TexteReinhard Braun |
Ein Modell, das unaufhörlich einstürzt. Der 16mm-Film als Video startet mit einer Schwarzblende. Die Musik setzt vor dem Bild ein, ein paar Takte, Hihat, Gitarre, Bass, und verstummt gleich wieder. Nach einer kurzen Pause ein neuerlicher Versuch, das Gerüst eines Songs zu etablieren. Die Kamera schwenkt in einem Zoon zunächst über die Instrumente und Hände der Musiker (die sich als Schauspieler herausstellen). Erst nach und nach tastet sich die Kamera an die Personen heran, begleitet von den kurzen Versuchen, einen Song zu definieren. Erst gegen Ende des Videos wird dieser erahnbar, doch das Bild verschwindet neuerlich in einer langen Schwarzblende. Die Musik bricht wieder zusammen, und das Video geht von vorne los. Die Musik ist vor dem Bild präsent. Die Kamera tastet zuerst die Instrumente und die Verstärker ab, was sich wie ein inhaltlicher Vorspann liest, der in den Film/das Video verwoben ist. Im Zentrum steht also die Musik, eine bestimmte Musik: wir blicken zurück auf die frühen 80er Jahre. Diese Vermutung wird durch den Modestil der Protagonisten bestätigt. Probt hier eine Band, die sich einem 80er Jahre-Revival verschrieben hat? Die Ästhetik des Filmmaterials spricht dagegen (und selbstverständlich das Vorwissen der BesucherInnen). Was aber könnte es für einen Sinn machen, diese Situation zu inszenieren? Welches Interesse besteht an der Aktualisierung popmusikalischer Phänomene aus der Zeit um 1980? Die fragmentarische Darstellung erinnert nur kurz an dokumentarische Aufzeichnungen einer Probensituation. Die Kamera scheint dafür ein zu grosses Interesse an Details aufzuweisen, gibt überhaupt nur widerstrebend Einblicke in die Situation. Am markantesten erscheinen die Brüche und Leerstellen im Versuch, die Musik weiterzutreiben, den Song zu entwickeln. Der Film/das Video gibt praktisch keinen 'Raum', keinen visuellen Ort im Bild, an dem sich so etwas wie ein popkultureller Mythos festmachen liesse. Die Musik wird wie ein Modell inszeniert, das unaufhörlich entsteht und einstürzt, wie ein Prozeß, der unaufhörlich fortgesetzt, unterbrochen und wieder aufgenommen wird - "go somewhere" (Originalton). Es kann also ausgeschlossen werden, dass es um die Affirmation einer bestimmten Musik oder um deren Heroisierung geht. Das Jahr 1980 wird nicht als mythische Landmarke der Popgeschichte inszeniert, aber als Kristallisations- und Ausgangspunkt für die Untersuchung dieser Geschichte. Der Titel der Arbeit von Mathias Poledna - "Actualité - erscheint wie eine Feststellung, wie die knappe Kennzeichnung einer Tatsache, die in merkwürdigem Gegensatz steht zur sich quasi ständig selbst reflektierenden und befragenden Kamera steht, die den Raum wieder und wieder durchstreift, als gäbe es keinen zu definierenden Blickwinkel auf das Geschehen, als wäre die Szene in derart vielfältiger Weise anschlussfähig für ganz andere Bilder, eine ganz andere Entwicklung der Bilder und auch der Musik. Und aus dieser Wahrnehmung heraus und aufgrund dieses Gegensatzes wird die Filmarbeit selbst anschlussfähig an "Fragen der Historisierung, Rekonstruktion und Mediatisierung alltagskultureller Erscheinungen von Modernität." Das Video inszeniert die Geschichte der Popmusik als offene Formation, als Feld von möglichen Anschlüssen und Ausschlüssen, Rückgriffen und Aneignungen, die das verästelte und diskontinueriliche Feld popkultureller Phänomene produzieren. David Toop schrieb in anderem Zusammenhang: "Songs werden flüssig. Aus ihnen werden Vehikel für Improvisationen, oder Quellenmaterial, fast schon Feldstudien, die man neu konfigurieren und zusammenstellen konnte, um