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Texte


Reinhard Braun
VIDEOKUNST in Österreich. Ein eiliger Abriß

"Zu meiner großen Freude stellte ich fest, [...] daß ich gleichzeitig vor UND hinter der Kamera stehen konnte (was ich beim Film bisher nicht konnte). [...] Mit Video, auf einer neuen technologischen Stufe, machte ich das bislang Unmögliche möglich: die Aufhebung der Trennung von Modell und Maler, von Subjekt und Objekt, Bild und Abbild."
Friederike Pezold

"die sozial-geschichtliche dimension von video systemen, die, technologisch gesprochen im feedback (rückkoppelung) beruht, psychologisch angewendet in der beobachtung des eigenen verhaltens, dh somit kontrolle und korrektur des verhaltens, kommt hier in der darstellung lernpsychologischer matrizen zum ausdruck: bestrafung und belohnung, desensibilisierung und reinforcement eines verhaltens als schritte, zwischen gedanke und tat jene linie zu verfolgen, die durch den sozialen code die soziale anpassung garantiert."
VALIE EXPORT

In der zweiten Hälfte der 60er Jahre setzt in Österreich in der Folge von konzeptuellen und aktionistischen Strategien eine intensive künstlerische Beschäftigung mit dem Medium Video ein. Die vorangestellten Zitate umreißen ein Feld der Thematisierung, Analyse und des Interesses des/an dem damals neuen und neuartigen Mediensystem/s, das von Beginn an nicht nur als bildproduzierendes verstanden wurde, sondern vor allem als Medium, das in die Konstitution von Gesellschaft und Wirklichkeit interveniert. Gleichzeitig Subjekt und Objekt zu sein, Bild und Abbild; Feedback und Kontrolle; Realitätsverdoppelung und die untrennbare Verknüpfung von Mittel und Darstellung - diese Stichworte beschreiben schon eine neuartige bzw. als neuartig wahrgenommene kulturelle Konfiguration, die das Individuum in ein ebenso neuartiges Verhältnis zu Darstellung und Repräsentation geradezu zwang (und auch heute noch zwingt). Und jede Verschiebung innerhalb von Repräsentationsverhältnissen ist eine kulturelle Verschiebung. Mit diesen mediananalytischen Arbeiten manifestierte sich ein künstlerischer Diskurs, der durch zahlreiche Projekte einen Zustand antizipierte und immer wieder in konkreten Installationen oder performativen Medienenvironments vor Augen führte, der unsere gegenwärtige westliche Kultur massiv bestimmt: ein beständiges Umeinander-Kreisen von Individuum und Medien, ein Zustand der Rückkoppelung zwischen Wahrnehmung, Bewußtsein und Medieneffekten, in dem sich "Welt", "Wirklichkeit", "Öffentlichkeit" und Gesellschaft" nur mehr als mediatisierte denken und beschreiben lassen.

1972 realisert Peter Weibel die Arbeit "Kokain": Es erscheint zunächst der Wiener Stephansdom im Bild. Durch die langsame Entfernung der Kamera von dieser Darstellung wird es letztlich als Fotografie erkennbar. Plötzlich werden kleine Wellen vor der Fotografie sichtbar, die in einer neuerlichen Wendung verdeutlichen, daß sie in einem Wasserbad liegt (als wäre sie gerade entwickelt worden). Dann öffnet jemand die Fotografie mit einem Büchsenöffner wie eine Dose und legt im Hintergrund ein weiteres Bild frei. Dieser Vorgang wird mehrmals wiederholt. Immer wieder erscheint ein neues Bild hinter dem Bild. Durch den videografischen Zugriff auf Wirklichkeit läßt sich also kein direkter Zugriff auf Wirklichkeiten realisieren, die neue Medientechnik darf nicht als Entwicklung in Richtung immer größerer Abbildhaftigkeit oder genauerer Wirklichkeitsdarstellung mißverstanden werden. Das Medieum Video installiert vor allem einen neuen Modus der Re-Präsentation in einem sehr engen Sinn: ein neuerliches (mediales) Vor-Augen-Führen einer Szene des Realen, das immer nur durch das Medium selbst entsteht (und dieses quasi immer mitrepräsentiert). "Wie mit einer Droge wechselt der Beobachter von einer Ebene der Realität in eine andere". (Peter Weibel) Die Differenz von Realem und Medialem Zugriff auf dieses Reale bleibt also entscheidend: es handelt sich um eine "andere Wirklichkeit", um eine Rückkoppelung von Medium und Realem. Diese "andere", mediale Wirklichkeit bleibt aber sozusagen nicht im Medium verschlossen, sondern zirkuliert als kulturelle Repräsentationsform und wirkt auf die andere "andere" Wirklichkeit zurück: Medienöffentlichkeiten formieren sich. "Dadurch kehrt sich derjenige Raum, in dem bislang das Reale und das Bild umeinander kreisten, um in eine wechselseitige Anziehung beider." (Edmont Couchot)

