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Texte


Reinhard Braun
BUTISITART? - Der paradoxe Status der Fotobücher Ed Ruschas

Ed Ruscha produzierte zwischen 1963 und 1972 insgesamt 17 Bücher - manche davon, Twentysix Gasoline Stations, "a book of some kind", realisiert 1963, Some Los Angeles Departments, 1965, und Every Building on the Sunset Strip, 1996, und Thirtyfour Parking Lots in Los Angeles, 1967, gelten heute als Inkunabeln im Bereich konzeptueller fotografischer Publikationen. Ruschas Bücher gleichzeitig "ruin the genre of the book of photographs", wie es Jeff Wall formuliert: "Only an idiot would take pictures of nothing but the filling stations, and the existence of a book of just those pictures is a kind of proof of the existence of such a person." Abgesehen von der Re-Ästheti-sie-rung, die dieses und ähnliche konzeptuelle fotografische Projekte seit ihrer Entstehung in den 60er und 70er Jahren erfahren haben, zeichnen sich beim analytischen Zugriff eine Reihe von paradoxen Momenten sowohl in der Konzeption wie in der formalen Aus-führung ab - paradoxe Momente, um deren Rekonstruktion es im folgenden gehen wird.

Vergegenwärtigt man sich - wenn auch nur ansatzweise - die Situation, in der sich die Fotografie in den USA in den 40er und 50er Jahren befand, erscheint die Formulierung vom "Ruinieren des Fotobuches" durchaus einsichtig: abgesehen von post-Stieglitzschen Postionen eines (ebenso post-) Piktorialismus dominieren Reportagefotografen die Definition des Mediums in seinem Verhältnis zu Wirklichkeit wie Kunst: Walker Evans, Lee Friedlander, Diane Arbus, Helen Levitt u. a. repräsentieren sozusagen autorenfotografische Positionen fotografischer Produktion. Es ist der (analytische, geniale, geschulte etc.) Blick des/der Fotografen/in, ein spezifischer visueller Zugriff auf Wirklichkeiten, der sich des Mediums Fotografie bedient, vorher aber das - schliesslich legitimierende - Medium des FotografInnen-Künstler-Subjekts durchläuft bzw. gerade dort "produziert" wird. Kurz gesagt: die Positionierung des (fotogra-fischen) Bildes rekurriert auf eine spezifische Dispositon des/der Autors/in. Einhergehend damit sind den Fotografien bestimmte visuelle und semantische Implika-tionen zuschreibbar: sie verdichten Geschehnisse ("decisive moments"), erzählen Geschichten (Handlungsabläufe, soziale, politische, ökonomische oder auch urbane Verhältnisse im allgemeinen), sind also semantisch wie ästhetisch aufgeladen, repräsentieren eine Logik bildimmanenter wie inter-bildlicher Re-Konstruktionen von Wirklichkeitsverhältnissen. Fotografie erscheint dabei als ein hervorragendes, weil "authentisches", "direktes" Medium des Zugriffs auf Realität. Die fotografische Praxis definiert sich in einer dichten Verschränkung von Subjekt und Apparat, einer symbiotischen Beziehung, in der dennoch das Subjekt die Verfügungsgewalt über den Apparat und seine Produkte behält.

Im Gegensatz dazu erscheinen die Aufnahmen Ed Ruschas geradezu entleert, redundant, tautologisch; auf ihnen ist nichts zu sehen, das auf eine intentionale Konstruktion eines fotografierendes Subjekts deutet: keine Geschichten verdichten sich in diesen Bildern, sie erzählen von nichts außer der puren Existenz der dargestellten architek-tonisch/para-urbanen Situationen: Tankstellen, die am Weg zwischen Los Angeles und dem Wohnort Ruschas in Oklahoma liegen, Gebäude entlang des Sunset Strip in Los Angeles, Parkhäuser, Swimming Pools. Doch nicht einmal ein fotografisches "Road Movie" wird skizziert, keine Meta-Geschichte ordnet die Bilder zu einer "sinnvollen", weil narrativen Serie. Mit anderen Worten: es handelt sich weder um eine Reportage noch um eine Dokumentation von "etwas" - dieses etwas scheint gänzlich zu fehlen bzw. lediglich in der Aufzählung dessen zu bestehen, das vor der Kamera erschien: 26 Tankstellen, oder später: Some Los Angeles Appartments. Die Bilder sind denotativ auf ihren Status als Dokument reduziert. Und als solche Dokumente folgen sie nicht einmal den Grundregeln fotografischer Produktion: "improper relation of lenses to subject distances, insensitive to time of day and quality of light, excessively functional cropping, with abrupt excisions of peripheral objects, lack of attention to the specific character of the moment being depicted - all in all a hilarious performance, an almost sinister mimicry of the way ‚people' make images of the dwellings with wich they are involved." "(...) they are ‚dull', ‚boring', and ‚insignificant'. (Jeff Wall)

