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Texte


Reinhard Braun
"net_condition": Bedingungen oder Konditionierungen?

Ein multi-lokales Ausstellungsprojekt zum "steirischen herbst" thematisiert ein weiteres Mal "das Netz" als zentrale Plattform, als "testing ground" zukünftiger gesellschaftichen Veränderungen - und ein weiteres Mal muss die Frage gestellet werden, ob es sich tatsächlich um eine Antizipation zukünftiger kultureller Verhältnisse handelt oder um die fortdauernde Zelebration eines Netz-Hype? Unter welchen Bedingungen werden die Bedingungen des Netzes verhandelt?

Technologie hatte scheinbar immer schon mit Zukunft zu tun. Jedes neue Gadget, jedes neue Medium gibt dabei immer nur einen weiteren Blick frei auf Potentiale, Möglichkeiten und Entwicklungen. Sie erscheinen oftmals zunächst als Botschaften, als Metaphern - als Medienviren? Zunächst singuläre Phänomene - wie der mythenumrankte Computer "Eniac" - läßt sich von einem Medium oder einer technologischen Formation erst durch das Entstehen eines Verbundes solcher Gadgets sprechen. Prototypisch für diese Entwicklung wird in den letzten Jahren verstärkt das Netz angesehen: ein - mittlerweile - weltweiter Verbund massiv technologsich fundierter Apparate - ein Computernetzwerk. Doch sind es niemals nur die "Maschinen", die ein Medium prägen, es sind vielmehr die dadurch etablierten und sich durchsetzenden Kulturtechniken und Alltagspraktiken, die Medienverhältnisse als Medienverhältnisse kennzeichnen. Aus diesem Grund ist gerade auch im Zusammenhang mit "dem Netz" viel von gesellschaftlichen Utopien im Sinne neuartiger kultureller Praktiken die Rede: Kommunikation und Information als gleichermaßen subversive wie emanzipatorische Handlungsfelder begleitet von Unabhängigkeitserklärungen (John Perry Barlow) und den Visionen eines entstehenden globalen Bewußtseins (Henry Pierre Levy). Daneben ist die unleugbare Ausdehung "des Netzes" ebenso von kritischen Analysen begleitet, die gerade im "Netz" eine Verlängerung pankapitalistischer Praktiken und Mechanismen sehen (Critical Art Ensemble).

"net_condition: Kunst im Online-Universum" - eine von Peter Weibel konzipierte und in Zusammenarbeit von "steirischem herbst", Graz, ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe, Inter Communication Center in Tokyo und dem Media Centre d'Art i Disseny in Barcelona zeitgleich an diesen Orten realisierte Ausstellung - verweist den Grazer Besucher des temporär als Ausstellungsort adaptierten "AVL Art Gates" auch gleich einmal auf die Zukunft: Der Katalog, im Frühjahr von MIT Press als Koproduktion der genannten Institutionen herausgegeben, "wird erstmals die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und künstlerischen Konsequenzen dieser globalen Medien untersuchen, die unseren Erdball nicht nur mit ihren Botschaften umspannen, sondern auch mit ihrer versteckten historischen Genealogie" - so die Besucherinformation zur Ausstellung. In der Zukunft wird es sich also erwiesen haben, dass der Mediendiskurs, der seit gut fünf Jahren den deutschsprachigen Raum geradezu überschwemmt hat, gar nicht stattgefunden hat: Ist doch bisher - so Peter Weibel und Timothy Druckrey im Hand-out zur Ausstellung - niemand auf die Idee gekommen, "die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und künstlerischen Konsequenzen" von (globalen) Medien anzudenken, zu reflektieren, zu untersuchen.

