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Vorträge


Reinhard Braun
Einige Koordinaten (medien-)künstlerischer Praktiken:
Bild, Utopie, Diskursstelle, Handlungsfeld

In der Vorbereitung für diesen Vortrag erschien es mir immer fragwürdiger, den Versuch einer Problematisierung von Mechanismen der Aneignung, Umarbeitung oder Diskursivierung von Medien bzw. Medientechniken auf eine Genealogie medienkünstlerischer Praktiken im engeren Sinn zu beschränken. Im Wesentlichen zielt diese Problematisierung darauf, das ambivalente Verhältnis von Technik, Gesellschaft und Kunst einer Kritik im Hinblick auf die Konstellation dieses Verhältnisses zu unterziehen. Es wäre mir darum gegangen, die Aneignung von Technik im Rahmen von medienkünstlerischen Praktiken als eine Form der kulturellen Modifikation von Technik anzusprechen, wobei es mir darum geht, die Subordination der Kunst zurückzuweisen und demgegenüber eine Symmetrie zwischen Technik und Kultur ins Spiel zu bringen, um diese Begriffe einmal in aller Unschärfe als Gegensatz zu inszenieren. Ich habe mich nun aber entschlossen, auch die Fotografie im Rahmen dieses ambivalenten Verhältnisses von Technik, Gesellschaft und Kunst anzusprechen, d. h. auch das Bild als eine der Koordinaten heranzuziehen, von denen dieser Vortrag handelt.

Grundsätzlich verfängt man sich leicht in einem hypertrophen Kulturbegriff, der alles zu umfassen scheint und dadurch nichts wirklich erklärt. Auch diese Gefahr der Kulturalisierung kann ich nur ansprechen, ohne sie hier und heute aufzulösen. Jedenfalls denke ich, dass im Kern dieser Anbivalenz ein Mechanismus aufgefunden werden kann, der sie nicht nur für den Bereich der sog. Neuen Medien markiert, sondern auch für die traditionelle Kategorie des Bildes. Ich würde diesen Kern als Mechanismus der Repräsentation beschreiben, die darin eine Stellung einnimt, die sie aus dem Feld des Visuellen befördert und sie beinahe zu so etwas wie einer Kulturtechnik werden lässt.

Da ich mich nicht als Theoretiker verstehe und ich ihnen meine Überlegungen auch nicht als Theorie präsentiere, erscheint es mir naheliegend, zunächst die Genese der Fragestellung selbst verständlich zu machen, warum also die Begriffe Bild, Medien, Utopie, Diskurstelle – ein geborgter Begriff, wie sich zeigen wird - und Handlungsfeld zusammen irgendeinen Sinn ergeben sollten und warum sie durch den Begriff der Repräsentation in ein Verhältnis gesetzt werden können.

Diese Genese hat eine kurze Geschichte – sie lässt sich vor allem dadurch zusammenfassen, dass es im Rahmen meiner kuratorischen Praxis der letzten Jahre, die einen wesentlich breiteren Raum meiner Tätigkeit eingenommen hat als Theorie, dass es also in dieser kuratorischen Praxis immer wieder um die Vorstellung von Repräsentation und Bedeutung ging, um die Freilegung dieser Bedeutung und ihre Übersetzung. In dieser unbefriedigenden Form einer Erklärung von Kunst, wie man es bezeichnen könnte, stellte sich unentwegt die Frage, wie lassen sich künstlerische Praktiken aus dem, ich würde fast sagen: Teufelskreis der Repräsentation freischlagen? Wie lassen sich ihnen andere kulturelle Texturen und Logiken zusprechen, eine andere Form des Zugriffs auf gesellschaftliche Wirklichkeiten, ihrer Vermittlung, ihrer Thematisierung, ihrer Kommentierung und Kritik. Wie lassen sich also etwa Bilder, fotografische Bilder, um genau zu sein, als Vehikel einer - auch politischen - Bedeutungsproduktion aktualisieren, ohne auf Zeichentheorien zu verweisen, ohne beständig die Frage der Referenz abzuarbeiten oder auf eine spezifische Ästhetik zu verweisen, ohne vor allem ständig von einer Wirklichkeit sprechen zu müssen, einem Außerhalb von Kunst? Und wie lassen sich künstlerische Projekte im Bereich der sogenannten Neuen Medien aus dem selben Abgrund der Repräsentation heben: dass sie nämlich hauptsächlich Funktionsweisen der Medien kritisch hinterfragen und damit an diesen Funktionsweisen etwas aufzeigen, etwa darstellen, ihre blinden Flecke, ihre Ideologie, ihre Macht oder schlicht ihren ökonomischen Fokus.

Diese beiden Felder der Fotografie und der Neuen Medien scheinen aufgrund ihrer völlig unterschiedlichen Geschichten, Paradigmen, Diskurse oder was auch immer kaum gemeinsam in den Blick zu nehmen zu sein – und viellecht sind sie das auch nicht, vielleicht ist das mit ein Grund für die Schwierigkeit, sie in eine Praktik integrieren zu wollen, die keine theoretische Praktik ist, sondern, wenn sie so wollen, eine Praktik der Vermittlung. Und mit dem Begriff des Handlungsfeldes installiere ich vielleicht nur einen theoretischen Kniff, dies dennoch zu versuchen.

