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Texte


Reinhard Braun
Re-Cycling, Re-Formating, Re-Morphing, Re-Sampling, ...

Ebenso wie die virtuellen Klangobjekte in der Sampler-Musiktechnologie ist die Subjektivität heute ein gasförmiges Element, das sich ausdehnt und zusammenzieht, zeitgedehnt, über-blendet, klangbeschleunigt. - Arthur & Marielouise Kroker

Wovon also reden wir, wenn wir uns auf Techniken wie copy/paste, sampling, looping und dergleichen beziehen? Auf formale Prozeduren der Manipulation von Daten? Oder geht es dabei nicht vielmehr um Mechanismen der Bedeutungsproduktion, um die Manipulation von Sinn (von Repräsentation, von Geschichte)? Wenn dem so ist, dann vergessen wir Sequenzer, Schnittstellen, Digitalisierung, Software und Protokolle, und wenden uns der Textur kultureller Erzählungen und Kulturtechniken zu.

Wir leben in einer Zeit, in der der Wert von Daten, Bildern und Ideen den von mate-riellen Errungenschaften und physischen Territorien überholt hat. - Douglas Rushkoff

Werden kulturelle Texte längst wie Daten formatiert, wenn Wissen, Erfahrung und Gedächtnis als Informationstypen verstanden und klassifiziert werden? Lässt sich Gedächtnis und Erfahrung überhaupt nur mehr kulturell konvertieren, wenn sie zuvor als Datensätze codiert worden sind?
Die Frage nach Sampling-Techniken im Rahmen von Kunstproduktion könnte in Richtung einer Historisierung aktueller Phänomene durch mögliche Genealogien von der Collage, Pop-Art, Appropriation-Art bis hin zum Cross-Over zwischen Musik, Pop und Kunst führen. Fragmentarisierung, De-Kontextualisierung, Aneignung, Re-Kontextualisierung, Kontexttransfer, Hypertextualität, Hybridität, Recycling, Revival, etc. sind mögliche Stichworte dieser Geschichte. Bemerkenswerterweise handelt es sich dabei um keine ästhetischen, sondern um strategische Begriffe. Vergessen wir also in einem zweiten amnesischen Schritt alle Zustandbeschreibungen historischer wie aktueller Oberflächen und deren ästhetischer Tiefenstrukturen. Gehen wir hypothetisch davon aus, dass es sich bei diesen Strategien um Symbolmanipulationen handelt (ästhetische wie poltische). Symbolmanipulationen bezeichnen aber sozusagen das ureigenste Terrain der (jetzt digitalen) Maschine. Die Frage bleibt uns erhalten: Werden kulturelle Texte wie Daten formatiert? Werden soziale Individuen, kulturelle Subjekte zu Datenträgern, zu Speichermedien für kulturelle Texte/Daten? Bedeutet nicht gerade diese Gleichsetzung (zumindest Analogisierung) von Datenmanipulation und kulturellen Praktiken Kultur auf Technikprobleme, auf Technologismen zu reduzieren? Kultur als Programm, als komplexe Software mit relativ unzugänglichem Sourcecode, zahllosen Sub-Programmen und Sub-Routinen? Umprogrammierbar? Über welche Kanäle, durch welche Mechanismen und nach welchen Parametern? Ist Kultur wie ein Rechner verschaltet?
Führt nicht diese Analogie wieder zu einer ungeheuerlichen Reduktion? Oder geschieht nicht genau das: die Verschaltung von Kultur nach dem Vorbild von Rechennetzwerken? Was aber bedeutet das schon wieder? Wer programmiert und verschaltet? Wer formatiert und löscht? Wer hat Interesse an einer derartigen totalen Kontrolle? Gibt es nurmehr für Hacker eine Chance auf Devianz, Autonomie, Gegentexte, Viren, Würmer? Oder ist mit Sampling eine Strategie skizziert, den Quellcode permanent so unübersichtlich wie möglich zu gestalten, um die sich informationisierende Gesellschaft zuzusagen spielerisch ständig an ihrem Hypothalamus zu reizen? Sampling als Subversion?

