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Teletopologie Österreich: Fernsehkunst
JINGLE
Der Titel ist vielleicht ein wenig irreführend: es wird nicht um eine umfassende, historisch orientierte Präsentation von künstlerischen Projekten, die im Feld des Massenmediums Fernsehen operierten, gehen, zumindest nicht im engeren Sinn. Wir wollen aber einige Arbeiten ansprechen, die für das Fernsehen konzipiert (und auch ausgestrahlt) wurden - Arbeiten, die nicht repräsentativ für die Geschichte stehen, die auch keine lineare konzeptuelle Entwicklung belegen sollen, die es uns aber ermöglichen, um diese Arbeiten herum ein wenig die Konzepte, die ihnen zugrundelagen, zu untersuchen: weniger in einer analytischen als vielmehr in einer assoziativen Form - selbst eine Topologie skizzierend. Insofern geht es um verschiedene Formen des Fernsehens, wie sie im Hintergrund der Arbeiten oder in expliziter Form formuliert wurden: als skulpturales Symptom, als ideologisches Moment und schließlich als ein komplexes System, das sowohl Welt-Bilder als auch Bewußtsein produziert. Die Frage, die vorangestellt wird und die schließlich auch zurückbleiben wird, ist schließlich jene, ob sich noch ein Ort jenseits der Medien und damit auch des Fernsehens auffinden läßt, von dem aus sie zu beschreiben oder zu kritisieren wären.
KONTEXT 1
Die ersten Arbeiten, die Fernsehen thematisierten, schlossen unmittelbar an die Fluxus Bewegung oder auch an die Gruppe der Nouveaux Réalistes an. In den 60er Jahren begannen Künstler, angefangen bei Nam June Paik, Wolf Vostell, oder George Brecht, um nur drei aus der Fluxus Bewegung stammende Künstler zu erwähnen, sich mit Fernsehen in ihren Konzepten und mit Fernsehgeräten in Form von Skulpturen und Installationen auseinanderzusetzen. Verwendete Vostell Bildschirme zu Beginn ausschließlich als kulturelle Metaphern seiner Zeit, die er ready-made-artig und zitathaft in seine Arbeiten integrierte, waren Paiks Arbeiten stärker von der technischen Konstitution des Gerätes bestimmt. Vostells Prinzip der "dé-coll/age", das, erprobt an einem älteren Bildbegriff (Tafelbild, Plakat), auf das Kathoden-Bild seine Anwendung fand, transportierte seine Inhalte über den Symbolcharakter des Apparates, den dieser Mitte der 60er Jahre als massenmediales Ereignis in der Gesellschaft bereits eingenommen hatte. Dieser Symbolcharakter wurde an und mit dem Gerät sozusagen ritualisiert. Paiks frühe Konzepte, exemplarisch etwa "Participation TV", waren im Vergleich zu Vostells Arbeiten auf einer stärker apparateimmanenten Interessensebene angesiedelt, die nicht versuchte, über das Gerät etwas zu transportieren, sondern das Gerät über seine eigene technische Dekonstruktion zu vermitteln. Fernsehen manifestierte sich darin als ein sozio-mediales Phänomen, das über das konkrete Objekt des Fernsehapparats in Erscheinung tritt, d.h. als Symptom.
Eine solche Arbeit, in der der illusionistische Raum des Fernsehbildes mit dem Raum des Fernsehers als Objekt ident und damit eliminiert wird, ist das TV-AQUARIUM (TV-DEATH 1) von Peter Weibel (1970/72). Das Fernsehbild zeigt Szenen, die sich quasi buchstäblich im Fernseher abspielen und damit eine unterschiedliche Unmittelbarkeit erzeugen: die Identifikation von "Handlung" und Objekt verschärft die Präsenz des Ereignisses Fernsehen "im Haus", definiert die Präsenz allerdings objektimmanent, ohne sich auf eine Welt jenseits des Gerätes selbst zu beziehen.
Gleichzeitig wurde damit eine durch das Fernsehen gebildete Skulptur realisiert, eine Skulptur, die als "Original" in jedem Haushalt bereits anwesend ist und nur aktiviert zu werden braucht. "Kommunikation ist das Medium" heißt hier, das Objekt "sichtbar" zu machen, das immer der Träger der durch das Fernsehen verbreiteten Botschaften ist, heißt, das elektronische Bildgeviert als Rahmen der Kommunikation, als DAS Medium zu betonen.
Eine Arbeit, die ebenfalls die Gegenwärtigkeit des Fernsehers als Objekt innerhalb des Environments jedes Zusehers zum Gegenstand hat, ist Peter Weibels THE ENDLESS SANDWICH (1969/72). "Zwei Aspekte kennzeichnen dieses Fernsehstück: die Zeit und die Abbildung. Ein spezifischer Prozeß wird (virtuell unendlich) wiederholt und reproduziert bis er schließlich verdoppelt wird, der reale Vorgang und der reproduzierte Prozeß zusammenfallen, Funktion (Prozeß) und Inhalt (Bild) sind ident: dies ist der Sandwich-Charakter jedes Abbildungsvorganges ..." (Peter Weibel). Der Fernsehschirm ist neuerlich kein Fenster zur Welt, sondern ein selbstbezüglicher Rahmen von Darstellungen, die alle um den Rahmen selbst kreisen und der uns als Beobachter schließlich erfaßt und uns latent verunsichert, indem auch wir potentiell in einen solchen Rahmen der Wahrnehmung und Darstellung versetzt werden (mit der Oberfläche eines Bildschirms im Rücken). Was uns hier affiziert, ist kein abstrakter Begriff des Fernsehens als System, sondern ein Objekt, d.h. eine konkrete Erscheinungsform.
In den 70er Jahren wendeten sich immer mehr Künstler der Videotechnologie und in weiterer Folge dem Fernsehen zu. Das Interesse richtete sich einerseits auf ein "Außen": Dokumentation, Erfassung von Prozessen, Thematisierung des Körpers und seiner "Befreiung" bzw. seine Identität, d.h. das Video ist ein Feld der Aufzeichnung und Beschreibung sowohl der Umwelt als auch des Subjekts selbst, das mit dem Video operiert. Uns interessieren jedoch besonders Arbeiten, die sich (andererseits) auf ein "Innen" des Video wie des Fernsehens richten: Repräsentationsstrategien, Gleichzeitigkeitseffekte, Vervielfältigung und Distribution, d.h. eine Annäherung an Warenformen, Dislozierungsmöglichkeiten von Wahrnehmung und Bedeutung in der verstreuten Präsenz des Video (im Fernsehen). Nicht die Produktion von (elektronischen) Bildern als Produktion von bestimmten Inhalten oder basierend auf einer spezifischen Technologie interessiert uns hier, sondern die Thematisierung der (unsichtbaren) Strukturen der Bilder, ihre Effekte und Strategien, auf denen jeder mögliche Sinn des Mediums aufbaut.
