TexteReinhard Braun |
Markus Schinwald Eines der zentralen Phantasmen der Moderne dreht sich um den Körper, nicht zwingend um dessen sexuelle oder geschlechtliche Konnotationen, sondern in einem sehr grundsätzlichen Sinn um den Konstruktionscharakter des Körperlichen. Die allermeisten technologischen Entwicklungen – von der Eisenbahn bis hin zum Telefon oder dem Fernsehen – lassen sich in mehr oder weniger direkter Weise auf diesen Körper der Moderne beziehen: seine Beschleunigung, seine Koppelung, seine Transzendierung, Erweiterung, Aufrüstung. Im Rahmen dieses modernen Zugrffs auf den Körper erscheint dieser immer mehr veränderbar und wird in – nicht nur künstlerisch – inszenierten Handlungsumgebungen und Versuchsanordnungen der Grenzüberschreitung zwischen Realität und Fiktion neu entworfen. Der Körper scheint mit der Moderne zu einer verfügbaren Sache geworden zu sein, und noch Judith Butler insistiert auf der Performativität der sich als Körper in Szene setztenden Identität des Subjekts, ganz zu schweigen von der massiven Kybernetisierung und damit radikalen Re-Konstruierbarkeit des Körpers bei Donna Haraway. Der Körper wird zu einer Projektionsfläche des Begehrens der Autonomisierung des Subjekts, seine Diskursivierung zeugt ganz allgemein davon, dass der Körper ein Zeichen für die Kontingenzerfahrung der Moderne geworden ist. Ständig zwischen Unterwerfung und Aufbegehren oszillierend, von der Macht gekennzeichnet, die durch die Körper hindurchgeht, wie es Foucault formuliert hat, ästhetisch aufgerüstet, wovon die zahllosen Operationen zeugen, die ihnen die Medizin mittlerweile zuzufügen imstande ist, oder verkommen zu einer lebendig-toten Kunstfigur: in jedem Fall sind die Körper Texte, die sprechen, Botschaften vermitteln und schließlich von einer beispiellosen Mobilmachung gekennzeichnet und gezeichnet sind, wovon nicht zuletzt die aktuelle Fashion-Industrie ergriffen zu sein scheint. Den Körper unter seinen verschiedenen Zugriffen und Repräsentatonen zu einem Gegenstand aktueller künstlerischer Praktiken zu machen, bedeutet daher stets mehr, als nur die Diskurse seiner/ihrer aktueller Kenn- und Verzeichnung zu thematisieren: Mode, Popkultur, Massenmedien, der Film, selbstverständlich, der Krieg usw. Diese Thematisierung beinhaltet immer auch eine Abarbeitung an der Moderne und ihren Phantasmen, und das zu einer Zeit, da die Rhetoriken der Postmoderne-Debatte ein wenig in die hinteren Ränge der Galerie verwiesen wurden und die Phasen der Repolitisierung der – künstlerischen -- Diskurse das argumentative Potential der Moderne wiedererweckt haben. Mit dieser Debatte um den Körper ist aber natürlich auch die Diskussion um die "Spiegelung" von Medien und Subjekt eröffnet – nicht umsonst steht im Mittepunkt des Lacanschen Spiegelstadiums die Halluzination einer Vollständigkeit des eigenen Körpers qua Medium, dass wir uns also angesichts der Bilder unserer Identität versichern, uns über Bildmedien komplettieren und es also die Bilder sind, die sowohl den Körper wie dessen Unversehrteheit – oder aber dessen Temporalität und Fragwürdigkeit – konstruieren. Der Körper ist ein unausgesetzt aktualisierter "Ort", an dem das Subjekt zugleich in seiner Identität und seiner Instabilität und Transversalität konstituiert wird. "Dass Subjektivität und Welt sich widerspiegeln, und darüber erst begründen, ist also kein Merkmal unserer Epoche. Epochenspezifisch sind die Bedingungen, zu denen das geschieht: Die Darstellungslogik, die unseren Blick auf die Objekte bestimmt und die Gestalt, die wir selbst annehmen, sowie