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Texte


Reinhard Braun

Gleichzeitiges Sichtbarmachen von zwei Raumsituationen bezogen auf die Galeriebesucher. Durch die Installation einer Videokamera außerhalb bzw. innerhalb der Galerie sehen sich die Galeriebesucher gleichzeitig hineingehen und herauskommen.(1)

In der Galerie ist ein TV-Gerät installiert, das einen Mann zeigt, der in einem Straßengraben liegt. Der Besucher glaubt, daß es sich dabei um ein eingespieltes Band handelt. Er realisiert nicht, daß der Künstler nicht weit entfernt tatsächlich in einem Straßengraben liegt und das Stück eine Übertragung darstellt. Vielleicht sieht der Besucher zufällig nach dem Verlassen der Galerie die wirkliche Situation.. [...] ein unentscheidbarer Fall innerhalb der Galeriesituation.(2)

Wenn im ersten Teil dieser Serie (vgl. springerin 2/98) danach gefragt wurde, welche Parameter für die Verschiebungen in der Konfiguration von Medien/Subjekt/Öffentlichkeit eine Rolle spielen beziehungsweise in welcher Form sie überhaupt Gegenstand einer archäologischen Untersuchung im Feld künstlerischer Medienprojekte werden können, so geraten wir dadurch unweigerlich zu Fragen der Darstellung und Repräsentation. Im Anschluß an Timothy Druckrey, der im Zusammenhang mit der techno-kulturellen Entwicklung insgesamt von einer "Virtualisierung der Repräsentation"(3) spricht, läßt sich festhalten, daß seit Ende der sechziger Jahre zahlreiche künstlerische Strategien im Feld von Medien - wobei dieser Begriff hier zugegebenermaßen theoretisch konturlos bleibt und als quasi pragmatische Metonymie für technische Medien dient - gerade an Fragen der Repräsentation beziehungsweise ihrer Virtualisierung, sprich: Mediatisierung, interessiert waren(4) - Prozesse, die als gleichzeitig medienimmanent und kulturell wirksam zu beschreiben versucht wurden.

Im eingangs skizzierten Dreiecksverhältnis von Kamera, BesucherInnen und Monitor ist bereits eine paradigmatische Konstellation beschrieben, die einen medientechnisch generierten Wahrnehmungsraum schafft - einen Medienraum, der als Verschaltung von Wahrnehmungs-, Bedeutungs- und Vorstellungsräumen realisiert ist. Dies bezieht sich auf Repräsentationsverhältnisse, in denen das Bild nicht primär den Ort einer Abbildung markiert, sondern einen Ort, an dem sich das Mediensystem (hier Video) mit dem Realraum und der Realzeit sozusagen "verschlingt". Repräsentation heißt ja niemals nur, einen Gegenstand - modifiziert oder wie auch immer bearbeitet - erneut zu präsentieren, sondern vor allem auch, ein Verhältnis zum Repräsentierten herzustellen. Die Closed-Circuit-Anordnung läßt sich nicht einfach als Apparatekonstellation, als Installation, abhaken, zumal sie immer auch als epistemische Figur bezeichnet werden kann, die einen Gegenstand in ein spezifisches Verhältnis zu seiner Reproduktion setzt. Und der ebenfalls eingangs zitierte "unentscheidbare Fall innerhalb der Galeriesituation" spiegelt die mit dieser epistemischen Anordnung von Raum, Zeit und Bild einhergehende Konfusion der Schauplätze wider: eine spezifische - hier videotechnische - Medienlogik, die Ereignisse, Handlungen und auch Räume nicht nach Kategorien einer subjektorientierten Wirklichkeit organisiert, sondern ausschließlich nach den logischen Strukturen der Medien selbst (weshalb Friedrich Kittler immer wieder von der "menschenabgewandten Seite" der Technik spricht).

Wenn im Rahmen der gegenwärtigen hochmediatisierten kulturellen Verhältnisse Subjekt und Medien quasi umeinander kreisen, dann erscheint dieser Kreislauf - ein Closed-Circuit im Bereich der Videokunst - sozusagen als Anschluß einer Operation/eines Ereignisses an sich selbst: als eine Form der Rückkoppelung, die nicht nur eine Selbstreflexivität der Handelnden ermöglicht - eine positive Utopie der Videokunst der siebziger Jahre -, sondern gleichsam eine Reflexivität des Realen selbst: "Dadurch kehrt sich derjenige Raum, in dem bislang das Reale und das Bild umeinander kreisten, um in eine wechselseitige Anziehung beider."(5) Der visuelle und zeitliche Zugriff auf Wirklichkeiten eröffnete nicht nur neue Formen von Darstellungen oder neue Formen von Wahrnehmung der Wahrnehmung selbst, sondern eine für "damalige Verhältnisse" neuartige Integration des Realen in den Kontext einer Darstellung.

