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Unterhalb der Tektonik des (öffentlichen) Raumes:
Zwei Perspektiven seiner Durchquerung.
Im folgenden geht es - wie im Titel angedeutet - um Perspektiven auf den (öffentlichen) Raum, der auch ein Raum der Kunst sein bzw. auch als solcher zu einem Thema der Kunst werden kann. Dabei steht nicht die Frage "Was ist öffentlicher Raum?" im Mittelpunkt, sondern eher jene: "Wie wird öffentlicher Raum entworfen, besetzt, modifiziert oder ignoriert, d. h. WIE erscheint er (unter diesen strategischen Vorzeichen) innerhalb künstlerischer Projekte?" Dies ist die eine Perspektive.
Die andere, hier primäre, ist jene der Medien. Eine kurze Skizze soll einige Aspekte voranstellen, unter denen etwas wie (öffentliche) Räume 'aus der Sicht der Medien' in den Blick kommen, bzw. nicht mehr in den Blick kommen. Indem Medien ein System bilden, eine Form des Verkehrs, der keine Objekte verschiebt, auch keine Subjekte, kennen sie sozusagen den Räum als Sphäre ihrer Aktionen wie Repräsentationen nicht. Sie ordnen sich nicht um architektonische symbolische Zentren (wie Hauptplätze, Verkehrsknotenpunkte, Hauptstraßen, div. ökonomische Zentren des Einkaufs, Handels etc.), greifen also die Topografie der Stadt - als wichtigste Erscheinungsform der Organisation solcher sybolischer Orte - gar nicht auf, sondern entwerfen eine eigene Topografie. Diese beiden Perspektiven stehen in keinem kausalen Verhältnis zueinander, werden nicht aufeinander abgebildet oder auseinander abgeleitet, sondern eher parallel geführt, einander gegenübergestellt, bis sie sich möglicherweise treffen, jedoch weit außerhalb dieses Textes.
Einleitend ein längeres Zitat von Michel de Certeau, der unter dem Titel "Kunst des Handelns" ein Buch geschrieben hat, das sich in einigen Kapiteln auch mit Praktiken im Raum beschäftigt, aus dem einige Argumente und Details für diesen Text entwendet sind: "Zum Beginn unterscheide ich zwischen Raum und Ort (...). Ein Ort ist die Ordnung (egal, welcher Art), nach der Elemente in Koexistenzbedingungen aufgeteilt werden. Damit wird also ausgeschlossen, daß sich zwei Dinge an derselben Stelle befinden. Hier gilt das Gesetz des 'Eigenen': die einen Elemente werden neben den anderen gesehen, jedes befindet sich in einem 'eigenen' und abgetrennten Bereich, den es definiert. Ein Ort ist also die momentane Konstellation von festen Punkten. Er enthält einen Hinweis auf eine mögliche Stabilität. Ein Raum entsteht, wenn man Richtungsvektoren, Geschwindigkeitsgrößen und die Variabilität der Zeit in Verbindung bringt. Der Raum ist ein Geflecht von beweglichen Elementen. Er ist gewissermaßen von der Gesamtheit der Bewegungen erfüllt, die sich in ihm entfalten. Er ist also ein Resultat von Aktivitäten (...). Im Verhältnis zum Ort wäre der Raum ein Wort, das ausgesprochen wird (...). Er wird als Akt einer Präsenz (oder einer Zeit) gesetzt und durch die Transformation verändert, die sich aus den aufeinanderfolgenden Kontexten ergeben. Im Gegensatz zum Ort gibt es also weder Eindeutigkeit noch die Stabilität von etwas 'Eigenem'. Insgesamt ist also der Raum ein Ort, mit dem man etwas macht."1
Die künstlerischen Arbeiten und Projekte, die im zweiten Teil als Referenz herangezogen werden, sind als solche Handlungsfelder, die 'etwas mit dem Raum machen', zu verstehen, als Transformationen, die weniger etwas 'eigenes' produzieren, als daß sie sich auf ein jeweils spezifisches 'anderes' beziehen.
1. Medien
Aus der Perspektive der Medien erscheint es geradezu nicht möglich, sinnvoll über Räume zu sprechen, auch bzw. gerade, wenn es sich dabei um den Stadtraum handelt. Denn als Fortsetzung der Schrift, d. h. einer grundlegenden Trennung von Information und Inhalt (eine erste Spaltung des 'eigenen'), Kommunikation und Präsenz sind Medien quasi per definitionem Telemedien, die weit auseinanderliegendes, entferntes zusammenbringen - allerdings ohne dabei Räume buchstäblich zu durchqueren, d. h. ohne Bewegung, ohne, daß dabei etwas seinen Platz verläßt und in seiner Bewegung einen Raum erzeugt. Medien basieren damit nicht nur auf der Überwindung von Territorium, sondern auf einer prinzipiellen Negation des Raumes. Handlungen, Ereignisse und Orte, an und in denen solche Handlungen stattfinden, sind nicht durch ein Kontinuum verbunden, das aus einer Bewegung entstünde, sondern bleiben auf Distanz, obwohl oder gerade weil sie sich (nur) medial berühren. Jene Kategorien, die die klassischen Parameter dessen bilden, was wir Geschichte nennen: der Schauplatz einer Handlung, an dem sich die Handlung selbst wie auch ihr Sinn erfüllt (die Homogenität des 'eigenen', das durch diese Separation erst als Ereignis oder Handlung ansprechbar wird), diese aufeinander bezogenen Erscheinungen sind medial sozusagen aufgedröselt worden, sie bilden jetzt ein Geflecht, das nicht durch Räume aufeinander bezogen ist, sondern durch einen gemeinsamen, auf Fernwirkung beruhenden Horizont des Austauschs: Effekten der Präsenz, der Repräsentation, von Kommunikation. Telemedien konstruieren eine Anwesenheit, die auf Abwesenheit beruht: der Telos der Telemedien ist die Distanz.
