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Texte


Reinhard Braun
Kunst zwischen Medien (1)

"Menschen sind heute nicht mehr Werkzeugbenutzer, sondern Schaltmomente im Medienverbund. Deshalb setzen sich immer mehr Computermetaphern für Selbstverhältnisse durch - wir rasten in Schaltkreise ein. Die Bedingung dieser neuen Medienwirklichkeit liegt in der physiologischen Analysierbarkeit und physikalischen Rekonstruierbarkeit des Zentralnervensystems. Das ZNS erscheint als Steuerungssystem eines gigantischen Datenprozesses, das eine stabile Wirklichkeit errechnet. Wenn aber schon das menschliche ZNS Wirklichkeit 'computiert', ist es nur konsequent, das menschliche Urteil über computergestützte Modelle zu vermitteln. An dem schon heute klar erkennbaren Endpunkt dieser Entwicklung wird die Datenverarbeitung ohne Menschen stehen: Schaltkreise implementieren ihre syntaktischen Regeln, das Programm ersetzt die Urteilskraft. Die alteuropäische Frage nach dem Geheimnis des menschlichen Geistes hat dann eine sehr profane Antwort gefunden: Speichern und Manipulieren von Datenketten."1

"Es gibt kein anderes Interesse, eine virtuelle Gemeinschaft zu bilden, als sich dem Ideal des intelligenten Kollektiv anzunähern, als phantasievoller und schneller zu erlernen und zu erfinden. Der Cyperspace ist nur der unvermeidliche Umweg, um zu einer kollektiven Intelligenz zu gelangen."2

Die Medienlandschaft und ihre Topografie bzw. Topologie scheint gegenwärtig ausschließlich durch die Metaphern des Computers und des Netzes bzw. der Kommunikation bestimmt - soviel in den 80ern Jahren über Bilder gedacht und geschrieben wurde, sosehr scheinen sie heute geradezu gegenstandslos im buchstäblichen Sinn zu sein: diejenigen Konfigurationen, die es darzustellen, zu operationalisieren gilt, handeln von "episteme", von Sprache und Gedächtnis und nicht (mehr) von Visualität - gespeichert wird nurmehr Information und diese erscheint grundsätzlich nicht ikonisch. Kultur ist dann auch keine Frage von Ästhetik mehr, ja nicht einmal mehr von Semiose im engeren Sinn (der ständigen Umwandlung von Signifikanten in Signifikate), sondern von Informationsverarbeitung, von Signalprozessierung, von "Übertragung, Speicherung, Verarbeitung"3, von "Klartext", wie es Friedrich Kittler ausgedrückt hat.4 Und die Verengung jedweder Signalprozessierung auf die Manipulation digitaler Codes schließlich lassen "die Medien" als hypertrophes "Tableau"5 erscheinen, auf dem sich alles berühren kann, sprich: der post-diskursiven Zerstreuung6 von Kultur in zahllose diffundierende (d. h. nicht ohne weiters abgrenzbare) Mikrodiskurse, -ethiken, -politiken, und -stile steht offensichtlich ein Horizont der Homologisierung von Kultur(en) gegenüber, ein Horizont, auf den scheinbar alle diese Differenzen projiziert und vor dem sie scheinbar auch verhandelbar werden - so will es jedenfalls eine weitverbreitete Praktik medientheoretischer Metaphorisierung kultureller (und auch künstlerischer) Diskurse (deren Kritik selbstverständlich ebenso präsent ist7).

