TexteReinhard Braun |
ZERSTREUUNG DER KÖRPER im JENSEITS DER APPARATE Medien - Räume - Subjekte/Körper (1) Medien. Der Medienbegriff beschreibt damit ein verändertes und sich ständig veränderndes Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt - und auch zu seinem eigenen Körper: wir sehen nicht mehr nur aufgrund des physiologischen Sehvermögens, sondern aufgrund der Darstellungstechniken von fotografischen, mikroskopischen und videografischen Apparaturen, wir hören nicht mehr nur aufgrund der Empfindlichkeiten unserer Ohren, sondern aufgrund der apparativen Verstärkung von akustischen Signalen, und wir agieren nicht mehr nur aufgrund der Handhabung von Objekten in unserer unmittelbaren Umgebung, sondern aufgrund von teletechnischen Systemen der Fernübertragung von Wort, Bild und Handlungen. Letztlich bedeutet die zunehmende Sättigung der Gesellschaft mit medientechnischen Apparaturen und Oberflächen eine grundlegende Veränderung des Zugangs zur "Wirklichkeit": "Die Grenzen zwischen dem Subjekt, wenn nicht dem Körper, und dem 'Rest der Welt' werden durch die Vermittlung der Technologie radikal neu gestaltet" (A. Rosanne Stone). Medien entfalten also nicht nur "die in den modernen Maschinen präformierten Wahrnehmungsformen" (man denke an die Revolution der Wahrnehmung durch die Einführung des Filmes und seiner Möglichkeiten zur Bildmontage), sondern es werden "dadurch Erfahrungen maßgebend, die die technische Organisation der kollektiven Physis revolutionieren". (Norbert Bolz) Die technische Organisation der kollektiven Physis revolutionieren heißt auch, durch die Einführung eines neuartigen Systems medientechnologischer Kommunikation in das Imaginäre des Subjekts zu intervenieren, sein Bild der Welt und von sich selbst zu verändern. Dieser kollektive Prozeß, der ein modernes und industrielles Paradigma der Technisierung der Arbeit, des Konsums, der Wahrnehmung, der Kommunikation bis in den Bereich verschiedener medizinischer Disziplinen fortführt, dieser Prozeß der Intervention in den Ablauf und die Organisation nicht nur des Alltags, sondern vor allem auch der Privatsphäre, bedeutet letztlich die fortwährende Erweiterung von technisch vermittelten und auf technischen Objekten (Apparaten, Prothesen, Implantaten, aber auch analytische Instrumente und Systeme) beruhenden Austauschformen mit der Umwelt - und immer mehr auch mit sich selbst. Und damit produzieren solche Prozesse der Technisierung, eines Erfaßt-Werdens durch Technologie immer auch "eine neue Region des Bewußtseins" (Walter Benjamin) durch ihre spezifischen Wahrnehmungsangebote und -suggestionen, durch die Einblicke in den Mikro- und Makrokosmos und schließlich in den eigenen Körper: vom Ausblick aus der fahrenden Eisenbahn über das Neue Sehen der Fotografie der 20er Jahre und den Montagen Sergej Eisensteins bis hin zu (diagnostischen) Virtal Reality-Modellen erzeugen Mediensysteme Ansichten der Welt und der Körper als Einsichten in die Welt und die Körper, als Zustandsformen eines neuartigen In-der-Welt-Seins als Objekt von (Medien-) Technolgien. "Was geschieht mit einem Lebewesen, das in einer Welt leben gelernt hat, in der nicht die Natur technologisiert wurde, sondern in der Technologie Natur ist, in der die Grenzen zwischen Subjekt und Umwelt zusammengebrochen sind?" (A. Rosanne Stone) (2) Räume. Diese Entdinglichung hat zunächst an der Überwindung der Orte, des Raumes angesetzt. Die medientechnische Expansion richtete sich vor allem gegen