Dahinter steht ein wenig aufregender, doch für eine Praxis des, wie ich es bezeichnen möchte, kooperativen Kuratierens immer noch oder immer wieder aktueller Konflikt, wenn man so will: da gibt es etwas in der Welt, von dem die Kunst oder die Fotografie erzählen und es in ein spezifisches System von ästhetischen, auch theoretischen, aktionistischen, performativen, kollaborativen, prozessualen Formaten und deren Kombination übersetzen. Da sind Medien in die Welt gesetzt, und auch die Kunst bedient sich dieser Medien und zeigt uns, was an ihnen falsch ist, wie sie wegweisend für neuartige soziale Praktiken sein können, welches Potential sie besitzen, gegen hegemoniale Formen der Wissensproduktion oder der Organisation des Sozialen eingesetzt zu werden usw. usf. Da ist immer etwas, das in irgendeiner Form gezeigt und übersetzt wird - immer noch diese merkwürdige Hermeneutik der Repräsentation.

Demgegenüber habe ich künstlerische Praktiken im Grunde immer schon in genau diejenigen gesellschaftlichen Felder verstrickt gesehen, die sie weniger thematisieren, d. h. in einen Gegenstand verwandeln, sondern in die sie sich in spezifischer Weise einmischen. Mein zugegebenermaßen oberflächliches Verständnis kultureller Produktion wehrt sich sozusagen dagegen, dass es immer etwas da draußen gibt, gegen das oder für das man sein kann. Und dass man für diese Art Kritik zunächst einmal etwas aufzeigen, darstellen, d. h. in eine Repräsentation zwingen muss. Ich denke, man/frau sind immer schon darin verwickelt und, wenn es sich schon um Repräsentation handeln sollte, selbst Teil dieser Repräsentation. Vielleicht stammt die Zurückweisung dieser Vorstellung auch nur aus einer relativ beliebigen subjektiven Erfahrung institutioneller Arbeit im Bereich zeitgenössischer Kunst. Vielleicht hat sie damit zu tun, dass, lange Zeit im Bereich der Fotografie zu arbeiten immer noch bedeutet, den Wirklichkeitsgehalt des Mediums durchzuarbeiten, zu verhandeln oder zurückzuweisen, weil in den fotografischen Bildern etwas ganz anderes zum Vorschein gebracht wird als Wirklichkeit oder Wirklichkeiten.

In diesem Zusammenhang möchte ich diese Frage im Bereich der Fotografie einmal nicht mit oder gegen Walter Benjamin, Roland Barthes oder Susan Sonntag formulieren, sondern ein Zitat der 1982 verstorbenen britischen Aktivistin und Fotografien Jo Spence ins Spiel bringen: "Die Vorstellung, (soziale oder geschlechtliche) Identität in einem Bild zu formulieren, in einem Bild zu erkennen und zu fixieren stellt die ideologische Maskierung einer Geschichte privater Unterdrückung dar und einen unangemessenen Idealismus der Repräsentation." (Die Arbeit von Jo Spence wird übrigens auf der diesjährigen documenta gezeigt.) Jo Spence formuliert diesen Idealismus der Repräsentation ncht als ein Phänomen der Bildpolitiken der 1970er und 1980er Jahre, sondern als ein grundsätzliches Moment der Verkennung fotografischer Praxis. Der unangemessene Idealismus besteht in der Annahme, soziale oder geschlechtliche Identität ließe sich wie die Oberfläche der Dinge in die Fotografie einschreiben. Doch sind soziale oder geschlechtliche Identitäten Konstruktionen, die nicht das Bild herstellt oder repräsentiert, sondern die im politischen Feld der Gesellschaft fabriziert werden. Die Vorstellung der Repräsentation wird dabei zu einer Form der Fortführung der Politik mit anderen Mitteln.
Auch im Rahmen der Cultural Studies wurde das Gespenst der Repräsentation als unangemessene Form der Vermittlung gesellschaftlicher Wirklichkeiten skizziert, was ein Zitat von John Fiske in diesem Zusammenhang belegen soll: "Repräsentation ist das Mittel, aus der Welt in einer Weise Sinn zu machen, die den eigenen Interessen dient. Sie ist ein politischer Vorgang und beinhaltet die Macht, Bedeutungen sowohl der Welt wie des eigenen Orts in ihr zu erzeugen. (...) Sie wird als ein Ort des Ringens um Macht verstanden (...)." Es gibt also zumindest zwei Möglichkeiten: Repräsentation als Ort dieses Ringens um Macht anzunehmen und sich in dieses Ringen um Macht einzuklinken, d. h. die Repräsentation als einen politischen Mechanimus zu demaskieren, oder: Repräsentation als diese Form einer Macht der Vermittlung oder Übersetzung von Sachverhalten und ihrer Bedeutungen zumindest hypothetisch zurückzuweisen und zu versuchen, andere Mechanismen der Vermittlung aufzufinden.