Es soll in der folgenden Serie aber weniger um eine neuerliche Kritik dieser Homologisierung gehen (die, wie etwa Hartmut Winkler zu zeigen versucht hat, auch einer entsprechenden Wunschökonomie folgt8), vielmehr wird anhand von (mittlerweile als historisch zu bezeichnenden) österreichischen Medienprojekten vor allem der 70er Jahre zu zeigen versucht, wie zum einen zahlreiche einer gegenwärtigen Mediendiagnostik zugrundeliegenden Ansätze, Positionen und auch Schlußfolgerungen bereits in medienorientierten künstlerischen Praktiken jener Zeit "vor dem digitalen Bild"9 eine Rolle spielten, Denkfiguren, Praktiken und Perspektiven, die zwar die künstlerische wie die theoretische Beschäftigung mit Medien in Österreich nachhaltig beeinflußt und mitdefiniert haben, die aber, da sie bis heute nicht zusammenhängend dokumentiert und bearbeitet sind, kaum eine Rolle in aktuellen theoretischen Diskursen spielen. In gewissem Sinn handelt es sich also um eine medienarchäologische Arbeit, um die Skizze einer "Genealogie"10, nicht einer Entwicklung, denn was dabei (möglicherweise) zu Tage tritt, ist keine Kontinuität von Fragestellungen oder Weiterführungen von (ästhetischen, kritischen) Konzepten (und auch keine euphorische Geschichte von avantgardistischen Vorwegnahmen), sondern eine durchgehende Verschiebung der (künstlerischen wie theoretischen) Diskurse selbst: denn zum anderen haben nicht nur die Ansätze oder "die Medien" (teilweise) gewechselt, die Begrifflichkeiten selbst (bzw. vielmehr die Signifikanten und damit jede Wahrnehmung von "Welt") sind eminenten Transformationen unterzogen worden. Wir sprechen heute von anderen Medien, von einer anderen Öffentlichkeit und verfolgen vor allem andere Konzepte der Repräsentation, eines Realen und von Gesellschaft und Sozietät, wenn wir an "Medienrealitäten", ihre Effekte und ihre Re-Konfiguration der Kultur denken. "Es geht um das Modell, das unaufhörlich entsteht und einstürzt, und um den Prozeß, der unaufhörlich fortgesetzt, unterbrochen und wieder aufgenommen wird."11 - Modelle und Prozesse, deren gemeinsamer Hintergrund als Arbeit an einem sich ständig veränderndem Repräsentations- und Vermittlungsmodell von "kulturellen Tatsachen" (im weitesten Sinn) gedacht werden könnte.

Wenn es aber stimmt, daß kein Gegensatz zwischen Subjekt/Sozietät und Medien konstruiert werden kann, weil es sich dabei um eine prinzipielle kulturelle Konfiguration handelt, um einen Diskurs, wenn man so will, in dem Subjekt und Medien beständig umeinander kreisen, "Welt" sich nur als mediatisierte denken und entwerfen läßt, dann könnte eine solche Archäologie nicht nur künstlerische Positionen wieder ins Spiel bringen, sondern vor allem Ansätze für eine Konturierung von Verschiebungen in dieser Konfiguration leisten (durch die erst so etwas wie kulturelle Tatsachen produziert wird). Welche Parameter aber spielen bei diesen Verschiebungen ein Rolle? Um welche Konfigurationen handelt es sich? "Falls es überhaupt einen gemeinsamen Nenner der postmodernen Diskurse gibt, so den, daß mit dem Aufstieg eines Modells der (natur-) wissenschaftlichen Visualisierung der Verlust eines jeden totalisierenden Modells, der 'wirklichen' Welt wie deren Repräsentation, einhergeht."12 Was also kulturell der Fall ist, unterliegt nicht nur einer ständigen Veränderung, es ist immer auch zugleich Resultat verschieden strukturierter (medientechnischer) Zugriffe auf das "Reale". Und um die Differenzen in der Konstruktion von "realer Realität" und Medienrealitäten auf der Basis unterschiedlicher Medientechnologien (d. h. immer auch: unterschiedlicher kultureller Konfigurationen) wird es vor allem gehen.