"It became a subversive creative act for a talented and skilled artist to imitate a person of limited abilities." Was Jeff Wall hier als Imitation des Amateurs beschreibt, zielt über die damit verbundene experimentelle Inszenierung von Anti-Ästhetik, von "Nicht-Kunst", auf eine Revidierung der Stellung des Künstler-Subjekts im Verhältnis zu jeder als künstlerisch beschreibbaren Produktion. Durch diese Inszenierung eines- visuellen und ästhetischen Mangels inauguriert Ruscha gleichzeitig den (hypotheti-schen) Verlust des Künstler-subjekts als Fundierung einer Tätigkeit, die sich (ebenso hypothetisch) außerhalb jeder künst-lerischer Praktiken zu positionieren versucht. Es erscheint vielmehr so, als ob der (fotogra-fische) Apparat die Produktion der Kunst übernommen hätte - "a machine that makes the art" (Sol LeWitt). Eine erste durch Ed Ruscha vorgenommene Verschiebung im Feld der Kunst bezieht sich somit auf das Spannungsverhältnis von Künstler und Kunstwerk.

An diesem Punkt kommen eine Reihe von parallelen Konzepten im Feld der Kunst der 60er und 70er Jahre ins Spiel, die insgesamt an einer grundlegenden Rekonfiguration des Kunst-systems arbeiteten. Der prekäre und gewissermaßen oszillierende Status der Bücher Ed Ruschas aus dieser Zeit steht im Zusammenhang mit diesen Strategien der Revidierung dessen, was als Künstlersubjekt und dessen Produktion Geltung beansprucht und vor allem, in welcher Form, durch welche Auseinandersetzung dieser Geltungsanspruch formu-liert wird. Wenn es die (fotografische) Maschine ist, die Kunst produziert, richtet sich das Augenmerk nicht mehr auf subjektive Intentionen und/oder Fähigkeiten, sondern auf die Organisation dieser "maschinischen" Produkte.

Die Parameter dieser weitreichenden Auseinandersetzung können hier nur exemplarisch und kursorisch als Koordinaten einer komplexen und bis zu einem gewissen Grad unabgeschlos-senen Entwicklung aufgeführt werden. Minimal Art, Conceptual Art, Fluxus, Pop Art, Serial Art und eine Reihe von malerischen Positionen (Farbfeldmalerei, Nachmalerische Abstraktion etc.) stehen in einem Diskursfeld, das sich seit den 40er Jahren formierte und quasi zwischen den durch Marcel Duchamp und Piet Mondriaan markierten Positionen szillierte - einerseits die selbstreflexive Autonomisierung kunstimmanenter Konzepte, andererseits die Orientierung an der Konkretion von Objekten und ihrer De- bzw. Rekon-tex-tualisierung, einer Manipulation an und mit Alltags-gegenständen. Ergebnis dieses Diskursfeldes ist die ständige Erweiterung dessen, was als künstlerisches Objekt formuliert werden kann bzw., in unserem Zusammehang wichtiger, was als Zuschreibungs-prozess bezeichnet werden kann: es werden nicht nur neuartige Objekte als Gegenstände der Kunst angeeignet, die Verschiebung richtet sich vor allem auf (Re-) Organisation bestehender (sozialer, gegenständlicher, funktionaler) Beziehungen. Das für den vorliegenden Produktionszusammenhang wesentliche Element ist somit die fortschreitende Erweiterung des "eigentlichen" künstlerischen Produkts im Hinblick auf seine Entstehungszusammenhänge: die Reflexion des Kunstkontexts selbst, seine Verschränkung mit anderen kulturellen Subsystemen bzw. seine Austausch-verhältnisse mit diesen Systemen brachte eine zunehmende Inkorporierung dieses Entstehungsprozesses in die künstlerische Strategie mit sich. Was innerhalb eines spezifischen Kontextes als künstlerische Intervention lesbar oder vermittelbar wurde, bezog sich zunehmend auf gerade die (mitunter vorläufige) Definition dieses Kontextes bzw. seiner Herstellung. Der Schwerpunkt verlagerte sich auf die Prozesse der Entwicklung und Ausarbeitung künstlerischer Konzepte - wobei sich der Charakter der Produkte erheblich veränderte: "Die Benutzung eines Prozes-ses als Material ist ebenso triftig wie die Benutzung eines Materials als Material, oder ferner die Nicht-Benutzung." (Douglas Huebler) Künstlerische Praktiken fokussieren nicht mehr primär die Produkton eines spezifischen Objekts, sondern verstehen sich als ein offenes System sich bedingender Prozesse. "The world is full of objects, more or less interesting; I do not wish to add anymore." (Douglas Huebler)