Im Gegensatz zu Videoskulptur und Videoinstallation - die skulpturale Effekte im traditionellen Kunst-Kontext erzielen - rücken aufgrund dieser Fragen zunehmend die Konventionen des Kontextes Fernsehen selbst in den Mittelpunkt ästhetischer Wahrnehmung. Wesentliche Eigenart des Video und des Fernsehens war immer schon die beinahe Gleichzeitigkeit der Übertragung, bei der Bild und Abbild in der Zeitachse synchron verlaufen, d.h. der reale Akt und seine Reproduktion leben im selben Zeitmaß zuerst in Closed-Circuit-Installationen und Videoskulpturen am selben Ort, später in Fernseharbeiten an verschiedenen, woraus das Phänomen einer telematischen Dislokation und Translokation, einer Verschiebung von Ort zu Ort an Ort und Stelle, resultiert. Die Einheit von Raum und Zeit wird bei Fernseharbeiten, die Fernsehen über den Apparat hinaus als System und Netzwerk begreifen, im kleineren bereits bei früheren Videoinstallationen, aufgebrochen und expandiert. Es entsteht eine paradoxe Gleichzeitigkeit, die sowohl Elemente der Identität als auch solche einer fundamentalen Differenz aufweist. Die Dislozierung ist nicht nur eine buchstäbliche Übertragung von Bildern, sondern besteht auch in dieser Aneignung des Dargestellten in seiner verzeitlichten Darstellung: die grundsätzliche Dislozierung des Realen in die Bilder hinein.
IMMANENZ
Eine wesentliche Prämisse für die Entstehung und Entwicklung medialer Kunst war die paradigmatische Ersetzung der Transzendenz durch die Immanenz. Die Vorbedingung für kunstimmanente und später medienimmanente Fragestellungen war die Aufgabe eines Kunstbegriffes, der das Medium der Produktion allein als Transportmittel von Ideen und Ideologien - die in einem fremden Dienst stehen - betrachtete. Es mußten somit erst einmal Repräsentations- und Imitationsannahmen in der bildenden Kunst wegfallen, um den Weg zur Thematisierung der eigenen Bedingungen der Produktion offenzulegen. Im Gegensatz zur Transzendenz in der Kunst, die über die materielle, sinnliche, aber auch zeichenhafte Präsenz des Werkes hinaus verweist und alles mögliche bedeutet und zu bedeuten vorgibt - außer ihrer eigenen Konstitution, Entstehungsgeschichte usf. -, versucht medienimmanente Kunst über die Untersuchung ihrer Produktions- und Reproduktionsmittel und ihren immanenten Gegebenheiten zu medienspezifischen Qualitäten zu gelangen. Daraus resultiert eine Thematisierung der Rahmen-, Arbeits- und Rezeptionsbedingungen, die das Medium nicht nur aus- und bezeichnet, sondern vor allem Kunst in die Lage versetzt, die Rahmenbedingungen des Textes des Werkes im Kontext des Materials, der Technologie, der Machtverhältnisse, der Gesellschaft, des Kunstmarktes etc. zu analysieren. Das verlangte geschichtlich betrachtet nach größerer Autonomie (seitens des Künstlers) und einer neuen Funktionsbestimmung und ideologischen Positionierung der Kunst selbst, die heute mit der Erschließung neuer Felder und eines verstärkt interdisziplinären Ansatzes voranschreitet und als Auflösung eines überholten autonomen Kunstbegriffes gedacht werden kann.
Diesem Umstand entsprechend sind die frühen Fernseh-Arbeiten von einer Situation der Analyse gekennzeichnet: der Status der Bilder, ihre Verknüpfung und Kommentierung, die Prozesse der Rezeption und der Ideologisierung, die Rahmenbedingungen jeder medialen Produktion, die Frage des spezifischen Materials, die Frage der Macht (der Institution wie der Bilder selbst) usw. sind Themen, die wiederum über Fernseh-Bilder thematisiert wurden. Es geraten also die Bedingungen sowohl der Entstehung wie der Verteilung in den Mittelpunkt und damit Fragen in bezug auf die Ambivalenz zwischen autonomer Produktion ALS KUNST und ihrer sozialen Funktion ALS MEDIENANALYSE. Es erscheint hier also die Dichotomie: zwischen dem Kontext der Produktion (Kunst) und jenem der Rezeption (Fernsehen) - es geht also in jedem Fall um eine Form der Positionierung bzw. Plazierung, die mitgedacht werden muß.
PRODUZENT
Fernsehen als Feld "künstlerischer" Produktion geriet somit erst dann wirklich ins Blickfeld, als eine technische Möglichkeit bestand bzw. verfügbar wurde, mit der sich für das Fernsehen produzieren ließ, ohne sozusagen ständig "im Bauch des Biestes" (Sendeanstalten) seine Arbeit tun zu müssen.
Was durch diese Möglichkeit gleichzeitig verfügbar wurde, war die Position des Produzenten, desjenigen, der die Bilder nicht nur erlebt, sondern selbst produziert; ein Produzent, der dadurch "elektronische Wirklichkeit" - wovon später noch die Rede sein wird - hervorbringt und sozusagen ein Erlebnis der Differenz noch hat, und zwar ein Erlebnis der Differenz zwischen dem, worauf sich das elektronische Bild bezieht und wovon er selbst ein Teil ist, und dem, was das Medium an Bildwirklichkeit produziert, in der sich der Produzent jedoch nicht gespiegelt wiederfindet, sondern jene Entäußerung erlebt, die ihm seine mediale Form von Subjektivität vor Augen führt.
Fernsehen wird also virulent zu der Zeit, in der es produzierbar und / oder manipulierbar wird UND zu einer Zeit, da es als Massenmedium sozusagen die Gesellschaft zu affektieren beginnt UND damit eine Entfremdung nicht herbeiführt, aber verschärft - eine Verunsicherung über den Status und den Ort der Bilder, u. z. im Verhältnis zum Realen wie vor allem auch im Verhältnis zum Subjekt / Produzenten selbst. Da der Kontext der medialen Verbreitung elektronischen Bildern sozusagen immanent ist, ergreift diese Immanenz auch das Subjekt, das sich über solche Bilder zu artikulieren versucht. Medienbilder verlängern also nicht nur den Anspruch des Subjekts / Produzenten, sondern dieser selbst erscheint als eine Verlängerung der Medien, wodurch sich im medialen Bild das Subjektive und seine Entäußerung immer schon überlagern. Die Differenz, die erfahren wird, stellt zwischen Subjekt und der Transponierung des Selbst eine ANDERE Form aufgrund der Repräsentation durch die Medien.
