TexteReinhard Braun |
Radikale Bilder - Spekulative Theoreme
Radikalität kann nicht dargestellt werden - es gibt kein Bild davon. Bereits in der Ausstellung zur 1. Österreichischen Triennale zur Fotografie 1993, die sich aufgrund zwingender, nicht nur geografischer Zusammenhänge dem Phänomen "Krieg" gestellt hat, ging es um Möglichkeiten, eine solche "Formation" sichtbar werden zu lassen, die, wie es Heinz Emigholz ausgedrückt hat, jedes Medium durchschlägt, weil seine Erscheinungsform einer abstrakten, bildlich nicht darstellbaren Beziehungslogik folgt. Wie läßt sich, so lautete schon 1993 die Frage, eine solche (traumatische) Formation in eine künstlerische Produktion wenden, im Rahmen eines Mediums, dessen grundlegende Bedingung darin besteht, sich mit dem Realen "einzulassen" - wo doch jedes Bild der Welt aus dieser erst semiologisch deduziert werden muß, die Welt so, wie sie erscheint, keine Bedeutung enthält: sie ist, wie sie ist. Der Begriff der Produktion ist in diesem Zusammenhang also wörtlich zu nehmen: vor allem auch fotografische Bilder fangen nicht einfach bedeutsame (oder radikale) Erscheinungen ein, sie müssen diese auf vielfache Weise herstellen. Die 2. Österreichische Triennale zur Fotografie unter dem Titel "Radikale Bilder" befragt neuerlich die Fotografie als ein wesentliches Mediensystem der Vermittlung von Umwelt und Subjekt innerhalb zeitgenössischer visueller Kultur - und wiederum durchschlägt das "Thema" jedes Medium, bleibt es selbst sozusagen abwesend, bildet es eine Leerstelle, die nicht (durch ein Bild) besezt werden kann, ist für dieses Projekt aber Ausgangspunkt eines Denkens über Fotografie geworden. Die Frage dabei ist sicherlich nicht, wie ein radikales Bild aussehen kann, sondern, durch welche Methoden oder Strategien überhaupt ein (ästhetischer) Raum geschaffen werden kann, in dem so etwas wie ein radikales Bild konstruierbar, vermittelbar, darstellbar, denkbar wird. Im Zentrum der Frage nach dem "radikalen Bild" stehen also strategische Operationen am und mit dem fotografischen Bild, bestimmte Prozesse der Bildfindung und -konstruktion eher als bestimmte Bildinhalte. Wenn es kein Bild des Radikalen gibt, läßt sich das "radikale Bild" gewissermaßen als Symptom dieser Ausstellung bezeichnen, in dem Sinn, wie es etwa Slavoj Zizek nach Jacques Lacan definiert hat: als dasjenige, das sich, wie das Reale, einer Verbildlichung widersetzt, als dasjenige, das permanent verfehlt wird, das aber wiederkehrt, ohne sich neutralisieren, ohne sich in die symbolische Ordnung vollständig integrieren zu lassen. Das Symptom ist der "Ort", von dem aus mögliche Bedeutungen organisiert werden, der Ort, von dem aus der Horizont strukturiert wird, innerhalb dessen Bedeutungen überhaupt produziert werden können. Das Symptom ist ein blinder Fleck, der nicht wahrgenommen werden kann, wichtiger noch: ein Ort, ein Merkmal, eine Geste, die selbst keine Bedeutung hat, ohne die aber eine Bedeutungsproduktion nicht möglich wäre. Im Zusammenhang mit einem "radikalen Bild" an ein Symptom zu denken, heißt nicht, selbst in eine Psychose zu verfallen, es heißt aber, sich vor allem davon zu lösen, beim Denken an Bilder zugleich an Darstellung zu denken, an Verbildlichung, an eine Repräsentation, ein Abbild - sondern im Gegenteil gerade und vor allem an dasjenige, das nicht im Bild erscheint, das aber seine Organisation bestimmmt, den "Ort", von dem aus es "spricht". Der Begriff des "radikalen Bildes", wie er die Grundlage für die Konzeption dieser Triennale gebildet hat, beschreibt das Interesse an jenen Prozessen, die in die Welt, so, wie sie ist, intervenieren, ohne sie zu neutralisieren, die mit den Differenzen, den Ambivalenzen, den Widersprüchen und Widerständen eines (subjektiven, kollektiven, sozialen, politischen ...) Realen operieren, ohne diese Widersprüche im Bild oder der Organisation von Bildern aufzulösen, sondern in diese Organisation miteinbeziehen. Im Mittelpunkt steht kein Abbild radikaler Erscheinungsformen des und im Realen, sondern Ansätze und Positionen, die diese zum Ausgangspunkt einer Bildproduktion zu nehmen. In Begriffen der Abwesenheit zu sprechen, den Gegenstand einer visuellen Aneignung als Leerstelle zu definieren heißt, den Mechanismus der Referenzialität außer Kraft zu setzen, das Wort und das Bild nicht als Ersatz