"Alle Medien sind mit ihrem Vermögen, Erfahrung in neue Formen zu übertragen, wirksame Metaphern."2 Metaphern sind bekanntermaßen sprachliche Ausdrücke, bei denen ein Wort bzw. eine Wortgruppe aus seinem eigentlichen Bedeutungsfeld in ein anderes übertragen wird, ohne daß ein direkter Vergleich zwischen Signifikant und Signifikat vorliegt bzw. möglich wäre. Die Metapher führt demnach eine Trennung zwischen den Dingen, ihren Bezeichnungen und Bedeutungen ein, ein Spiel der Signifikanten entsteht (wiederum eine Intervention in das 'eigene', ein jetzt sprachlicher Ort, der dishomogenisiert, verzeichnet, aufgelöst wird). Medien-Metaphern operieren entsprechend: sie überführen die Gegenstände ihres Transfers - die Wahrnehmung, den Blick, das Gehör - aus dem Feld des Subjekts in jenes der technischen Apparate, an die das Subjekt zwar gekoppelt bleibt, die aber ihr eigenes Spiel bzw. Programm mit den versprengten Signifikanten betreiben: Sichtbarkeit, Abbildung, Darstellung, Repräsentation, Präsenz, Erinnerung, Wissen sind jetzt innerhalb des Medienverbundes von Subjekt und Apparat zu formulieren - wir sehen nicht mehr nur aufgrund der Sehstärke unserer Augen, sondern aufgrund der Auflösungscharakteristika (elektronischer) Abtastungen, wir hören nicht mehr nur aufgrund der Empfindlichkeiten unserer Ohren, sondern aufgrund der (elektronischen) Verstärkung und Isolierung von akustischen Signalen, und: wir agieren nicht mehr nur aufgrund der Handhabung von Objekten in unserer unmittelbaren Umwelt, sondern aufgrund von teletechnischen Systemen der Fernübertragung von Wort, Bild und Aktion.
Medien konstruieren damit jenseits und quer zu jenen 'klassischen' Räumen ihre eigene Topologie, die, wenn man etwa an das Fernsehen und seine Bildwelten denkt, eine der Verknüpfung von aus ihrem Kontext entwendeten Bild-Orten, Ortsbildern ist - mit einer spezifischen Semantik, d. h. einer bestimmten Logik, Erzählungen und Sinn zu produzieren. Auch klassische Einweg-Medien der Ausstrahlung definieren den Ort ihrer Präsenz jenseits von realen Orten, soziogeografischen Positionen in der Gesellschaft oder ähnlichem: auch die Stellung des wahrnehmenden Subjekts wird analog dazu sozusagen verflüssigt, neu verteilt. Der Horizont seines Alltags überschreitet den Raum des Alltags - an Medien angeschlossen, tritt man in Distanz zum umgebenden Raum, weil das Subjekt ein Ort ist, sich durch ein 'Eigenes' definiert und ausschließt, das sich an seinem Platz ein zweites befindet - es sei denn im Falle der Schizophrenie, und darauf, daß Medien prinzipiell darauf hinarbeiten, das Subjekt in diesen pathologischen Zustand zu versetzen, deutet einiges hin.
Diese Effekte, Wirkungen der Medienlogik, strahlen sozusagen auch auf den klassischen Raum, der immer mehr einer der Diskontinuität geworden ist, wo sich zahllose Horizonte überlagern: Architekturen, Skulpturen, Verkehr, Handel, Konsum, Tourismus, Werbung etc. und eben Medien - der Stadtraum ist ein Gemenge von kulturellen Codes, die ihn permanent überziehen und beschriften. Sie alle bilden Kontexte, aus deren Durchquerung die Stadt als Schrift, als Textur der Bewegung entsteht. Medien aber bewegen sich nicht.
