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Texte


Reinhard Braun
Kunst zwischen den Medien (IV)

"Man braucht die Medien nicht mehr anzuschalten, weil man sich schon die ganze Zeit in ihnen befindet." (Agentur Bilwet)

Wenn man sich in Erinnerung ruft, dass die in dieser Serie bisher als Referenz benutzten Projekte aus durchaus verschiedenen Perspek-tiven Aspekte der Repräsentation bearbeiteten, wie verhält es sich dann "jetzt" - am Ende der 90er Jahre, gute 30 Jahre nach den Pionierprojekten einer "Medienkunst" im engeren Sinn - mit der Konstruktion von "realer Realität" und Medienrealität, mit der strukturellen Koppelung von Medien-Re-Präsentation und so etwas wie Wirklichkeiten? Welche Symptome und Leerstellen kennzeichnen jenen gegenwärtigen Medienverbund, innerhalb dessen das Subjekt möglicherweise nurmehr als "Schaltmoment" auftaucht - oder aber als Teil einer sich entwickelnden "kollektiven Intelligenz" (wie dies im ersten Teil im Hinblick auf verbreitete Cyber-Mythen vorangestellt wurde)? Was bedeutet es, von einer "Genealogie" zu sprechen, falls sich der Diskurs um Medien, Subjekte und Repräsen-tation (und Kunst) seitdem bis zur Unkenntlichkeit gewandelt hat?

Die Unkenntlichkeit der Genealogie hat möglicherweise mit einem Wechsel der Leitmedien zu tun; parallel dazu vollzog sich ein Wechsel in der Metaphorik, Medienverhältnisse zu kennzeichnen - und damit dem Subjekt ein bestimmtes Verhältnis gegenüber (oder in) den Medien zuzuweisen. Ließen sich die frühen Videoarbeiten etwa von VALIE EXPORT noch durch die analytische Bearbeitung von Repräsentationsverhältnissen kennzeichnen, die Bilder als in eine gesellschaftliche Topografie der Macht eingeschrieben verstand, so erscheint seit Mitte der 90er Jahre jede Repräsentation als Form der Zirkulation innerhalb von Medienverbundsystemen, allen voran: dem Netz (wie immer unterschiedlich aufgeladen dieser Begriff auch verwendet wird) - es fehlt quasi jedes Gegenüber, jedes mediale Andere, an dem sich die Kunst wie die Medientheorie sozusagen kritisch abarbeiten könnte, befinden wir uns doch die ganze Zeit in den Medien, ohne sie in irgendweiner Weise zu aktivieren. Der Bild-schirm als geradezu auratische Oberfläche im Benjaminschen Sinn (eine Anmutung der Ferne durch ein Nahverhältnis) konnte als gegenständliches Interface interpretiert werden, durch das die Medien "ihre" Interpretation der Welt verbreiten - Datenhandschuhe und schon Mäuse, vor allem aber Verbundsysteme von Computern entziehen sich solchen Ansätzen vollständig.

Doch angesichts der gewissermaßen historiografischen Perspektive dieser Serie blenden wir uns (allerdings nur scheinbar) aus aktuellen Verwicklungen aus und in "historische" ein: ARTEX (Artist's Electronic Exchange Program) wurde 1980/81 als Textprogramm dem kommerziellen Netzwerk "I. P. Sharp APL Network" implementiert und stellte weltweit eines der ersten von Künstlern regelmäßig benutzten und eingesetzten Netzwerken dar. I. P. Sharp besaß ein weltweit bestehendes Netzwerk von Terminals, die im Time-Sharing Verfahren mit einem Zentralcomputer in Toronto verbunden waren, der über die jewei-ligen Ortsleitungen zum nächsten I. P. Sharp Büro erreicht werden. Das ARTEX 1 Programm wurde vom I. P. Sharp Büro Wien (Gottfried Bach) in Zusammen-arbeit mit Robert Adrian und Bill Bartlett auf deren Initiative hin entwickelt und existierte bis 1991, bis IPSA von Reuters gekauft wurde.