Doch ich neige wie immer dazu, mich vorschnell zu verzetteln. Deshalb möchte ich noch einmal darauf zurückkomen, dass dieses Interesse an bzw. die Irritation gegenüber Repräsentation auch damit zu tun hat, dass im Bereich der Medientheorien der 1980er und auch noch bis in die 1990er Jahre mit Vehemenz ein Primat der Technologie beschworen wurde. Vielleicht erzähle ich damit aber auch nur eine subjektive Geschichte theoretischer Sozialisation.

Wie auch immer: ein Zitat von Norbert Bolz, das ich in Texten der 1990er Jahre immer wieder verwendet habe, weil es mir dieses historische Segment medientheoretischer Arbeit gut zusammenfassen zu scheint: "Wir definieren Medium als historisches Apriori der Organisation der Sinneswahrnehmung (...). Mit der Vogelperspektive und der ungeheuren Beschleunigung des menschlichen Körpers im Raum werden Erfahrungen maßgebend, die die technische Organisation der kollektiven Physis revolutionieren. (...) Der Film ist die Entfaltung der in modernen Maschinen präformierten Apperzeptionsformen; es geht um die Vertiefung der Apperzeption, nicht um die Sinndeutung der Apperzeption." (Die Schrift des Films, Diskursanalysen 1, 28.) Nun könnte man/frau Norbert Bolz natürlich dem Verdikt einer Historisierung unterwerfen, doch scheint mir, und deshalb wird auch noch der Begriff der UTOPIE ins Spiel kommen, dass damit ein noch immer virulentes Agens der Medientheorie formuliert wurde: das Primat des Technischen, das Primat der Medien, die als "historisches Apriori" auftauchen, und an denen sich vor allem die Kunst nur sekundär, parasität, peripher, in jedem Fall aber lediglich repräsentativ abarbeiten kann. Man kann etwas von der Revolutionierung der kollektiven Physis zu sehen geben, markieren, thematisieren, diese ablehnen, transformieren, um es in bestimmten Kontexten (wie der Kunst) handhabbar zu machen – wirklich eingreifen kann man/frau jedoch nicht. Abgesehen davon, dass es mir immer fragwürdig schien, warum es nicht gerade um Sinndeutung, sondern um Vertiefung von Apperzeption gehen sollte.

Ich schwenke zurück zur Fotografie. Für den Bereich der Fotografie, die ich in einem Text für das Museum Folkwang im Jahr 2002 bereits als "kulturelles Handlungfeld" zu beschreiben versuchte, geht es gerade nach, jenseits oder überhaupt außerhalb der Frage nach einer Repräsentation von Wirklichkeit im Bild vor allem um die Frage der Bildlichkeit selbst und deren prekären, grenzgängerischen Status im Rahmen von Diskursen über Wirklichkeiten - im besonderen Maße deshalb, weil Fotografie als Medium und Diskurs exeplarisch als Form einer Überlagerung von Technologie, Wissen und Kunst konstituiert ist. Aus diesem Grund erscheint es mir übrigens naheliegend, trotz aller genealogischen Unterschiede Fotografie dennoch als Teil einer medienkünstlerischen Praxis zu verstehen.

Das fotografische Bild - das "fotografische Paradox", um doch noch einmal Roland Barthes zu zitieren – versuche ich vor diesem Hintergrund als einen bestimmten performativen "Ort" im Rahmen der Konstruktion von Wirlichkeiten zu verstehen, ohne dass diese durch das Bild selbst, sagen wir: erreicht werden könnte oder müsste. Dieser performative Ort verwickelt seinerseits diese Wirklichkeit in ein ganzes Kaleidoskop von Perspektiven, die sie sowohl zerstreuen als auch einfassen. Der Begriff vom performativen Ort versucht die Vorstellung zurückzuweisen, diese Perspektiven seien bloß Standpunkte von Blicken, eines Sehens als Ausgangspunkt für die visuelle Aneignung und Repräsentation. Dieser Ort ist vielmehr "ein Prozeß, eine Operation, ein mapping diskursiver Verzweigungen (...). Er ist ein informationsorientierter Ort, eine Überlappung (...). Er ist eine zeitweilige Angelegenheit; eine Bewegung, eine Bedeutungskette, der ein spezieller Fokus fehlt." (Miwon Kwon)

