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Texte


Reinhard Braun
AM RANDE DES NETZWERKS
Aktuelle Projekte aus Österreich: Teil 2

"Wenn Texte von Bildern verdrängt werden, dann erleben, erkennen und werten wir die Welt und uns selbst anders als vorher: nicht mehr eindimensional, linear, prozessual, historisch, sondern zweidimensional, als Fläche, als Kontext, als Szene. Und wir handeln auch anders als vorher: nicht mehr dramatisch, sondern in Beziehungsfelder eingebettet."1 Beschreibt dieses Zitat explizit jenen Zustand, der gegenwärtig beim Blick auf künstlerische Arbeiten immer implizit mitgedacht und geradezu vorausgesetzt wird, nämlich daß sich alles innerhalb von Medien(bildern) ereignet, dann bedeutet diese Feststellung auch umgekehrt, daß diese (medial geprägten) Bilder, die immer mehr und öfter anstelle von Texten "besiedelt", zum Gegenstand von Projektionen und Rezeptionen geworden sind und noch werden, ihren Ort und ihr Verhältnis gegenüber gegenüber dem Subjekt verändert haben. Sie transportieren weniger immanente Bedeutungen, Sinnzusammenhänge, als vielmehr strukturelle, kontextuelle Muster: Szenen, informationelle Konfigurationen, die uns (intellektuell) affizieren, mehr als daß sie uns etwas mitteilen, visuelle Felder, die quasi nach Informationen abgetastet werden, ästhetische Konfigurationen, die mehrere Medien zusammenführen, also auch Bilder - oder wie immer dieses Verhältnis beschrieben werden kann. Diese - durchaus nicht pessimistisch im Sinne eines Niedergangs der Erkenntnis oder des Wissens mißzudeutende - Formulierung zielt im vorliegenden Zusammenhang auch weniger auf eine neue visuelle Epistemologie, obwohl es wichtige Fragestellungen im Zusammenhang des Wissenskonzepts und seiner immer stärkeren Verknüpfung mit verschiedenen Bildformen bzw. -abläufen zu behandeln gäbe. Was Vilém Flusser im eingehenden Zitat als Szene oder Fläche beschreibt, deutet somit nicht primär auf einen ästhetischen Umstand, sondern gerade auf eine solche veränderte Auffassung dessen, wie sich Wissen bzw. Erkenntnis formiert, welcher Träger bzw. Konstellation von semantischen Elementen sich Kommunikation bedient. Was also diese Formulierung andeutet, ist hier lediglich die Feststellung, daß selbst bzw. gerade mediale Bilder nicht einfach technische Bilder oder visuelles Medium sind, sondern daß auch an ihnen zu beobachten und zu analysieren gilt, wie, wo und unter welchen Umständen sie sich als solche formieren, welche Kontexte sie erobern, modifizieren oder überhaupt erst eröffnen.

"Hypermedium" ist somit kein Schlagwort einer Mediatisierung oder Ästhetisierung des Alltags, sondern Metapher der Umformung derjenigen Trägermedien, die ihn als öffentlichen, d. h. kollektiven und vor allem informationellen, d. h. mit Information angereicherten Raum formieren, beschreiben, aufzeichnen. CD-Roms oder World Wide Web-Hyperlinks bzw. Hybride Systeme aus diesen Elementen sind nicht nur das Resultat einer technischen Entwicklung, sondern indizieren eine Reorganisation des Materials, dessen sich Kultur zu bedienen imstande ist, um sich zu reproduzieren, d. h. als Kultur mit Geschichte bzw. einer bestimmten Logik fortzuschreiben. Hypermedien, zu denen in Ansätzen bereits bestimmte "Betriebsarten" von Netzwerken zu zählen sind, insbesondere der Internet-"Aufsatz" "World Wide Web", intervenieren in die kulturelle Textur - und verschieben ihre Parameter, ein Umstand, den schon Marshall McLuhan zum Ausgangspunkt nahm, um die Medienkultur als solche zu beschreiben und sie insbesondere von der literarischen, auf dem Text als dem Paradigma ihrer Organisation beruhenden zu unterscheiden.