Mit ARTEX entstand ein erstes Kommunikationssystem, das in der Folge die Grundlage für eine Reihe von Projekten bildete, die sich in gewisser Weise als Dialog mit dem System bezeichnen lassen bzw. als Kommunikation darüber, in welcher Form medienge-stützte Kommunikation immer als Dialog mit dem System bezeichnet werden muss (beispielsweise als bekanntestes Projekt "Die Welt in 24 Stunden" zur Ars Electronica 1982, weiters "La Plissure du Texte", zur "Electra 83", 1983, "Planetary Network", zur Biennale von Venedig 1986, um hier nur einige wenige zu nennen). 1983 wurde BLIX von Robert Adrian X und Helmut Mark als offene Gruppe gegründet, die sich je nach Projekt aus verschiedenen Teilnehmern zusammensetze; realisiert wurden u. a. eine Reihe von "Telefon-musiken", 1983, "Kunstfunk", 1984, und in Zusammenarbeit mit "Western Front" das Projekt "Wiencouver IV", 1983, das seit 1979 mittels verschiedener Medien - Mail Art, Telefax, Slowscan TV, Telefonmusik, Computer - "eine imaginäre Stadt, die zwischen ihren beiden Polen Wien und Vancouver unsichtbar im Raum schwebt" als kommuni-katives Handlungsfeld zu initiieren trachtete. Die Spur der Gruppe BLIX verliert sich in den 80er Jahren. In der Tradition dieser experimentellen Telekommunikationsprojekte stehen schließlich auch Arbeiten wie "Chipradio", 1992, "Realtime", 1993, bis hin zu "Horizontal Radio", 1995 zur Ars Electronica realisiert: "ein Utopos von Netzwerken, elektronischen Rezeptions-weisen und eine post-territoriale Gemeinschaft, deren Materialität ephemer bleibt, sich der räumlichen Einordnung entzieht und deren Gegenwart von ihrer Teilnahme statt von ihrem zufälligen Standort bestimmt wird." 2

