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Texte


Reinhard Braun

transistor_transformer


In der Figur der Erinnerbarkeit, des Archivs, wie in der Figur des Ortes, die im Projekt "transistor_transformer" an zentraler Stelle thematisiert werden, gerinnen quasi eine Vielzahl von Kulturtechniken, von denen einige sicherlich an Bilddiskurse gekoppelt sind, wiewohl sich diese nicht aus dem gesamten Geflecht an diskursiven Formationen herauslösen lassen, ein Geflecht, das zu einem Konstrukt führt, das einen "Ort" der Subjektivität mit einem "Ort" der Technizität oder Medialität verschränkt. Es handelt sich um nichts weniger als die Frage nach einem – kulturellen, nicht geografischen "Ort", einem, wenn man so will funktionalen – Ort, an dem sich Repräsentation ereignet, an dem sich Subjektivität und Geschichte manifestieren, und an dem sich das Technologische als jene Plattform in Szene setzt, die diese Konstruktion eines entsprechenden Ortes überhaupt erst möglich macht. Doch wie ist dieser Ort vorstellbar, übersetzbar, repräsentierbar, erfahrbar? Wer oder was verstärkt wen oder was, wird umgewandelt, verkehrt, verzeichnet oder gar überhaupt erst hergestellt? Erhält der Ort seine Erinnerbarkeit und die Möglichkeit zur Archivierung durch seine Mediatisierung, die immer eine Form der Aufzeichnung, Erfassung, eine Form des Zugriffs und der Aneigung impliziert? Erhält das Technologische seine kulturelle Relevanz (um nicht zu sagen Hegemonie) durch einen Prozess der Subjektivierung, durch die Verankerung in den Mechanismen der Erinnerbarkeit und damit einer Erfahrbarkeit? Oder wird gar alles auf der Ebene des Technologischen gegeneinander austauschbar und ineinander verwandelbar, wird alles zum "flüssigen Signifikanten", wie es der Mythos von Binären, der Digitalisierung, suggeriert?

Ich habe an anderer Stelle* versucht, diese Adhäsion zwischen Medium und Subjekt, zwischen Repräsentation und Wahrnehmung, als eine Form der "strukturell-gekoppelten Dichotomie" zu beschreiben, um es mit einem behäbigen, theoretisch anmutenden Begriff zusammenzufassen. Damit ist gemeint, dass die Materialität der Repräsentation bzw. des Medialen im Allgemeinen, die technischen Artefakte und ihre Effekte (Bilder, Töne, Information etc.) und das Kulturelle eine zwar unauflösliche, doch gleichzeitig von einer unaufhebbaren Differenz gekennzeichnete Verschränkung eingehen: das Bild, der Blick, der Apparat, das Sehen, die Aufzeichnung, das Erkennen und das Wissen sind in diesem Vorgang der Koppelung aneinander gebunden und bedingen sich gleichzeitig gegenseitig, ohne sich jedoch gegenseitig zu ersetzen. Informationsverarbeitende Systeme ersetzen kein Denken, bildgebende Verfahren ersetzen keine Wahrnehmung und keinen Blick, es gibt keine alchemistischen Systeme der Verwandung von Heu in Gold. Der Ort einer Wahrnehmung wird zugewiesen (die Hegemonie der Repräsentationssysteme, die Bildpolitiken, die Politiken des Blicks), doch zugleich in einer Handlungsfähigkeit des Subjekts performativ aktualisiert. Das Bild allein ist nicht der Ort des Wissens oder der Repräsentation, das Subjekt als Metapher für eine Vielzahl von Diskursen bleibt als dasjenige "Medium" erhalten, an dem sich Bedeutung einstellt. "Die Frage der Bedeutung muss daher beständig auf die sozialen und psychischen Formationen des Autors/Lesers bezogen werden." (Victor Burgin) Die "Fusion/Konfusion von Auge und Objektiv" (Paul Virilio) hat nicht zur Folge, dass das Auge mit dem Apparat zusammenfällt, sondern dass Auge und Apparat mehr denn je aufeinander bezogen sind. Das heisst aber auch, dass das Apparative ohne das Kulturelle nicht in der Lage ist, "das Medium zwischen Archiv und Erinnerung, eine Schnitt- und Schaltstelle, einen Transistor (Speicher) und zugleich einen Transformator (Wandler)" zu bilden.

