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Metamorphosen der Körper, oder:
Ein Leben in der Zwischenablage
"Die Bilder präsentieren das Weibliche als Sanierungsgelände. Geglättet, poliert, implantiert, auseinandergenommen und neu zusammengesetzt wird die Frau zur mobilen Baustelle. Indem sie mit dem Computer die plastische Chirurgie anzitiert, eilt Van Lamsweerde den Verschönerungspraktiken einen Schritt voraus und suggeriert damit, dass unsere Obsession in Sachen Vollkommenheit der Science Fiction nahekommt." (Collier Schorr)
Immer wieder stehen (nicht nur) Frauen bzw. das Modell Frau im Mittelpunkt der Serien von Inez van Lamsweerde; selbst wenn es sich - wie im Fall der Serie "The Forrest" aus 1995 - um männliche Darsteller handelt, bleibt das Feminine als Stereotyp, als Konditionierung, als Verhaltensnorm und Repräsentationsmodell deutlich sichtbar. "Vital Statistics" - Bevölkerungsstatisik - heisst etwa eine Serie, die nicht nur Normmasse von Mannequins und Models thematisiert, sondern durch deren Plazierung vor banalen und unpassenden städtischen Hintergründen - die nachträglich hinzugefügt wurden - auch so etwas wie eine "vital statistic" der Stadt. Allerdings gibt ihre Bildstatistik keineswegs durchschnittliche Typen oder Körper wieder, sie erzeugt vielmehr in den meisten ihrer Serien eine fiktive - und geradezu sarkastische - Normierung des Idealen als Durchschnitt und: - markiert dadurch das Ideal selbst als Fiktion.
"Through the media women are influenced to want to be thinner, to work on their appearance. Perhaps that's why my photos are always about seduction and desire." (Inez van Lamsweerde)
Verführung und Begehren - Begriffe, die ganz unmittelbar mit den - nicht nur körperbezogenen - Modellvorstellungen der Werbe- und Modefotografie verknüpft, verschränkt sind. Selbst die Kinderdarsteller der "Final Fantasy"-Serie aus 1993 - die nach einem Computerspiel benannt ist - sind von einer professionellen Model-Agentur bezogen worden. In den Serien von Van Lamsweerde verschränken sich also zunächst einmal Vorstellungen über körperliche Normen, die aus ganz bestimmten Repräsentationszusammenhängen stammen (Werbung, Mode) und die auch in ganz bestimmten ästhetischen Bildformationen und Bildtypen präsentiert werden.
Das erschliesst sich allein schon aus dem Produktionsprozess: sie verwendet die darstellenden Personen buchstäblich als Ressourcen, als Ausgangsmaterial, als Modelle in geradezu technischem Sinn. Nicht nur stammen ihre Modelle fast durchwegs von Agenturen, sie wählt die Kleidung aus (sofern es eine solche gibt), sie bestimmt das Make-up, positioniert die Modelle am Set, bestimmt die Körperhaltungen und Posen bis hin zum Gesichtsausdruck, wählt den Hintergrund und vor allem vertauscht sie in einem weiteren Produktionsschritt - der ausschliesslich am Computer durchgeführt wird - Teile von unterschiedlichen Körpern unterschiedlicher Aufnahmen, sie ersetzt also beispielsweise Körperteile eines Mannequins durch solche von Puppen oder anderen Personen. So sind in der "Thank You Thighmaster"-Serie, was die Frauendarstellungen anbelangt, bis zu drei verschiedene Referenzkörper abgebildet und miteinander verschmolzen.
Was bei dieser Morphogenese zuallererst verschwindet, ist jedes Anzeichen von Individualität - diese wird durch ein ambivalentes, artifizielles und hybrides Schönheitsideal ersetzt, welches sich auf kein Individuum bezieht, sondern auf durch kulturelle Mechanismen erzeugte Abstraktionen, die sich jeder Individualität überblenden. Van Lamsweerde erschafft keine Subjekte, auch keine künstlichen, sondern Typen, eine Typologie kultureller Normen.