Neue Technologien lassen die alten aber nicht verschwinden, sie weisen ihnen andere Positionen im System zu: "Da es dem König nur wenig gefiel, daß sein Sohn, die kontrollierten Straßen verlassend, sich querfeldein herumtrieb, um sich selbst ein Urteil über die Welt zu bilden, schenkte er ihm Wagen und Pferd. 'Nun brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen', waren seine Worte. 'Nun darfst du es nicht mehr', war deren Sinn. 'Nun kannst du es nicht mehr', deren Wirkung."3 Der funktionale wie ästhetische Ort des öffentlichen Raumes und vor allem die Stellung des Subjekts darin hat sich eminent verschoben, auch bzw. gerade unter dem Einfluß der Massenmedien des 20. Jahrhunderts, und nicht zuletzt über die dadurch erfolgte Umstellung unserer Wahrnehmung, d. h. eine Neuformierung der Textur, die wir in der Durchquerung von Räumen auch jenseits der klassischen überhaupt noch erzeugen können. "Von der 'Bewaffnung' des Fotoapparates bis zum 'bewaffneten Auge' des Reporters oder Soldaten und zur Video-Überwachung zu polizeilichen Zwecken richtet das Objektiv den Blick des Menschen allein deshalb mit Macht auf die Lebewesen und Dinge, weil die technischen Neuerungen es möglich machen, wie Wisemann sagt. 'Seitdem ich eine Kamera besaß', (...), 'interessierte ich mich überhaupt nicht mehr dafür, mit Menschen zusammenzusein oder unter ihnen zu leben, ohne sie zu filmen ...'."4 Weil die technischen Neuerungen es möglich machen, setzen sich unsere Erfahrungsräume neu und völlig anders strukturiert zusammen.
Desgleichen gilt für die Kunst. Auch ihre Räume sind quasi ins Wanken geraten: der Raum der Kunst ist ebenso unter dem Einfluß der Mediensysteme wie dem Video bzw. elektronischer Bild- und Tonübertragungen und -aufzeichnungen nicht mehr nur einer des (ästhetischen) Objekts, seiner Oberfläche, seiner Bedeutung und seiner Plazierung - oder des Subjekts, seiner Wahrnehmung und Handlung, d. h. auch der Raum der Kunst ist nicht mehr ausschließlich einer, der eine Kontinuität zwischen Ursache und Wirkung, Produktion und Rezeption, Vermittlung und Erfahrung aufweist (was bis hin zur Performance der 60er und 70er Jahre gegolten hat). In diesem Kontinuum der Bedeutungen bildete das Subjekt den Horizont und die Perspektive der Produktion oder Aktion: zugleich Rezipient, Teilnehmer, Betrachter, Kritiker, Käufer. In dieses einheitliche ästhetische und semantische Feld intervenierten die Medien, da jener Raum, in dem das Subjekt agiert, und medienimmenente 'Ereignisse', wenn man sie so bezeichnen will, kein einheitliches Koordinatenfeld mehr aufweisen, keinen einheitlichen Raum bilden. Die 'Gegenstände' der Medien und das Subjekt existieren auf zwei völlig verschiedenen Ebenen:
"In der Galerie ist ein TV-Gerät installiert, das einen Mann zeigt, der in einem Straßengraben liegt. Der Besucher glaubt, daß es sich dabei um ein eingespieltes Band handelt. Er realisiert nicht, daß der Künstler nicht weit entfernt tatsächlich in einem Straßengraben liegt und das Stück eine Übertragung darstellt. Vielleicht sieht der Besucher zufällig nach dem Verlassen der Galerie die wirkliche Situation. (...) ein unentscheidbarer Fall innerhalb der Galeriesituation."5
Hier wird in einer einfachen Anordnung sozusagen vorgeführt, wie der mediale Zugriff auf den Ort einen neuen, gespaltenen 'Logos' von Orten konstruiert, wie sich Ereignis und Wahrnehmung nicht mehr im selben semantischen Kontext vollziehen. Damit ist allerdings nicht gesagt, daß der Raum unter medialen Zugriffen in buchstäblichem Sinn verschwindet oder sich auflöst, denn der architektonische und urbane Raum (darunter der Galerieraum) bilden nach wie vor ein Gerüst unserer Orientierungen - aber sie bilden längst nicht mehr die einzigen und/oder bestimmenden Gerüste. Der Ort ist nichts, das am Verschwinden wäre - er stellt allerdings zunehmend eine Erfahrung dar, die sich eminenten Überlagerungen und Interventionen ausgesetzt sieht: durch jene 'anderen', medienimmenenten 'Orte', in die sich das Subjekt mit zunehmender Häufigkeit 'begibt', und die von Mediensystemen entworfen, inszeniert und verschaltet werden, Orte, die letztlich nur als radikale 'Nicht- bzw. 'Un-Orte' bezeichnet werden können, oder, wie es Michel Foucault formuliert, als 'Heterotopien': "Es gibt gleichfalls - und das wohl in jeder Kultur, in jeder Zivilisation - wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplazierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können."6
Medial transferierte Ereignisse sind keine Objekte, haben keinen Widerstand, keinen angestammten Platz, sondern 'nur' einen - oftmals flüchtigen und reversiblen - Kontext, unterliegen der Verfügung des Subjekts und sind etwas, das in zunehmendem Maße entworfen und 'designed' werden kann, ein Umstand, der etwa für den öffentlichen Raum nur bedingt gilt: dieser weist einen hohen Grad an definitiver, wenn auch inhomogener, Ordnung auf, die auf Beständigkeit abzielt. Er hat damit sozusagen einen Widerstand und weist dem Subjekt eine möglichst definitive Position der Erfahrung und der Aneignung zu, entwirft Kontexte einer Textur: gerade der reale Ort der Begegnung wird aber im Rahmen medialer Verkehrsformen aufgegeben, d. h. der topische Aspekt tritt in der Hintergrund gegenüber der teletopischen Positionierung eines Ereignisses innerhalb der Gegenwart einer Sendung oder eines Anschlusses. Im Falle der Medien sind alle Kontexte, die durchquert werden können, immer schon hier bei mir: die Textur, die ich erzeugen kann, ist eine der Zeit, nicht des Raumes.