KONTEXT 2
Künstlerische Arbeit an bzw. mit Fernsehen steht immer vor der Tatsache, innerhalb eines Bild- und Zeichen-Systems zu operieren, das bereits durch völlig andere Strategien, Gewohnheiten usw., d.h. kunstfremde diskursive Formationen, besetzt und bestimmt ist. Dieses Kunst-vorgängige Fernsehen als das Massenmedium bleibt immer der Kontext jeder Intervention, Affirmation, Besetzung, Kritik usw. Fernsehen ist sozusagen ein kontextuelles Ready-made und somit Teil jeder Arbeit; es bestimmt - unmittelbar oder mittelbar - die Strategien der Verwendung von Bild, Ton und Text sowie deren Kombinationen, da sich diese nur von den kollektivierten und massenmedial bestimmten Verwendungszusammenhängen her lesen lassen: entgegen einer Erzählung bzw. ihrer Modi, entgegen einer Repräsentation von Wirklichkeit, entgegen einer Produktion von Meinungen und Ideologien, d.h. entgegen einem bestimmten Bewußtsein gegenüber Fernsehen als einer "zweiten Natur", die sich beinahe schon einer Analyse entzieht bzw. deren Analyse bereits zu einer Art Psycho-Analyse geworden ist - oder aber mit ihnen: als Affirmation, als Zitat, als Aneignung oder Verfremdung. Fernsehen bleibt der semantische Rahmen, der über die Lesbarkeit eines Konzepts als Alternative oder Affirmation entscheidet. Insofern geht es nicht allein um Fragen der Zugänglichkeit der Institution Fernsehen oder ihrer Macht, sondern um die Frage der Strukturen, die es über seine Bilder, sein Programm allein schon darstellt, d.h. um die Macht der Bilder (von der Richard Kriesche immer wieder spricht) und diejenigen strategischen Mechanismen, die diese Macht hinter einer Erzählung vom "Realen selbst" zu verbergen suchen. Die wesentlichsten Effekte des Fernsehbildes sind nicht als ästhetische Ebenen an ihm selbst ablesbar, sondern diejenigen, die es wie selbstverständlich vermittelt: ein Fenster zur Welt zu sein, an der man über die Bilder und durch die Bilder hindurch partizipiert - ein Fenster, das allerdings im ENDLESS SANDWICH bereits als eines in den medialen "Raum" selbst gedeutet wurde.
SICHTBARKEIT
Entsprechend dieser Unsichtbarkeit all der Instanzen, die zwischen einer Situation und ihrer medialen Repräsentation liegen, ging es in vielen Arbeiten (der 60er und 70er Jahre) um eine Form der Sichtbarkeit, und zwar der Sichtbarkeit dessen, was alles an Technik wie an Prozessen zwischen diesen Blicken der Aufzeichnung und der Rezeption liegt und was sich aufgrund dieser ungeheuren Mittelbarkeit am Blick, an der Wahrnehmung und am Erkennen bzw. Lesen und Deuten der Bilder ereignet. Die Frage der Sichtbarkeit richtete sich also auf das Medium selbst, das innerhalb der repräsentativen / abbildhaften Strategien sozusagen einen blinden Fleck darstellt.
Diesen blinden Fleck thematisiert etwa die Arbeit MALEREI DECKT ZU - KUNST DECKT AUF von Richard Kriesche (1977 zur documenta 6). In dieser Arbeit spricht Kriesche das Fernsehen explizit an: es ist dasjenige, das zwischen ihm als "Objekt" wie Subjekt der Aufzeichnung und Repräsentation einerseits und der Wahrnehmung durch den Seher andererseits liegt: "offenkundig Unsichtbares liegt zwischen uns". Der Zuseher wird als Gegenüber der Arbeit von Beginn an mitgedacht. Exemplarisch wird der Bildschirm transparent: buchstäblich durch den Künstler hindurch erscheint erneut eine Handlung, die zuvor verdeckt wurde - Fernsehen erscheint als in sich gekehrter Kreislauf, als Folie, die das Reale überblendet und die es - punktuell, partiell - freizulegen gilt (diese Metapher wandelt sich in späteren Arbeiten Richard Kriesches zum Begriff des "Datenhintergrundes", dem Rauschen, vor dem sich die Dinge ereignen).
KONFUSION
Auf den Kurzschluß zwischen dem Realen und seiner Darstellung im Bild - wie es die "Strategie des blinden Flecks" suggeriert - reflektieren bereits die Closed-Circuit-Installationen des Video, die zu einer zentralen Konstellation / Formation innerhalb von Video-Demonstrationen (wie sie Richard Kriesche bezeichnete) geworden waren: die Situation der Gleichzeitigkeit von realem und bildlichem Ereignis schildert exemplarisch die Konfusion zwischen dem Realen und der elektronischen Wirklichkeit, die dadurch zu einem Teil des Realen bereits geworden ist, und dies in Form eines technischen Prozesses, d.h. als Produktionsmodus: die technische Realisierung fällt zusammen mit deren wahrnehmungsmäßigen Konsequenzen; Video und Fernsehen sind nicht einfach (oder nicht nur) eine bestimmte Art Bild, sondern eine bestimmte Form der Produktion und Zirkulation von Bildern: "die komplexeste Zeit-Raum-Maschine" (Richard Kriesche), ein apparatives System. Video wie Fernsehen werden bald als Sphäre erkannt, die sich auf Wirklichkeit zwar richtet, nicht aber in Form einer Authentizität, sondern in der Form einer Remontage von Repräsentationsfragmenten, d.h. aufgrund einer Differenz. Über das Video besteht die Möglichkeit, genau diese Produktionsebene jenseits jeder Abbildung zu analysieren, weil über sie verfügt werden kann. Die Trennung von formalen / produktionstechnischen und inhaltlichen / konzeptuellen Ebenen ist innerhalb der Medien nicht ohne weiteres möglich (obwohl wir hier erstere erheblich ausblenden).
Eine Arbeit, die diese Abbild-orientierten Effekte des Fernsehen über das Video anspricht, ist die IMAGINÄRE VIDEO-WASSER-SKULPTUR von Peter Weibel (1971/72). Geradezu typisch für Arbeiten aus jener Zeit ist der Moment, in dem das Bild, das der Betrachter sieht und von dem er annimmt, es sei ein Bild der Realität, als ein Abbild eines Bildes enttarnt, entlarvt, geradezu denunziert wird. Das Fernsehen erscheint als "Rahmen" nicht der Welt, gerade nicht der Welt, sondern als Rahmung und als Tarnung für elektronische Bilder, die über ihren Status nichts aussagen und über deren Status wiederum aufgrund der medialen Vermitteltheit gegenüber den Bildern im Bild nichts ausgesagt werden kann. Die Sichtbarmachung des Mediums führt damit zu einem Verschwinden der Welt hinter den Bildern, weil dort nur wieder das Medium erscheint. Es bildet sich sozusagen selbst ab. "Wie mit einer Droge wechselt der Beobachter von einer Ebene der Realität in eine andere." Peter Weibel erklärt das Fernsehen aufgrund dieser Fähigkeit, die Rationalität und die Realität unserer Wahrnehmung zu zerstören, zur Droge.