Alles ist entzwei, alles ist geborgt oder gestohlen. - Steven Shaviro

Zweifellos liegen in dieser permanenten rekombinanten Raserei auch Momente der Entflechtung von hegemonialen Erzählungen: "Gerade die Vorstellung einer 'gesunden Normalität' liegt dem zugrunde, was uns unterdrückt." (Steven Shaviro) "Normalität" fungiert dabei als Metapher für Authentizität, Ganzheit, Wirklichkeit, ein Ursprung, ein ursprünglicher Text (die zehn Gebote, die Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace?) auf den wir uns zwanghaft beziehen und von dem wir uns vermeintlich entfremdet haben, d.h. normative Samplings von Geschichte, Entwicklung und Zukunftsperspektiven, die sich als konvergente Modelle kultureller Felder und Mechanismen inszenieren (Kulturraum, Ethnien, gemeinsame Geschichte).

Wir malen uns aus, dass diese Trümmer einst ein Ganzes bildeten, dass diese verlassenen Gebäude ursprünglich eine zweckmäßige Verwendung fanden, dass diese Zeichen vormals eine Bedeutung besaßen, dass wir organische Körper waren, anstatt Roboter. - Steven Shaviro

Es lassen sich also Sampling-Klassen identifizieren, die uns permanent an einen (mythischen) Zustand VOR jeder rekombinanten Raserei rückzubinden versuchen, für die jedes Re-Sampling, jede Re-Formatierung einen gefährlicher Eingriff in (scheinbar) homogene kulturelle Module darstellen.

Dass es in dieser regen Zeit, wo es noch anständige Menschen gibt, die einen Charakter haben und die auch bei grösstem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen und ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind. Und das ist die Basis, meine lieben Freunde, die auch an uns Junge weitergegeben wird. Und ein Volk, das seine Vorfahren nicht in Ehren hält, ist sowieso zum Untergang verurteilt.(...) - Jörg Haider

Einst waren das Volk, die Ehre, die Nation, die Familie, die Treue, die Lebensplanung, die Erinnerung, anständige Menschen - jetzt sind da nur zahllose Fernsehkanäle, Gewinnspiele, Websites, Gameshows, Computerspiele, Unterhaltung, Drogen, Schmarotzer ... Früher saßen wir in der Küche beieinander und redeten (über die gute alte Zeit?). Dann kam das Radio, das Fernsehen, der Computer, und seitdem ... oder war es die Telegrafie? die Eisenbahn? die Post? die Schrift? die Sprache? Werkzeuge?

Wir erfinden unsere verlorenen Objekte posthum. Je mehr wir uns über anscheinend entfremdete Ursprünge den Kopf zerbrechen, desto mehr nehmen diese Ursprünge rückwirkend Form an, auch wenn sie uns dabei entschwinden. Melancholie ist eine rekursive, sich selbst reproduzierende Struktur: Sie erzeugt ununterbrochen gerade jene Entfremdung, über die sie sich in der Folge beklagt. - Steven Shaviro

Es entlarvt sich von selbst als Schwachsinn, einen bestimmten Querschnitt kultureller Verhältnisse als Referenzgröße perpetuieren zu wollen. Es sind allerdings weniger die Main plots, die ständig heraufbeschworen werden, es sind immer schon Versuche, bestimmte Samples im Zentrum kultureller Hegeomie zu re-positionieren (Familie, der Heimatbund, Wickie, Boney M., Anständigkeit, Fleiss, Pünktlichkeit etc.) Wer startet also den Sampler und aus welchem Grund? Mit welchen Ziel? Wer selektiert die Samples? Welche Samples erhalten kulturelle Wertigkeit? Aufgrund welcher Mechanismen und Hierarchien? Wir müssen erkennen: die Technologisierung von Kultur bzw. die Technologisierung des Diskurses über Kultur(en) enthebt nicht der Frage nach der Macht, nach Territorien, nach Fluchtlinien, Diskursverengungen etc. Die prinzipielle Möglichkeit zur Dekonstruktion, die prinzipielle Verfügungsgewalt über Samples (aka kulturelle Kontexte), deren Verschränkung, Überlagerung, Negation oder Pervertierung impliziert noch lange keine Revidierung von Herrschaftsdiskursen.
Wir erleben gerade den Niedergang utopistischer Perspektiven aufgrund eines Xs4all (der beileibe nicht eingelöst werden konnte; 'all' blieb wieder mal ein Synonym für westliche Industriestaaten und deren koloniale Satelliten). Selbst Pierre Levy musste erkennen, dass der Weltgeist nicht auf seinem digitalen Weg ist, ins Sein zu treten. Und auch die Popkultur als schwer zu fassende Gefüge von Massenmedien, Alltagspraxen, Musikszenen und Subkulturen, das unaufhörlich Symbole, Stile und Stereotype produziert, montiert und neuinszeniert - ein riesiges Verweissystem, das sich einer endgültigen Festlegung immer entzieht und gerade deshalb ideologisch höchst wirksam ist -, startet nicht als Befreiungsdiskurs durch sondern zeigt ständig subtile Facetten der Verstrickung in Konsum- und Freizeitpolitik: Stylefaktoren als Kontrollgefüge, Individualität als Marketingfaktor, Devianz als Zielgruppenmarkierung.