2. Kunst
Aus dieser Perspektive heraus geht es hier, wenn Öffentlichkeit und Kunst thematisiert werden, nicht um Konzepte, die das sozusagen autarke Modell des Ortes - als etwas 'eigenes' - relativ linear exportieren, nicht um irgendwelche ästhetisch definierten Objekte oder Projekte, die auf diese rekurieren und die den Ort hier und dort durchsetzen und einen Transfer von Kunst in Öffentlichkeit zu vollziehen versuchen. Es scheint nicht weiter interessant (und notwendig), der Kunst einen Ort im öffentlichen Raum zu erobern oder quasi Kunstzellen aus diesem herauszuschneiden, sondern wichtiger, Kunst selbst als öffentliches und vice versa öffentlichen Raum als künstlerisches Material zu verstehen, d. h. so etwas wie "Kunst als urbane Praktik" zu entwickeln, wobei sich wohldefinierte Begriffe des (v. a. ökonomisch determinierten) Kunstkontextes in Bewegung befinden, gerade diejenigen Mechanismen und Automatismen überschritten werden, denen Kunst begegnet, wenn sie ihre Räume bzw. gerade auch jene, die sich um sie herum gebildet haben, verläßt. Was dabei unter anderem in den Blick gerät, ist das (in die Öffentlichkeit gesetzte) Verhältnis von 'Werk' und Rezipient, besonders, wenn ersteres jenseits vieler konventionalisierter Rollen agiert, d. h. Werk wie Rezeptionssituation nicht ohne weiteres benannt werden können, sondern nur als eine Form der Textur lesbar werden, d. h. als Operation, die aus Orten Räume produziert (und damit den 'Ort Kunst' verläßt).
Es interessieren also Eingriffe in Erscheinungsbild, Strukturzusammenhänge und Mechanismen des urbanen Alltags, keine primär installativen oder skulpturalen Anordnungen, sondern Verschiebungen am Rande, vom Rand her, die sich kein ästhetisches Zentrum geben, sondern in die Fluktuationen alltäglicher Handlungen und Ereignisse ETWAS einfügen. Es geht schließlich darum, die Vorstellung von Kunst als 'besonderem Ort', als ausgezeichnete Stelle, d. h. als Form des Denkmals zu verlassen. Künstlerische Objekte, wenn es denn solcher bedarf, positionieren sich dabei als notwendige Nahtstellen, quasi als Vehikel für solche zum Teil prozessuale Interventionen, ohne dabei selbst als Werke lesbar zu werden - sie erhalten den Status von Gesten, von semantischen 'Absprungstellen'.
Es treffen hier durchaus zwei verschiedene Konzepte des Raumes aufeinander: jenes des strukturierten und hinlänglich stabilen Gefüge der Stadt, das einer Ordnung entspringt und permanent Ordnung produziert (und dessen Zeichensysteme auch solche der Ordnung sind, selbst bzw. gerade dann, wenn sie sich auf unser Begehren richten, wie im Falle der Werbung). Diesem Stadtraum als öffentlicher Raum steht jener flüchtige und instabile, erst durch Aktions- und Rezeptionsmomente, d. h. eine differenzierte Form der Wahrnehmungspraktik entstehende und diffuse, unabgeschlossene Kunst-Raum, der im wesentlichen durch vorübergehende Präsenz gekennzeichnet ist. Insofern geht es gerade auch darum, inwiefern es künstlerische Praktiken erlauben, sich als Kunst zu negieren, ohne diese Negation wieder als Kunst zu erleben - es geht um ein In-Bewegung-Setzen von urbanen Verhältnissen, möglicherweise um das Implementieren eines Widerspruchs, einer Leerstelle, d. h. eines Intervalls in der Bedeutung, der Leseweisen eines Ortes. Es geht also um die Konstruktion von Raumgefügen, die sowohl das jeweilige aktuelle Umfeld wie das künstlerische Projekt nicht kennen, benennen oder im vorhinein definieren können - eine Utopie, gewiß.
Um diese Überlegungen - nicht zu illustrieren sondern eher zu zeigen, wodurch sie auch gewonnen wurden - erscheint hier das Prijekt "Jetzt" von Christian Hasucha aus dem Jahr 1989. Christian Hasucha arbeitet seit 1981 an einer Reihe von Projekten unter den Titeln "Attributive Plastik", "Stadtimplantate" bzw. "Öffentliche Interventionen", die sich gleichzeitig vom Feld der Skulptur wie jenem der öffentlichen Installation absetzen sollen und gleichermaßen den Kunstkontext selbst wie den öffentlichen Raum thematisieren. Die "Attributive Plastik" ist das Resultat eines Eingriffs oder einer Hinzufügung innerhalb einer exemplarischen öffentlichen Situation, die "Stadtimplantate" sind installierte Fremdkörper, die durch ihre Erscheinunsweise ein urbanes Environment in beabsichtigter Weise beeinflussen. Bei den "Öffentlichen Interventionen" stehen nicht mehr Dinge im Vordergrund, sondern das Hervorrufen bzw. die Inszenierung von Ereignissen.