Dieselbe Bezeichnung als Droge findet sich auch im Titel der Arbeit KOKAIN von Peter Weibel (1973). Ein Bild wird erst durch einen Zoom als Fotografie erkennbar, die zudem in einem Wasserbecken schwimmt, d.h. von einer kaum sichtbaren Schicht bedeckt ist. Danach öffnet jemand die Fotografie wie eine Konserve und legt andere Bildschichten und Bilder frei - eine potentiell unendliche Regression auf immer wieder andere Bilder, die einen immer anderen Bezug zum Betrachter repräsentieren. Wiederum geht es um die Enttarnung des Video- und damit auch des Fernsehbildes als eine Bildebene, die gerade in der Wahrnehmung über das Fernsehen nicht in ihrem Status verifiziert werden kann. Die "Öffnung" des Bildes bzw. neuerlicher Bildschichten hinter dem Bild erscheint als Metapher für eine unendliche Rückbezüglichkeit des elektronischen Bildes auf wieder andere Bilder usw. Der Bildkontext wird zum Definitionsfeld der Bilder als sozusagen nicht-referentielle, gleichzeitig aber auch nicht-abstrakte Bilder: der spezifische Repräsentationsprozeß, der sich im Video und im Fernsehen vollzieht, wird als kontextuelles Problem thematisiert: dieser Kontext ist wiederum das Fernsehen selbst.
REPRÄSENTATION
Der Kontext "Fernsehen" als endlose Erzählung mittels elektronischer Bilder erscheint immer noch von einem Begriff der Repräsentation bestimmt, der im wesentlichen aus den mechanischen Repräsentationsverfahren und -konzepten der Fotografie und/oder des Films stammt, d.h. seine abbildhaften Konnotationen weiterbehält. Es ist immer noch eine Form der "Wirklichkeit", die sich sozusagen im Fernsehen darstellt bzw. die das Fernsehen als solche darstellt und dabei gewissermaßen von sich selbst absieht. Fernsehen stellt immer einen Blick nach außen dar und die Vermittlung eines Blicks in das Innere des Subjekts nimmt immer diesen Umweg über einen Blick nach außen (trägt dieser auch surreale, phantasmatische oder dekonstruktive Züge). Zwischen dem Blick, der der Darstellung gilt und demjenigen, der sich darstellt, existiert sozusagen nichts als eine Vorrichtung, die dieses Zusammentreffen möglich macht: gerade das Fernsehen als Massenmedium suggeriert die Abwesenheit einer komplexen Übersetzungs- und Vermittlungsstruktur, indem es immer noch an der Vorstellung vom direkten Blick auf die Welt festhält. (Und die gegenwärtigen Entwicklungen im Bereich der Satellitentechnik verstärken diese Vorstellung noch, indem sie immer schneller - und das heißt: unmittelbarer - jedes Geschehen, jede Erscheinung dem Blick des Zuschauers zur Verfügung stellen; so waren wir beim Fall der Berliner Mauer "dabei", wie wir jetzt beim Sturm des Weißen Hauses in Moskau "dabeiwaren". Vielleicht waren wir ja wirklich in der Lage "mehr zu sehen" als die Eingeschlossenen selbst; selbst Clinton und Jelzin bedienten sich eigenen Aussagen nach der alleinigen Informationsquelle CNN, um etwas über die Lage zu erfahren.)
Gerade das Fernsehen suggeriert also seine eigene Abwesenheit in diesem ständigen Prozeß der Repräsentation, und dadurch transportiert es den Mythos, die Ideologie der Unmittelbarkeit, der Aufzeichnung, der Abbildung, dadurch verbirgt es die Tatsache, daß es dasjenige, das es abbildet, d.h. erfaßt, in jedem Fall auch affiziert und in einer Rückkoppelung in ein ANDERES verwandelt und als ANDERES zurückläßt. Das Fernsehen verschleiert die Tatsache, daß wir längst in einer Rückkoppelungskultur leben, die alle Kontexte der Produktion erfaßt hat und die jedes Ding-an-Sich, jedes Objekt aber auch jedes Subjekt, dessen Abbildung und Wiedergabe zu einem verschlungenen System bzw. Prozeß der Um- und Neu-Codierung werden läßt.
Was dabei evident wird, ist die Tatsache, daß es sich beim Fernsehen nicht nur um eine Logik der Darstellung handelt, sondern daß diese Logik das Sichtbare, die ANDERE Welt (jenseits seiner eigenen Logik), erfaßt und strukturiert. Die Medien bilden sich zunehmend auf die Welt ab. Deshalb ist es nach wie vor notwendig, die Medien sichtbar zu halten, nicht als eine Aufklärung, sondern als eine Entbergung.
Auf den selbstbezüglichen Kreislauf, den das Fernsehen darstellt, bezieht sich die Arbeit TV-NEWS (TV-TOD 2) von Peter Weibel (1970/72). Ein Nachrichtensprecher liest aus einer Zeitung Schlagzeilen der letzten Zeit; dabei raucht er eine Zigarre. Die Arbeit denunziert den Nachrichtenbegriff, indem er den Status der Nachrichten - ihre Aktualität, ihre Authentizität - ironisiert; daneben taucht die Idee des Fernsehobjekts wieder auf, denn der Sprecher erscheint wie in einer Schachtel sitzend, aus der der Rauch nicht abziehen kann: das Video reflektiert auf "die tödliche Ökonomie des Fernsehens, ein geschlossener Kreislauf aus Wort und Bedeutung, aus Bedeutung und Ereignis, eine Rückkoppelung aus Ereignis und Information." (Peter Weibel)
LOGIK
Das Ziel der "Strategie des Verschwindens" besteht darin, das Sichtbare / die Welt in einer Art und Weise erscheinen zu lassen, daß diese als Bedeutung gelesen werden kann - dieses ist eine weitere Konsequenz massenmedialer Effekte: was im Fernsehen erscheint, hat immer schon eine Bedeutung und wird gleichzeitig als das unerreichbare und unangetastete So-Geschehen präsentiert. Die Logik des Fernsehens beinhaltet demnach den Schluß, daß es deshalb möglich ist, mit abbildhaften Repräsentationen zu arbeiten (bzw. solche herzustellen), weil das Sichtbare immer bereits ein Sinnvolles ist. Die semantische Ebene der Bilder wird gleich behandelt wie die visuelle: der Sinn der Welt schreibt sich über die sichtbaren Erscheinungen in die Bilder ein, die nur mehr gelesen, d.h. vom Fernsehen übertragen zu werden brauchen. Die Welt selbst erscheint voll von Sinn. Indem es sich als Medium im eigentlichen Sinn negiert, negiert Fernsehen auch die Tatsache, daß es immer der Kontext der Bilder ist, die da erscheinen.