der Wert, den ein inzwischen komplexer organisiertes visuelles Feld diesen Darstellungen beimisst. (...) Es klingt vielleicht überraschend, aber es ist [die Fotografie], die den grössten Einfluss darauf hat, wie wir das Gespiegeltwerden (er)leben." (Kaja Silverman) Die Arbeiten von Markus Schinwald scheinen jedenfalls beständig diese Themenkomplexe rund um den Körper als kulturelles Konstrukt aufzugreifen und aufzuwerfen, zu aktualisieren und vor allem zu kontextualisieren. Von den "Sneakers", "Low Heels" und "Flatfooters" (1998), über "Dictio Pii" (2001) und den "Contortionists" (2003), bis hin zum Film "1st Part Conditional" (2004) zeigt sich die Obsession am Körperlichen als einer Materialität des Individuellen und Psychischen. Dabei handelt es sich um Projekte über Mode, um skulpturale Überarbeitungen von modischen Konsumartikeln, vor allem von Schuhen, einerseits, um filmische Arbeiten andererseits. In beiden Fällen, den Objekten wie den Filmen, scheinen die Untragbarkeit der Mode einerseits und die zum Teil abenteuerlichen Bewegungen der Körper in den Filmen andererseits auf eine grundsätzliche Störung zu verweisen. Diese Störung kennzeichnet die Personen wie die Gegenstände: einmal sind es dysfunktionale Versatzstücke der Mode (Schuhe ohne Absätze oder als sich um den Fuß zu schnallender Absatz), die die potentiellen TrägerInnen zu geradezu unmöglichen Haltungen und Bewegungen zwingen, zum anderen sind es die autistischen Rituale der filmischen Protagonisten angesichts eines Anderen, das Unerreichbar scheint, die diese Störung anzeigen. "We are deranged", heißt es am Ende jeder der fünf filmischen Episoden in "Dictio Pii", Und zuvor: "we are (...) unfamiliarised with isolated activity" und "we don't take from anyone". Diese Vereinzelung in einem unerklärlich artifiziellen Zustand der Protagonisten, die stark an David Cronenbergs "Naked Lunch" erinnert (ohne dessen delirierende Drogenzustände zu evozieren), geht über die Arbeiten, die sich mit dem Feld der Mode beschäftigen, in ihrer radikalen Psychologisierung hinaus. Richten sich die Mode-orientierten Arbeiten auch in ihrem Dispositif auf die Welt der Mode – die Inszenierung eines Schuhladens im Ausstellungsraum (Kunst-Werke, Berlin 1999), d. h. das Prinzip der Wiedererkennbarkeit in der Umdeutung erhaltend, den "Glamour" zitierend – so zeigen sich die Filmarbeiten in ihrer formalen Struktur als rhythmisierte Langsamkeit, präzise komponierte statische Einstellungen, durch punktuelle Eruptionen von Bewegung und/oder Schnitt akzentuiert. Die als erweiterte Mode erscheinenden Gegenstände – ein kompliziertes Gestell zur Fixierung des Kopfes, ein am Rücken geschnürtes Sakko wie in "Dictio Pii" – sind kaum als Versatzstücke des Glamour zu lesen, sondern als verstörende Eingriffe in die Konstitution der Figuren, ihre Haltung bestimmend und damit auch ihre Handlungsmöglichkeiten definierend und beschränkend. Es scheint also überlegenswert, eine Formulierung wie "We are deranged" sozusagen rückwirkend als Statement auch über jene Projekte zu lesen, die sich scheinbar leichtfüßig durch die Kontexte von Mode, Popkultur, Jugend, Erotik, urbane Lässigkeit, Fetisch, und Werbung bewegen. Wenn die Fetischisierung des Konsumobjekts auf die Spitze getrieben wird, wie in "Sneaker", einem "Turnschuh", dessen Obermaterial aus Schlangenleder gefertigt zu sein scheint, dann wird möglicherweise gerade durch die offensichtlich konsumkritische Oberfläche dieses Objekts die Radikalität dessen maskiert, was dadurch in Frage gestellt wird: die kulturelle Überarbeitung