Die Metapher vom Transistor und Transformator verleitet darüberhinaus vorschnell dazu, die Apparate, die Medien als etwas zu verstehen, in denen ein Input allein durch die apparateimmanenten Prodzeduren in einen Output verwandelt wird – dies mag technisch gesehen der Fall sein, doch was wäre, versuchte man auch die Apparate selbst, die Operationen der technischen Blackboxes als eine ebensolche Formationen zu verstehen, die in weitereichendere Praktiken verstrickt sind, als dies die technischen Bauelemente vermuten ließen. Doch sprechen wir an dieser Stelle nicht von einer animistischen Aktivierung des Technischen, seine Konvertierung in etwas, das dem Subjekt anverwandelt werden könnte, demgegenüber ein Verständnis hergestellt werden könnte, indem man einen Kern, ein "Wesen" der Technik jenseits der Technik vermutet oder postuliert. Es geht vielmehr darum, die Prozeduren der Maschinen, des Maschinischen, im Zusammenhang mit "Artikulationslinien" zu thematisieren, ein Begriff, wie ihn Lawrence Grossberg (allerdings in Zusammenhang mit sozio-kulturellen Fragestellungen) vorschlägt. Für ihn stellen sich die kulturellen Objekte der Untersuchung (und nehmen wir die Apparate einmal hypothetisch als solche vor allem kulturell codifizierten Untersuchungsgegenstände an) "nicht so sehr als Praktiken, denn als Allianzen dar, als ein Beziehungsgeflecht zwischen den Praktiken (die nicht textuell, symbolisch, bezeichnend oder diskursiv sein müssen)." Das heisst auch, dass dasjenige, das analysiert wird, nur durch die Praxis der Analyse hergestellt werden kann, dass dadurch möglich wird, Beziehungen herzustellen, "wo es keine Beziehung gab, oder häufiger noch, das Herstellen einer neuen aus einer anderen Beziehung." Wenn es also um "Formen der Erinnerung wie auch der Speicherung im Kontext des Medielen (Digitalen)" geht, erscheint diese Figur einer kulturellen Allianz zwischen Subjekt und Medium brauchbar, eine Allianz, die beständig dasjenige im Rahmen der vielfältig möglichen Praktiken dieser Allianz (das Bild etwa, doch auch der Ort, die Erinnerung) herstellt, auf die sie sich eigentlich beziehen. Dementsprechend erscheinen dann auch Orte, Bilder, Erinerungen, Archive als eine Form der Herstellung neuer Beziehungen, wo es vorher keine gab – die Orte und Bilder werden nicht vorgefunden, sie sind ebenfalls eine "Produktion" entlang der skizzierten Artikulationslinien, in denen sich das Technische mit dem Kulturellen verschränkt.

"Die Grenzlinie, die zwischen Werkzeug und Mythos, Instrument und Konzept, historischen Systemen gesellschaftlichen Verhältnisse und historischen Antinomien möglicher Körper, die Wissensobjekte eingeschlossen, verläuft, ist durchlässig." (Donna Haraway) Dieser Entgrenzung und Durchmischung ist mit der strukturalistischen Methode der Formulierung einer Kohärenz funktionaler Elemente, der Strukturen von Beziehungen, nicht mehr beizukommen, weder auf der Ebene der Inhalte noch auf der Ebene der Formen. Der Versuch, "in normativer Einstellung über ihre 'Ordnung', d. h. die Weise der Koordination der in ihnen ablaufenden Prozesse nachzudenken bzw. diese zu erneuern", stellt sich als "praktisch aussichtlos und daher methodisch inadäquat" dar (Claus Offe). Es geht vielmehr darum, sich klarzumachen, "wie spezifische Praktiken (die um Widersprüche herum artikuliert sind, die nicht alle auf dieselbe Weise, am selben Punkt und im selben Moment entstehen) trotzdem zusammen gedacht werden können." (Stuart Hall) In welcher Form lässt sich also die durchgängige Technologisierung zahlloser alltagskultureller Praktiken (mit all ihren Folgeerscheinungen, parasitären Verzweigungen) denken, konzeptualisieren und in eine kulturelle Produktion einschreiben, die an der Herstellung von Orten, Erinnerung, Bildern, Erfahrung usw. beteiligt ist, ohne diese als Ideologie oder Teleologie einer Kultur zu verstehen (d. h. als klassisches Überbau-Symptom), und ohne diese zu subjektivieren, zu animieren, sondern Technologie / Medien gerade als Artikulationslinien disparater Praktiken, widersprüchlicher Diskurse und nicht zuletzt Erfahrungenzu verstehen? Und warum sollten eigentlich nicht auch die apparativen Resultate technisch/technologischer Forschung um Widersprüche herum organisiert sein? Und denken wir an die Geschichte der technischen Bilder, ihre Verstricktheit in koloniale Machträusche, in die Prozesse der Domestizierung der jeweils "anderen Rassen", des Verfügbar- und Manipulierbar-Werdens von Wirklichkeit – es ließe sich mit gutem Grund behaupten, dass sich gerade im technischen Bild ein ungeheuerliches, unaufgelöstes und hochgradig ambivalentes Syptom einer Moderne eingeschrieben hat, und dieses unausgesetzt kulturell domestiziert.