Wenn es also um Netzwerke und Bilder geht, gerät zumindest zweierlei in den Blick: einerseits neue (z. T. kollektive) Produktionsformen, die hier aber weniger interessieren, andererseits, durch die folgenden Projekte skizziert, spezifische Formen der Zirkulation des produzierten Bild-Materials, seine Positionierung und die Kontexte, die sich die Bilder bzw. Bildformen erschließen. Mailbox-Systeme, World Wide Web Homepages und andere Netzwerk-Implemente bieten völlig andere strukturelle Vorraussetzungen für deren Verbreitung und Rezeption, den "Ort" ihres Erscheinens, als im "konventionellen" Kunst- oder Wissenschaftskontext. Diese Strukturen sind, was bereits für die kommunikations- bzw. textorientierten Projekte als wesentlich beschrieben wurde (vgl. Camera Austria, Nr. 50/1995, S. 102ff.), vor allem durch einen technologisch und immer mehr massenmedial determinierten Kontext gekennzeichnet, der somit auch die "Szene", d. h. das Beziehungsfeld bestimmt, indem Bilder wie Text positioniert und zugänglich werden. In Kommunikationssystemen zirkulierende Bilder erzeugen damit ein anderes Verhältnis von Autor und Rezipient, von Kunst und ihrer Wahrnehmung, d. h. stellen ein spezifisches Distributionssystem dar: breiteste Zugriffsmöglichkeiten, dezentrale Autorenschaft, nicht verifizierbare Rezeption und Weiterverwendung bzw. -bearbeitung (Copyrightfrage). Es etabliert sich eine Entkoppelung der klassischen Situation ästhetischer Rezeption durch die "räumliche" Multiplizierung dessen, was als konkrete Arbeit sozusagen nur mehr spurengesichert, rekonstruiert werden, nicht aber direkt rezipiert werden kann - die Arbeiten initiieren vielmehr etwas wie einen Prozeß ihrer "Auffindung", "wuchern an vielen verschiedenen Orten, zu verschiedenen und gleichen Zeiten"2.

"The Thing Vienna" stellt als Mailbox bereits selbst ein System innerhalb solcher weltweiter Netzwerke dar: es ist ein adressierbarer Knoten, der in sich strukturiert ist und nicht nur zahlreiche Angebote für den User zur Verfügung stellt, sondern auch Dienstleistungen für diesen übernimmt: die Weiterleitung von e-mail, den Austausch von Diskussionsforen mit anderen Mailboxen oder dem Internet usw. Indem "The Thing Vienna" aber auch Online-Dienste anbietet, ist es quasi eine Zwischenform: es baut selbst ein (beschränktes) Netz auf und ist gleichzeitig Mittler zu anderen Netzen. Im Rahmen dieser Online-Dienste beinhaltet "The Thing" nicht nur Veranstaltungsinformationen (etwa die "Beatbox" oder Ausstellungstermine), sondern auch Editionen und Shows, d. h. visuell orientierte Komponenten.

Der erste Beitrag innerhalb der "Virtuellen Galerie" stammt von Rainer Ganahl unter dem Titel "Basic Japanese & Basic English" (ab November 1994 zugänglich) und stellt eine Adaption einer gleichnamigen Version für "The Thing New York dar. Er besteht aus Textfiles, Bilddateien und überspielbaren Videosequenzen, die sich auf das Japanischstudium Rainer Ganahls beziehen und Gespräche und Interviews mit japanischen Freundinnen bzw. Lehrerinnen sowie einen Ausschnitt aus einem Gespräch mit dem japanischen Medienstar und Mörder "Sagawa". Das Thema der Arbeit sind Aspekte der Migration, des Kultur- und Sprachwechsels, der durch den Präsentationsmodus der Arbeit, ihre Ortlosigkeit und die dadurch entstehende Transgression jeglichen kulturellen Kontextes innerhalb des Netzes wiederholt wird. Das gesamte Material kann auf den eigenen Rechner überspielt und dort in verschiedenen Konstellationen geordnet, bearbeitet (und wieder gelöscht) werden. Was somit als Produkt bleibt, entzieht sich der Kontrolle und Verfügung des Autors.