der Körper, ihre Rahmung durch symbolische Codes und kulturelle Standards – und dies als etwas, das auch nicht von einem kritischen oder ironischen Konsum, sofern es dies geben könnte, eingeholt und ins Gegenteil verkehrt werden kann. In den filmischen Arbeiten scheint diese Form der Unumkehrbarkeit der Künstlichkeit des Körpers und damit des Sozialen dramatischer inszeniert, lässt sich jedoch auch an einer Arbeit wie dem "Jubelhemd" (1996), das zu den bekanntesten Arbeiten Markus Schinwalds gehört, aufzeigen: durch den Zwang, in eine Rolle gedrängt zu werden und vollständig der modischen Intervention unterworfen zu sein. Es scheint in jedem Fall naheliegend, die verschiedenen Projektgruppen, wenn sie denn als solche zu beschreiben sind – die Objekte, die Fotografien, die Stiche, die Filme, ohne Markus Schinwald auf diese Genres reduzieren zu wollen, erarbeitet er doch unter anderem auch austellungs- und kontextspezifische Installationen – jeweils gegenseitig querzulesen: in "Dictio Pii" erscheint eine Art "Lachprothese", die, in die Mundwinkel eingehängt und über den Hinterkopf gezogen, den Träger in ein beständiges Lächeln zwingt; diese Prothese erscheint auch in einigen überarbeiteten historischen Stichen, etwa in "Untitled (Radetzky)" (2002). Im Hinblick auf die bereits erwähnten überarbeiteten Modeobjekte bis hin zum "Jubelhemd" zeigt sich, dass die Gegenstände wie die Körper und Subjekte, die diesen Gegenständen unterworfen sind, von einer Unausweichlichkeit ihrer Konjunktion gekennzeichnet sind. Schinwald überarbeitet die Stiche nicht grafisch oder malerisch, er scannt die Vorlage und interveniert auf der digitalen Ebene in dieses "neue Original". Das erscheint bemerkenswert insofern, als die Intervention sozusagen maskiert wird durch ihre scheinbare ursprüngliche Präsenz im Bild. Diese Dinge, Prothesen, Masken, Perücken, Mieder etc. sind somit nichts, das dem Bild "eigentlich" hinzugfügt wurde – sie waren sozusagen immer schon da, wie das "Jubelhemd" und die "Low Heels"; auch diese fügen den Modekontext nichts hinzu, scheinen sie diesem doch sozusagen immer schon eingeschrieben gewesen zu sein. Vor allem in "Dictio Pii" findet sich darüberhinaus auch kein Auflehnen der ProtagonistInnen gegen ihre Prothesen, Schnürungen, klaustrophobischen Zuständen – sie fügen sich in diese Künstlichkeit als Wirklichkeit, wie die Kinder in "childrens crusade" (2004) dem Rattenfänger, der eigentlich eine Marionette ist, folgen. Und, wie die überarbeiteten Stiche zeigen, verfolgt Schinwald diese unhintergehbare Konstruiertheit der Körper, die fatale und fatalistische Komplizenschaft zwischen Subjekt und Objekt – Technologie, Mode -- und damit die Konstruiertheit der sozialen Individuen bis in die Kulturgeschichte zurück, sie bleibt kein Phänomen der aktuellen Consumer Culture; obwohl, "Dictio Pii" ließe sich gerade als ein Kommentar dazu lesen. Wenngleich also die Arbeiten Schinwalds durchaus strategisch verschiedenste Plattformen der Präsentation und Repräsentation heranziehen – Fotografie, Film, Werbung – und zurecht durch ein Driften von einem Diskurs (Werbung, Video, Mode, Kunst) in den anderen beschrieben worden sind, dadurch gekennzeichnet, dass der Künstler keine Berührungsängste mit Materialien und Strategien der Hoch- und der Populärkultur hat, und kritische Theorie, Filmgeschichte, Populärkultur und Consumer Culture miteinander verknüpft und dabei im wesentlichen kulturelle Standards und symbolische Codes aus diesen Bereichen aufgreift, gegeneinander stellt, subversiv unterläuft oder ironisch karikiert, so