Die Bedeutung der Bilder wird damit zur Bedeutung der Welt, des Realen - die Logik der Bilder wird mit der Logik der Welt ident. Worauf diese Logik zielt, ist eine Darstellung der Welt als Formation von Welt-Bildern. Insofern wird die Logik der Bilder zu einem Gegenstand von Projekten, von Bildkonstellationen, die diese Suggestion der Identität und Authentizität zu enttarnen suchen, u. z. hauptsächlich über den Begriff der Repräsentation bzw. deren Negierung, d.h. am Status der Bilder im und gegenüber dem Realen als das ANDERE des Mediums, das zwar vom Medium erfaßt, nicht aber von ihm abgebildet werden kann. Es sind Arbeiten, die jene grundlegende Differenz zwischen einer immanenten Logik der Medien und dem Realen thematisieren, die jene Operationen beschreiben und darstellen, die vor jeder Einschreibung in mediale Systeme stattfinden: die Abtastung und Verrechnung der Erscheinungen und des Körpers, die Fragmentarisierung, d.h. die Entkontextualisierung, die Positionierung dieser Fragmente vor dem Hintergrund eines ANDEREN Kontextes, der das Fernsehen selbst ist - der Hintergrund aller Bilder.
IDEOLOGIE
Das ideologische Moment des Fernsehens berührt damit auch die Tatsache, daß das Bewußtsein bereits eine Projektionsfläche für jene Medien-Oberflächen und ihre Effekte geworden ist (die "zweite Wirklichkeit im Bewußtsein des Betrachters", wie es Wulf Herzogenrath 1977 ausdrückte). Besonders Richard Kriesche spricht immer wieder davon, daß Fernsehen und Video nicht in erster Linie reproduzierende Techniken sind, sondern produzierende: es "schafft oder produziert das elektronische Medium aus der Reproduktion selbst Wirklichkeit". Insofern läßt für ihn diese produzierte Wirklichkeit das Konzept einer "Gegenwirklichkeit" nicht mehr zu. Das heißt aber auch, daß herkömmliche Strategien der Kritik hier nicht wirksam werden können - die Wahrheit ist nicht etwas, das erscheint, sie muß in Termini der Fernsehlogik formuliert werden, damit sie als solche überhaupt kommunizierbar werden kann, dann aber lediglich ein Produkt dieser Logik darstellt.
Es geht also nicht darum, gute oder wahre Bilder zu erzeugen, die näher an der Wirklichkeit sind, sondern darum, die Tatsache zu unterstreichen, daß mit den medialen Bildern keine Wirklichkeit NEBEN der Wirklichkeit entsteht, sondern eben jene eminente Rückkoppelungseffekte entstehen, die eine Differenz verwischen. Als Gegenbilder können Projekte nur insofern funktionieren, als sie ihre eigenen Modi der Erzeugung als Überlagerung und Überblendung der Wirklichkeit transparent werden lassen, d.h. sich als Produkte des Mediums formulieren und sich auf dessen immanente Logiken beziehen.
Eine Arbeit, die diese permanente Differenz von medialen Inhalten und dem, worauf sie sich beziehen, das sie als das Reale erscheinen lassen, zum Gegenstand hat, ist das ZAGREB TV von Richard Kriesche (1981). Die österreichischen Nachrichten des Vortages werden mit den Nachrichten des Tages aus Jugoslawien gemischt; eine Bildgrenze als Metapher für die Grenze zwischen den Staaten trennt die jeweiligen Ausschnitte aus dem Fernsehprogramm. Diese "Grenze" am Bildschirm wird jedoch gleichzeitig als etwas vermittelt, das die elektronischen Medien selbst nicht kennen und in ihrem weltweiten Informationsfluß permanent aufheben. Die Nachrichten dienen als Symbol des "kollektiven Bildausdrucks", des elektronischen Hintergrundes der Wirklichkeit, die sich nur mehr vor diesen Medien, ihren Bildern, im Hinblick auf diese Bilder ereignet. Dieser Hintergrund wird durch das Gesicht des Künstlers freigelegt: "So sehen Sie, indem der Künstler nichts sieht." (Richard Kriesche) Kriesche setzt sich hier sozusagen selbst als vom Medium Affizierter ins Bild, nicht als Künstlersubjekt, das über seine Inhalte und Konzepte verfügt, sondern als ein veränderter Autor, der in einem Feld operiert, das auch ihn mit"produziert" und das sich ihm entzieht, sodaß er "nichts sieht".
Neuerlich erscheint Fernsehen nicht als Dokumentation oder Kommentar des Realen (entgegen der vom Fernsehen selbst lancierten Ideologie), sondern sozusagen als Meta-Strategie, die einen Diskurs des Realen mit-produziert, hinter dem das Reale selbst kaum mehr auszumachen ist. "Bilder sind - nach Kriesche - keine Repräsentationen der Welt mehr, sondern Wirkungen auf die Welt." Insofern ist die Frage nach dem Status der elektronischen Bilder zunehmend eine Frage nach den bestimmenden Größen unseres Wirklichkeitsbegriffs: "Das 'Bild an sich' ist in der Ikone des Fernsehschirms Wirklichkeit geworden. Dies ist die neue Wirklichkeit." Der strahlende Fernsehmonitor ist für ihn wiederum die Metapher für ein Blitzlicht, das analog zum Atomblitz die Dinge in Schatten verwandelt und mit diesen Schatten operiert, die Realität in einen derartigen Schatten verwandelt. Die Produktion dieser Schatten erfolgt auf der Grundlage der globalen Verschaltung von Fernsehgeräten als Schattenwerfer - das ist: das Fernsehen.
Es wird unter diesen Vorzeichen zu einem System, zu einem komplexen Schaltkreis, der die Geografie wie das Bewußtsein überzieht und eine Topografie ANDERER Ordnung konstruiert: diese orientiert sich nicht mehr an den Kreisläufen des Subjekts, seinem Begehren, seiner Angst oder seiner Lust, sondern an der Vorstellung der "idealen Zirkulation", seiner optimalen Verbreitung und Selbstreproduktion. "Fernsehen ist ein Virus aus einer anderen Welt."