Statt (vordergründig) die Art und Weise zu kritisieren, wie solche Schönheitsideale entstehen - und durch die Mannequins, die überhaupt von Agenturen engagiert werden schon bestätigt werden - oder zu kritisieren, wie Frauenkörper üblicherweise (beinahe kanonisch) in Modeaufnahmen dargestellt werden, spielt sie mit diesem System, treibt es auf die Spitze, indem sie die Parameter radikal ändert bzw. erweitert. Schönheit ist nun nicht mehr einem bestimmten (Frauen-) Körper zuschreibbar, sondern entsteht als künstliche Metamorphose von ganz unterschiedlichen Körpern. Ideal- und Normvorstellungen, die sich mindestens so radikal wie Tätowierungen unseren Körpern einschreiben, werden als künstliches Konstrukt dargestellt, als etwas, wodurch die weiblichen Subjekte bestimmten Diskursen unterworfen werden, als etwas, das seinen Ausgangspunkt in keinem natürlichen Körper hat, sondern immer schon in einem künstlichen. Kultur produziert künstliche Körper. Bestimmte Diskurse dieser Kultur produzieren künstliche weibliche Körper.
Es zeichnet sich hier allerdings - wenn man den grossen Aufwand in der Produktion ihrer Arbeiten und vor allem den grossen Anteil der Postproduktion ernst nimmt - eine Verschiebung der Perspektive auf dieses Verhältnis der Normierung der Körper ab: nicht mehr nur kulturelle Kontexte im herkömmlichen Sinn (wie Sexualität, Familie, Erziehung usw., d. h. verschiedene Formen der Macht) sind es, die Körper - ein Begriff, der von mir immer auch als Metapher für Identität und Subjektivität verstanden wird - definieren, verzeichnen und neu zusammensetzen, sondern es sind seit einiger Zeit technologisch fundierte Verfahren (mit kulturellen Subsystemen verschränkt), die die erwähnte kulturelle Beschriftung der Körper tragen und erweitern: es ist immer auch Software, die die Wetware bestimmt. Was sich also in den Produktionsverfahren von Inez van Lamsweerde abzeichnet, ablesen lässt, ist nicht nur ein ästhetisches Interesse, sondern der Umstand, dass es immer weniger um die Modellierung natürlicher Körper geht, sondern um die Konstruktion künstlicher (im Mai geht die erste voll-synthetische Talkmasterin im deutschen Fernsehen auf Sendung und der Modeschöpfer Thierry Mugler arbeitet an einer On-line-Modeschau mit virtuellen Mannequins).
Und gerade in diesem Sinn gehen die artifiziellen Frauenbilder Inez van Lamsweerdes - auch in ihrem subversiven Unterlaufen und Irritieren von Repräsentationszusammenhängen und Bildtypen - über die spezifischen Kontexte von Mode, Werbung und auch Kunst hinaus, richtet sich die komplizierte und komplexe Synthese in ihren Bilder nicht nur auf bestimmte normative Frauenbilder und deren Herkunft; es lässt sich durchaus behaupten, dass anschliessend an die Frage des Körpers die Frage des Geschlechts bzw. daran anschliessend die Frage nach der Konstitution von Identitäten insgesamt zur Debatte steht - und dies vor allem unter der Perspektive einer durchgehenden Technologisierung von Kultur.
Die hybriden Mischwesen, die durch massiven technologischen Einsatz in der Bildherstellung entstehen, Mischwesen, die jede Typologie des Körpers unterlaufen, jede Kategorisierung nach Geschlechtszugehörigkeit, die mithin die kulturell fundierte Funktion des Körpers als Kategorie der Differenz, der Bestimmung von Differenz aufheben, stehen somit im Zentrum einer gegenwärtig in und durch zahlreiche wissenschaftliche wie künstlerische Diskurse geführte Debatte darum, dass es der bzw. die Körper selbst sind, die als diskursives Dispositiv in Frage gestellt werden. Inez van Lamsweerde bezieht sich m. E. ausgehend von der Infragestellung des weiblichen Körpers als Konstruktion auf den Umstand, dass Körperlichkeit insgesamt in Frage steht.