Der zweite Beitrag (ab Dezember 1994) ist das von Christine Meierhofer auch für "Computer Aided Curating" von Eva Grubinger im World Wide Web (http://www.is.in-berlin.de/cac/cac_hall.html) realisierte Projekt "Auftragsdiebstahl". Ein "Katalog" stellt berühmte gestohlene Bilder zusammen; aus diesem kann sich der User eines aussuchen; er schickt dann - wenn er in das Projekt einsteigen möchte - ein Foto seiner Wohnung an die Künstlerin, die das ausgewählte gestohlene Bild in dieses Foto einmontiert und als "fertiges Bild" zum Verkauf angebietet. Eine Reihe solcher fertiger Bilder sind somit zugänglich und dienen dazu, Käufer bzw. Partizipanten zu werben. Das Projekt bezieht sich somit einerseits auf die in den USA bereits gängige Praxis des Teleshoppings, andererseits thematisiert Christine Meierhofer in diesem spezifischen Kontext die Frage des Originals, von Authentizität und Manipulation, schließlich von Anonymität - die Käufer der Bilder sind zugleich als Hehler zu bezeichnen, die aber nur mehr über eine Netzadresse zu identifizieren sind.

Die neueste Online-Show mit dem Titel "Paps" stammt von Alfons Egger und läuft seit Mai 1995: sequentielle Aufnahmen einer Plastik des Künstlers werden mit literarischen Texten überlagert und in einer automatischen Abfolge am Bildschirm des eingewählten Users aufgebaut - eine reduzierte Bildfolge, die zwischen Video und Standbild anzusiedeln ist und direkt auf den Modus der Rezeption abzielt: ein Telefongespräch mit Bildern zu führen, deren Übermittlung Zeit in Anspruch nimmt, deren Aufbau mitverfolgt wird; es besteht Zeit, die Texte zu lesen, die ebenfalls erst in der Zusammenstellung der Sequenz ihre Bedeutung eröffnen. Im Gegensatz zu Rainer Ganahl zielt Alfons Egger auf einen präsenten Rezipienten, der diejenige Zeit, die für die Arbeit notwendig ist, vor dem Computer sitzt und mit "The Thing" verbunden ist. Auf diesen Umstand nimmt die visuelle Gestaltung Rücksicht: die Auflösung und die Bildkomplexität ist so gewählt, daß eine akzeptable Übertragungszeit gewährleistet werden kann - es bleibt buchstäblich keine Zeit zur ästhetischen "Aufrüstung" (etwas, daß allzuviele Worl Wide Web-Projekte völlig vernachlässigen, weshalb es jede Menge Zeit kostet, sich diese wirklich anzusehen). Die Ästhetik stellt also eine direkte Reaktion auf das zur Verfügung stehende Medium dar.

Schließlich versucht "The Thing" auch, elektronische Editionen zu etablieren. Dabei handelt es sich im wesentlichen um künstlerische Grafiken, Fotos u. ä., die als Datei (gegen eine geringe Gebühr) bezogen und anschließend ausgedruckt oder belichtet werden können. Dieses Vertriebssystem zielt also nicht auf Bildschirm-Bilder, sondern auf konventionelle Präsentation. Vielleicht reagiert diese Vertriebsform am deutlichsten auf Original- und Autorfragen; im Falle des Projekts von Rainer Ganahl gibt es keine Arbeit, die an die Wand gehängt werden kann; Christine Meierhofer fertigt auf Wunsch einen großformatigen Abzug des fertigen Fotos der jeweiligen Wohnung an, allerdings als signiertes und gerahmtes Bild, das von der Künstlerin selbst hergestellt und verschickt wird. Im Falle der Editionen von Peter Halley, Ursula Endlicher und Karl-Heinz Klopf handelt es sich lediglich um Dateien, mit denen man machen kann, was man will - ohne Signatur, d. h. ohne Rückversicherung auf einen Autor. Und Karl-Heinz Klopf vertreibt seine Bilder überhaupt als Anteilscheine eines (noch zu realisierenden) Projektvorhabens. Künstlerische Produktion definiert sich hier nicht mehr als Differenz zu all den anderen Datentransfers, Informationsaustauschvorgängen, sondern affirmiert - ähnlich wie im Falle des Tele-Shoppings - deren Mechanismen, verwischt gerade die Differenzen, und stellt die Frage, ab wann das "Werk" innerhalb dieses Transfers zu existieren beginnt.