Vor diesem Hintergrund möchte ich das oftmals statisch formulierte Dispositiv der Fotografie als momenthaftes Zusammenspiel von Gegenstand, Apparat, Bild und Subjekt in Richtung einer Prozesshaftigkeit dynamisieren, Fotografie als einen Schauplatz verstehen. Als eine solche dynamische fotografische "Bewegungen" und "Bedeutungskette fotografischer Praktiken" (John Rajchman) ist die Konstruktion der Bilder als ein aktiver kultureller Prozess zu verstehen, der etwas herstellt, was vorher ncht da war oder der dieses vorher-Da-Gewesene im Prozess seiner Darstellung immer schon verändert, das also nicht als dasjenige, was es vorher war, zurückbleibt. Diesen Prozess habe ich vor Augen, wenn ich von Fotografie als einem kulturellem Handlungsfeld spreche, von Fotografie als einem verstreuten "Körper von Praktiken", um Foucault zu paraphrasieren, als einnen Körper von Praktiken, der den (diskursiven oder gessllschaftlichen oder politischen) Raum, auf den er sich bezieht, beständig umorganisiert und verändert. Fotografien sind "Texte auf der Suche nach einem Kontext", wie es Joseph Kosuth ausgedrückt hat, Fotografie ist - kulturell gesehen - ein "Typus des Handelns", ein "Raum der Äußerung" (Michel de Certeau). Nochmals Miwon Kwon: "Unser Verständnis von Schauplatz hat sich also von einem fixen, physischen Ort hin zu etwas verschoben, das durch soziale, ökonomische, kulturelle und politische Prozesse konstituiert wird." Dadurch erhält das fotografische Bild als Moment einer kulturellen und politischen Praxis eine unabschließbare Beziehung zu den Kontexten dieser Praxis. Und diese überdeterminierte, unabschließbare Beziehung lässt sich auch und gerade unter dem Einfluss der postmodernen Mediengesellschaft feststellen. "Innerhalb der Situation der Postmoderne [wird] künstlerische Praxis nicht durch ein bestimmtes Medium (...) [definiert], sondern durch die logischen Operationen mit einer Reihe kultureller Begriffe, für die jedes Medium (...) verwendet werden kann", so Rosalind Krauss. Fotografie also als eine Spur von Operationen mit kulturellen Begriffen, nicht als Archiv von Bldern. Wenn also das fotografische Bild ein Schauplatz der Konstruktion von Wirklichkeit ist und Teil einer sozio-technischen Praxis , wieso sind dann nicht auch Websites, Kommunikationsprozesse, interaktive Installationen, die vielfältigen künstlerischen Strategien innerhalb eines elektronischen Raumes gleichermaßen Schauplatz einer solchen Konstruktion, einer sozio-technischen Praxis, die zudem das Dispositiv der jeweiligen Medientechniken verändert, wie es Fotografie der Wirklichkeit antut?

Wie ich also zu zeigen versucht habe, behindern meines Erachtens die Vorstellungen von Fotografie als einer Praxis des Sehens, der Wahrnehmung, der Abbildung, d. h. von Mechanismen der Re-Präsentation, ein notwendig erweitertes Verständnis von Fotografie als kultureller Praxis. Das Bild ist kein artikuliertes Ding, um einen Begriff von Bruno Latour zu verwenden, auf den ich später noch zurückkommen werde, bevor es nicht im Rahmen kultureller Operationen als transversales Objekt, als "zirkulärer Referent" permanent aktualisiert wird. Und eine zentrale Praxis dieser Aktualisierung sehe ich im Bereich künstlerischer Praktiken an und mit dem fotografischen Bild.

In diesem Sinn auch stellt Fotografie für mich nach wie vor eine "turbulente, ereignishafte Zone" dar (Jean-Francois Lyotard über Malerei), die immer auch Spuren der kulturellen Konflikte und Machtverhältnisse aufweist, in die sie prinzipiell involviert ist, die sie nicht einfach visuell kommentiert oder dokumentiert, sondern die das Bild selbst durchziehen. Und nur als dieser spezifische Raum einer Äußerung im Rahmen eines kulturellen Handlungsfeldes macht es für mich Sinn, weiterhin über dieses unglaublich alte Medium nachzudenken.

Um zumindest schlaglichtartig die kühne Wendung von einer kooperativen kuratorischen Praxis zu beleuchten, so verstehe ich diese, wenn man so will, gerade als eine spezifische Form, Kunst als Artikulation zu verstehen bzw. diese zu artikulieren, womit nicht deren sprachliche oder schriftliche Interpretation gemeint ist. Ganz im Gegenteil. Ich habe mich immer gegen die Attitude verwehrt, Kunst zu verstehen und von diesem Verständnis zu sprechen. Ich habe es nie verstanden, mir die – mit zahlreichen Privilegien symbolischen Kapitals umrankte, privilegierte - Position des Künstlers, der Künstlerin anzueignen. Was hätte ich damit gewonnen, eine Arbeit verstanden zu haben? Mich eins mit dem/der KünstlerIn zu wissen? Mich in eine privilegierte Position versetzt zu haben, aus der heraus ich Kunst "den anderen" erklären könnte? Warum sollte ich wissen wollen, was die KünstlerInnen wissen?

Mir erschien es daher naheliegender, eine Situation herzustellen, als Autor oder Kurator, in der Kunst in einem anderen Modus zirkuieren kann, als etwas, das von sich aus bereits in einem anderen Modus zu zirkulieren intendiert, der immanent Teil von Debatten, Konflikten, Widersprüchen ist. Kooperativ meint also keine kumpelhafte Vebrüderung mit der Zunft der KünstlerInnen, keine Ignoranz oder strategische Zurückweisung der institutionellen Rahmenbedingungen, unter denen Kunst zirkuliert, kein Verkennen der Macht, die der Position der KuratorInnen beigemesen wird oder innewohnt, auch keine innovative Neudefinition der kuratorischen Praxis selbst. Der Begriff der Kooperation deutet für mich auf die Vorstellung, dass Kunst nur etwas sein kann, das sich ein gemeinsames Territorium mit der eigenen Praxis teilt, dass man nicht aus einem Draußen in ein Innen zu holen braucht, dass Kunst nur etwas sein kann, mit dem man etwas tut, das man in Verhältnisse setzt, in einen Schauplatz einbindet, das man Diskursen einschreibt, das, kurz gesagt, eine kulturelle Performanz besitzt, deren Ausgangspunkt nicht die Vermittlungsarbeit der KuratorInnen darstellt, sondern die künstlerische Praxis selbst.