Auflösung und Fragmentierung sind positive, affirmative, ja sogar unterhaltsame Zustände. (...) In der postmodernen Welt, in der alles geborgt und vergänglich ist, explodiert Identität so gewaltig, dass wir nicht einmal sagen können, sie wäre verlorengangen. - Steven Shaviro

Entgegen sowohl der katastrophisch-nostalgisch-romantischen Vorstellung, es herrsche allenthalben Fragmentarisierung, Egalisierung, Pluralisierung, Zerstreuung und Virtualisierung (wobei selbstverständlich eine Auflösung von Ordnung(en) impliziert wird) als auch der Subkultur-Utopien von Entgrenzung, Befreiung und Individualisierung müssen die tatsächlichen (ökonomischen, politischen) Verhältnisse ins rechte Licht gerückt werden: Fusionen, Standardisierungen, Mergings, Lean-Managements, strategische Partnerschaften, Marktkonzentrationen aller Art bestimmen den Alltag. Global-Players infusionieren uns mit ihren Messages von Kundenorientiertheit und Dienstleistungsparadiesen, Gratis-Online-Paketen und Content-Management-Systemen. "Only the big survive" (big is beautiful?) ist die Botschaft. Der kulturellen Ausdifferenzierung antworten die Chief Executive Officers mit dem Etablieren neuer Metahierarchien. Unter fünf Tausend Schweine-Klonen geht gar nichts mehr. Der Rest sind Nischenmärkte. Von Re-Sampling keine Spur. Re-Cyclen dürfen die anderen.
Paradoxerweise geht es angesichts dieser ökonomischen (neo-liberalen) Strategien (jedem sein Recht zur Mehrheitsbeteiligung) mehr denn je darum, die Hegemoniebestrebungen, die Re-Territorialisierungen auf allen Ebenen (vor allem auch der politischen) in Frage zu stellen, um sicherzustellen, dass nichts je eine derartige Stabilität beibehält, um sich als "Ursprung", als Source-Code, als Identität, als Real Thing in Szene zu setzen. Gerade die vordergründige Entpolitisierung bestimmter kultureller Subsysteme suggeriert eine Entpolitisierung von Gesellschaft insgesamt. Wenn alle Banken und Telefonanbieter privatisiert wein werden, können wir endlich wieder ruhig schlafen? Die Frage stellt sich, ob nicht Nike, MacDonalds, Levis, Vodafone, Time Warner, Sony oder Coca Cola längst die Nachfolge von Nationalstaaten und/oder Kulturräumen angetreten haben? Was wiegt es dagegen, ein Cola in Rough Denim G-Stars, Pradas oder Carhartts in ganz bestimmten Clubs zu trinken und dort KünstlerInnenals Dj/anes auf dem Programm stehen? Geht es dabei um Aneignung? Werden dabei irgendwelche Kontexte konvertiert, übersetzt, durchquert oder unterlaufen?

In solch einer Welt konsumierte man letztlich nicht irgend etwas Gewöhnliches, sondern sich selbst ... Es war ein schwieriges Projekt: alle Begierden mussten auf die reduziert werden, die sich vermarkten ließen, und diese Begierden mussten auf Bedürfnisse reduziert und als solche erlebt werden. (...) wenn eine bloße Geste, eine neue Art zu gehen Befreiung bedeuten kann, resul-tieren daraus fast grenzenlose Möglichkeiten für die populäre Kunst. - Greil Marcus

