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Texte


Reinhard Braun
und ... und ... und ...
Trans-/fers/mutationen/... Medien - Räume - Subjekte/Körper (2)

Überlegungen zu einem Projekt im Grazer Landeskrankenhaus im Rahmen eines Gesamtkonzeptes der ARGE Werkstadt Graz

Jede kulturelle Operation läßt sich als Repräsentationsverfahren beschreiben, jede kulturtechnische Operation erzeugt Zeichen und benutzt Oberflächen (im weitesten Sinn, von der Schreibfläche über Bildschirme bis hin zum Körper selbst). Durch das Konvergieren solcher Repräsentationsverfahren entstehen diskursive Formationen mit einem Regelwerk, mit Ausschließungsmechanismen und immanenten Logiken, aber auch mit Streuungen und Brüchen.

Was sich als postmoderne Umarbeitung von Kultur beschreiben läßt, hat diese Ausdifferenzierung und Segmentierung von diskursiven Formationen oder Kontexten in ein Verschwinden solcher stabilen, reproduzierbaren Formationen verkehrt. Im Fordergrund stehen Konjunktionen, Hybridisierungen, dissipative Strukturen - innerhalb der Zeichenebene, d. h. dem Symbolischen. Es hat sich eine eminente Entnaturalisierung von Symbolsystemen ereignet, die die internen relationalen Differenzen in den Vordergrund stellt, kein mimetisches Verfahren.

Der Körper selbst ist als diskursives Produkt von dieser kulturellen Umarbeitung betroffen, da er an der Nahtstelle zwischen Materialität und Semiose angesiedelt ist. Kurz: der Körper ist ein Medium, eine mediale Technologie der Produktion von Welt. Nicht zuletzt medizinische diskursive Formationen - von der Immunbiologie bis hin zur Transplantationschirurgie - stehen im Zentrum dieser medialen Technologie, weil sie mit-bestimmen, von welchen Körpern wir überhaupt sprechen. Insofern hört auch der Körper auf, "eine stabile, räumliche Kartierung normalisierter Funktionen zu sein, und entsteht stattdessen als ein hochmobiles Feld strategischer Differenzen. (Donna Haraway)

Über Subjekte und Körper zu sprechen heißt dann, darüber zu sprechen, in welcher Weise diese Subjekte und ihre Körper produziert werden, inwiefern sie in Repräsentationszusammenhänge und -verfahren verwickelt sind, die selbst wiederum zunehmend durchlässige Grenzen zu wieder anderen kulturtechnischen Verfahren aufweisen.

In einem solchen Spiel der Überchreitungen und Vermischungen von Theorie, Wissenschaft, Unterhaltung, Konsum und Kunst "verfügen wir über mehr als nur eine Konstitution, und wir befinden und nicht nur an einem einzigen Ort. Verortung ist keine Frage der Empirie, man kann nicht auflisten, wo man sich befindet. Man ist immer gezwungen, irgendwie, in irgendeinem Sinn, konstitutiv und produktiv zu sein. Unter Verortung verstehe ich eine komplexe Konstruktion und keine empirische Aufzählung oder bestimmte Stelle." (Donna Haraway)

Der Projekt unter dem Arbeitstitel "und ... und ... und ..." zielt auf diese Verwicklung von Körpern in Repräsentationsverfahren, auf Anschlüsse, Verknüpfungen, auf das UND: Information und Körper und Denken und Zeichen und Krankheit und Begehren und Wissenschaft und Unterhaltung und ... und ... und ... Es zielt im Hinblick auf seine Lokalisierung innerhalb des LKH Graz und aller damit verknüpften Diskurssysteme aber auch auf die Verwicklung dieses medizinischen Komplexes in solche Repräsentationsverfahren, die die gegenwärtige Kultur insgesamt durchziehen und umarbeiten.

"und ... und ... und ..." lanciert Projekte in verschiedenen Feldern - Theorie, Installationen, öffentliche Inteventionen, Netzwerkprojekte etc. -, die diese Grenzen bzw. das Verschwinden von Grenzend, die die Brüche und Streuungen zwischen und innerhalb von (scheinbar verschiedenen) Diskurssystemen ausloten, die die Verwischungen thematisieren und damit auch etwas von medizinischen Diskursen aufgreifen, verkehren, transformieren, transskribieren (umschreiben) - und im Rahmen künstlerischer Repräsentationsstrategien widerspiegeln.

Dieser Parallel-Diskurs, als der er bezeichnet werden kann, wird somit als künstlerischer in Gang gebracht, ohne darauf beschränkt zu bleiben. Das Projekt strebt das Nutzen experimentellen strategischen Potentials an, das in der Verschränkung verschiedenster Diskurse liegt und versteht sich als work-in-progress, das zunächst die infrastrukturellen Eingriffe des gesamten Projekts (autonomes Netzwerk) aufgreift, sozusagen auf anderer Ebene verdoppelt und diese zur Grundlage weiterer Projektvorhaben und Forschungsfelder werden lässt.

"und ... und ... und ..." initiiert eine modellhafte Kooperation zwischen Diskursträgern: das Areal des LKH wandelt sich partiell in ein Experimentierfeld für künstlerische Strategien, die sich mit auch für das LKH relevanten Fragen in bezug auf Körper, Geschichte, öffentliche Räume, Repräsentation, Kontrolle und nicht zuletzt Macht beschäftigen: sind doch alle Körper Topografien der Macht unterworfen.

"und ... und ... und ..." eröffnet also (Denk- und Aktions-) Räume innerhalb von bestehenden Räumen, definiert diese damit strukturell um und nicht ästhetisch.



© Reinhard Braun 1998

erschienen in:
ARGE Werkstadt Graz, Journal Nr. 00, November 1998



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