Die Installation "Split Reality" von VALIE EXPORT aus den Jahren 1967/69 führt diese wechselseitige Anziehung, die gleichzeitig ein gegeneinander Ab- und Ausschließen darstellt, vor Augen: "Vor dem TV-Apparat wird eine Schallplatte gespielt. Der Ton ist abgedreht. Ich höre sie im TV-Apparat mit Kopfhörern mit, und singe die unhörbare Platte." (VALIE EXPORT) Die BesucherInnen hören wiederum die Stimme der Künstlerin, wie sie das Lied singt ... Was also rezipierbar ist (das Bild und die Stimme von VALIE EXPORT), wird ausschließlich durch das Video produziert und ist nicht mit dem realen Ereignis (dem Abspielen der Schallplatte) ident. Das Reale ist vielmehr gar nicht zugänglich für den Betrachter - die Anordnung der Geräte läßt sich geradezu als Metapher für die Mittelbarkeit der Wahrnehmung und der Erfahrung bezeichnen, wie sie durch die elektronischen Medien nicht eingeführt, aber verschärft wurde: eine gespaltene Realität, die dadurch gekennzeichnet ist, daß sich die Erscheinungsformen und Effekte der Medien vor ein bis dato vorhandenes Reales blenden. Dadurch produzieren die Medien über ihre Bilder ein neuartiges, "eigentliches" Bild der Wirklichkeit.

Friederike Pezold realisierte im Hinblick auf das rekursive Angeschlossen-Sein des Körpers an die Video-Maschine, das jede vermittelnde Instanz auszuschließen scheint und sozusagen einen subjektiven Dialog mit dem Mediensystem ermöglicht (eine Variante des Closed-Circiut), unter anderem eine "Neue leibhaftige Zeichensprache" (1973-76), und später den "Senderkörper - Körpersender" (1981). Richard Kriesche inszeniert 1975 in einer Aktion im Kölnischen Kunstverein mit dem Titel "TV-Tod" (Videodemonstration Nr. 11) die Tötung des Videos (ein Schuß in einen Monitor) als Wiederholung einer Geste Wolf Vostells ("TV burying", 1963). Und in einer sehr eigenständigen Position, die immer auch eine ironische Perspektive auf das Medium und die Technologie miteinbezieht, erarbeitete Gottfried Bechtold eine Reihe von Installationen, Tapes und "Videoskizzen", die sich ebenfalls mit Repräsentationsfragen, mit Verdoppelungseffekten und dem rekursiven Verhältnis von Video-Bild und Realität (Closed-Circiut) beschäftigen, unter anderem "Video-Installation" (1972), in der ein Videoband die Konfiguration der Installation selbt wiedergibt und dadurch einen (scheinbar) direkten Blick auf die Struktur der neuen Medientechnologie erlaubt.

"In den 70ern wurde oft Video über Video, d. h. Video über das Phänomen Video gemacht, in den 80ern wird Video als Video gemacht (...) wird in seinen konkreten ästhetischen und technischen Möglichkeiten genutzt." (Dieter Daniels) Nach einer Phase medienimmanenter Reflexionen über Reproduktionsaspekte und soziale Implikationen der neuen Bildfläche werden die medienspezifischen Logiken immer mehr als künstlerische Produktionsform in einen allgemeinen Kunstkontext implementiert; Video ist als Bildform wie als technisches/apparatives System "Kunstmittel" geworden, allerdings ein Kunstmittel, das (zumindest kunstimmanent) immer wieder in Differenz zu klassischen Kunstmitteln und -materialien gesetzt wird.

Mit Gudrun Bielz, Karl Kowanz, Helmut Mark, Helmut Rainer, Romana Scheffknecht, Simon Wachsmuth, Zelko Wener, Franz Xaver u. a. arbeitet eine zweite und dritte Generation im Bereich von Videoinstallationen und Videoskulptur, die zu Beginn der 90er Jahre schließlich einen allgemeinen Begriff der "Medienkunst" prägen, innerhalb der sich mediale Grenzen wie Präsentationsformen auflösen. Die Ausstellung "Im Lichte des Monitors" (1990-91) präsentierte einen Querschnitt durch Arbeiten, die die "oftmals ganz bewußt herausgestellte Distanz der konzeptuellen Video-Installation zur traditionellen Bildkunst und Plastik gebrochen" haben. Den Hintergrund dieser Erweiterung künstlerischer Praktiken bzw. ihrer ständigen Kombination, Mischung (Hybridisierung) bildet eine zunehmende Technizität und Technologizität kulturellen Austauschs insgesamt, eines Austauschs, in den selbstverständlich auch jede künstlerische Produktion involviert ist. Von Bedeutung ist diese Entwicklung allerdings weniger wegen dieses Prozesses der Integration, sondern vor allem durch die Prozesse der Verschiebung, die diese Integration im Bereich der Kunst verursacht bzw. durchgesetzt hat. Um hier nur sehr kursorisch eine der Konsequenzen für einen allgemeinen Kunstbegriff herauszustreichen, sei die eminente Neudefinition von Objekt, Material und Raum und das Verhältnis dieser Komponenten zum/zur Betrachter/in erwähnt. Monitore und TV-Bildschirme als Material zu verwenden, diese analog zu anderen Kunst-Materialien (wie etwa Beton, Metall, Gips oder Kunststoff) als Elemente einer Skulptur oder Installation zu positionieren, bedeutet gleichzeitig, diese Produktionsformen in ihr mediales Stadium zu überführen. Was diese Konstellationen von Material und Bildschirm, von Objekt und fluktuierender Oberfläche quasi in Szene setzen, ist der Umstand, daß Material von nun an selbst zu (fluktuierender) Information wird, daß sich Informationen mit Dingen und Räumen verschränken, daß das Medienbild ebenso Räume beansprucht und definiert, wie dies Materialkonstruktionen und -anordnungen tun.