Was wir von uns denken möchten, wie wir erscheinen möchten, wonach wir uns richten möchten etc. ist nicht mehr nur eine Frage kultureller Signifikation, einer Beschriftung durch Kultur über klassische Medien der Kollektivierung von Vorstellungen und Normen (Magazine, Plakate, TV etc.) - die Körper wie das Begehren der Subjekte tauchen vielmehr im Mittelpunkt kultureller Transformationen selbst auf - angefangen von der Bio-Medizin, der Immunologie, gentechnischer Verfahren, künstlicher Fortpflanzung etc. bis hin zu verschiedenen Formen von Kommunikations-Online-Präsenz und der Erfahrungen solcher mediatisierter Präsenz - von Nintendo-Spielen bis hin zu Videokonferenzen. Vorstellungen davon, was wir sein möchten, richten sich schon lange nicht mehr nur auf den Körper, seine konkrete Präsenz im Raum und in der Zeit, sondern auf durch Erfahrungen der VR stimuliertes Begehren: jenseits von Raum und Zeit, d. h. im Wesentlichen: schrankenlos handeln und erscheinen zu können, gar nicht mehr durch einen - kranken, müden, Umwelteinflüssen ausgesetzten - Körper belastet frei als Fantasma zu flanieren. Und als Fantasmen sind die Körper bei Inez van Lamsweerde auch zu lesen: ihrer Geschlechtlichkeit beraubt, sinnlose, da nicht auf Geschlechtlichkeit und Erotik zielende Posen ausführend, stehen sie - noch, wie hinzugefügt werden muss - ausserhalb jeder kultureller Ordnungen:
"I wanted to express that they have a body that is indeed perfect, but is otherwise useless. They aren't able to have sex. (...) You have to ask yourself what kind of people you produce with this."
"We live in a time in which the fast development of technology makes it possible for us to have to have increasingly little physical contact with each other. Physical intimacy diasappears. Everyone sits behind his computer screen and has contact with others by modem. So there you sit with your perfect body. You can do nothing with it. The body is hermetically sealed. In fact, people are brains, packaged in an artificial shell." (Inez van Lamsweerde)
Inez van Lamsweerdes Arbeiten sind also sowohl als spezifische Form einer künstlerischen Strategie interessant, indem sie Fragen der Repräsentation wie der Präsenz stellen, aber auch dadurch, indem sie sich drastisch und in eigentümlich "subtiler Direktheit" auf dieses vieldiskutierte Paradigma des westlichen Subjekts und - wie betont werden muss - seiner zunehmenden Verschränkung mit Technologie beziehen.
"Schließlich sind das Vordringen der Technologie in den Körper und die Vergesellschaftlichung der simulierten Realitäten mehr als Zeichen technologischen Fortschritts, sie stellen auch eine radikale Transformation des Wissens, der Biologie und der kulturellen Ordnung dar, in der Wissen mit Ideologie, Biologie oder Identität verbunden wird, wobei dies in der Form eines technologischen Imperativs geschieht, der nicht unbedingt mit Notwendigkeit zu tun hat. (...)" (Timothy Druckrey)
Der menschliche Körper war immer schon eine Konstruktion, ein Produkt geistesgeschichtlicher wie technologischer Konzepte, eine Oberfläche für Fantasmen, ein funktionales Vehikel, das durch technische Modelle und Apparate nicht nur beschrieben, unterstützt, erweitert, sondern durch diese immer auch miterzeugt wurde - seine Gestalt, die Veränderung oder Zerstreuung seiner Gestalt war immer schon eine Folge zahlloser kulturtechnischer Operationen und Projektionen, denen die Körper permanent ausgesetzt waren, durch die sie sozusagen permanent beschriftet, umgeschrieben und kontrolliert wurden. Nicht nur sind Wahrnehmung, Erinnern, Denken und Fühlen historisch-kulturell definiert, schon der Körper selbst ist ein diskursives Produkt, bzw., wie es Donna Haraway ausdrückt, das Fleisch selbst ist ein diskursives Produkt, an der Nahtstelle zwischen Materialität und Semiose angesiedelt. Kurz: Der Körper ist ein Medium, eine mediale Technologie der Produktion von Welt, von Bedeutung, von Sinn. Gerade als ein solches Medium ist er im Zentrum der sich epidemisch ausbreitenden Techno-Kultur anzusiedeln.
Und Kulturtechniken als Manipulationen des Körpers, als Instrument seiner ideelen und physiologischen Veränderung, stellten immer schon potentielle Neuentwürfe von Körperlichkeit zur Disposition, traten als Deformierungen auf, als technische Um- und Aufrüstungen (vom Kanu bis zur Brille, der Beschneidung bis zum Korsett), operationalisierten den Körper als Modell (bis hin zur Grundlage industrieller Produktionsprozesse), bis schließlich durch die Möglichkeiten des Austauschs von Teilen des Körpers, ihrer Korrektur oder Entfernung seine "Bearbeitung" solche Ausmaße annahm, daß bereits vom post-kulturellen, ja post-humanem Körper gesprochen wird - ganz zu Schweigen von der dramatischen Rekonfiguration des Körpers auf molekularer Ebene durch gentechnische Verfahren.