es mit der Zukunft aufzunehmen." (Ocean of Sounds) Toop beschreibt das Studio auch als jenen chronotopischen Ort, als jene fiktive Umgebung, in der Geschichten stattfinden können - das Studio bzw. der Proberaum als "Ort der Handlung" ist also keinesfalls zufällig gewählt. Zweifellos bewegen wir uns in einem kulturellen Feld, das von zahllosen Aktualisierungen, Rückgriffen, Wiederverwertungen, Aneignungen und auch Diskursverengungen und Ausschlussmechanismen gekennzeichnet ist. Aber um welche Diskurse mag es sich handeln, wer "spricht" diese Diskurse oder wird von ihnen "gespochen"? Ist es die Musik, der sich hier die Schauspieler als Musiker einzuschreiben versuchen, oder sind des die Musiker als Schauspieler in einem (inszenierten) Versuch, einen musikalischen Diskurs oder vielmehr, musikalische Bruchstellen, zu aktivieren, zu aktualisieren (wenn man einmal beiseite lässt, dass die Songskizzen von der Band Red Crayola eingespielt wurden und von den Schauspielern re-interpretiert werden, obwohl dieser Produktionsmodus selbst schon wieder als Modell der verschachtelten Aneignungs- und Aktualisierungmechanismen gelesen werden kann). Was kann also überhaupt der Gegenstand der Aktualisierung werden? - Stimmt es, dass, was zuvor noch ökonomisch oder politisch interpretiert werden konnte sich heute nurmehr kulturell interpretieren lässt? "Wem gehört die Popmusik?", wie Christoph Gurk einmal gefragt hat. (Mainstream der Minderheiten) Und schliesslich darf nicht übersehen werden, dass ein wesentliches Potential der Populärkultur darin besteht, als Mittel der Kommunikation und ein Ort des Experimentierens mit kulturellen und sozialen Rollen, als ein auch politischer Raum der Kämpfe um Identität und Autonomie zu "funktionieren" (George Lipsitz, Dangerous Crossroads) Stellen wir uns einmal vor, wie ein Video von Dolezal/Rossacher über die "Ramones" aussehen würde, falls es durch eine Reihe unvorhersehbarer Zufälle kommerziell opportun erscheinen würde, ein solches zu drehen: unveröffentlichte Aufnahmen, Konzerte, die "ganze Wahrheit", viele Interviewszenen total aus dem Zusammenhang gerissen, die Konstruktion einer Popgeschichte ohne wenn und aber, wie es sich für die ORF "night line" gehört. Wo liesse sich in einer derartigen Produktion jener "Rest an Nicht-Aktualisierbarem, Nicht-Übersetzbarem" (Christian Höller) ausmachen? Kann man sich vorstellen, dass es in einer Produktion von Do/Ro einen Raum für die Künstlichkeit der Popgeschichte gibt, die in jedem Ansatz zur Aktualisierung und Wideraneignung liegt? Man kann es nicht. Doch gerade deshalb erscheint "Actualité" durch seine Form der dissidenten Aktualisierung geradezu als Inszenierung von Authentizität, weil sich im Film sozusagen strukturgleich ein kulturelles Territorium spiegelt, "in dem die Themen, daran gekoppelte Aussagen, Stile und Innovationsstrategien erprobt, verworfen, wiederaufgegriffen und recycelt werden. In seiner prinzipiellen Offenheit ist es gut darauf vorbereitet, stets neue Widersprüche in solche Umgebungen miteinzubeziehen." (Christien Höller, Mainstream der Minderheiten) Indem "Actualité" diesen Widersprüchen, Konflikten und Brüchen nicht nur Raum gibt, sondern sie sozusagen filmisch repliziert und dadurch einen Raum der Offenheit produziert, gibt es dort auch Projektionsflächen für die Rekonstruktions- und Aktualisierungsversuche der BetrachterInnen, die ja nicht zuletzt Teil jener Geschichten und Teil jenes Restes an Nicht-Aktualisierbarem sind, auf die sich der Film bezieht. © Reinhard Braun 2001 erschienen in: Camera Austria 74/2001 |
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