Die theoretische Literatur zu dieser Frage spricht, etwa in bezug auf die Fotografie, von einer "Heterotopie" (Andreas Broeckmann), von "Bildschirm" und "Blickregime" (Kaja Silverman im Anschluß an Jacques Lacan), von der Genese der "Techniken des Sehens" (Jonathan Crary), von den vielfältigen Revisionen jenes fotografischen "Schnitts in den Referenten" (Christian Metz) und von der dadurch vollständig revidierten "Instanz des Sichtbaren", die Subjektivierung überhaupt erst ermöglicht, da, wie Roland Barthes es ausgedrückt hat, wir "nur als Bild erscheinen oder zum Vorschein gebracht werden", wirklich also immer nur ist, was sich im Rahmen eines Repräsentationssystems generieren läßt (vgl. Herta Wolf, Michael Wetzel). Um wieviel mehr spiegeln sich in diesem medientechnisch generierte Kurzschluß zwischen Erscheinung und Widerbild nicht nur die Mechanismen der Subjektkonstitution wider, sondern vielmehr jene privaten wie öffentlichen Räume, in denen so etwas wie Subjektivität überhaupt zur Erscheinung kommen kann (das heißt, Wahrnehmung und Repräsentation stattfinden können)? In seinem Buch "Audiovisionen" rekonstruiert Siegfried Zielinski minutiös die Entstehungsgeschichte des Kinos, das heißt, die im Medium Film auftauchende neuartige Objektivierung der Zeitorganisation, um im letzten Kapitel - "Nicht mehr Kino, nicht mehr Fernsehen" - den Übergang zu den digitalen Medien zu beschreiben, zu einem "intergrierten System", dessen Herzstück "ein tendenziell globales Netz aus Glasfasern mit Satellitenverbindungen" darstellt, "durch das die Datenströme mit unterschiedlichem Informationsgehalt in egalisierter Form fließen." Video kommt nicht einmal als Zwischenspiel vor.

"Nicht als Vehikel eines Inhalts, sondern durch die Form und Operation selbst induzieren die Medien ein gesellschaftliches Verhältnis [...]".(6) Die Formen und Operationen, mit denen sich Video in ein Verhältnis zur Welt setzt, das wie bei jedem anderem Medium nur als eines der Aneignung beschrieben werden kann, lassen sich durch eine Terminologie kennzeichnen, die an Diskurse über das Digitale erinnert: zeitbasierend - "Projektion statt Mimesis. Projektion meint hier vor allem auch: räumlich-zeitliche Darstellung, die den Betrachter in die ästhetische Produktion einbezieht"(7) -, dislokativ und diversifizierend - eine variable und manipulierbare Kollision von Signifikanten -, multiperspektivisch - ein Bildraum, der keinen verbindlichen perspektivischen Horizont aufweist, sondern ein Szenario von Sequenzen verschiedenster Herkunft, die einander überlagern, auslöschen und eine Informationstechnik kontextloser Details in Szene setzen -, repetitiv, rekursiv und selbstbezüglich.(8) Deshalb läßt sich auch Video, und nicht nur das digitale Bild, als repräsentative Semantisierung von Wahrnehmungsgegenständen bezeichnen, als spezifisch semiologische Deduktion eines Bildes der Welt: eine Interpretationsform des Realen, deren theoretischer Gehalt eine eminente Rolle in der Analyse kultureller Bildverhältnisse spielt, gerade weil dabei Repräsentationsverhältnisse im Mittelpunkt stehen.

Geht es hier um die - dem Umfang entsprechend kursorische und skizzenhafte - Genese medienkünstlerischer Projekte, so stellt sich die Frage, inwiefern darin jene "kulturelle Befindlichkeit" augenscheinlich wird, die dadurch gekennzeichnet ist, daß das Reale und die medientechnische Verdoppelung beziehungsweise Aneignung strukturell aneinander gekoppelt sind. Bereits in video-orientierten Projekten finden sich zahlreiche Indizien dafür. Diese müssen aber erst noch in das umfassendere Projekt einer Rekonstruktion technoider Repräsentationsformen in der Kunst integriert werden, zumal sie dort größtenteils lediglich als Leer- und Fehlstelle präsent sind.

1 Teil der Ausstellung "Life/Video/Sound/Polaroid" von Richard Kriesche, Neue Galerie Graz, 1973.
2 Peter Weibel: An Annotated Videography 1969 - 1976. Innsbruck 1977, o. S. Die Beschreibung bezieht sich auf das Projekt "Situation I" im Kulturforum in Bonn 1974, das auf eine Idee aus dem Jahr 1970 zurückgeht und in einer Abwandlung der zitierten Konstellation realisiert wurde.
3 Timothy Druckrey: "C++". In: Netzkritik. Berlin 1997, S. 125.
4 Beispiele dafür sind Peter Weibel: "Abbildung ist Verbrechen", 1970; "Imaginäre Video-Wasser-Skulptur", 1971; "Die Eroberung der Natur", 1973; "Die erlaubte Reflexion", 1977; Richard Kriesche: "Inside - Outside", 1973; "Malerei deckt zu - Kunst deckt auf", 1977; "Zwillinge", documenta 6 (1977) und schließlich zahlreiche Arbeiten von VALIE EXPORT, wobei es bei ihr von Beginn an um Verknüpfungen mit feministischen Ansätzen ging (vgl "Raumsehen und Raumhören", 1974; "Zeitlücken Raumspalten", 1973).
5 Edmont Couchot: "Die Spiele des Realen und Virtuellen". In: Gumbrecht/Pfeiffer (Hg.): Materialität der Kommunikation. Frankfurt/M 1988, S. 348.
6 Jean Baudrillard: "Requiem für die Medien." In: ders.: Kool Killer. Berlin 1978, S. 90.
7 Norbert Bolz: Am Ende der Gutenberg-Galaxis. München 1993, S. 160.
8 Deutlich ablesbar an der Videoarbeit "The Endless Sandwich" von Peter Weibel aus dem Jahr 1970 oder an der Fernseharbeit von Richard Kriesche, "Die Nachrichten von gestern mit den Nachrichten von heute mit den Nachrichten von morgen" (1981).



© Reinhard Braun 1998

erschienen in:
springerin - Hefte zur Gegenwartskunst, Band IV, Heft 3/1998



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