Wie sieht mein persönliches Problem mit der Repräsentation nun für den Bereich der Medien im engeren Sinn aus, ein engerer Sinn, der durch den Begriff Medienkunst zum Ausdruck gebracht wurde?

Wenn wir uns daran erinnern, geht es um eine Art Postulat, das Medien als historisches Apriori der Organisation der Sinneswahrnehmung beschreibt. Dieses Postulat, so behaupte ich, lässt sich auch für den Bereich der Kommunikation, des Wissenstransfers und der viel besprochenen Interaktion belegen. Durchwegs sind es Entwicklungen im Bereich der Technik, die neue Verfahrensweisen an die Hand geben, die sich KünsterInnen aneignen, die sie – immer in Verspätung zur Entwicklung selbst – umarbeiten, modifizieren, kritisieren usw. Natürlich gibt es auch die Figur der KünstlerInnen/EntwicklerInnen/TechnikerInnen, die dies selbst in die Hand nehmen. Interesanterweise eröffnen sie damit aber einen Bereich von Produktion, der eine seltsame Zwischenstellung einnimmt, nicht ganz Kunst (da sie aus den meisten Institutionen bis auf spezialisierte Festivals großteils ausgeschlossen bleiben) und nicht ganz Technik oder Wissenschaft, weil sich der Modus der Entwicklung nicht den standardisierten und ritualisierten Netzwerken dieser Art Forschung unterwirft.
Mich interessieren besonders jene Phänomene, die schließlich doch als Medienkunst – als Intermedia, Expanded Medie, Videokunst, interaktive Kunst, Kommunikationskunst etc. - den Weg in die Kunstgeschichtsschreibung gefunden haben, allerdings, wie Timothy Druckrey auf der letzten Transmediale betonte, durchwegs als ein minoritäres System innerhalb zeitgenössischer Kunstgeschichtsschreibung. Ich sehe hier einen Konflikt oder zumindest ein Paradox platzgreifen, das im Wesentlichen auf einen, wenn ich es einmal so audrücken darf, übergeordneten kulturellen Konflikt hinzudeuten scheint und der für mich wieder auf eine merkwürdige Vorstellung von Repräsentation verweist - und der gleichzeitig die Stellung medienkünstlerischer Praktiken in bezug auf Kunstinstitutionen und Wissenschaft verkompliziert.

Dieser Konflikt lautet nicht Open Source versus Microsoft, er dreht sich vielmehr um eine spezifische kulturelle Ideologie und die Rolle der Technik im Rahmen dieser Ideologie. Er dreht sich im Wesentlichen, um es vorweg zu nehmen, um das Primat des Medialen/Technologischen, das immer und immer wieder als Agens von gesellschaftlicher Entwicklung und sogar von Geschichte postuliert wird. Es geht um die Essenzialisierung von Technik, um diejenigen Prozesse, die medientechnische Anordnungen in Black-Boxes verwandeln, an denen dann – aus der Perspektive der Wissenschaft, der Forschung und der Industrie - mehr oder weniger inkompetente KünstlerInnen ein wenig herumbasteln, unerwartete Anwendungen finden und Teile in ihrer Funktion stören oder verändern dürfen. Wir finden uns in einem Heideggerschen Universum wieder, in dem wir zu Instrumenten geworden sind mit keinem anderen Zweck als Instrumentalität selbst. Wir sind in ein Gestell eingespannt, das selbst wiederum eine Form der Entbergung des Seins ist, das dabei technisch gedacht wird. Für Heidegger ist der einzige Zweck der Technik die endlose Rationalisierung und Verfügbarmachung der Natur, unser modernes Schicksal.

Aus dieser Perspektive lässt sich Technik, Technologie, die Apparateensembles, wie sie in massenhafter Produktioin die Märkte überschwemmen, quasi analog zur Problematik der Wirklichkeit angesichts des fotografischen Bildes verstehen. Sie sind immer schon da, da draußen, nicht nur nie ganz in unserer Verfügungsgewalt, sondern geradezu unabhängig von jeder unserer Interventionen, als permanente autonome maschinenhafte Zonen gewissermaßen, als unerreichbares Gestell. Wir, als BenutzerInnen und AnwenderInnen können uns immer nur in einem Schritt der Übersetzung, Vermittlung, in einem Modus der Re-Präsentaion auf sie beziehen, auf sie verweisen. Künstlerische Projekte verdeutlichen dann lediglich Aspekte der Funktionsweisen von Technik, ihrer Konsequenzen für die "Revolutionierung der kollektiven Physis" oder ihrer schier unglaublichen Möglichkeiten der digitalen Verwandlung von alles in jedes. Künstlerische Praktiken sind dann jedoch keinesfalls in der Lage, die Technik in ein System von Praktiken zu verwickeln, die die Technik selbst verändern und ausgehend davon einen neuen Begriff einer sozio-technischen Kultur entwickeln könnten. Abgesehen davon, dass es dabei um eine Rhetorik geht, die dazu dient, die Vormachtstellung spezifischer kultureller Parameter und Wertesysteme zu befestigen, d. h. die einen im wesentlichen politischen Inhalt hat, hält diese Vorstellung vor allem die Kunst selbst in einem Modus gefangen, der sie auf das Stereotyp ihres kritischen, gegenkulturellen, antihegemonialen Gestus fixiert und Politik dadurch auf kritische Intervention reduziert. Wie lässt sich diese Reduzierung nun umgehen?