Einen wichtigen Hintergrund für diese Verschiebungen, um nicht zu sagen, "Faltungen" des Terrains der Alltagskulturen bildet sicherlich der Umstand, daß zahlreiche identitäts-stif-tende und -tradierende Vorstel-lun-gen, Theorien, Genres, Medien, Praktiken (samplings) etc. ihre genera-li-sierende und somit stabilisierende Funktion verloren haben und auch nicht mehr eindeutigen Bedeu-tungshorizonten (Dis-kurspraktiken) zuordenbar sind: Kultur / Kommunikation / das Soziale / Öffentlichkeit / Werk / Autor etc. finden nicht mehr in und durch verschie-dene Verknüp-fungen und Überlagerungen von gesellschaftlichen "Räumen" statt, sondern in

(...) Netzwerke[n] von endlichen Automaten, in denen die Kommunikation von einem Nachbarn zum anderen hergestellt wird, in denen Stränge oder Kanäle nicht schon vorgegeben sind, in denen alle Individuen austauschbar und nur durch einen momentanen Zustand definierbar sind, so daß die lokalen Vorgän-ge koordiniert werden und das Endergebnis unabhängig von einer zentralen Instanz synchronisiert wird. Eine Transduktion inten-siver Zustände löst die Topologie ab (...)". - Gilles Deleuze/Félix Guattari

Als Schnittstellen dieser Netzwerke intensiver Zustände fungieren dann nicht mehr kulturelle Systeme oder gesellschaftliche Institutionen, sondern - das (austauschbare) Individuum, wir selbst. Endlich ent-mediatisiert!? Die Frage ist dann aber nicht mehr, ob wir samplen, bastardisieren, rasen oder brav kommunizieren und alle Cookies ertragen wollen. Die Anforderung, die an uns gestellt wird, lautet: sample, differenziere, entscheide, oder du kannst dich als kulturelles Subjekt vergessen. Konsumiere dich oder werde zum Sozialfall! Entweder, du konstruierst dich als flexibles, temporäres Subjekt oder es geht dir wie der Stahlindustrie. Alles Gerede von (kulturellem) Sampling, vom Durchqueren der Kontexte usw. impliziert immer schon neuartige Gefüge ebenso neuartiger kultureller Kompetenzen. Die Frage ist, wer die Verteilungsgesetze dieser kulturellen Kompetenzen kontrolliert. 'dot.com' als Antwort greift zu kurz.

Erinnern wir uns an "diskursive Formationen", die von Foucault schon als "Raum" von Unübersichtlichkeiten, als Feld von "Heterotopien", als System einer Streuung, durch Diskontinuität und Brüche gekennzeichnet, beschrieben wurden. Diese diskursiven Formationen gehorchten dennoch einem Verteilungsgesetz, das ein Feld strategischer Möglichkeiten definiert, eine Form der Verteilung determiniert, nach denen die Gegenstände der Diskurse produziert, aufgegriffen, ausgeschlossen oder negiert werden, auch wenn diese Form nicht mehr im strukturalistischen Sinn als überdeterminierte Funktionsbeziehung (synchrone Homologie), sondern als verstreute Gesamtheit von Regeln auftritt, die einer Praxis immanent sind und diese erst im Vollzug in ihrer Spezifität definieren.

Unter Formationssystem muß man also ein komplexes Bündel von Beziehungen verstehen, die als Regel funktionieren: Es schreibt das vor, was in einer diskursiven Praxis in Beziehung gesetzt werden mußte, damit diese sich auf dieses oder jenes Objekt bezieht, damit sie diese oder jene Äußerung zum Zuge bringt, damit sie diesen oder jenen Begriff benutzt, damit sie diese oder jene Strategie organisiert. Ein Formationssystem in seiner besonderen Individualität zu definieren, heißt also, einen Diskurs oder eine Gruppe von Aussagen durch die Regelmäßigkeit einer Praxis zu charakterisieren. - Michel Foucault

Dem ist nichts wesentliches hinzuzufügen. Auch Foucault spricht nicht mehr von Kontinuitäten, sondern von Transformationen, Regelhaftigkeit, Diskontinuität, von (diskontinuierlichen) Serien, die die Bedingungen eines Ereignisses umschreiben wie sie zugleich auch noch die kleinsten Einheiten treffen und "zersetzen": den Augenblick und das Subjekt.