bzw. Repräsentation des Abwesenden, sondern im Gegenteil die Sphäre der sprachlichen und bildichen Signifikanten als durch einen Mangel gekennzeichnet zu denken, den erst der Gegenstand selbst füllt - aber welcher Gegenstand, wenn sich dieser nicht ohne weiteres verbildlichen läßt? Wenn Bedeutung mit Niklas Luhmann als Zustandsform eines System gedacht werden kann, dann bildet der Begriff "radikale Bilder" darüberhinaus auch die Beschreibung jener Zustandsform, die die Ausstellung einnehmen soll - nicht als Illustration einer Idee, d. h. nicht in Kategorien der Repräsentation, denn es geht - wie gesagt - nicht um Fragen der Referenzialität der Fotografie, des fotografischen Bildes, sondern um Fragen nach den Möglichkeiten eines solchen Bildes als Teil eines visuellen Systems der Gegenwart, Bedeutungen zu produzieren, von etwas zu "sprechen", das sich nicht ohne weiteres als Bildinhalt definieren läßt, das nicht ohne weiteres Gegenstand einer visuellen Aufzeichung, d. h. fotografiert werden kann. Radikalität hat demnach auch nicht zwingend mit einem bestimmten Gestus zu tun, sei es ein Gestus der Negation, der Aufhebung oder der vollständigen Aneignung, der Subjektivierung oder der Einführung eines Moments der Irrationalität, sondern mit Methoden der Irritation, der Verschiebung und Verzeichnung. Der "Ort" der Radikalität im Bild oder als Bild (als Formation von Bildern) wäre dann an der Nahtstelle dieser Verschiebung auszumachen, eine Nahtstelle, an der Beschreibungen, Vor-Verständnisse und analytische Topoi außer Kraft gesetzt werden, an der ein "Rest" zurückbleibt, der im und durch das Bild nicht aufgelöst werden kann. Die Ausstellung versucht demnach, Methoden und Strategien solcher Verschiebungen im System der fotografischen Bilder zu präsentieren, die sich zugleich auf soziale, politische, kulturelle, künstlerische und/oder institutionelle Aspekte dieses Bildes richten, d. h. seinen funktionalen Ort innerhalb gegenwärtiger Kulturformen reflektieren. Es geht dabei nicht um Inhalte, sondern um jene Prozesse an und mit den Bildern, die jene Verschiebungen und Bedeutungswechsel hervorrufen können, eine Zustandsform der Fotografie, die eine Bruchstelle impliziert, einen Heterotopos, um einen Begriff von Michel Foucault zu entlehnen, einen blinden Fleck, ein Symptom. Es geht in und mit dieser Ausstellung also auch um Lesarten von Fotografie, um Lesarten, die nicht auf den Blick vertrauen, wo es nichts zu sehen gibt, sondern die Fotografie (im weitesten Sinn) als ein Mediensystem verstehen, durch daß bestimmte Bildkonstellationen erzeugt werden können, um über bestimmte Phänomene des Realen eine (visuelle) Aussage zu treffen, diese zu einer Aussage überhaupt erst zu organisieren. Es geht um bestimmte Organisationsformen von Bildern, um die Ränder und Grenzen des Visuellen, aber auch um deren "Mitte" - denn die blinden Flecke der Wahrnehmung liegen nicht außerhalb des Wahrnehmungsfeldes, sondern in dessen Zentrum: ein Ort jedes Mediums, an dem es sich selbst nicht darstellen kann. Radikale fotografische Bilder sind also nicht zwingendermaßen jene, die die Fotografie verlassen, sondern auch jene, die sich nach wie vor mit ihren Mechanismen, Erscheinungsformen und Präsenationsmodi beschäftigen. Mit dem Begriff der "radikalen Bilder" soll somit - gerade auch angesichts der Relativierung des fotografischen Bildes als Träger und Feld von Bedeutungen durch digitale Bildtechniken - gewissermaßen der Einsatz dieser spezifischen visuellen Aussageform erhöht werden, auch deshalb, weil es im Rahmen der Debatte um digitale Bilder nur mehr um Fragen der Emergenz zu gehen scheint, d. h. darum, was noch als Bild entworfen werden kann, und nicht mehr darum, worauf sich ein Bild noch richten kann. Die Fotografie scheint in diesem Szenario der interaktiven Fantasmen - auch als Massenmedium - noch immer durch ihre analoge, d. h. auf mechanischen Apparaten beruhende Verfahrensweise selbst bereits eine spezifische Form des Widerstandes zu besitzen: sich mit dem Realen einzulassen bedeutet auch, daß den Projektionen des Subjekts auf dieses Reale Grenzen gesetzt sind. Nachdem es denkbar geworden ist, das Bild als eine Form unmittelbarer Entäußerungen des Subjekts zu verstehen, die darüberhhinaus noch ständig manipulier- und veränderbar bleiben, hat sich der Bildbegriff selbst sozusagen