Dazu möchte ich mir den Begriff "Diskursstelle" borgen. Dirk Spreen hat den Begriff folgendermaßen formuliert: "Medien und Medientechniken sind keine vorgefundenen Vermittler oder selbstverständlichen Kulturtechniken, aber auch keine genialen oder obskuren Erfindungen. Sie sind systematisch entwickelte Formationen von Personen, Artefakten, Handlungsanweisungen und Möglichkeitsräumen, die an ganz bestimmten Diskursstellen positioniert und in komplexen kulturellen Austauschverhältnissen produziert werden." Und weiter: "(...) die Erörterung des Verhälttnisses von Körper, Subjekt und medialer Vermittlung findet sich bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Diese Problematisierungen können somit nicht lediglich ein Effekt der technischen Entwicklung sein. Das Mediale wird zum Problem, bevor die technischen Strukturen und apparativen Anordnungen erscheinen, in Bezug auf die dieses Problem heute diskutiert wird. Es gibt also eine mit politischen und ökonomischen Diskursen verwobene Diskursstelle der Medien, die nicht Folge neuer Technologien ist, sondern deren Entstehung vorausgeht. (...) Das Medienverständnis der Moderne ist zuerst ein Diskurs." Damit ist eine Perspektive formuliert, die das Verhältnis von Technik und Gesellschaft bzw. Kultur potentiell umkehrt.

Medien und Medientechniken sind demnach kein ontologisches Gestell, das unseren Zugriff auf Welt besetzt hält, sondern sie zeugen davon, in welchem Umfang dieser Zugriff auf Welt sozio-technisch codiert ist, in welchem Ausmaß somit jede technische bzw. an Technik gebundene Entwicklung an Prozesse ihrer Diskursivierung, Kulturalisierung und, wie ich hinzufügen möchte: Artikulation gebunden ist. Diese Prozesse verlaufen allerdings weder linear noch zielgerichtet: parallel zu einer offiziellen Geschichte der technisch-medialen Entwicklung, die nach wie vor als Fortschritt geschrieben wird, gibt es unterschiedliche Intensitäten und Verläufe der Artikulation von Seiten der Kunst. Diese versteht Technik nicht als Apparatesystem, sondern als Teil einer sozialen Maschine, die den technischen Medien ihre Funktionen zuteilt, wie es Gilles Deleuze formuliert hat.
Über das FIDOnet etwa schreibt Tim Jennings in den frühen 1980er Jahren: it "is in fact a collection of social conventions encoded in software (...)". Medien als Artefakt und Form einer Praxis erhalten in einer solchen Perspektive ihre Funktion erst durch die Koppelung an sozio-kulturelle Prozesse. Man muss sich von der Vorstellung lösen, es gäbe da eine präzise und reine Maschine, die durch die Interventionen von sozio-kulturellen Prozessen in ihrer Reinheit geradezu beschmutzt würde, weil das Verhältnis Subjekt und Maschine niemals reibungslos funktioniert, das Subjekt immer als Störfaktor des Phantasmas einer Funktion von mathematischer Schönheit und Perfektion gilt.

An dieser Stelle könnte eine Genealogie medienkünstlerischen Praktiken ansetzen um zu zeigen, inwiefern im Bereich der Kunst das Mediale und Technische bereits problematisiert wurden, bevor es einen Begriff wie Medienkunst gab. Man könnte über Fluxus sprechen, die Nouveau Realistes, den Situationismus, über Neo-Dada und Pop Art, über Konzeptkunst und schließlich über Experiments in Art and Technology und einen "Artists' Use of Telecommunications". Ich denke man kann zeigen, wie Begriffe wie Kollaboration, Kommunikation, Raum, Ereignis und Handlung, die heute zentral für Medienpraktiken sind, in einem Feld künstlerischer Praktiken zirkulierten, die sich nicht über Kanäle eines technischen Austausch definierten, sondern als soziale Skulpturen und als Ästhetik kultureller Austauschprozesse.

Doch anstatt dieser Genealogie möchte ich eine weitere der angegebenen Koordinaten aufgreifen, den Bereich der Utopie, die sich nicht nur um Technik rankt, sondern in deren Kern Technik als Movens von Gesellschaft verstanden wird. Diese Utopie der neuzeitlichen Moderne läst sich als Begehren beschreiben, der Mensch möge werden, was die besten seiner Maschinen sind. Doch dies wird wohl nicht zu erreichen sein, weshalb die Maschinen immerzu eine Art von Kränkung des Subjekts darstellen. Manchesmal ereilt uns wie Pygmalion das Schicksal, uns in einen Automaten zu verlieben, doch meist nerven sie uns, wenn sie sich unserer Logik widersetzen, die nicht die ihre zu sein scheint. Man könnte an dieser Erzählung anschließen und davon sprechen, dass Technik den Wunsch einzulösen versucht, zur Maschine zu werden. Doch interessiert uns hier nicht ein Künstlich-Werden des Körpers, sondern ein, wenn man so will, das Künstlich-Werden der Gesellschaft. Dieses Künstlich-Werden im großen Maßstab zeigt sich wenig überraschend als eines der zentralen Projekte der Moderne und also als eine deren Utopien.