Panoramen, Territorien, Game-Konsolen

Bevor man sich also auf die - man muss es vorweg nehmen, großteils bekannten Projekte - einlassen könnte, wird man schon mit einem Diskurs über diese Projekte konfrontiert, der sich rhetorisch als bestimmender Diskurs über die darin repräsentierten künstlerischen und kulturellen Praktiken in Szene setzt. Michel Foucault würde dies als "Verknappung der sprechenden Subjekte" bezeichnen. "Die Disziplin [hier: Medientheorie, Netztheorie] ist ein Kontrollprinzip der Produktion des Diskurses." (ders., Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt 1991, S. 25) Es geht bei diesem kritischen Einwurf nicht darum, neuerlich die Macht hinter den Diskursen zu thematisieren, sondern einen im vorliegenden Fall spezifischen Bruch zwischen Diskurs und Signifikat: der "panoramische Überblick über die Geschichte, Theorie und Praxis der Telekommunikation" - die Geschichte, nicht: Geschichten; die Theorie, nicht Theorien; die Praxis, nicht: Praktiken - richtet sich im konkreten Fall auf ein mediales Handlungsfeld, das jenseits der utopistischen oder kritischen Perspektive durchwegs als heteronom, diskontinuierlich, zerstreut, miltilokal, durch "Heterogenese" (Andreas Broeckmann) gekennzeichnet beschrieben wird - im vorliegenden Fall aber gerade in und durch die theoretische Zurichtung als einheitliches Phänomen darstellbar gemacht wird. In einer paradoxen - und, was schlimmer ist: oberflächlichen - Verkehrung wird aus dem Rhizom eine Baumstruktur. Punkt. Es geht also bei einem Projekt wie "net_condition" nicht nur um Vermittlung künstlerischer Praktiken und ihrer spezifischen Soziotope, nicht nur um Reflexion dieser Praktiken, um Reorganisationen von Geschichten, Theorien und Disziplinen im Hinblick einer hegemonialen Kunstgeschichtsschreibung, die immer noch dazu neigt, "Medienkunst" zu marginalisieren - es geht, und das wird an der leichtfertigen Terminologie leider allzudeutlich, darum, selbst eine Diskurshegemonie zu installieren, um das Abstecken und Annektieren von Territorien einer diskursiven Topografie.

Damit genug von Kunstpolitik und Machtagglomeration: Freuen wir uns auf dieses Buch, das uns - endlich! - die Augen öffnen und einen "panoramischen Überblick über die Geschichte, Theorie und Praxis der Telekommunikation" geben wird. Und streuen wir als (letzte) Nebenbemerkung ein, dass Sprache (um nicht zu sagen Kommunikation) ziemlich eng mit hegemonialen Ansprüchen verknüpft ist. Wobei wir wieder beim Thema wären: die - manche sagen: unselige, manche: unvermeidliche - Verquickung von Technologie (aka pankapitalistische War, Sight und Flesh Machine, um nochmals mit dem Critical Art Ensemble zu sprechen) und Kunst. Unbestritten ist die Notwendigkeit und die Ernsthaftigkeit, mit der sich Festivals wie der steirische herbst dieser Thematik anzunehmen haben: gerade der steirische herbst hat in den letzten Jahren mit Projekten wie "Zonen der Verstörung", "Endoscape Technoscope", "on dis/place/ment", "Made in Hong Kong" und "Kunst und globale Medien" (in dessen Zusammenhagn auch "net_condition" anzusetzen ist) immer wieder Medienverhältnisse und die Rekonfiguration der Medienlandschaft thematisiert, Fragen über kulturelle Austauschverhältnisse, die Zirkulation von (Medien-) Signifikanten und die Befestigung einer Techno-Kultur. Und von dieser Perspektive aus erscheint die Präsentation von Netzwerkprojekten als Teil des Programms des diesjährigen "steirischen herbstes" logisch und zwingend. Und - wenn man sozusagen nochmals die Ausstellungsräume des Grazer "AVL Art Gates" betritt - es erscheint die Anordnung und das Setup der Projekte durchaus erfreulich gelungen (ganz im Gegenteil zu vielen Environments auf der Ars Electronica in den letzten Jahren): Cafe, Büchertisch, Videopräsentationen und Installationen ergänzen die unvermeidlichen Webterminals zu einem durchaus abwechslungsreichen und adäquaten Medienenvironment.