Seit dem Ende der 80er Jahre prägte der Begriff vom "elektronischen Raum" die Vorstellung über das Potential und die Ambivalenz dieses Handlungsfeldes: ein Kommuni-kations-"Raum", der im Grunde auf der Negation von Raum und vor allem von Zeit beruht, sich zumindest jenseits von Territorien und Topografien ereignet, und der etwa von Robert Adrian X und Gottfried Bechtold als skulpturaler und auch politischer Raum verstanden wurde und wird (analog dazu hat etwa VALIE EXPORT den medialen Rapräsentationsraum als politischen verstanden). " (...) der relae Ort der Begegnung wird bei der Telekommunikation unwichtig, d. h. der topische Aspekt tritt in den Hintergrund gegenüber dem tele-topischen, die Einheit von Zeit und Ort teilt sich auf in Sender und Empfänger der Signale, die durch die Errungenschaften der elektromagnetischen Interaktivität gleichzeitig hier und dort sind." 3 Was hier als Raum, als Differenz und Gleichzeitigkeit von Hier und Dort beschrieben wird, als Raum, der aus einer Revidierung jeder Topografie und Topologie entsteht, erscheint vor allem als operative Fiktion eines gemeinsamen Realitätshorizontes. " Es handelt sich nicht um einen Platz in einer realen Ausdehnung, noch um Orte in imaginären Bereichen, sondern um Plätze und Orte in einem eigent-liche strukturllen, das heißt, topologischen Raum. Was struktural ist, ist der Raum, aber ein unausgedehnter, prä-extensiver Raum, reines spatium, das allmählich als Nachbarschaftsordnung herausgebildet wurde (...)." 4 Man wird sich also von der Metapher des Raumes verabschieden müssen, weil mit dieser Metapher Vorstellun-gen von Kontinuitäten mitformuliert werden, die in diesem neuartigen Feld gerade ausser Kraft gesetzt werden: eine Kontinuität zwischen Erscheinung und Wahrnehmung, zwischen Repräsentation und Rezeption, zwischen Aktion und Reaktion. "es ist die flüchtige, vergängliche unmittelbarkeit des austauschs, in der der sinn der arbeit liegt".5 Unmittelbarkeit beschreibt hier aber nicht eine Form der räumlichen, sondern einer operativen Koppelung. Wenn eingangs die Frage nach Öffentlichkeiten gestellt wurde, so kann man sich der Kritik von Oliver Marchart 6 anschließen und behaupten, die Herstellung einer Situation der Kommunikation bzw. des Austauschs bedeutet noch nicht, eine Form der Öffentlichkeit herzustellen. Demgegenüber muß hinzugefügt werden, daß, gerade weil es keinen "leeren Signifikanten" gibt, "das Netz" nicht als brachliegende Technologie verstanden werden kann, in der etwas passiert oder nicht (wie ein städtischer Raum, der nachts leer ist), sondern überhaupt nur in der aktiven Besetzung als Handlungsfeld entsteht, "deren Gegenwart von ihrer Teilnahme statt von ihrem zufälligen Standort bestimmt wird". Wenn auch die damit verbundenen Utopien einer "Global Community" vielfach überzeichnet sind, so treten seit den frühen 80er Jahren mit diesen Projekten als Dialoge mit und über "das System" Ercheinungsformen der Koppelung von Individuen qua Medien zutage, die sich gerade einer Beschreibung durch noch immer vorherrschende Diskurse über Gesellschaft, Politik und Öffentlichkeit entziehen. Möglicherweise spielt gerade diese Transgression in einen zwar nicht leeren, aber noch nicht hinreichend determinierten "Raum"/Signifikanten eine Rolle bei der anhaltenden Euphorie über das "Global Village. Die ebenfalls anhaltende Debatte darüber, welche Rolle medien-basie-rende Handlungsfelder - Netzwerke - im Rahmen zukünftiger gesellschaftlicher Entwick-lungen spielen werden zeigt jedenfalls, daß das Jahr 1982 zwar technologisch weit zurückliegt, medien- bzw. kulturtheoretisch aller-dings immer noch als Echtzeitphänomen gewertet werden kann.

1 ARTEX USER waren unter anderen: Robert Adrian X, Helmut Mark, Bill Bart-lett, Liza Bear, Sharon Grace, Gene Youngblood, Hank Bull, Kate Craig, John Southworth, Michael Goldberg, Norman White, Douglas Davies, Willoughby Sharp, Aldo Tambellini, Roy Ascott, David Garcia, Bruce Breland, Sarah Dickinson, Tom Klinkowstein, Eric Gidney, Gregory McKenna. Vgl. Robert Adrian X, "Kunst und Telekommunikation. 1979-1986: Die Pionierzeit", in: springer, Bd. 1, Heft 1/1995, S. 10-11, S. 10.
2 Timothy Druckrey, "Das Schicksal der Vernunft im globalen Netzwerk: Teleologie, Telegra-fie, Telefon, Television, Teleästhetik", in: Karl Gerbel, Peter Weibel (Hg.), Mythos Information. Welcome to the Wired World, Wien-New York: Springer 1995, S. 151-163, S. 152.
3 Paul Virilio, Revolutionen der Geschwindigkeit, Berlin: Merve 1993, S. 48.
4 Gilles Deleuze, Was ist Strukturalismus?, op. cit., S. 15.
5 Kunst Mikrokunst Makrokunst, Graz-Zagreb 1981, S. 34.
6 Oliver Marchart, New Genre Public Net.Art, in: Georg Schöllhammer, Hedwig Saxenhuber (Hg.), Ortsbezug: Konstruktion oder Prozess?, Wien: Edition Selene 1998.



© Reinhard Braun 1999

erschienen in:
springerin - Hefte zur Gegenwartskunst, Band V, Heft 2/1999



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