Diese medientechnische Relativierung des Materials bzw. des Objekts (wie sie durch das allgegenwärtigen Stichwort der "Immaterialisierung" bis ins Populärwissenschaftliche verbreitet wurde) führt schließlich zur völligen Aufgabe der Idee der Skulptur, der Installation, des durch einen konkreten Ort und eine konkrete Zeit definierten Objekts, da dieses immer mehr zu einer diskontinuierlichen Formation von Apparaten, Dingen, Formen und Zeichen wird, zu einem mediensystemisch generierten bzw. zumindest überformten Zeichensystem. Aus diesem Grund wird es seit Beginn der 90er Jahre immer schwieriger, künstlerische Projekte im Bereich "neuer" Medien auf ihre Technik hin zu befragen oder zu klassifizieren. Wichtiger als die Analyse der medialen Komponenten wird die Analyse des Mediendispositivs, das diese Projekte bearbeiten, thematisieren, revidieren oder in Szene setzen: der operative Einsatz medialer Komponenten oder Strukturprinzipien geschieht im Hinblick auf die Herstellung von spezifischen Lesevorgängen bzw. Wahrnehmungssituationen, die die BetrachterInnen in mediale Environments verstricken, wenn also der Werkkontext auf ein neuartiges Dispositiv kultureller Mechanismen insgesamt verweist (vgl. etwa das Festival "Transformator", St. Veit/Glan, 1991, an dem unter anderem Gundi Berghold, Martina Chmelarz, Gerda Lampalzer, Matta Wagnest, Christoph Nebel, Pyramedia, Rembert Rayon, Herwig Turk und Michael Zinganell teilnahmen). Gerade diese Überlagerungen, die Brüche und Transgressionen zwischen ästhetischen, apparativen und kulturellen Systemen erscheinen als wesentliche "diskursive Formation" dessen, was als Videokunst begann und sich heute als vielschichtiger und komplexer künstlerischer Diskurs in, mit und über Medien bezeichnen läßt.

Literatur:
Bettina Gruber, Maria Vedder: Kunst und Video. Internationale Entwicklung und Künstler. Köln 1983.
Valie Export, Oberösterreichisches Landesmuseum, Linz 1992.
Österreichische Hochschülerschaft (Hg.), Peter Weibel. An Annotated Videography 1969 - 1976, Innsbruck 1977.
Hermann Hendrich (Hg.), werkstattaspekt 3, Wien 1972.
Dorine Mignot (Hg.), Revision - Art Programmes of European Television Stations, Amsterdam 1987.
Edmont Couchot, "Die Spiele des Realen und Virtuelen", in: Gumbrecht/Pfeiffer (Hg.), Materialität der Kommunikation, Frankfurt/M 1988, S. 345 - 355.
Oberösterreichische Landesgalerie (Hg.), Valie Export, Linz 1992. Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wein (Hg.), Split:Reality VALIE EXPORT, Wien 1997.
Wulf Herzogenrath, Edith Decker (hg.), Video-Skulptur, retrospektiv und aktuell 1963 - 1989, Köln 1989.
Wulf Herzpgenrath (Hg.), Videokunst in Deutschland 1963 - 1982, Stuttgart 1982.
Horst Gerhard Haberl, Richard Kriesche, Karl Neubacher (Hg.), Video End (= pfirsich Nr. 16/17/18), 1976.
Bregenzer Kunstverein (Hg.), Gottfried Bechtold, Bregenz 1978.
Wolfgang Fetz (Hg.), Gottfried Bechtold, Kilchberg/Zürich 1996.
Gerda Lampalzer, Videokunst. Historischer Überblick und theoretische Zugänge, Wien 1992.
Neue Galerie Graz (Hg.), trigon '73: audiovisuelle botschaften, Graz 1973.
Oberösterreichische Landesgalerie (Hg.), Objekt: Video, Weitra 1996.
Neue Galerie Graz (Hg.), Medienwerke aus Österreich 1992 - 93, Graz 1993.
Dieter Bogner (Hg.), Im Lichte des Monitors, Horn 1990.
Reinhard Braun, "Kunst zwischen Medien" I-IV, in: springerin. Hefte zur Gegenwartskunst, Bd. IV/Heft 2-4, 1998, Bd. V/Heft 2, 1999.



© Reinhard Braun 1999

erschienen in:
"Kunst und Kultur in Österreich. Das 20. Jahrhundert", Brandstätter Verlag, Wien 1999.



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