Denken wir an die Massenmedien Film und Radio und erneut an Fotografie als Massenmediun, um nicht von der Industrialisierung und der neuaufgestellten Ökonomie zu sprechen. Im Kern dieser visuellen und auditiven Massenmedien stehen nicht nur die Maschinen und Apparate selbst, nicht die Töne, Soundlandschaften oder Bildoberflächen, sondern ein Ordnungsbegriff, der sich auf die Logik von Technik und Maschine zurückführen lässt. Dieser Ordnungsbegriff wird im Allgemeinen als instrumenteller Rationalismus bezeichnet. Bei diesem Ordnungsbegriff handelt es sich durchwegs um Steuerungstechniken, um Zugriffe auf Öffentlichkeiten und deren Kontrolle. Diese Ordnungs- und Kontrollideologie im Kern der Moderne zeigt sich im Zuge der Aifklärung unter anderem in den Panoramen seit dem Ende des 18. Jahrhundert, später in den fotografischen Polizeiarchiven wie jenem von Alphonse Bertillon in Paris am Ende des 19. Jahrhunderts, und selbstverständlich in den bekannten architektonischen Utopien wie der Wohnmaschine von Le Corbusier. Diese Organisationsform des Gesellschaftlichen entspricht somit einem Steuerungs- und Kontrollphantasma, das sich im 19. Jahrhundert auf breiter kultureller Ebene durchsetzt, etwa in den Schriften Alphonse Quételets über die Sozialphysik und der Konzeptualisierung eines "mittleren Menschen" (homme moyen), in der daran anschließenden Etablierung der Normalverteilung als gleichzeitig abstraktes wie sozial wirksames Verwaltungsinstrument, oder in den Stadtplanungsprojekten des 19. und 20. Jahrhunderts wie in Paris oder Brasilia.

Die Moderne erscheint darin als skopisches Regime (ein Begriff, der auf Christian Metz zurückgeht) eines panoramatisches Blicks, der alles erfasst, oder als elektromagnetisches Regime wie beim Radio, das die sozialen Individuen in eine gemeinsame, kollektive Schwingung, in eine gemeinsame Taktfrequenz versetzt. Die Utopie der Moderne als Medientechnik ist demnach die Beherrschbarkeit des Sozialen und Gesellschaftlichen durch die Beherrschbarkeit von Raum und Zeit. Anschließen, versammeln, ordnen, lenken, steuern. Medien und Technik werden als Ordnungsinstrumente von gesellschaftlichen Terrains eingesetzt. Das Soziale taucht nur mehr als deren Gegenstand auf, als ein Feld, das bearbeitet, geordnet, systematisiert und kontrolliert wird. Auch wenn es sich um eine beinahe karikaturenhafte Überzeichnung handelt, hat die Unerreichbarkeit von Technik mit dieser Utopie der Moderne zu tun, die Welt als Maschine zu begreifen, zu entwerfen und sie allein einer wissenschaftlichen Kontrolle zu unterwerfen, einer Kontrolle durch mathematische Vernunft und Rationalität, und nicht einer Kontrolle des sozialen Durcheinander, der vielen Stimmen und der irrationalen Begehren. Die Moderne hat mit der Ambivalenz und der Diversität des ontologischen Status aufgeräumt, die Welt in die Partitionen Fakten und das Subjektive formatiert. Dadurch aber wird das Soziale und auch die Kunst in einer fatalen Spaltung dem Irrationalen zugeschrieben, zumindest den unordentlichen Netzwerken und den unentscheidbaren Kontroversen. Die Technik, die Medien sind das Reich der Fakten, der Funktion, der Vernunft, der Gesetzmäßigkeit und der Kalkulierbarkeit, das Soziale und die Kunst sind das reich des Subjektiven, der Meinungen, der Ideologie, der Wankelmütigkeit und derständig wechselnden Kräfteverhältnisse, permanent am Rande des Chaos, dem die technische Vernunft geradezu entgegenarbeiten muss.

Im Kern dieser Ideologie findet sich schließlich erneut der Mechanismus der Repräsentation als Schicksal jeder Vermittlug des Technischen in das Soziale, jeder Vermittlung zwischen Objekten und Subjekten. Wenn es von Leuten immer nur gibt, was Medien speichern und weitergeben können, wie Friedrich Kittler schreibt, dann bleibt diesen Leuten auch nur übrig, über Repräsentationen Effekte der Technik und der Medien zu verhandeln, ohne an deren Materialität heranzureichen.