Was also könnte "ein Körper" überhaupt noch sein? - Eine Frage, der sich die Arbeiten Inez van Lamsweerde zu widmen scheinen, eine Frage, die sie durch eine Fiktion des Frauenkörpers, und zwar eine technologisch fundierte Fiktion dieses hochaufgeladenen und kulturell instrumentalisierten Körpers zu thematisieren scheinen.
Analog zum Vexierspiel mit diesen Körpern, analog zur Irritierung der fotografischen Oberfläche, der "Ausbeutung" von Ikonizität, eines Bartschen "So ist es gewesen" - das als Bezeichnung der Abbildung offensichtlich nicht in Frage kommt, einer Abbildung, die allerdings gerade als klassische Abbildung auftritt -- analog also zu dieser fotografischen Camouflage, die die Frage nach einer Referenz stellt und gleichzeitig unterwandert, stellt sich auch die Frage nach einer Körper-Referenz, nach einem "Referenzkörper": gemessen woran sprechen wir also noch oder nicht mehr von einem Körper, von einem Geschlecht? Welcher Referenz-Körper - der kulturelle, der medizinische oder der technologische - gibt uns Auskunft über Funktionalität, Gesundheit, Aussehen und Identität? Oder geht es ohnehin nur mehr um den gen-theoretischen Körper, um das wissenschaftliche Modell eines künstlichen, konstruierten, konzeptuellen Körpers: sind wir dann alle post-human? Sind die Arbeiten van Lamsweerdes post-fotografisch?
Zunächst erscheinen - wie erwähnt - die Bilder der "Frauen", "Kinder" und "Männer" als geradezu hyperrealistische "Portraits"; vor neutralem Hintergrund, d. h. ohne bezeichneten Kontext, ohne Geschichte, ohne eine bestimmte Situation sind die Figuren in grossformatigen Fotografien präsentiert - Kinder mit den Mündern erwachsener Männer, Männer mit Frauenhänden, Frauen ohne Geschlechtsmerkmale und mit Puppenköpfen, mit eigenartig "fremden" Händen und Füssen.
Diese divergenten Komposit-Körper sind allerdings von einer subtilen, neuen Einheitlichkeit gekennzeichnet - allein das offensichtliche Fehlen der Geschlechtsmerkmale wird unmittelbar wahrgenommen, die restlichen Manipulationen erscheinen als nicht unmittelbar verifizierbare Entstellungen, als hinter Wahrscheinlichkeit verborgene Brüche, als sozusagen hinter der fotografischen Repräsentation plazierte Unbestimmtheitsstellen.
"Van Lamsweerde stört die eingeübte Wahrnehmung, indem sie den traditionell mimetischen Aspekt der Fotografie zugleich nahelegt und aushebelt. Die Manipulatin der Fotografien mit digitalen Bildtechnologien setzt das mit der Fotografie formulierte Faktische ausser Kraft, um es im nächsten Moment als Möglichkeit wieder einzuführen. Die Technik ist so ambigue wie die dargestellten Figuren, die ... vorgeben, Portraits zu sein und zugleich Menschen als Artefakte zeigen, bei denen wir zögern, sie als 'Person' zu bezeichnen." (Christiane Schneider)
Anders als etwa die Künstler Aziz & Cucher, bei denen die - technologisch fundierte - Metamorphose der Körper mit zugleich wieder herkömmlichen symbolischen Gehalten versetzt und (wie gesagt werden kann: unnötigerweise) erhöht wird, bleiben die techno-fotografischen Körper bei van Lamsweerde völlig selbstbezüglich - sie sind zugleich Abbild und Resultat einer Methode, die nicht nur mit der klassischen Montage verglichen werden kann bzw. dies gar nicht mehr sollte, sondern eher mit Methoden des Morphing:
"Like so many tantilizing digital dreans, morphing holds out the promise of endless transformation and the opportunity to freely make, unmake and remake one's self." (Scott Bukatman)