Aus dieser Perspektive heraus erschließt sich die kunstexmanente Welt der Dinge, ihre Handhabung und Manipulation als potentielles Feld künstlerischer Manipulation und Organisation völlig neu. Was sich in diesem Zusammenhang grundlegend ändert, ist die Perspektive auf künstlerische Produktion: nicht die kunstimmanente Verarbeitung von Impulsen außerhalb deren Kontextes, sondern die beständige Adaptierung des Konzepts im Hinblick auf eine Extension der Kunst selbst steht im Mittelpunkt - der Vektor weist quasi in eine andere Richtung (weshalb es auch um eine Überschreitung des Ready mades geht). Dementsprechend brachten die späten 60er Jahre Strategien "involving the use of non-art systems, documentation, contextual and/or site-specific installations, and more generally, the abnegation of the object's autonomous position in relation to physical, social, political, or historical realities." (Lucy Lippard)

In diesen Zusammenhängen ist auch die Produktion der Bücher von Ed Ruscha zu sehen: exemplarisch - und das bedingt möglicherweise ihre wichtige Stellung - verdichten sich in den lakonisch formulierten und realisierten Fotoprojekten die angesprochene Involvierung nicht-künstlerischer Systeme (Dokumentation), die Zurückweisung des autonomen Status des Objekts (Fotografie) in Verhältnis zu physischen, sozialen, politischen oder historischen Realitäten (Architektur, Urbanität). Zugleich ist die Relativierung eines spezifischen Künstlerhabitus (amateurhafte Fotografie) sowie die Objektivierung des Konzepts zur Produktion der Arbeit evident (Serien über Tankstellen, Parkhäuser, Swimming Pools, Apartmenthäuser). "Die Fotografie konnte als Mittel gebraucht werden, da sie dazu eingesetzt werden konnte, eine nüchterne Präsentation der Welt zu bieten (die 'objektive' Unvoreingenommenheit der Wissenschaft), während das Foto selbst, als ein kulturelles Objekt, derart weit verbreitet war, daß es zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Welt geworden war." (Joseph Kosuth)

In die Entstehungszeit von "Every Building on the Sunset Strip" fällt auch die radikale Umbildung der (amerikanischen) Öffentlichkeit im Hinblick auf ihre Fundierung auf Medien: Fotografie, Fernsehen und Video beginnen, massiv in das visuelle Imaginäre der Individuen zu intervenieren: "the image-producing capacity of the average citizen was about to make a quantum leap." (Jeff Wall) Die Fotografien, die Ed Ruscha in seinen Buchprojekten seriell verknüpte, erschienen in ihrer ästhetischen Camouflage alltäglicher Bilder zunächst nur bedingt als künstlerische Bildformen, genau-sowenig aber ließ sich die Serie als dokumentarische bezeichnen - beide Lesarten schließt die "ungenügende" Reflexion und "Bearbeitung" des Bildgegenstandes quasi aus. Die zweite Verschiebung, die in den Buchproduktionen Ed Ruschas ablesbar wird, könnte als kontextmanipulierend beschrieben werden und liegt sozusagen mitten im strategischen Feld der Conceptual Art.

Wichtig ist, was im Spannungsfeld dieser Fragestellungen und Rezeptionsansätze als grundsätzlicher Operations-modus sichtbar wird. Wenn die Serien weder durch ihre ästhetische Qualität noch durch ihre dokumentarische Akkuranz zu definieren sind, erschließen sie sich doch durch einen spezifischen Umgang mit visuellem Material: die Fotograie wird quasi auf ihre Funktionsweise als referentielles visuelles System (ein apparatefundiertes System) reduziert und arrangiert. In gewissem Sinn sind die Fotoserien Ed Ruschas "lediglich" Zeichen, visuelle Hinweise auf fotografische Verfahrensweisen, "proposals", Vorschläge, was unter Verwendung bestehender Repräsentationsmodi dennoch als künstlerische Produktion verstanden werden könnte, wie es Joseph Kosuth ausdrücken würde. Und in diesem Sinn sind sie streng konzeptuell: Entwürfe, Modelle einer Organisation von physischer Realität, weniger von visuellem Material, das lediglich als zeichenhafter Träger für diese Organisation erscheint, und schon gar nicht von Kunst. Sie spiegeln einen spezifischen Zugriff auf Wirklichkeiten, ohne diesen Zugriff durch adäquates visuelles Material zu untermauern (wie etwa im Fall Bernd und Hilla Bechers). Es ist der quasi-objektivistische Umgang mit - in diesem Fall - Bildmaterial, der die Buchprojekte sowohl aus Diskursen über das Künstlersubjekt wie aus Diskursen über Kunst hinausführt.