Diesem Konzept möchte ich die Vorstellung entgegenhalten, dass Medien, Technik und das Soziale, um es auf diese Trias zu reduzieren, ein gemeinsames Dispositiv bilden, ein gemeinsames Terrain teilen, das nicht nur in Diskursen aufeinanderbezogen ist, sondern das seine Wirksamkeit gerade dadurch entfaltet, dass den verschiedenen Positionen innerhalb des Dispositivs Funktionen zugewiesen werden, die auf die jeweils anderen Positionen zurückwirken. In dieser Trias bleibt kein Element stabil, sondern wird permanent von den anderen Elementen modifiziert.

Zahlreiche theoretische Arbeiten haben sich gegen die "disziplinarische Produktion kultureller Wirklichkeit" durch die Moderne gerichtet, erwähnen möchte ich Linda Singer und Donna Haraway. Letztere hat in ihrer Figur der Cyborg eine hypothetische Verschmelzung von Technik und Subjekt imaginiert, die nicht auf der Unterwerfung des Körpers beruht; Linda Singer wiederum hat der Disziplin der modernen Diskurse ein Konzept der epidemischen Wucherung entgegengestellt, das wiederum auf Foucaults Konzept der Genealogie zurückgeht, in der lokales, unzusammenhängendes, disqualifiziertes und nicht legitimiertes Wissen gegen theoretische Einheitsinstanzen, gegen die Macht der Diskurse zusammengefasst werden. Alle wenden sich gegen die Figur der Repräsentation, gegen Formen des Repräsentiert-Werdens, gegen die Unerreichbarkeit der Diskurse.

Schließlich erscheint es mir jenseits der Aktualität, die Bruno Latours Netzwerktheorie in den letzten Jahren erfahren hat, brauchbar, abschließend ein zentrales Motiv darin aufzugreifen, es jedoch quasi gegen Latour selbst zu wenden, um es für meine eigene Arbeit produktiv machen zu können. Wenn Latour davon spricht, dass im Rahmen der Wissenschaft menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren symmetrisch die selbe Form der gegenseitigen Artikulation zu gesprochen werden muss, es ihm also vor allem um die Rehabilitierung der Dinge geht, so würde ich im Rahmen meiner bescheidenen Handlungsfeld-Annahme dafür plädieren, gerade den menschlichen Akteuren zuzusprechen, dass auch sie die technischen Dinge artikulieren. d. h. diese im Kern umwandeln, zu etwas anderem machen, natürlich nicht buchstäblich, indem sie Platinen umlöten oder Software adaptierren, obwohl auch das natürlich geschieht, aber im Sinne ihrer kulturellen Zirkulation: ein Telefon, mit dem tatsächlich telefoniert wird, ist ein völlig anderer Gegenstand, und darauf weist Latour hin, als dasjenige Telefon, das von Nokia produziert in einer Vitrine zum Kauf liegt. Dieses Ding in der Vitrine hat für Latour keine präkonfigurierte Apperzeptionsform, es stellt kein historisches Aproiri dar, es wird erst in der Aktualisierung des Telefonierens zu jenem technischen Medium, das eine kulturelle Performanz hat. Jede Gebrauchsform artikuliert das Telefon neu und macht es zu etwas anderem.

Und gerade in diesem Sinn kann ich mir auch vorstellen, das fotografische Bild zu denken, als etwas, das beständig artikuliert, nicht gelesen, gedeutet oder angeeignet wird. Zur Artikulation schreibt Latour, das diese die Stelle innimmt, die durch die Dichotomie zwischen Subjekt und Objekt oder zwischen Außenwelt und Denken freigelassen worden ist, eine Dichotomie, die das Funktionieren der Repräsentation garantiert. Für ihn lautet die Frage nicht länger, ob Aussagen sich auf einen Sachverhalt beziehen oder nicht, ob es sich also um eine zutreffende Repräsentsation handelt, sondern in welcher Weise diese Aussagen durch das Netzwerk artikuliert sind oder nicht. Der Lesevorgang, die Deutung und die Aneignung sind somit Teil einer Artikulationspraxis, die die Kluft zwischen Wirklichkeit, Bild/Medien und Subjekt schließt bzw. sich in dieser Kluft ansiedelt. Und diese Artikulationspraxis hat eine Übersetzung zur Folge, die keiner Logik der Repräsentation folgt. In dieser Kluft würde ich auch so etwas wie kuratorische Praxis ansiedeln. Am Ende des Lesevorganges steht somit keine Deutung oder Aneignung, sondern etwas Drittes. Dieses Dritte möchte ich nicht bestimmen, jedenfalls erscheint mir, kann es nur innerhalb eines kulturellen Handlungsfeldes fabriziert werden, sollte es mehr sein als die Rezeption einer Repräsentation.

Ich schließe mit einem Zitat von Thomas Feuerstein, das mir wichtige Aspekte dieses Handlungsfeldes auf den Punkt zu bringen scheint: "Und folglich ist diese Kunst eine schmutzige Para-Kunst, eine Kunst als Wissenschaft, als Philosophie, als Soziologie, als Politik etc., die außerkünstlersche Kräfte infiltriert, um fremde (Immun-) Systeme zu unterlaufen. Diese Art von Kunst ist eine Möglichkeitsform, die gleichzeitig (!) Kunst sein, etwas anderes und Kunst sein oder auch nicht Kunst sein kann."



Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig, 22. April 2007
© Reinhard Braun 2007



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