"Das Fortpflanzen eines traditionell hergestellten Kunstobjekts ins urbane Environment führt nicht notwendigerweise ebenfalls zu seiner Verschmelzung mit der Umgebung. Die Andersartigkeit dieses künstlichen Fremdkörpers, verglichen mit den übrigen Straßenmöbeln (bezüglich Herstellungsweise, Material, Oberflächenstruktur, Farbe etc.) bewirkt eher ein gedankliches Trennen der kombinierten Erscheinungsbilder: das Umfeld wird nahezu unbeeinflußt wahrgenommen und das Implantat als Besonderheit, die losgelöst vom 'Hier und Jetzt', ein in sich geschlossenes System darstellt. Diese Form der Implantation sollte vermieden werden, denn erst, wenn die Erscheinungsformen des Kunstobjekts mit denen des Umfeldes in Beziehung treten, etwa durch Erweiterung bereits existierender Zusammenstellungen oder durch Akzentuierungen des Vorhandenen, wird der Dialog zur Umgebung erkennbar, wird die Art der Plazierung transparent." (Christian Hasucha)
Die direkten Eingriffe oder Hinzufügungen beziehen sich also auf die diesen Situationen immanenten Erscheinungsformen und Funktionsweisen: der Eingriff erfolgt attributiv, wie eine Zuschreibung oder Verdichtung, die in der Regel jedoch so unpretentiös erfolgt, daß die vorhandene Alltäglichkeit zu einem großen Teil ihre Authentizität behält. "Auf einer im oberen Bereich freistehenden Fassadenmauer sitzt ein Akteur für die Dauer von 3 Wochen allabendlich auf einem metallenen Stuhl. Neben ihm ist ein rechteckiger Kasten mit verglaster Vorderfront installiert. Von Zeit zu Zeit löst der Sitzende mittels Kippschalter einen Lichtimpuls im Kasten aus, wobei das ausgestanzte Wort JETZT in den Abendhimmel strahlt." (Christian Hasucha im Text, der jede seiner Arbeiten begleitet) - Eine Markierung urbaner Zeitpunkte, zunächst.
Dieses lakonische Statement, das auf den Platz projiziert wird, hat vordergründig keinen Bezug zum Ort, zum Geschehen, das sich vor Ort ereignet - die Person kann aber sehr wohl darauf reagieren, auf bestimmte Situationen, sie kann wiederkehrende Abläufe oder auch zufällige Ereignisse sozusagen markieren usw. Abgesehen davon handelt es sich aber um eine selbstbezügliche Kommentierung eines (anderen) Geschehens: JETZT einen Kontakt zu betätigen. Dieses willkürliche Zeitmaß blendet sich über die Zeitordnung des Ortes. Ironisch bezieht sich die Leuchtschrift natürlich auf die permanente Bestrahlung des Stadtraumes durch Werbemittel aller Art und DEREN Unsinn, oder besser: Nicht-Sinn. Allerdings ist die Leuchtschrift allein durch die Montage hoch oberhalb der Zone der allgemeinen Aufmerksamkeit auch diesem formalen Kontext entrückt.
JETZT führt ein indifferentes Moment gegenüber dem Ort ein, ist keine inhaltliche oder ästhetische Analyse oder Kommentierung, sondern die schlichte Spiegelung der Tatsache, daß jetzt JETZT ist. Durch diese Tatsache ist der Ort aber jetzt, was er in Abwesenheit von JETZT nicht mehr ist. Exemplarisch hat Christian Hasucha hier einen Eingriff realisiert, der nichts verändert und dennoch eine "Öffentliche Intervention" darstellt. JETZT führt einen undefinierbaren Kontext vor Ort ein, der mit dem Ort etwas macht, ohne die Koexistenzbedingungen seiner Elemente zu verändern. JETZT stellt sozusagen eine künstlerische Strategie dar, ohne auf Momente der Ästhetik, des Materials oder eine besondere Form der Präsentation zu rekurieren: die Intervention hebt sich zwar eminent vom Stadtbild ab, ohne dies durch eine 'Kunstenklave' einzulösen oder erst zu initiieren: "durch Akzentuierung des Vorhandenen wird der Dialog zur Umgebung erkennbar, wird die Art der Plazierung transparent" (Christian Hasucha).
Auf Einladung der Stadt Dortmund hat Christian Hasucha im September 1994 ein weiteres Projekt realisiert, das einen solchen Dialog mit bzw. innerhalb einer alltäglichen Umgebung realisiert: "Öffentliche Intervention 'Wege', Projekt Nr. 20'. "Interessierten Dortmunder Bürgerinnen und Bürgern wird hierbei angeboten, einen ca. 20 Schritt langen Abschnitt eines täglichen Weges veröffentlichen zu lassen. Mittels Schablonen und Acrylfarbe (weiß) werden die Endpunkte dieser individuell ausgewählten Strecke auf den Straßen der Stadt markiert und mit fortlaufenden Nummern versehen. Auf Plakaten werden die Namen der Teilnehmer sowie die genaue Position der jeweiligen Wegstrecke bekanntgegeben." Darüberhinaus gab es keine Erklärungen zu diesem Projekt, bis auf den Hinweis, daß es "in exemplarischer Weise das Verhältnis zwischen Alltagsgeschehen und künstlerischen Eingriff" behandelt. Die Markierungen selbst verblassen wieder nach ein paar Wochen - es handelt sich also um einen zeitlich begrenzten Eingriff, dessen Dauer allerdings nicht exakt vorausgesagt werden kann; auf jeden Fall verändert es nicht dauerhaft die Oberflächen der Stadt.