MEDIENSYSTEM
Die Entwicklung österreichischer Medienkunst lief mit der internationalen weitgehend synchron. Obwohl der Informationsstand über internationale Tätigkeiten in der Avantgardekunst und der technische Standard, der Künstlern und Künstlerinnen in Österreich in den 60 / 70er Jahren zur Verfügung stand, bekanntlich äußerst beschränkt war, gelang es, künstlerische Fragestellungen, die in der internationalen Kunstentwicklung baldige Konsequenzen nach sich zogen, zu entwerfen. Teilweise aus traditionellen Kunstmedien wie Malerei oder Bildhauerei stammend, interessierten sich in Österreich vor allem Gottfried Bechtold, Valie Export, Richard Kriesche, Peter Hoffmann, Frederike Pezold, Peter Weibel und der in Kanada geborene Robert Adrian X, die zusammengenommen die erste Generation österreichischer Medienkünstler bilden, für eine Entfaltung künstlerischer Fragestellungen in technischen Medien. Obgleich die Motive der Einbeziehung elektronischer Apparate und die Verlagerung der Produktion auf dieselben unterschiedlicher und zum Teil persönlicher Art sind, lassen sich doch einige grundsätzliche Näherungsweisen an Fernsehen und neue Medien allgemein anführen. Hier ist einmal die Frage des Materials beziehungsweise der Materialwahl (im erweiterten Sinne Medium) zu erwähnen, die bereits in der Kunst der frühen 60er Jahre im Bereich der konventionellen Malerei und Bildhauerei aufgetaucht war. Es ging darum, wie Valie Export beschreibt, "das Material selbst in Angriff zu nehmen und nicht das Narrative und die Geschichte, die damit erzählt werden können" zu thematisieren. Neue Medien hatten dabei den einfachen Vorteil, gegenüber der Malerei etwa, geschichtlich nicht vorbelastet zu sein. Die Arbeit in und mit diesen neuen Medien erlaubte einen unbeschwerteren Umgang im Sinne der Möglichkeit einer radikaleren und tiefgreifenderen Ausdifferenzierung zur etablierten Kunst dieser Zeit, von der man sich abgrenzen wollte. Waren die ersten Aktivitäten bei Export und Weibel in der Mitte der 60er Jahre noch von den Medien Fotografie und Film bestimmt, kam es mit der Wende zu den 70er Jahren, parallel mit der Zugänglichkeit und dem Entwicklungsstand der technischen Geräte, zu einer zunehmenden Einbeziehung von Video in die Arbeit. "Die inhärenten Eigenschaften, die im Medium stecken" und die "Auslotung der medialen Möglichkeiten" standen nach Valie Export dabei im Vordergrund. Peter Weibels frühe Videoarbeiten verfolgten ein starkes Interesse an Repräsentationsfragen und waren von Abbildungstheorien des Wiener Kreises, von Wittgenstein bis Carnap, inspiriert. Über die Frage nach der logischen Übereinstimmung von Sachverhalten und Sätzen kam es zu einer grundlegenden Auslotung dieses logischen Verhältnisses in bezug auf künstlerische Medien. Bildmedien, sowohl klassische wie elektronische, wurden über diese logische Diskrepanz einer Überprüfung der ihnen zugrundeliegenden logischen Konstitution unterzogen, wobei über die Konfrontation ontologischer und semiotischer Aspekte Repräsentationsprobleme thematisiert wurden. Charakteristisch für diese ersten Videoarbeiten war die explizite Auseinandersetzung der Künstler mit dem Medium Fernsehen, das heißt die Videokamera wurde zur Fernsehkamera, um Fernsehästhetik zu untersuchen. Die Dekonstruktion des Mediums Fernsehen, seiner Sehgewohnheiten und ästhetischen Kategorien verfolgten ebenfalls Arbeiten von Gottfried Bechtold, Richard Kriesche oder Valie Export. Diese ersten Videoprojekte, die mit Hilfe des österreichischen Rundfunks produziert und meist in den Sendungen "Kontakte" oder "Impulse" ausgestrahlt wurden, waren weitgehend von medienimmanenten Aspekten geprägt. Es ging nicht darum, ein von Künstlern hergestelltes Band gleich einem beliebigen Kunstwerk mittels Fernsehen zu publizieren, sondern die Analyse und Dekonstruktion des Massenmediums Fernsehen, seiner inhärenten Bedingungen und technischen Manipulationsmöglichkeiten waren das zentrale Anliegen. Mit Fernsehen sollte nichts transportiert werden, Fernsehen sollte reflektiert werden. Gerade aus dieser Konzentration auf Medienimmanenz und die damit verbundene inhaltliche Zurücknahme von Botschaften, die außerhalb des Mediums stehen, erfuhren diese Arbeiten eine soziopolitische Aussagekraft. Angefangen bei FACING A FAMILY (1971) von Valie Export, wo eine Familie ihrem eigenen Abbild im Fernsehapparat begegnet, über Gottfried Bechtolds Videoarbeit FERNSEHEN (1972), in der eine VW-Busfahrt -auf die Gefahr der Langeweile hin- von einer Kamera dokumentiert wird, bis zu Richard Kriesches Fernseharbeit für den ZDF anläßlich der documenta 6 in Kassel, ging es um eine Zerlegung optischer Wirklichkeit, um eine Desillusionierung der Illusions- und Suggestionsmaschine Fernsehen.
Bechtolds Arbeit FERNSEHEN etwa bezieht sich explizit nicht nur auf den Begriff, sondern auch sozusagen auf den Umstand, indem die Handlung in einem Wohnzimmer endet. Zum einen wird in der Arbeit über die Wiedergabe einer Autofahrt in voller Länge der Mechanismus der Übertragung des Fernsehens außer Kraft gesetzt. Bechtold führt vor Augen, wie lange es dauert, von einem Punkt zum anderen zu gelangen, sozusagen jenseits der Medien. Dabei wird er aber vom Bild verfolgt. Das Erschießen der Kamera, die Beendung der Verfolgung, erscheint somit als Metapher dafür, wie sich das Reale seiner Aufzeichnung, Vermessung, Überwachung und Aneignung durch die Medien zu entziehen sucht, dabei jedoch nur in eine andere Ebene der Aufzeichnung und Wiedergabe gelangt, bis schließlich zuletzt das Bild, d.h. das Fernsehen überbleibt und das Scheitern seiner Aufhebung und Auslöschung dokumentiert. Nach jedem Schuß kommt es zur Auslöschung einer "Bildebene", die aber nur darauf hinweist, daß viele weitere Ebenen hinter oder vor dieser lauern. Der scheinbare Handlungsablauf stellt sich letztendlich als eine Handlungsschleife, als eine Perpetuierung oder Replay dar. Es wird nichts ver- oder behandelt außer dem Faktum Fernsehen selbst.
Die Arbeit wurde von der Kulturredaktion des ORF produziert, jedoch niemals in voller Länge ausgestrahlt, sondern nur in Teilen. Es erscheint evident, daß die Zeit, die in der Arbeit erscheint und sozusagen die Realzeit darstellt, den Zeitrahmen und den Zeitbegriff, wie er im Fernsehen angelegt ist, überschreitet: es gibt dort keine Zeit, um sozusagen den Vorgängen zu folgen, sie werden in jedem Fall segmentiert und in einer Montage rekonstruiert, die ihre eigentlich Dauer jedoch nicht erfahrbar macht, sondern sozusagen nur andeutet. Fernsehen ist somit nicht nur ein System spezifischer Bilder, sondern auch einer spezifischen Zeit, die über diese Bilder montiert und damit fragmentiert wird.