Es handelt sich um die Cäsuren, die den Augenblick zersplittern und das Subjekt in eine Vielzahl möglicher Positionen und Funktionen zerreißen." - Michel Foucault

In diesem Spiel verfügen wir über mehr als nur eine Konstitution, und wir befinden uns nicht nur an einem einzigen Ort. Verortung ist keine Frage der Empirie, man kann nicht auflisten, wo man sich befindet. (...) Unter Verortung verstehe ich eine komplexe Konstruktion und keine empirische Aufzählung oder bestimmte Stelle. - Donna Haraway

Wir sind also nicht auf Metaphern aus dem Bereich der (digitalen) Technologie angewiesen, um die mittlerweile ganz normale Unübersichtlichkeit zu kennzeichnen. Die Regelmäßigkeit von Praxen fungierte quasi als Source-Code für Sampling-Konzepte, als Vor-Schriften für Bezüge, Kombinationen, Rekontextualisierungen. Wenn sich aber neben Coca Cola, Nike, Sony und Nintendo keine signifikanten Regelmäßigkeiten ausmachen lassen und BürgerInnen heute vor allem WechselwählerInnen sind, lösen sich Formationssysteme zusehend in Simulationen derselben auf, womit allerdings nichts über deren Wirksamkeit gesagt ist. Simulationen beschreiben eben gerade nicht virtuelle Zusammenhänge. Welchen strategischen Organisationen folgt dann aber die Macht (möge sie mit dir sein), wenn sich Kultur, wenn sich kul-turelle Gefüge ohne jede Ausrichtung auf einen Höhepunkt oder ein äußeres Ziel ausbreiten? Ist mit den Diskursformationen (Medizin, Politik, Justiz etc.), der Geschichte, wie es Jean Baudrillard vorgeschlagen hat, auch jede Macht an ein Ende gelangt? Gibt es nur mehr Konsum? (Ist nicht gerade damit eine ganz spezifische Codierung von Gesellschaft und Kultur beschrieben?) Oder gibt es de facto gar keinen Source-Code mehr? Ich kann das nicht glauben. Sich gegen Samples als kulturelle Sedimente zu wenden, oder dagegen, sie als fröhliche, anti-authentische kulturelle Strategie zu feiern und sie vorweg mit Subversion gleichzusetzen, impliziert noch lange nicht, jede Regelhaftigkeit zu negieren.

Nicht-lineare Formprinzipien sind in der Tat das Maß einer Kultur, die die Fragmentarisierung und die Montage gewohnt ist. Wissen als Sampling, Erfahrung als intentional, Kommunikation als Weise der Transaktion, hyper, Zugang auf Wunsch: das sind einige Begriffe der Technokultur des 'nomadischen Wahnsinns'. - Timothy Druckrey

Die Verschränkung von technologischem Text und kulturellem Text, die Maschinisierung kultureller Terminologie (System, Informatione, Daten, Interface etc.) in Nachfolge ihrer Ästhetisierung (Zeichen, Repräsentation,Code, Leseweisen) ist somit mehrfach codiert und auch mehrfach zu decodieren (was man noch als Termini einer Schriftkultur durchgehen lassen kann): der Diskurs der Dezentralisierung und Fragmentierung (der nomadische Wahnsinn) suggeriert eine hochgradige kulturelle Durchlässigkeit, der Fragen nach Klasse, Rasse und Geschlecht überflüssig zu machen scheint, wenn nur noch flexible, temporäre Subjekte übrigbleiben, die zudem eigentlich nicht als KonsumentInnen, sondern als ProduzentInnen definiert sind (Navigieren ist - noch - völlig anders konotiert als 'zapping' oder Zeitung lesen). Die Transformation der Lebensläufe in einen variablen Ablauf von strategischen Entscheidungen suggeriert die dazugehörigen herrschaftsfreien Räume (lass' dich nicht von deiner sozialen Rolle irritieren: eine Modeschule und ein Marketing-Kurs katapultieren dich ins Zentrum des symbolischen Kapitals! - Karriere als geglücktes Sampling?).
Der Rückzug (die Niederlage) von Traditionen erscheinen als Rückzug von Macht (ein erster Irrtum). In dieses scheinbare Vakuum drängen seit jeher Technologien in Form von Konsum- und Produktionsangeboten (vom 'Fenster zur Welt' bis zu 'connecting people'). Und wenn dann noch die Diskurse nachgeliefert werden, die Technologien als Erweiterungen des Menschen, als Prothesen und überhaupt super Helferlein promoten (Fridge screen) und sie damit gleichzeitig ideologisch neutralisieren, braucht man sich nicht wundern, wenn das Mobiltelefon als Peilmarke für Funküberwachung einen Siegeszug sondergleichen angetreten hat. Niemals zuvor gaben wir ständig bekannt, wo wir uns aufhalten. Die Situierung der Technologie (analog zu einer Situierung des Wissens) nicht entsprechend zu berücksichtigen, ist ein zweiter Irrtum. Und nur weil sich Zuschreibungs- und Verteilsysteme von Diskursen nicht mehr ohne weiteres ausmachen lassen zu vermuten, sie existierten nicht mehr, ist der dritte und fatalste Fehler. Selbst nomadischer Wahnsinn unterliegt Regulierungen, auch wenn diese nurmehr in Domainnames wie lion.cc, chello.at oder aon.at verpackt sind.