Konzipiert Gottfried Bechtold 1972 einen "Medienkoffer", dann erscheint dieser im Wesentlichen als ein konzeptualisiertes Objekt, welches eine Reihe von Materialien und Medien zusammenfaßt, mittels deren sich der Künstler auf Welt bezieht, diese kritisiert oder analysiert, die also eine medientechnische Rahmung der Welt zwar anzeigen, diese aber immer noch der Verfügung eines Subjekts unterstellen. Kein Netzwerk determiniert dieses künstlerische Subjekt als "Schaltmoment", d. h. als implizite Komponente einer durchgängigen Medienrealität. Und wenn Richard Kriesche 1975 in einer Aktion im Kölnischen Kunstverein mit dem Titel "TV-Tod" (Videodemonstration Nr. 11) eine Geste Wolf Vostells - die "Tötung" des Mediums Fernsehen - wiederholt, diese Geste zugleich aber medientechnisch vermittelt einer Reihe von Zuschauern präsentiert, dann zeigt sich auch hier, daß technologisch avancierte Mediendiskurse in jedes Verständnis des Realen (oder besser, des Reellen, wie es Kittler bezeichnet hat13) intervenieren, d. h. vor allem in jene Verhältnisse, die einen Konsens über die Wahrnehmung dieses "Reelen" überhaupt erst herstellen, doch agiert auch hier der Künstler in einem Raum quasi jenseits der Medien, aus dem die Immanenz der Apparatur kritisierbar, d. h. zugleich: revidierbar erscheint. "Da die Videomaschine nur abbildet, repräsentiert sie selbst ein bestimmtes Bild des Menschen von der Welt. Mit der Art, wie sie die Welt abbildet, repräsentiert sie sich selbst als Syntax zu einem Verständnis der Welt."14 Das Medienbild - ungeachtet seines jeweiligen technischen Profils - ist damit aber immer schon schon eine Syntax des Zugriffs auf die Welt beschrieben. Diese Formulierung verdeutlicht somit exemplarisch das eminente Interesse am (neuen) elektronisch-medialen Bild als ein einer spezifischen Logik verpflichteten Neu-Formierung auch des "Reelen" (als auch gesellschaftliches "Reales") - Kultur wird insgesamt als von Medienrealitäten interferiert gekennzeichnet. "das elektronische bild, das das gegenbild (auch im weitesten sinne verstanden) nicht zuläßt, löst in der realitätsverdoppelung das konzept von der einen wirklichkeit genauso auf, wie es in der wirkungsweise den raum durch die hereinnahme der zeit auflöst. (...) in dieser elektronischen doppelwirklichkeit ist das mittel untrennbar mit der darstellung verknüpft."15 Bevor noch alle Bildpunkte einer Manipulation unterworfen werden konnten, positionierte sich das elektronische Bild (Video) schon als paradoxes Bildfeld, das sich zwar noch immer mit einem "Reelen" einläßt, dieses aber in eine eigentümliche Ko-Präsenz mit seiner medialen "verdoppelung" zwingt. Es zeigt sich also, daß es bei dieser Perspektive auf Mediensysteme (noch) nicht um schillernde Begriffe wie "Konnektionismus, Parallelismus, Nanotechnolgie, assoziative Systeme, fuzzy logic, Chaos (-theorie), monopolisierte oder frei zugängliche Computernutzung, Immersion, Interaktivität, Hypermdedien, Biocomputing, Netzwerkarbeit, intelligente Technologie"16 usw. geht, sondern prinzipiell um die Analyse und/oder Kritik eines neuartigen "Gefüges"17 von Kultur, in dem nun ein "Reales" und seine medientechnische Verdoppelung nicht mehr nur referentiell gekoppelt sind (wie etwa bei der Fotografie), sondern zeitlich und damit strukturell. Die (symbolische) Tötung des Mediums und die Vermittlung dieses (rituellen) Aktes auf der Oberfläche des Bildschirms selbst versucht, in diese Situation der Dissimulation18, als die sie beschrieben werden muß, punktuell zu intervenieren, den Konnex zwischen Realem/Reelem und Medienbild auszusetzen - ein Ritual, das diesen Konnex allerdings doch nur zu befestigen scheint und ihn als entgrenzten und exzessiven "Diskurs" der Erfassung, Vermessung, Aufzeichnung und Darstellung ausweist, als eine epidemische systeminterne Re-Präsentation eines Realen, wie es sich bis dahin zeigte durch ein operativ geschlossenes, maschinelles, informationelles Gefüges, ein Gefüges, das einen parallelen Diskurs19 in Gang setzt, in Gang hält, in vielfältiger Weise in zahllose andere "Diskurse" einschleust, bis wir schließlich gegenwärtig von einer (durch noch ganz andere Medien) vollständig mediatisierten Kultur sprechen (ein Diskurs, um dessen Genealogie es im wesentlichen gehen wird).
Auf diesen Umstand deutet möglicherweise auch schon die "Circle Connection" von Gottfried Bechtold von 1973 hin: so, wie die Telefone untereinander verschaltet werden, gibt es keinen Raum mehr für ein handelndes Subjekt - die Apparate kommunizieren quasi untereinander.