bleibt angesichts aktueller Arbeit wie "childrens crusade" oder "Contortionists" die Frage zurück, ob sich dieses Driften allein zwischen Medien und Kontexten ereignet, oder vielmehr innerhalb der Medien und Genres selbst nachgezeichnet werden kann. "Die Contosrtionists" zeigen in ekstatischer Verrenktheit erstarrte Frauenkörper in nicht eindeutig definierten Umgebungen (ein Hotel?). Durch die Kleidung der Frauen und teilweise das Styling der Inneneinrichtung wird auch in diesem Fall ein Bezug zur Mode angedeutet, als handle es sich um eine völlig überzeichnete Modefotografie. Doch es zeigt sich auch in diesen Fotografien jene "isolated activity", wie sie in "Dictio Pii" gesprochen wird; die Models, wenn es denn solche sind, richten sich nicht nicht an die Betrachter, der Zustand der Intensität der Verfügung über den Körper kreist autistisch und autonom um sich selbst; zusätzlich muten die Bilder wie Filmstills an, sie erinnern an Standbilder, die man in "1st Part Conditional" finden könnte. An den "Contortionists" zeigt sich, dass die thematischen Bezüge, an denen Markus Schinwald arbeitet, auch in diesen wiederaufzufinden sind, und dass der Künstler damit auch verschiedene Perspektiven auf das (massenmediale) Bild als Erkenntnisinstrument, als Gedächtnisapparat, als Manipulationssystem oder als ästhetischer Bild-Diskurs formuliert. Zeitgenössische mediale Oberflächen können unschwer als Felder eines kollektiven Begehrens verstanden werden, als, wie es bereits erwähnt wurde, Oberflächen, in denen und über die Subjekte sich ihrer Identität versichern. Doch sie lassen sich ebenso unschwer als "Orte" einer komplexen Intertextualität beschreiben, der Decodierung mittlerweile zu einer alltäglichen Kulturpaxis geworden ist. Man muss dieses Driften also nicht allein als elegante künstlerische Coolness interpretieren, sondern als notwendige Strategie, angesichts einer zunehmenden Fluidität der Bilder, der Zentrifugalität der Bildmedien. Dieses als "Driften" gekennzeichnete Verfahren erscheint also notwendig, die Obsession des Künstlers virulent zu halten, sich auch noch über diese multi-kontextuellen Oberfläche am Phantasma des Körpers als einem Phänomen der Kulturgeschichte abzuarbeiten, den Körper als Repräsentationsmedium und -instrument ständig zu aktualisieren, als eine Repräsentation, die die Schnittstelle des Subjektiven und des Kulturellen markiert. Bei Markus Schinwald wird diese Schnitstelle, so wurde zu zeigen versucht, als eine grundsätzliche Störung verstanden und inszeniert, in Szene gesetzt. Darüber täuschen auch die popkulturellen Konnotationen nicht hinweg, und sollen dies vermutlich auch nicht tun. Als einer der bemerkenswerten Umstände an dieser Position des Insistieren auf einem Thema in verschiedensten Formaten und Medien, wie es Markus Schinwald hier unterstellt wird, erscheint es, dafür eine Bildform zu finden, ein zeitgenössisches Bild für die Aktualisierung dieser Fragestellung zu entwerfen, ein Bildkonzept als Rahmen für inszenierte Handlungsumgebungen und Versuchsanordnungen, und dieses Bildkonzept in verschiedenen Medien sozusagen auszutesten (wie etwa auch in "Stage", einer Plakatarbeit für das "museum in progress", Wien 1999/2000). Und, so lässt sich abschließen, nur unter dieser Voraussetzung der gleichzeitigen Befragung zeitgenössischer Bildkonzepte kann eine Befragung dieses scheinbar überalterten, dennoch aber weiterhin virulenten Körpers der Moderne gelingen. © Reinhard Braun 2004 erschienen in: Camera Austria 88/2004 |
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