Es ginge also darum, die Herstellung und Befestigung dessen, was mit Ort, Erinnerbarkeit und Archiv umschrieben wird, als grundsätzlich von Widersprüchen, Gegensätzen, von Macht und Unbarherzigkeit durchdrungene Prozesse zu verstehen, die entlang von Artikulationslinien permanent kulturalisiert bzw. kulturell implementiert werden müssen. Und es ginge darum, sich die Technologisierung der Gesellschaft und Kultur, das Transistorische und Transformative von Technik und Technologie als eine Praxis der Allianz entlang sich neu bildender Artikulationslinien vorzustellen, und dabei nicht zu übersehen, dass das Technische in jedem Fall zunächst als Diskurs virulent wird, bevor es die Materialität der Gesellschaft verändert: "Medien und Medientechniken sind [...] systematisch entwickelte Formationen von Personen, Artefakten, Handlungsanweisungen und Möglichkeitsräumen, die an ganz bestimmten Diskursstellen positioniert und in komplexen kulturellen Austauschverhältnissen produziert werden. Sie zeugen davon, in welchem Umfang Medien und Technik kulturell codiert sind, in welchem Ausmaß jede technische bzw. an Technik gebundene Entwicklung an Prozesse ihrer Diskursivierung und Kulturalisierung gebunden ist." (Dirk Spreen) In diesem Sinn treten uns Medien weniger als Schnitstellen entgegen, sondern als Handlungsfelder, in denen ein Blick, ein Bild, eine Erinnerung, ein Ort nicht mehr subjektiv und noch nicht vollständig technologisch sind, ein Blick, ein Bild, eine Erinnerung, ein Ort niemals vollständig medial und Subjektivität ganz gewiss nicht mehr natürlich ist.

Literatur
Victor Burgin, in: Wolfgang Kemp (Hg.), Theorie der Fotografei III. 1945 – 1980, Schirmer/Mosel: München 1983.
Lawrence Grossberg, "Was sind Cultural Studies?", in: Karl H. Hörning, Rainer Winter (Hg.), Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung, Suhrkamp: Frankfurt /Main 1999, S. 43 – 83, S. 62, 63, 65).
Stuart Hall, "Die zwei Paradigmen der Cultural Studies", in: Widerspenstige Kulturen, op. cit., S. 13 – 42, S. 35.
Donna Haraway, Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, Campus: Frankfurt/New York 1995, S. 51.
Claus Offe, in: Zygmunt Bauman, Flüchtige Moderne, Suhrkamp: Frankfurt/Main 2000, S. 11. Dirk Spreen, "Die Diskursstelle der Medien", in: Andreas Lösch u. a. (Hg.), Technologien als Diskurse. Konstruktion von Wissen, Medien und Körpern, Heidelberg: Synchron Verlag 2001, S. 21-40, S. 37.
Paul Virilio, Die Sehmaschine, Merve: Berlin 1989.



© Reinhard Braun 2006

erschienen in:
transistor_transformer, Wien: dreizehnzwei 2006 (Ausstellungskatalog)



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last modified on 2006 11 10 at 17:32 by braun /