"Alles, was sich am 24. April fortbewegte, respektive Autos/Züge/ Schif-fe auf der Geraden der Straße 'Afsluitdijk' (A), auf der Geraden der Zug-strecke Assen- Hoogeven (B), auf der Geraden des Kanals durch Süd-Bever-land (C), die jeweils verlängert das Dreieck ABC bilden, erkläre ich hier-mit zum Kunstwerk." (Jan Dibbets) - Im Grunde verfährt Ed Ruscha mit seinen Fotobüchern nicht anders: sie sind Formulierungen von möglichen Zusammenhängen, von Konstellationen des Realen, die unter Umständen als künstlerisches Projekt bezeichnet werden können. Durch das Wegfallen jeglicher Sprache oder textlicher Verortung der Arbeiten (sofern man Adressen nicht als Texte bezeichnet) wird das inhärente Spannungsmoment umso deut-licher: ein Changieren zwischen Demateria-lisierung, Unterwanderung der materiellen Evidenz der Bilddokumente und ihres geradezu objekthaften Insistierens auf referen-tieller Evidenz. Durch das Wegfallen jeglicher semantischen Potentialität reduziert sich das Erscheinen der Fotografien auf ein tautologisches Zeigen dessen, das da vor der Kamera war. Andererseits revidiert der Umgang mit den Bildern dieses denotative Zeigen: ein paradoxer Status der Bilder wird evident, die Suche nach Kontexten und Beschreibungszusammenhängen wird initiiert.

"But, in all these procedures, an autonomous work of art is still necessarily created. The innovation is that the content of the work is the validity of the model or hypothesis of non-autonomy it creates." (Wall, 252) Wurde bereits angeführt, daß die Amateurisierung der Fotografien sozusagen jedes Künstlersubjekt ad absurdum führt, bleiben die Bücher dennoch als Künstlerprodukte evident - dieser Umstand bezeichnet ihren prinzipiellen paradoxalen Status. "The photographs in it oscillate at the threshold of the autonomous work, crossing and recrossing it, refusing to depart from the artistic dilemma of reportage and thereby establishing an aesthetic model of just that threshold condition." (Jeff Wall)

Die Bücher Ed Ruschas sind - angesichts der skizzierten zeitgleichen Entwicklungen im Rahmen der Kunst - durchaus als paradoxe Objekte anzusehen: im Rahmen einer Prozessua-lisierung und Entmaterialisierung der Kunstproduktion (Lucy Lippard) fungieren sie dennoch wie ein Multiple, d. h. ein auktorial definiertes und dadurch wiederum authenti-fiziertes Objekt (Kunst). Zum anderen zeigen alle formalen wie konzeptuellen Parameter dieser Objekte gegenläufige Ausgangspunkte: Entkoppelung jeder Gestaltung vom Künstlersubjekt, quasi nicht-intentionale Sujets und Themen, streng serielle Formation der Bilder. Vergleichbar mit der Implementierung von Alltagsgeräuschen in das Feld musikalischer Organisation durch John Cage erscheinen die Bücher Ed Ruschas als Projekt einer Implementierung visuellen Rauschens der Alltagskultur in den Kontext einer (bis dato) vor allem ästhetisch definierten Kunstprodukton, ein visuelles Rauschen, das durch den Eingriff des Künstlers lediglich eine minimale Organisation erfährt - und damit an der Grenze - nicht nur von künstlerischer - Bedeutungsproduktion operiert. In jedem Fall lassen sich die Bücher (im Rahmen ihrer Entstehungszeit) nicht von vorn-herein als künstlerische Projekte lesen, sondern formulieren diesen Anspruch erst in der kontextuellen Verschränkung mit zeitgenössischen Kunstdiskursen. Ist es also Kunst, was Ed Ruscha unter diesen Voraussetzungen produziert? Oder arbeiten die Bücher nicht vielmehr genau an dieser Grenze?



© Reinhard Braun 1999

erschienen in:
Österreichische Galerie Belvedere (Hg.), "Aufnahmen. Fotografische Recherchen in der Stadt", Ausstellungskatalog, Wien 1999



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