Eine andere auf Medienimmanenz angelegte Arbeit ist die bereits genannte Fernseharbeit von Richard Kriesche anläßlich der documenta 6. Über den Leitsatz MALEREI DECKT ZU - KUNST DECKT AUF wurde mit Hilfe des Bluebox-Verfahrens "das Unsichtbare sichtbar" gemacht bzw. die Konstitution des Sichtbaren als etwas Unsichtbares aufgedeckt. Fernsehen als der gelbe Fleck der Unterhaltung, der Politik, des Sports, der Warenästhetik und des Konsums wird zum blinden Fleck der Massen erklärt. Kriesche entwickelt über die Dekonstruierung des Mediums Fernsehen eine Theorie des blinden Flecks, indem er normale Fernsehgewohnheiten als Oberfächenphänomen und Interfaceproblem darstellt und das eigentliche Medium Fernsehen als einen unsichtbaren und somit nicht einsehbaren, technisch verschlüsselten und unzugänglichen Raum aufzeigt. Resultat und Aussage dieser Arbeit ist das Faktum, daß das Fernsehgerät mit dem Medium Fernsehen nur insofern in Verbindung steht, als es als Empfangs- und Wiedergabeeinrichtung letzter und unterster Teil in der Hierarchie des Mediums Fernsehen ist. Dem Mythos Fernsehen antwortet Kriesche mit der Zerstörung der Bildidentität, mit der Ersetzung der medialen Transzendenz (Handlung) durch die mediale Immanenz (Analyse, De-Konstruktion).
Den Entwicklungssprung von den 70er zu den 80er Jahren dokumentiert die Arbeit STILLE ELEKTRONISCHE POST von Gottfried Bechtold und Richard Kriesche anläßlich der Ars electronica 1986.1 Die bestehenden Bild- und Tonleitungen zwischen den ORF-Studios werden zur Grundlage dieses Computer- und Videoprojekts: es wird gleichzeitig ein gemeinsames Fernsehbild produziert, wobei die jeweiligen Einspielungen aus den beiden Orten nur Teilbilder liefern. Das Projekt richtet sich erneut auf die Frage des elektronischen Hintergrunds der Welt und wie sie dadurch abgebildet wird bzw. wie durch das elektronische Medium die Dinge und die Erscheinungen neu geordnet werden. Die Gegenwärtigkeit der Beschreibung der beiden Bundesländer Oberösterreich und Vorarlberg wird durch ein Netzwerk realisiert: die Bilder, die dort ausgetauscht und zusammengeführt werden, "sind wirklicher als die Wirklichkeit (...) sie sind die Schönheit der Mehrheit."
Vergleichbar mit der bereits genannten Arbeit von Kriesche anläßlich der documenta 6 in Kassel, unterscheidet sich diese Arbeit grundsätzlich von anderen Arbeiten für das Fernsehen, da sie konzeptuell nicht nur für das Fernsehen produziert, sondern auch mit und in dem Medium Fernsehen, seinen Räumen und vernetzten Strukturen usw. konzipiert wurde. Das heißt, es wurden - zumindest vom konzeptuellen Ansatz her - keine Videobänder distributiert, sondern der "Event- und Live-Charakter" der Fernsehmaschinerie, fernsehspezifische Techniken, Richtfunkstrecken usw. standen im Vordergrund. Bei der "Stillen elektronischen Post" wurde eine paralogische Situation zwischen zwei ORF Landesstudios in Vorarlberg (Dornbirn) und Oberösterreich (Linz) - unterstützt von der architektonischen Gegebenheit, die Studios haben gleiche Ausstattung und gleiches Aussehen - geschaffen. Über die Verbindung der beiden Studios mittels Richtfunkstrecke entstand ein für den Fernsehraum bezeichnender Zustand einer Telepräsenz geographisch getrennter Orte und Personen in einem Nicht-Ort. Dieser Nicht-Ort wurde dem Zuseher als der atopische Ort von Rundfunk vorgeführt. In einem dialogischen Wechselspiel kam es zu einer optischen Abhandlung von Fernsehen, die durch verbale Kommunikation der beiden räumlich aber nicht zeitlich geschiedenen Personen Bechtold und Kriesche unterstützt und getragen wurde:
Gottfried Bechtold: "Das Fernsehstudio ist kein Ort, sondern ein Zustand."
Richard Kriesche: "Bilder sind die Wirklichkeit der Mehrheit."
Im Unterschied zu den früheren Fernseharbeiten der 70er Jahre wurde hier Fernsehen nicht mehr als eine Box oder ein Apparat begriffen, den oder die es zu untersuchen galt, sondern als ein System. Die Medienimmanenz trat somit in ein neues und komplexeres Stadium ein. Der Apparat wurde nicht mehr als verortetes Objekt aufgefaßt, sondern als ein vernetztes System. Die Medienimmanenz, die sich den Problemen der Systemimmanenz zuzuwenden begann, verabschiedete sich damit endgültig von den traditionellen Medien der bildenden Kunst und ihren Analyse- und Reflexionsmethoden und begann mit der Erweiterung und Elaborisierung der erarbeiteten Methoden und Fragestellungen.
Als System erscheint das Fernsehen bereits in der Arbeit SURVEILLANCE (Überwachung) von Robert Adrian X (1981). Es wurden Bilder von Überwachungskameras aus der Wiener U-Bahn-Station Karlsplatz im österreichischen Fernsehen live an verschiedenen Stellen im Programm gesendet. Das Projekt arbeitet einerseits mit der "klassischen" Funktion der Medien, durch die Übertragung von Information (in diesem Fall Bilder) eine Präsenz über die Ferne hinweg zu erzeugen, eine Möglichkeit der Teilnahme, Wahrnehmung und Kontrolle. Allerdings wird durch die öffentliche Ausstrahlung von Bildern, die der Überwachung dienen, die Funktion der Überwachungsbildschirme wie auch die des Fernsehens umgekehrt: ganz Österreich bekam die Möglichkeit, das Geschehen in der U-Bahn zu "überwachen" und alle Fernseher wurden potentiell Überwachungsbildschirme, das Fernsehen dadurch allerdings auch ein radikales Überwachungssystem. Die Arbeit konnotiert somit die permanente Präsenz des Mediums, die allein schon eine Kontrolle impliziert: durch die Monitore blickt uns das Fernsehen sozusagen an.
Ein Projekt, das auch die Rolle der Präsenz des Fernsehens als permanenter Projektor von Bildern und Sinn zum Gegenstand hat, ist TRANSIT- EINE MEDIATIVE SKULPTUR von Helmut Mark (1992 sozusagen als Spot, d.h. auch im Bereich der Printmedien) realisiert. Es bezieht sich vor allem auf die Permanenz medialer Bilder als sinnvolle, narrative und vor allem kontinuierliche Ereignisse, eine Bildproduktion, die völlig darauf abzielt, die Medien selbst, d.h. die Systembedingungen der Übertragung, der Verbreitung, der Präsentation bzw. des Erscheinens zu negieren und allein sich selbst in Szene zu setzen; Fernsehen verschwindet völlig hinter seinen - immer auch ästhetischen - Botschaften, Inhalten und semantisch aufgeladenen Effekten.