Diese Wegstrecken, ihre zufällige Verteilung über den Stadtraum, dokumentieren die permanenten Bewegungen von Fußgängern, "deren Körper dem mehr oder weniger deutlichen Schriftbild eines städtischen 'Textes' folgen, den sie schreiben, ohne ihn lesen zu können."7 Ihre Bedeutung liegt also augenscheinlich nicht in ihrer Form und auch nicht in ihren spezifischen Anordnungen und ihrer Verteilung, sondern darin, was diese Anordnungen und die Verteilung über jene 'Beschriftung' der Stadt durch die teilnehmenden Personen aussagen. Diese werden in die Lage versetzt, in den urbanen Raum zu intervenieren, flüchtige Einschreibungen, Inschriften zu hinterlassen - das Projekt selbst bildet nur das Medium, das Vehikel dieser Beschriftung(en), die quasi einen Sub-Text zum Schriftbild der Stadt erzeugen. "Die Spiele der Schritte sind Gestaltungen von Räumen. Sie weben die Grundstruktur von Orten. In diesem Sinne erzeugt die Motorik der Fußgänger eines jener 'realen Systeme, deren Existenz eigentlich den Stadtkern ausmacht', die aber 'keinen Materialisierungspunkt haben'. Sie können nicht lokalisiert werden, denn sie schaffen erst den Raum. (...) Sicher, die Prozesse des Gehens können auf Stadtpläne eingetragen werden, indem man die (hier sehr dichten, dort sehr schwachen) Spuren und Wegbahnen (die hier und dort nicht durchgehen) überträgt. Aber diese dicken oder dünnen Linien verweisen wie Wörter lediglich auf die Abwesenheit dessen, was geschehen ist. Bei der Aufzeichung von Fußwegen geht genau das verloren, was gewesen ist: der eigentliche Akt des Vorübergehens. (...) Es wird also nur noch ein Überrest wahrnehmbar. (...) Das Gehen kann somit fürs erste wie folgt definiert werden: es ist der Raum der Äußerung."8 Ein alltägliches Handlungssystem, eine permanent erzeugte Textur des Städtischen wird aus seiner Unsichtbarkeit gehoben und stellt selbst schon eine Form der Interpretation bzw. des 'Gebrauchs' des städtischen Raumes dar. Die Gesamtheit der Markierungen ergibt eine spezifische (kollektive) Lektüre der Stadt, ein Zeichensystem, das auf diese unausgesetzte Lektüre verweist, ohne sie einfach abzubilden - im Mittelpunkt steht die alltägliche Praktik selbst.
Offensichtlich wird hier auf jede Form der Herstellung eines künstlerischen Objekts wie eines im engeren Sinn als künstlerische Situation zu bezeichnenden Umstandes verzichtet. "Bei Interventionen, die in die Geschehnisabläufe des täglichen Lebens eingreifen, stehen nicht mehr dingliche Aspekte im Mittelpunkt, sondern es werden Ereignisse provoziert oder inszeniert, deren Wirkungsfeld fast alle Bereiche der städtischen Öffentlichkeit berühren kann." (Christian Hasucha) Gewissermaßen endet hier die Differenz von Alltagsgeschehen und künstlerischer Praxis, ohne daß damit einer Prämisse wie "Kunst als Leben als Kunst" gefolgt wird. Hier wird anschaulich, wodurch eingangs das Phänomen Raum umschrieben wurde: Geflecht von beweglichen Elementen zu sein, gewissermaßen erfüllt von der Gesamtheit der Bewegungen, die sich in ihm entfalten. Christian Hasucha hat einen Teil dieses Geflechts als Äußerungsformen von alltäglichen Handlungen sichtbar gemacht, dem Stadtraum einen Modus seiner Erzeugng wiederum eingeschrieben.
Ein Projekt, das diese Zusammenhänge völlig anders faßt, ist im Zusammenhang mit der Ausstellung "Translokation. Der ver-rückte Ort. Kunst zwischen Architektur" in Graz im April und Mai 1994 entstanden. Es führt scheinbar einen Schritt weg vom bisher entworfenen Interesse an einer Abkehr von dinglichen Aspekt künstlerischer Strategien in öffentlichen Räumen: auf dem Gelände des Grazer Hauptbahnhofs plazierte Yuji Takeoka verschiedene Gegenstände in Vitrinen und auf Sockeln, ein Abfallkorb, eine Büste, Trinkbecher, ein Haltestellenmast, ein Baum bzw. eine Parkbank und einen Gepäckwagen. Es handelt sich dabei durchwegs um Gegenstände, die in bezug zu Tätigkeiten am und rund um den Bahnhof stehen.