Dezidiert als Mailbox-Galerie ist die seit 1993 durch Reinhold Hörschläger und Robert Waldl betriebene "Galerie bois" angelegt. Sie trägt ebenso der Tatsache Rechnung, daß kommunikative und informative Operationen zunehmend über Datennetze erledigt werden und versucht, am Rande dieser Netze Momente der künstlerischer Präsenz in diese einzuschleusen. Ihr Operationsmodus funktioniert analog zu den Editionen in "The Thing": man wählt sich in das System und hat dort die Möglichkeit, verschiedene Arbeiten abzurufen und auf den eigenen Rechner zu überspielen. Manche der Arbeiten sind mit einem Balken versehen - bei Zahlung einer (ebenso niedrigen) Gebühr können die "unversehrten" Bilder bezogen werden. Daneben gibt es allerdings "interaktive" Präsentationen, etwa das "Electronic Diary" von Sodomka/Breindl, die es ermöglichen, abgerufenes Material zu bearbeiten und (als dem Projekt hinzutretender Autor) wieder dem System zu implementieren. Einen ersten Schwerpunkt bildete zwischen Oktober 1993 und Januar 1994 die aus Arbeiten von Sigrid Kurz, Ilse Haider und Thomas Freiler bestehende Präsentationsreihe "Computing Photography", die allerdings noch einer Idee des digitalen (Stand-) Bildes verpflichtet war. Seither haben zahlreiche Künstler (u. a. Sabine Bitter/Juerg Meister, Ines Nikolavcic, Klaus Muik, Herwig Turk, Robert Zahornicky, Robert Jelinek, Bernd Cella, Michaela Moscouw, Gerda Lampalzer und Gertrude Moser-Wagner) verschiedenartige, z. T. die spezifische Situation berücksichtigend, Präsentationen für die "Galerie bois" realisiert, weswegen es mittlerweile auch einen Bereich "Sammlung" gibt, in dem diese Projekte zumindest in Ausschnitten zugänglich bleiben, denn zum Unterschied der Editionen in "The Thing" sind die Arbeiten hier nur für einen bestimmten Zeitraum online - die Nachbildung eines Galeriebetriebes "In Real Life".

Ein Projekt, das im Gegensatz dazu nicht als Mailbox funktioniert, sondern selbst einen spezifischen Begriff des Netzes erzeugt, ist die "Elektronische Galerie", die vom "Kunstlabor" (Franz Xaver, Oskar Obereder, Max Kossatz und F. E. Rakuschan) seit 1992 entwickelt und seit 1994 be- und vertrieben wird. Die "Elektronische Galerie" ist als autonomes und autarkes System angelegt und reagiert in dieser Form sozusagen auf die durchgehende Kommunikationsideologie, die vom Konzept eines offenen, flexiblen, sich ständig unter dem Einfluß der Teilnehmer veränderndem Kommunikations- und Informationssystem als "Pool" ausgeht - und ihn negiert. 50 Künstler wurden als Teilnehmer eingeladen, in den nächsten beiden Jahren immer wieder Bilder bzw. Bildvorlagen in zur Verfügung zu stellen. Diese können als e-mail, aber auch als Fax an die Zentrale geschickt werden. Von dort aus erfolgt die Verteilung der Bilder an die einzelnen Stationen (bisher sind Systeme in der Kunsthalle, Wien, im Museum für Arbeitswelt, Steyr, im Festspielhaus, Bregenz, im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, im Kunstraum, Wien, in der Werkstadt Graz, im Offenen Kulturhaus, Linz und anläßlich der Ars Electronica im Hotel Ramada in Linz installiert worden). Diese "Sichtstellen" gibt es wiederum in zwei Ausführungen: einmal als LCD-Schirm in einem goldenen Barockrahmen, in den die gesamte notwendige Hardware integriert ist, und als monochromes schwarzes Bild mit der Aufschrift "Channel 37", in das zusätzlich ein Sender bzw. ein Videoausgang eingebaut ist; die Bilder können in diesem Fall auf dem Kanal 37 des Fernsehgräts empfangen werden.