verflüssigt: Bilder sind heute vorübergehende Zuständen eines permanent fluktuierenden visuellen Systems. Wenn sich also Radikalität einer Aufzeichnung und Darstellung gewissermaßen entzieht und als ein höchst verschiedenartiger Prozeß gedacht werden muß, der weder ein bestimmtes Medium betrifft noch bestimmte Bilder und Bildformen impliziert, läßt sich auch keine bestimmte Position aufgreifen und zeigen, die etwas wie Radikalität, eine Methode, "radikale Bilder" herzustellen, definieren könnte. Die Ausstellung entwirft also keine Definition, sondern möchte einen Raum eröffnen, in dem gerade die Verschiedenartigkeit sichtbar wird, mit der "radikale Bilder" konstruiert werden können, die unterschiedlichen Konzepte, Radikalität als Moment künstlerischer Produktion ins Spiel zu bringen, zu thematisieren, zu reflektieren und die damit verbundenen völlig unterschiedlichen Möglichkeiten, das fotografische Bild selbst in diesem Sinn einzusetzen, zu verwenden, zu unterlaufen, einen Spalt im Bild zu öffnen. Läßt sich Radikalität als Moment künstlerischer Produktion also nicht definieren, kann auch die Ausstellung kein definitorischer Raum sein, sondern vielmehr einer, der ganz unterschiedliche Positionen umfaßt, ein inhomogener Raum, der keine Engführung des "radikalen Bildes" zuläßt, sondern im Gegenteil eine Erweiterung dessen im Sinn hat, was mit dem Begriff "radikale Bilder" in Verbindung gesetzt werden kann. Dementsprechend geht es in der Ausstellung nicht darum, bestimmte Positionen zeitgenössischer Kunst als sozusagen "angemessene" Strategien des Umgangs mit gegenwärtigen Bildwelten und -formen zu präsentieren. Im Hintergrund solcher Modelle steht nach wie vor die Idee der Avantgarde, jener (künstlerischen) Vorreiter, die sozusagen neues Terrain künstlerischer Arbeitsweisen und -formen erschließen, deren kunsttheoretische Analyse großteils auch mit dem Begriff der Radikalität in Verbindung gestanden hat. Die Ausstellung "Radikale Bilder" zielt aber nicht auf eine derartige Tradition, weder im Hinblick auf die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert noch deren kunstkritischer Vermittlung (und Vermarktung). Die Perspektive, die mit dem Begriff "radikale Bilder" eingenommen wird, entwirft keinen "Leitbegriff" für zeitgenössische Kunst, sondern zielt demgegenüber auf die Vermittlung auch einer bestimmten Lesart von Fotografie. Obwohl das Projekt der Triennale zur Fotografie 1996 eine konkrete Perspektive auf Fotografie als Teil zeitgenössischer Kunst vermitteln möchte, geht es dennoch um keine Illustrierung kuratorischer Ideen, sondern vor allem eine Konfrontation, einen Austausch. Denn indem die allermeisten in der Ausstellung gezeigten Arbeiten aus Anlaß der Triennale entstanden sind, stellen sie selbst schon eine Reaktion auf das "Thema" dar, Entwürfe dessen, wie "radikale Bilder" vermittelbar, darstellbar, denkbar werden können, ohne aber darauf reduzierbar zu sein. Sie eröffnen Fragestellungen, die sich auf den funktionalen Ort von Fotografie insgesamt richten, darauf, welche Positionen das fotografische Bild einnehmen kann, um angesichts der durchgehenden Ästhetisierung des Alltags noch eine Wahrnehmung zu verursachen, eine Interpretation in Gang zu setzen, kurz: zu affizieren. Radikalität hat auch damit zu tun, einen "Ort" für das fotografische Bild zu konstruieren, von dem aus es seine Bedeutungen entfalten kann, neuerlich und immer wieder dem Realen durch ein Bild Bedeutungen zu "entwenden" - nachdem seit nunmehr über 150 Jahren permanent in Bildern über die Welt und von ihr berichtet wird, es zahllose Bildarchive über alle denkbaren Erscheinungen der Welt gibt. In dieses Bilduniversum zu intervenieren, sich eine Bildposition zu erarbeiten, bedarf einer zunehmenden methodischen und strategischen Anstrengung. Die Pluralität dieser Methoden und möglichen Positionen zeitgenössischer Kunst bleibt in jedem Fall die Grundlage der vermittlerischen Arbeit, ihr hat sie sich zu stellen. Dies gilt auch für die 2. Triennale zur Fotografie in Graz 1996: wenn es auch kein "radikales Bild" gibt, so gibt es dennoch radikale Bilder. © Reinhard Braun 1996 erschienen in: Reinhard Braun, Werner Fenz (Hg.), Radikale Bilder. 2. Österreichische Triennale zur Fotografie, Edition Camera Austria: Graz 1996 |
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