vermitteln. Jeder, der oder die sich nicht dem freien Wettbewerb stellt - was immer das sein könnte - beharre sozusagen auf einem geschützten Arbeitsplatz, und das sei nicht mehr länger tragbar. Stichwort Sozialschmarotzer. Und ausserdem outet man sich als Altlinker oder gar als Lnkslinker. Sozialpolitik, Bevölkerungspolitik und Arbeitsmarktpolitik nähern sich immer mehr einer Art - scheinbar - entideologisierter Öffentlichkeitsarbeit an: es braucht nur ein bisschen Flexibilität und Eigeninitiative, etwas Unternehmergeist, und schon verlässt du den Kutscherhof als Sieger (oder hast den begehrten Job). "Der Schritt in die Selbständigkeit ist [zumindest für Kathryn Zechner] Ausdruck des Wechsels von der 'no future' zur 'future'-Generation", einer 'future'-Generation, die allerdings gefälligst selbst für diese Zukunft sorgen und nicht ständig den Staat um Unterstützungen wie Notstandshilfe, Pensionen und Ausgleichszahlungen angehen soll. Es liegt schliesslich ganz bei uns, es liegt schliesslich in unserer Verantwortung. Selbstvorsirge ist auch so ein Wort im Rahmen dieser neuen, "liberalen" Wortspielfamilien. Die Macht diffundiert dabei aus dem Bereich der Politik in den Bereich liberalisierter und privatisierter Wirtschaftsstrategien (Self-Management). Ein "opting in" bei der Sozialversicherungsanstalt, und schon geht's los als neuer Selbstständiger. Dieses Selbständig wird dann mit Unabhägig verwechselt und schon reden wir nicht mehr von Freisetzung und Deregulierung, sondern von Marktchancen, von Nachholbedarf im Unternehmensbereich, von Selbstbestimmtheit, Innovationsförderung usw.
Es lassen sich also gerade aufgrund der Re-Politisierung der zumindest in Ansätzen erfolgten Reploitisierung österreichischer Öffentlichkeiten eine Reihe von Indizien finden, dass das, was dabei als Poltik zum Vorschein kommt, eine Depolitisierung im Sinn hat und als Politik verschwinden möchte: ins ORF-Kuratorium werden keine Parteienvertreter mehr entsandt, die Leitung der wichtigsten österreichischen - und auch der steirischen Museen - geht von den Direktoren auf Holdings über, in der neuen Medienbehörde werden auch nur ExpertInnen vertreten sein. Worum aber bitteschön, kümmert sich dann Medienpolitik, Sozialpolitik, Kulturpolitik? (Und an dieser Stelle ist es mir ein Bedürfnis darauf hinzuweisen, dass wir anstatt Kulturpolitik keine Denkfabrik brauchen, wie das der neue steirische Kulturlandesrat "angedroht" hat; schliesslich gibt es davon genung, manche davon lassen sich als Kunst- und Kulturinstitutionen und -initiativen bezeichen; schliesslich befinden wir uns gerade in einer solchen.) Soll uns hier weisgemacht werden, die politische Macht würde verschwinden, nur weil dessen offensichtlichste Vertreter sich in die zweite Reihe zurückziehen, wie wir das auch bei Parteivorsitzenden beobachten konnten?
Ich denke also, über Kunst und Politik, über Kunst und Macht zu sprechen heisst, diese nicht nur zu einem Thema zu machen, nicht nur über Inhalte zu sprechen, sondern sich strategisch auf die Suche nach der Politik und der Macht zu machen und sie an Orten zu markieren, wo wir sie nicht erwarten, wo sie eine offizielle Sprache nicht mehr zu identifizieren gewillt ist. Es kann geradezu darum gehen, Politik, ein politisches Verständnis in gesellschaftliche Zusammenhänge zurückzuprojizieren, aus denen sie ausgeblendet zu werden drohen.
"Der Diskurs darf nicht auf der Strasse geführt werden", meinte Kanzler Schüssel kurz nach seinem Amtsantritt in bezug auf die Donnerstags-Demos in Wien. Es geht also auch dem öffentlichen Raum an den Kragen; auch dieser soll als konflikt- und damit scheinbar herrschaftsfreier herausgeputzt werden (und vor allem dem Konsum und der Unterhaltung dienen?). Dabei stören unter anderem nicht nur demonstrierende Jugendliche, Subkulturen und Randgruppen, sondern auch Bettler, wie wir hier in Graz feststellen durften. Und Immigranten sowieso. Da sich die gegenwärtig regierende Koalition zum Ziel gesetzt hat, "die Bevölkerung (ich füge hier ein paar Rufzeichen ein) wirksamer vor den Demonstrationen gegen die Regierung zu schützen", wie das die Klubleute in einer Pressekonferenz gestern verlauteten, soll man sich nicht wundern, wenn bald niemand mehr weiss, was eigentlich Politik sein soll. Eine sich politisierende und positionierende Öffentlichkeit scheint jedenfalls nicht mehr dazuzugehören; das fällt schon beinahe in die Kategorie "Gefahr für die Demokratie".
Wenn also der Diskurs nicht auf der Strasse stattfinden darf, wenn Politik in der Öffentlichkeit und der Verwaltung nichts mehr verloren hat, dann verlegen wir diese halt in den Bereich der Kunst - und müssen abwarten, ob sich das noch mit irgendwelchen Förderrichtlinien vereinbaren lässt. Aus dem Kunstbereich - und selbstverständlich aus dem Bereich der Kulturtheorie - sind in jedem Fall präzisere und konfliktbeladenere, komplexere und adäquatere Fragen, Hypothesen und auch Antworten zu erfahren. Es darf also nicht überraschen, wenn in dieser Ausstellung viel mit Sprache/Text und über Sprache gearbeitet wird, wenn mittels Sprache/Text Bildern entgegengearbeitet wird, wenn Sprache/Text versucht, die symbolische Ebene der Bilder zu modifizieren. Denn trotz der vielbeschworenen Medienkultur sind es nicht nur visuelle Verhältnisse, die den Raum abstecken, in dem etwas überhaupt wahrgenommen werden kann. Es ist und bleibt immer auch die Sprache, die Territorien der Bezeichenbarkeit und der Kommunizierbarkeit absteckt. Hier erscheint der Begriff Diskurs wieder angebracht.
Wie hat gestern der Salzburger Landeshauptmann Schausberger- zwar in einem anderen Zusammenhang, aber dennoch ziemlich treffend für eine Reihe von gesellschaftlichen Kontexten - gemeint: "Österreich kann und soll sich diese Diskussion überhaupt nicht leisten. Wir haben gerade ein schwieriges Jahr hinter uns, wir können froh sein, dass wir das gut bewältigt haben." Gratulation, Herr Schausberger, für soviel Mut zu öffentlichem Zynismus und zur Schau getragener Verkehrung von Verhältnissen, auf die man auch völlig unterschiedliche Perspektiven einnehmen kann. Darüber müssten allerdings genau jene Diskussionen geführt werden, die sich Österreich scheinbar nicht leisten soll, und, wenn es nach der neuen herrschenden Klasse von spät-bürgerlichen Disziplinar- und Kontrollgesellschaftlern geht, gar nicht geführt werden sollen.
Gute Nacht, Österreich.
© Reinhard Braun - Eine kurze Rede anlässlich der Eröffnung der Ausstellung
"Anhaltender Widerstand gegen Machtverhältnisse", - association for contemporary art, Graz
16. März 2001
Ausstellungsdauer: 17.3. - 12.5.2001
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