Beide Anordnungen (Vitrine und Podest) stammen nicht nur sozusagen aus dem Herz des Kunstkontextes, es liegt ihnen auch gemeinsam die Geste des Zeigens, Exponierens und der Präsentation zugrunde. Bei beiden handelt es sich um funktionale Mechanismen, die zwischen dem Betrachter und Benützer der Objekte, die sie erfassen, eine Distanz einziehen: sie entrücken die Gegenstände in einen (jetzt doch wieder) ästhetischen Zusammenhang, in die reine Sichtbarkeit - ich kann sie nur noch sehen, nicht aber gebrauchen oder berühren. Vitrine und Sockel erzeugen gerade jene besonderen Orte der Kunst, jene Momente der Entrückung und Differenz, die aus Gegenständen Kunstwerke , d. h. besonders ausgezeichnete Objekte machen.
Dieser Gestus des Zeigens, der gerade diese Orte der Kunst an einem ihnen fremden Ort nicht nur einführt, sondern zur Schau stellt, erhält dadurch aber eine Transparenz, die diese Versetzung bzw. Durchquerung von Kontexten und die Betonung ihrer Unterschiede und Widersprüche nicht einfach durchführt, sondern vorführt und kommentiert: "durch Akzentuierung des Vorhandenen wird der Dialog zur Umgebung erkennbar, wird die Art der Plazierung transparent" (Christian Hasucha).
Die Bahnhofshalle wird zur Ausstellungshalle (und dies durch eine relativ offensichtliche Strategie). Das Bahnhofsgelände erhält dadurch eine paradoxe 'inhaltliche' Dimension, und das wiederum nicht durch besondere Objekte, sondern durch den Einsatz von gleichermaßen gezielten wie banalen Mechanismen ihrer Präsentation (eine Verkehrung, die sichtbar und nachvollziebar bleibt, auch ohne viel über den Kunstkontext wissen zu müssen). Im Hintergrund dieser Intervention steht die Idee des 'konzeptuellen Sockels', einer grundsätzliche Exponierung, die bereits stattfindet, wenn Dinge ihren vertrauten Platz verlassen, ihr vertrautes Aussehen auch nur marginal verändern oder sich dem vertrauten Gebrauch plötzlich entziehen: es ist das Spiel mit einem künstlerischen Klischee, dem 'objet trouvée', d. h. ein auch ironischer Kommentar zur Geschichte der Kunst selbst.
Es erhält aber nicht nur der Gegenstand plötzlich einen anderen funktionalen Ort, es wird auch der Benützer bzw. Betrachter plötzlich zum Kunstrezipienten, der in seinem Gang durch den Bahnhof (natürlich nicht!) innehält, um sich in die vermeintlichen Kunstgegenstände zu versenken. Deshalb auch der Bahnhof als Ort des Projekts: dort, wo wirklich niemand Zeit und Muße findet, sich um Kunst zu kümmern - außer um nette Brunnen, die manchmal dort aufgestellt werden. "Meine 'öffentliche Skulptur' zeigt die Kunst im öffentlichen Raum und dabei aber den öffentlichen Raum an sich." (Yuji Takeoka)
Es geht jedenfalls auch hier nicht um eine ästhetisch orientierte Intervention, nicht einmal um eine Produktion im engeren Sinn (es wurden nur die 'Mechanismen' hergestellt, keine Objekte), sondern um den Gestus: "Wenn ich in einem Raum Sockel ausstelle, zeige ich nicht nur die Sockel, sondern den gesamten Raum" (Yuji Takeoka) - allerdings auch jenen, der durch die Sockel gebildet und transportiert wird, nicht nur jenen, in dem sie ausgestellt sind. Es handelt sich also um eine Bezeichnungspraxis: "Das Paradoxe daran ist, die öffentlichen Ready-mades in einem öffentlichen Raum zu zeigen, ohne das der öffentliche Raum ausgestellt wird." (Yuji Takeoka) Vielmehr werden hier also Raumvorstellungen aufeinanderprojiziert, ineinandergeschoben, unterschiedliche Räume - vorläufig - in ein prekäres, weil ambivalentes Deckungsverhältnis gebracht. Mit dem Sockel wird ein ganzes Raumsystem transplantiert und dem öffentlichen Raum eingeschrieben, überlagert - wodurch gezielte Bruchstellen in der Tektonik des öffentlichen Raumes markiert werden (über die Rezeptionsmodi). Auch hier sind also die plazierten Objekte als Vehikel zu betrachten, über die mit dem Raum etwas gemacht wird: ein semantisches Feld, eine Bedeutung wird erzeugt, die sich nicht auf die Objekte selbst richtet, sie erklärt oder vermittelt, sondern auf den aktuellen Ort abzielt, die Konstellation der an ihm präsenten und verfügbaren Gegenstände. Die Vitrinen und Sockel legen ein anderes Koordinatennetz durch den Raum (entgegen dem 'eigenen'), an dem entlang sich bewegend und ihn als solchen wahrnehmend, der Passant einen anderen erzeugt, etwas anderes mit dem Raum machen kann (ohne dieses andere sofort mit Kunst in Beziehung setzen zu müssen).