Die Genealogie des Collagierens/Samplens zeigt also weniger eine durchgängige Technologisierung von Kultur, als vielmehr die die ständige Re-Kulturalisierung von Technologie: da ist immer eine soziale Maschine, die der technischen vorausgeht, zumindest aber an die technische gekoppelt bleibt. Es geht bei all dem um ein Insistieren auf der Konstruiertheit, auf dem Produktcharakter von Geschichte, Subjekt, Ordnung, Kultur, Technologie etc. die alle auf einem hegemonialen Re-Sampling-Versuch beruhen: dem Abschliessen von Kontexten, dem Reduzieren von Parametern, dem Unterbinden von Fluchtlinien, etc.
Ist nun aber kultureller Text wie ein Datenstrom formatiert? Ist Kultur als komplexe Software zu beschreiben? Hat Sampling etwas mit (subversiven) Kulturtechniken zu tun?

Es geht, denke ich, darum, Sampling nicht als ästhetische und/oder technische Formation und auch nicht als subversives Criss crossing misszuverstehen. Woran Sampling arbeitet könnte, ist weniger ein nomadischer Wahnsinn, eine rekombinante Raserei, als vielmehr, die unfertige Form zu erhalten, einen Bastard zwischen Technologie und Fleisch, Zuschreibungen und Sedimentierungen zurückzuweisen, ständig neue Konnexionen zu erzeugen, Mutationen zu provozieren, Teleologien zu negieren. Insofern erscheint die Frage falsch gestellt: Kultur ist kein Programm, das auf einem Mega-Rechner läuft und lässt sich auch nicht analog designen. Gott ist eben kein genialer Uhrmacher. Wir müssen uns darüber klar werden, dass auch Kultur nicht jenseits ihrer Beschreibungen existiert. Wenn kulturelle Subjekte als "Flesh factor" von Hardware-Environments beschrieben werden, zeigt sich dabei vor allem ein technoider Zugriff auf kulturelle Verhältnisse und weniger die Technoidität/Technologizität von Kultur. Ein solcher Zugriff ist jedoch in dem Maße plausibel, als Technologie keine Umgebung für Kultur darstellt, sondern Teil der kulturellen Aneignung von Umwelt selbst ist. Es gibt eben keine 'Natur', auf die man sich berufen könnte, auch, wenn die Wissenschaft mittlerweile alle subatomaren Bausteine beisammen hat. Informationstypen, Interfaces, Kommunikationssoftware etc. sind selbst kulturelle Artefakte wie Wissen, Gedächtnis und eine Gabel. insofern erscheint es allemal angemessener und interessanter, über Sampling als kulturtechnische Formation nachzudenken, die sich in komplizierter und komplizenhafter Weise in kulturelle wie technische Verhältnisse einmischt, denn über Sampling als formale, formalisierte Strategie im Rahmen von Kunst oder Musik. Vorschnelle Kulturalisierungen solcher Strategien sind jedoch mit Vorsicht zu genießen.

In diesem Sinn kann nur trotz der zahllosen falschen und unbeantworteten Fragen und trotz aller offengelassenen Konsequenzen nur gefordert werden:
Noch mehr Sampling, noch mehr Recycling!




© Reinhard Braun 2000

erschienen in:
Büro für Intermedialen Kommunikationstransfer (Hg.), copy & paste. drag & drop, Innsbruck 2001.



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