Sie werden im Minutenrhythmus in einer Endlosschleife wiedergegeben, jeweils von der Angabe des Künstlers unterbrochen - quasi ein Kunstkanal, der immer wieder die Arbeiten der 50 Künstler präsentiert. Das System ist so aufgebaut, daß die erworbenen "Bilder" - besser: Bildmaschinen bzw. "Sichtstellen", die an das Telefonnetz angeschlossen sind - regelmäßig und selbsttätig die Nummer der Zentrale anrufen und dort abfragen, ob es neue Bilder gibt, die dann automatisch überspielt werden. Gegen Zahlung einer monatlichen Gebühr ist somit permanent das aktualisierte Galerieprogramm zu sehen - ein völlig von allen Netzen unabhängiges Bildsystem, das, ohne Kenntnisse der Bedienung zu erfordern ("plug and play"), direkt vom Produzenten der Bilder unter Ausschaltung sämtlicher Auswahl- oder Kontrollinstanzen zu ihren Rezipienten führt. Die "Elektronische Galerie" entzieht sich somit einer spezifischen Medienkunst-Ideologie: sie ist gerade nicht interaktiv, sie realisiert kein komplexes System, sie bietet keine Beteiligung an, sie intendiert keine neue Bildform - trotz allem geht es nicht um eine Rehabilitierung der Computergrafik oder des klassischen Autors; sie übersetzt rigide eine Systemidee in ein Kunstprojekt, und indem sie große Teile der Rhetorik über Medienkunst in diesem Systemkonzept ignoriert, erscheint sie gleichzeitig als ein Statement zu zahlreichen Begriffen des rhetorischen Diskurses um neue Medien, ein Statement zur jener Kunstszene, die sich diesen Diskurs angeeignet hat und damit als Kommentar, als "reales" System gewordener Kommentar zum affirmativen Kontext, den diese (teilweise) produziert. Im Hintergrund steht das soziale System Kunst, daß an der Entwicklung dieser Szene in den letzten Jahren sicherlich beobachtet werden konnte: "Die Hoffnung, daß die Dynamik des Systems das Kommunikationsangebot schon irgendwie in die 'gepflegte Semantik' der Kunst befördern werde, ist trügerisch. Denn gerade diese Dynamik ist gnadenlos."3

Was diese Projekte in unterschiedlichen Maß auszeichnet, ist der Umstand, daß es nicht darum geht, elektronische oder digitale Bildformen an sich zu thematisieren, sie ästhetisch weiterzuentwickeln oder immer komplexere Bildschichten ineinanderzuführen, sondern mit Mechanismen deren Verteilung zu operieren. Es entsteht Kunst auf Abruf, die zwar potentiell präsent bleibt ("accessable"), ohne wirklich präsentzu sein. Sie stellen (Bild-) Information auch nicht als etwas dar, das gehortet wird, sondern als etwas, zu dem man sich bei Bedarf Zugang verschafft. Es taucht am Beispiel der Distributionsform der Aspekt der ungemeinen Potentialität dieser Systeme auf, die ständig etwas anbieten, zu etwas verführen wollen; sollte man sich dieses Angebot wirklich zu sich nach Hause holen wollen, sind bald alle Festplatten voll, und das Problem verlagert sich nur von einem Träger auf den anderen. Diese Potentialität macht den vorübergehenden Einstieg - um ein Bild anzusehen, sich e-mail abzurufen oder wozu auch immer - zu einem zentralen Operationsmodus. Dieser Einstieg stellt jetzt aber nichts her, er beudeutet lediglich eine Aktualisierug, eine vorübergehende Manifestation eines Datenzustandes. Viele der hier besprochenen Bilder sind nur dann "real", wenn sie online übertragen oder abgerufen werden für einen kurzen Moment des Betrachtens, nachdem sie buchstäblich wieder verschwinden. Sie existieren nur aus einem flüchtigen (zufälligen) interesse haraus. Und all das wird üblicherweise nicht mit einer Beschreibung von Kunst in Zusammenhang gebracht - wobei es sich allerdings ohnehin um eine Frage handelt, die nichts zur Klärung beiträgt.

1 Vilém Flusser, Ins Universum der technischen Bilder, Göttingen: European Photography 31990, S. 9.
2 Heidi Grundmann im Zusammenhang mit Radioarbeiten: "Die Geometrie des Schweigens", in: Museum moderner Kunst Wien (Hg.), Interferenzen IV. Die Geometrie des Schweigens, Wien 1991, o. S.
3 F. E. Rakuschan, "Strukturorientierte Kunst. Unplugged art for a complex world", in: Karl Gerbel, Peter Weibel (Hg.), Mythos Information. Welcome to the Wired World, Katalog der Ars Electronica 1995, Linz 1995, S. 272-277, S. 273.



© Reinhard Braun 1995

erschienen in:
Camera Austria 51-52/1995



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