den Raum, gegen die definitive Koppelung von Ereignis und Schauplatz, welcher eine Umformung der gegenständlichen Welt in eine Konfiguration von (endlichen) Elementen zugrundeliegt: keine Objekte oder Körper agieren, es zirkulieren Informationen über Gegenstände. Medial erfaßte und transferierte Ereignisse und/oder Körper sind keine Objekte, haben keinen Widerstand, keinen angestammten Platz, sondern 'nur' einen - oftmals flüchtigen und reversiblen - Kontext, unterliegen latent Manipulationen und sind etwas, das in zunehmendem Maße konstruiert und produziert werden kann. Im Falle von Medientechnologien sind alle Kontexte, Räume und Körper, die durchquert werden können, immer auch schon hier bei mir: die Textur, die ich erzeugen kann, ist eine der Zeit, nicht des Raumes. Die Mobilisierung der Sprache, von Tönen und Bildern (die sich auf alles mögliche beziehen können) entspricht somit einer Mobilisierung der Dinge, Erscheinungen und Ereignisse jenseits ihrer ursprünglichen Schauplätze (und damit ihrer unmittelbaren Kontexte). Medientechnisch gesehen unterliegt jeder Raum damit einem Zugriff auf seine grundsätzliche Konstitution: zusammenhängendes Handlungsfeld zu sein, ein genuiner und in der Zeit einmaliger Schauplatz von Ereignissen und ihren Bedeutungen. Die ansprechbaren Orte, die Taten und Handlungen bildeten eine Topografie, innerhalb der Geschichte erst denkbar werden konnte als geordnete Rekonstruktion solcher identifizierbaren Handlungen und (linearen) Handlungsabläufe. Entgegen dieser Kontinuierung der Orte und Räume als klassischem Raum der Geschichte vollzogen sich medientechnische Entwicklungen - Telegrafie, Telefon, Television - als prinzipielle Diskontinuierung raum-zeit-logischer Zusammenhänge, der Koordinaten des Geschichtlichen, und damit auch dessen, was sich als kollektiver öffentlicher Raum bezeichnen oder beschreiben läßt. Aus der Perspektive der Medien (falls sich denn eine solche einnehmen läßt, oder gibt es überhaupt noch eine andere?) erscheint es demnach geradezu unmöglich, über Räume zu sprechen. Denn als Produkt einer grundlegenden Trennung von Information und Inhalt, Kommunikation und Präsenz sind Medien quasi per definitionem Telemedien, die weit auseinanderliegendes, entferntes zusammenbringen, und dabei ein völlig anderes Raumkontinuum, vergleichbar der Montage des Films, produzieren - allerdings ohne dabei Räume buchstäblich zu durchqueren, d. h. ohne Bewegung, ohne, daß dabei etwas seinen Platz verläßt und in seiner Bewegung einen Raum erzeugt. (Tele-) Medien basieren damit nicht nur auf der Überwindung von Territorien, sondern auf einer prinzipiellen Negation des Raumes. Handlungen, Ereignisse und Orte, an und in denen solche Handlungen stattfinden, sind nicht mehr durch ein räumliches Kontinuum verbunden, das aus einer Bewegung entstünde, sondern bleiben auf Distanz, obwohl oder gerade weil sie sich (nur) medial berühren. Der Horizont des Subjekts überschreitet jede Koppelung an Räume, an Orte, und schließlich: an Körper - an Medien angeschlossen, tritt man in Distanz zum umgebenden Raum wie zum einschließenden Körper, der nurmehr einen Teil dessen bildet, woraus die Wahrnhemung der Welt besteht. Nicht das Medium spricht durch den Bildschirm, das Individuum ist zum Bildschirm der Projektionen des Mediums geworden. (3) Subjekte/Körper Der Platztausch vollzieht sich als eine Projektion des Individuums in das Reich der Medienmaschinen. Mit Virtual Reality-Systemen werden diese