1 Norbert Bolz, Am Ende der Gutenberg-Galaxis. Die neuen Kommunikationsverhältnisse, München 1993, S. 116
2 Pierre Lévy, "Cyberkultur. Universalität ohne Totalität", in: Telepolis 0/1996, S. 5-33, S. 25.
3 Friedrich Kittler, "Vorwort", in: ders., Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, Leipzig 1993, S. 8-10, S. 8.
4 Friedrich Kittler, "Die Welt des Symbolischen - eine Welt der Maschine", a. a. O., S. 64 und 75, oder, wie er es an anderer Stelle bezeichnet hat: als reine "écriture", "als Schrift ohne Autor.", in: ders., "Romantik - Psychoanalyse - Film: eine Doppelgängergeschichte", in: ebda., S. 96.
5 Mit Bezug auf Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge, Frankfurt/M. 1974, S. 109, 252, 360.
6 Vgl. dazu: Reinhard Braun, "Vom Diskurs zur Differenz zur Zerstreuung", in: Werkstadt Graz (Hg.), Almanach 1997, in Vorbereitung.
7 Vgl. dazu etwa: nettime (Hg.), Netzkritik. Metarialien zur Internet-Debatte, Berlin 1997; BüroBert, minimal club, Susanne Schultz, gerld.beat.synthetik, Berlin 1996, oder: Hartmut Winkler, Docuverse. Zur Medientheorie der Computer, Boer Verlag 1997.
8 Hartmut Winkler, op. cit., S. 10ff.
9 Reinhard Braun, "Vor dem digitalen Bild", in: Medien.Kunst.Passagen 4/1994, S. 7-16.
10 Auch dieser Begriff stammt von Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt/M 1991, S. 39f.
11 Gilles Deleuze, Félix Guattari, Kapitalismus und Schizophrenie. Tausend Plateaus, Berlin 1992, S. 35.
12 Timothy Druckrey, "C++", in: Netzkritik. Materialien zur Internet-Debatte, Berlin 1997, S. 120-126, S. 125.
13 Friedrich Kittler, a. a. O., S. 65f.
14 Richard Kriesche, (o. T.), in: pool (Hg.), Video End, Graz 1976 (= pfirsich 16/17/18), S. 73-79, S.79.
15 Richard Kriesche, Katalog zur "documenta 6", Kassel 1977, Bd. 3, S. 310.
16 Timothy Druckrey, "C++", a. a. O., S. 128.
17 Ein von Deleuze/Guattari entlehnter Begriff, vgl. op. cit. S. 12f.
18 Vgl. Jean Baudrillard, Agonie des Realen, Berlin 1978, S. 15f. "Dissimulation: die Verstellung, die Verstellungskunst, die Verheimlichung, die Verbergung, das Verhehlen, die Verschleierung; von lat. dissimulation: das Unähnlich- oder Unkenntlichmachen, die verkleidung, die Maskierung, die Verstellung, der Schein, die Verheimlichung." "Der entscheidende Wendepunkt liegt bei dem Übergang von den Zeichen, die etas dissimulieren, zu den Zeichen, die dissimulieren, das es nichts gibt."
19 "Medien sind keine Träger von kulturellen oder ideologischen Werten. Sie transportieren keine Botschften von A nach B, sondern bilden eine eigene, parallele Welt, die die klassische Realität nie streift." Agentur Bilwet, Medien Archiv, Düsseldorf 1993, S. 14.



© Reinhard Braun 1998

erschienen in:
springerin - Hefte zur Gegenwartskunst, Band IV, Heft 4/1998



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