Diese morphotische Metamorphose der Körper - sich selbst zu revidieren, neu zu entwerfen oder diesen Entwurf wieder zu verwerfen - diese - wie neuerlich betont werden muss: technisch fundierte - Metamorphose der Körper, wie sie in den Arbeiten Inez van Lamsweerdes auftaucht, diese Austauschbarkeit von Körpern reflektiert also unter anderem auch die längst stattgefundene Austauschbarkeit von Oberflächen - indem alle verwendeten Körperfragmente in eine einzige Oberfläche übersetzt und dabei alle Oberflächen als gleichwertig und gegenseitig austauschbar angesetzt werden, entsteht eine technologisch fundierte fiktive Oberfläche (nicht nur diejenige des Körpers, auch diejenige des Bildes), eine Oberfläche, wo sich alles berühren kann, wo alles mit allem in ein Verhältnis gesetzt und in verschiedenen Zuständen ausgegeben werden kann. Insofern Van Lamsweerde diese Situation der Kompatibilität mit der Frage nach der Körperidentität, mit der Frage nach der Unversehrtheit oder der Konstruierbarkeit von Körpern und Identitäten bzw. ihrer Referenzen in Verbindung bringt, vereint sie auf der - noch als Fotografie lesbaren - Bildfläche unterschiedliche Formen desselben sich abzeichnenden Paradigmas der Zerstreuung, des Paradigmas der technologischen Rekonfigurierbarkeit zahlloser Ausgangsmaterialien, Kontexte, Einheiten, Ikonen, Symbolen etc. etc. und unterwirft den (weiblichen) Körper denselben Paradigmen: im übertragenen Sinn erscheint nicht nur Identität, sex und gender in Frage gestellt, Kultur insgesamt wird auf fiktionale - um nicht zu sagen: virtuelle - Zustandsentwürfe zurückgeführt. Genau das meint das "Leben in der Zwischenablage", wie es im Titel verwendet wurde: die Zwischenablage als Metapher für jene - fast - beliebigen Transfers von Bildern, Inhalten, Details, Konzepten, Entwürfen als maschinisches/ technologisches Paradigma der Konvertierbarkeit von Informationen und Bedeutungen über die Welt. Ein Paradigma, das sich zunehmend den Körper aneignet und unterwirft.
Offensichtlich handelt es sich bei jenen fiktiven "Personen" Van Lamsweerdes um maschinische Neuentwürfe solcher Personen, um Momentaufnahmen von in einer Zwischenablege zusammengetragenen Fragmenten von Körpern und Identitäten, Fragmenten, wie sie nicht nur als Bild zusammengestellt werden können, sondern teilweise eben realiter als medizinische Projekte durchgeführt oder entwickelt werden: nicht nur Transplantationen fallen unter diesen Aspekt, auch DNA-Markierungen durch bestimmte Enzyme oder Proteine, das Einschleusen präparierter Zellen in bösartige Geschwulste bzw. ähnliche durch Medikamention herbeigeführte Prozesse: Medizin ist - wie die Mode - eine Invasion der Körper, durch die sie nicht unbehelligt oder unversehrt zurückbleiben.
Aus der Modefotografie kommend, scheint van Lamsweerde von Anfang an ihre Aufmerksamkeit und ihr Interesse auf die Entstellung der Körper durch Kulturtechniken gerichtet zu haben, auf die "Zurichtung" des Subjekts zu einem sozialen, sozialisierten Individuum, die Bearbeitung dieses Subjekt-Körpers, der bei ihr ein Frauenkörper ist, durch Diskurse der Macht und der Disziplinierung. Diese Techniken wurden in den letzten 20 Jahren zunehmend technologisch fundiert und in Richtung einer Auflösung des Körpers getrieben (Immunologie, Gentechnik) - der Körper wurde zum Schauplatz für Experimente, die seine Konstitution vollständig re-definieren, der Körper wurde dabei zu einem Instrumentarium der Erfindung und Entwicklung "neuer" Körper, leistungsfähiger, gesünder, kontrollierbarer - eine technologische "vital statstic" gewissermaßen. Wenn man der Frage nachgeht, was sich überhaupt noch an Repräsentatinen von diesem Körper, von diesem vollständig durchkulturalisierten "Objekt" Körper herstellen läßt, erscheinen die Arbeiten von van Lamsweerde - und das dürfte mit ein Grund für ihren Erfolg gewesen sein - als eine mögliche Manifestation solcher Fragestellungen.
"These are no longer social constructions about which you decorously or quarrelsomely have a difference of oppinion, but the contradictory realities from which a person is composed made visible. Van Lamsweerde recors what you don't want to see." (Pauline Terreehorst) "You have to ask yourself what kind of peole you produce with this." (Inez van Lamsweerde)
© Reinhard Braun - Vortrag gehalten im Grazer Kunstverein, 25. März 1998, im Rahmen der Ausstellung "Recollection".
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