Insgesamt scheint es hier um Formen der Instabilität zu gehen, sowohl des Raumes als Medium, der Stadt als Medium, der Kunst als Medium, des Mediums als Medium. Der Stadtraum ist kein homogenes Feld sozialer oder ästhetischer Codes, sowenig wie Kunst durch stabile Rahmenbedingungen gekennzeichnet wäre (auch ohne den 'Einfall' der Medien). Aus diesem Grund erscheinen Projekte wenig sinnvoll, die noch auf solche stabilen Codes basieren würden, d. h. letztendlich, noch immer wie eine klassische Fassade oder ein Denkmal operieren würden. Demgegenüber stehen die hier skizzierten Projekte als vorübergehende, systemorientierte - und das heißt immer auch: fluktuierende, situative - Interventionen, die vor allem immer wieder verschwinden, d. h. keine permanente Perspektive auf öffentliche Räume bzw. Formen öffentlicher Räume einzuführen versuchen. Es handelt sich vielmehr um vorläufige, kurzfristige, dafür aber konkrete und gezielte Anordnungen. Ihr Ansatz einer Intervention möge hier werder avantgardistisch noch politisch mißgedeutet werden: es geht nicht um das Ausweichen in sozusagen künstlerisch wenig besetztes Gebiet, das Erweitern oder Erneuern künstlerischer Strategien, noch um Eingriffe in gesellschaftliche Verhältnisse mit dem Ziel, diese zu beeinflussen (wobei solche durchaus auch sichtbar werden können).
Die vorgestellten Projekte operieren im Grunde mit vorgefundenen Mitteln, fügen dem Raum nichts wesentliches hinzu - vor allem nichts, das sich als Kunstobjekt zu erkennen gäbe. Sie agieren innerhalb des Stadtsystems, verschieben darin verschiedene - durchaus marginale - Parameter und verschieben damit für kurze Zeit auch die Tektonik des Raumes, seine Einfassung und Erfassung durch jene Ordnungen, die sich als langfristige Perspektive den Raum zu unterwerfen versuchen - und die damit auch solche der Macht sind (Werbung, Architektur). Sie stehen in evidentem Kontrast zu jeder Form von herrschaftlichem Zeichen - agieren sozusagen unterhalb der Visualität, obwohl sie etwas sichtbar werden lassen, besetzen und erzeugen keine Oberflächen.
Insofern zeichnen sich Parallelen zum eingangs skizzierten Horizont der Medien ab: auch dieser Kontext ist durch Instabilität auf semantischer Ebene gekennzeichnet: das Auftauchen von Elementen in immer neuen Zusammenhängen und Konstellationen - Stichwort Hypertext (Markup Language) -, das Manipulieren von semantischen Einheiten jenseits einer konstanten Referenz, kollektive Schreib- und Bildräume, die durchquert und durchkreuzt werden können - all das läßt sich, wenn auch nur metaphorisch und als Analogie auf die Strategien der präsentierten Projekte gegenüber öffentlichen Räumen projizieren: es handelt sich hier wie dort um Durchquerungen von Räumen. Es geht nicht um einen spezifischen Ort mit seiner architektonischen Symbolik, mit seinem Herrschafts- und Ordnungsanpruch, mit seiner ästhetischen Dimension - sondern darum, wodurch diese Orte sozusagen bespielt werden und ob nicht etwas von diesem Bespielen der Räume gerade diese Räume zu negieren in der Lage ist.
Die vorgestellten Projekte verdoppeln also keineswegs Medieneffekte oder stehen in einem ursächlichen Zusammenhang mit DEREN Konsequenzen für Öffentlichkeiten. Eine Analogie der Konzepte kann allerdings zumindest hypothetisch formuliert werden - vor allem, um die Analyse und Kritik solcher Projekte aus dem Feld einer kunstorientierten Interpretation, d. h. aus einer gewissen Mechanik der Rezeption und ihrer Kategorien zu führen, die selbst dann noch das Werk suchen, wo es um Umgangsweisen mit öffentlichen Elementen, Elementen von Öffentlichkeit geht, darum, einen Spielraum zur Benutzung der aufgenötigten Ordnungen des Ortes einzuführen, Varianten im Verhältnis zu einer Art buchstäblicher Bedeutung, die durch das urbane System definiert wird.
Etwas, an dem sich (elektronische und digitale) Medien ohnehin nicht orientieren.
Der Text ist eine leicht veränderte Fassung des gleichnamigen Vortrags am Institut für Gegenwartskultur an der Akademie der bildenden Künste in Wien am 20. März 1995 im Rahmen der Ausstellung "17:48" von Schlegel/Teckert.
1 Michel de Certeau, Kunst des Handelns, Berlin 1988, S. 217f.
2 Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle. Understanding Media, Dresden-Basel 1994, S. 97.
3 Günther Anders, Kindergeschichten, 1956, S. 97, zit. n.: Sven Bormann, Virtuelle Realität. Genese und Evaluation, Bonn 1994.
4 Paul Virilio, Die Eroberung des Körpers, München-Wien 1994, S. 17.
5 Peter Weibel, Situation I, Kunstforum, Bonn 1974, zit. nach: Österreichische Hochschülerschaft (Hg.), Peter Weibel. An Annotated Videography 1969 - 1976, Innsbruck 1977, o. S.
6 Michel Foucault, "Andere Räume", in: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1991, S. 34-46, S. 39.
7 Michel de Certeau, Kunst des Handelns, S. 188.
8 Michel de Certeau, Kunst des Handelns, S. 188/89.
© Reinhard Braun 1995
erschienen in:
Akademie der bildenden Künste (Hg.), Schlegel/Teckert: 17.48, Wien 1996
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