Das Konzept versucht, sich dieser Narration zu entziehen und keine weiteren literarischen, narrativen, irgendeiner Logik der Repräsentation verpflichteten Bilder zu erzeugen: blaues Rauschen, auf dem analog zu Senderkennungen regelmäßig der Begriff TRANSIT erscheint, wird etwa 12 Minuten jeweils zum Sendeschluß eine Woche lang ausgestrahlt. Das Rauschen erscheint als ein Bild, das kurzzeitig eine "ästhetische" Situation schafft, die den Bilderfluß unterbinden und auch eine veränderte Rezeptionssituation hervorrufen soll. Es handelt sich letztendlich darum, das Fernsehen kurzzeitig in einen qualitativ anderen Zustand zu überführen, einen Zustand, der sich in der Sphäre des Zusehers als Skulptur realisiert.
"Insbesondere gibt es keine Zeit für die Stille. Stille ist aus der Kommunikation ausgeschlossen. Sie ist von den Bildschirmen der Fernsehapparate ausgeschlossen. Ein Text kann schweigen, ein Bild hingegen nicht; zumindest können Medienbilder (...) niemals schweigen: die Kontinuität des Kontaktes, des Feedback muß total sein wie in einem geschlossenen Schaltkreis, Bilder und Botschaften müssen einander ohne Unterbrechung folgen. Die Stille ist eben jene Synkope im Schaltkreis, die bewirkt, daß kein Feedback möglich ist, vielleicht ermöglicht aber diese kleine Katastrophe im programmierten Ablauf etwas anderes: eine Antwort, eine Frage, eine Leere." (Jean Baudrillard, Paradoxe Kommunikation, Bern 1989)
NETZWERKIMMANENZ
Dem Künstler kommt bei der Analyse von Mediensystemen und Netzwerken eine soziale Bedeutung für die Erforschung zukünftiger Verhaltens- und Handlungspotentiale in elektronischen Begegnungsräumen zu. Die elektronische Agora und das damit verbundene demokratische Postulat der Gleichheit sind in den weitgehend von wirtschaftlich oder militärisch orientierten Interessensgruppen besetzten Netzen zwar noch ferne Begriffe, aber keineswegs irreale Utopien.
Hier zeichnet sich ein Bedeutungswandel ab: Probleme der Immanenz verschieben sich von einer technischen auf eine soziale Ebene. Der elektronische Raum wird hierbei von der Kunst als ein Handlungs- und Interaktionsraum in Beschlag genommen, um neue Aspekte und Dimensionen des Zusammenlebens komplexer werdender Gesellschaften mittels Maschinen zu eruieren. Da Medien beanspruchen, als Interface zwischen Individuen, Gruppen und Interessen zu vermitteln und zu reglementieren, übernehmen sie in einem simulativen Akt Funktionen einer verloren gegangenen Öffentlichkeit. Medienimmanente Kunstarbeit wandelt sich konsequenter Weise über das Stadium der Systemimmanenz zu einer letztlich sozialen Immanenz.
Medienkunst als Kunst, die unter anderem ihre eigenen Produktionsmechanismen, Bedingungen und Entstehungstechnologien mitdenkt, könnte in diesem Zusammenhang als Kunst zweiter Ordnung beschrieben werden: als Kunst, die die Ebenen der Produktion und Rezeption ineinander verschränkt und reflektiert und sich dadurch ein erweitertes Umfeld von sozialer und politischer Konsequenz und Kompetenz eröffnet. In dem Moment, wo Kunst eine Kunst zweiter Ordnung hervorbringt, gewinnt Kunst an gesellschaftlicher Relevanz und ist in der Lage gesellschaftliche Funktionen wahrzunehmen. Voraussetzung dafür ist die Installierung eines "Bewußtseins" im Betriebssystem der Kunst. Denn ohne ein intelligentes Betriebssystem ist der Kunst der Zugang zu und die Interaktion mit anderen Betriebssystemen untersagt. Medienkunst als Kunst zweiter Ordnung, die ihr Betriebssystem nicht ausblendet, sondern impliziert, liefert wesentliche Beiträge zur Analyse unserer Wirklichkeitskonstruktion. In einer Wirklichkeit, die heute weitgehendst medial konstituiert ist, erfährt eine Kunst zweiter Ordnung, die sich mit der technologischen, politischen, wirtschaftlichen usw. Konsolidierung medialer Systeme auseinandersetzt, eine über das System der Kunst hinausreichende Bedeutung. Kunst wird dabei zu einem Aufmerksamkeitstraining, das über die Täuschungen der eigenen Phantasie hinaus politisch tätig wird.
SCHLUSS
Im Anschluß an das Verlassen eines Konzepts von Wirklichkeit und Gegenwirklichkeit erscheint schließlich die Frage nach der Topografie, die die Medien, das Fernsehen, nicht eigentlich erzeugen, vielmehr als Effekt produzieren bzw. suggerieren. Wenn die Bilder ihren Ort im Realen zwar einnehmen, jedoch lediglich als ein Element eines elektronischen / digitalen Kontextes, d.h. als DESSEN Produkte, dann stellt sich die Frage nach dem Begriff des Raumes jener Bilder / Medien, in dem sich etwas ereignet, der durch eine Topografie beschrieben werden könnte. Wenn der Topos eine Frage technischer Systeme geworden ist, dann erzeugen diese eine interne und immanente Topografie, die sich - wie in der Fabel von Borges, die Baudrillard zitiert - einer Geografie überblendet bzw. diese überdeckt (und schließlich ersetzt). Insofern ist der "Raum" der Medien ein Raum durch die Medien: wir sind nicht wirklich in Moskau dabei, wir partizipieren an den Erzählungen der Bilder und Kommentare - wir bewegen uns vollständig in einem medialen Raum, der in einem komplexen Austausch und Teilmengenverhältnis zu unserer Vorstellungswelt und unserem Bewußtsein steht; der Raum der Medien erscheint zunehmend als eine Topografie von Orten, die in uns selbst liegen - und auf die sich eine Teletopologie dann möglicherweise richten könnte.
1.) STILLE ELEKTRONISCHE POST war von den Künstlern als Live-Sendung geplant, wurde aber wegen technischen Bedenken seitens des ORF nur in Form eines vorproduzierten Bandes ausgestrahlt.
© Reinhard Braun/Thomas Feuerstein 1994
erschienen in:
Teletopologie Österreich. Materialien zur Medienkunst, Medien.Kunst.Passagen, Nr. 02/1994
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