Fantasien konkreter: ganze Datenanzüge hüllen den Körper ein und befördern ihn als Datenmege in eine fiktive Szenerie, in der er sich, ledig der Sprache, der Objekte, des eigenen Körpers, seines Begehrens, seines/ihres Scheiterns usw. jederzeit beliebig entwerfen kann, jede beliebige Gestalt annehmen kann, jeden Ort der Erde erreichen kann - ohne sich noch jemals von der Stelle zu bewegen, ohne mühsame - psychiatrische, chirurgische oder sportliche - Programme durchlaufen zu müssen. "Sich verflüchtigen, auflösen, leichter machen, aus sich ausbrechen, den schweren Körper verlassen, unser ganzes Schicksal ließe sich nunmehr in Begriffen der Flucht und des Entkommens fassen." (Paul Virilio) "Phänomenologisch ist das allgegenwärtige (...) Feld der Medien fragmentarisch und heterogen: ein Kontinuum von sich beständig verändernden kaleidoskopischen Bildmustern, die unausgesetzt das 'kollektive Vorbewußte' prägen und unausgesetzt mit individuellen unbewußten Projektionen ausgekleidet werden. Mit ihren räumlichen und zeitlichen Verdichtungen und Verschiebungen, ihren Selbstzitaten und schnellen und zufälligen Veränderungen von idealen, weltlichen und gewaltsamen Bildern ähnelt diese imaginäte Umgebung zunehemnd den inneren Räumen der nach außen gekehrten subjektiven Phantasie (...). Heute ist (auch) der Körper in Teilen im tele-topologischen Puzzle der Medien verstreut. (...) Die Szenen der Identität sind heute unentwirrbar mit den neuen Technologien des Bildes verknüpft." (Victor Burgin) Und ruft man sich nochmals in Erinnerung, daß bereits Marshall McLuhan in den 60er Jahren die "all involving sensory" der Medien, und damit auch in einer Vorwegnahme die digitale Maschine als Extensionen des Subjekts bezeichnet hat, als Erweiterungen, die allerdings nicht dort draußen verbleiben, sondern eminent auf das "hier drinnen" des Subjekts zurückwirken, indem man sich sozusagen den Effekten der urprünglichen Amputation seiner Sinne gegenübergestellt sieht, dann läßt sich auch seine Redewendung vom Subjekt als Servomechanismus der Maschine erneut aktualisieren. "Indem wir fortlaufend neue Techniken übernehmen, machen wir uns zu ihren Servomechanismen." (Marshal McLuhan) Das meint nicht mehr und nicht weniger als jene Rückkoppelungseffekte, die sich schließlich als Form der Synthese zwischen Mensch und Maschine beschreiben lassen (beschrieben werden müssen?): der Systemraum der Medien und ihrer Maschinen umfaßt mittlerweile auch das Subjekt und seine intrinsischen Prozesse, indem er eine Synchronizität zwischen der Logik des Be- und Unbewußten und der Logik der Medien (-maschinen) erzeugt. Wir sind gewissermaßen an uns selbst (und an unser Begehren) via Technologie angeschlossen, die uns wie eine (zweite) Natur umgibt. Mediensysteme erlauben es, so etwas wie einen "Meta-Körper" zu erzeugen bzw. zu entwerfen, mit einem solchen zu experimentieren - ein Meta-Körper, "der in dem Maße unabhängig von den Bedingungen seiner Umwelt wird, in dem der Realraum - die Ausdehnung der eigenen Welt, aber auch die Dichte des eigenen Körpers eines Individuums - zunehmend an Bedeutung verliert zugunsten der Echtzeit von Impulsen, von nanotechnologischen Überreizungen, die die Lebensrhythmen ersetzen" (Paul Virilio) und die von einem unaufhörlich sich auf das Individuum richtenden Medienverbund erzeugt werden. © Reinhard Braun 1998 erschienen in: ARGE Werkstadt Graz, Journal Nr. 00, November 1998 |
last modified on 2002 04 09 at 19:40 by braun / |