Das ändert allerdings nichts an einer neuerlich virulenten Paradoxie, die sich beim Aktivieren der Projekte der Grazer Ausstellung einstellt: gerade das Setup der Ausstellungsräume nimmt gewissermaßen als mögliches Handlungsfeld für die BesucherInnen eine grundsätzliche These über die präsentierten Projekte, über Netzkultur im allgemeinen und "net.art" im besonderen vorweg - dass es sich bei diesen Projekten nämlich grundsätzlich um das Initiieren und Generieren von Handlungsfeldern dreht, um Projekte, die nicht nur als Interaktion zu werten sind (und schon gar nicht als Repräsentation), sondern gleichzeitig ein soziales Feld installieren. Wobei der Begriff soziales Feld nur mehr als ein Verbund von Mensch-Maschine-Interaktionen kennzeichenbar postuliert wird. Es entsteht eine (scheinbar) logische Kette von Kommunikation/Interaktion zu sozialem/öffentlichen Raum. Wurde "net.art" etwas emphatisch durch das Thematisieren von netzspezifischen Bedingungen beschrieben (die sich oftmals als rein technologische Basis des Netzes selbst herausstellen: Protokollmodalitäten, Auflösungen, Routinglogistik etc.) so erscheinen mittlerweile der "kollektive Cyberspace", die "verteilten virtuellen Realitäten", die "MUDs" und "MOOs" - der "telematische Horizont" - als bestimmende (teleologische?) Eigenart dieser dishomogenen - um nicht zu sagen hybriden - Medienlandschaft. Mit einem Wort: Kunst wird soziales Handlungsfeld, weil maschinenbasierte Austauschverhältnisse soziale Relevanz erhalten, oder besser: sich angeeignet haben, und Kunst (zumindest "net.art") sich maschinenbasiert definiert. In einem Zirkelschluss werden Online-Game-Konsolen als soziales Paradigma inauguriert und Mensch-Maschine-Interaktionen als soziales Testfeld präsentiert.

Dieser Zirkelschluss führt auf einen viel wichtigeren zurück: indem sich die Beschreibung zeitgenössischer Kultur immer mehr Vokabel aus dem technologisch/wissenschaftlichen Diskurs aneignet, erscheint Gesellschaft "überraschenderweise" immer mehr analog zu technologisch/wissenschaftlichen Systemen zu funktionieren. In den vielfachen Verknüpfungen von Individuum und technologischem Gadget/Medium, im Angeschlossen-Sein des Subjekts an medientechnische Verfahrensweisen zeigt sich der kulturelle Turn-Over der letzten Jahrzehnte - ohne dass es jedoch ausschliesslich Technologien und Medien wären, die Kultur hervorbringen, definieren und weiterentwickeln. Denn dabei handelt es sich keineswegs um eine schlichte Einübung in Medienverhältnisse durch das Individuum, sondern um verschlungene, sich ständig ausdifferenzierende und sich auch umkehrende Prozesse einer Aneigung und Umarbeitung (auch hier eine "Kunst des Handelns", mit Michel de Certeau gesprochen). Wo aber - wenn es um Netzbedingungen geht, um diejenigen Bedingungen, die das Netz überhaupt zu einer kulturellen Maschine herausbilden - bleiben die Diskurse über das Implantieren von Medien und Technologie in kulturelle Austauschsysteme, um die jeweils spezifischen kulturellen und sozialen Kontexte und Widerstände, innerhalb denen Medien ihre je spezifische Potentialität entfalten. Setzt ein Begriff wie "Global Media" bereits so etwas wie "Global Culture" voraus? Ist nicht gerade die Annahme einer "Global Culture" eine ungeheuerliche (und im übrigen neo-koloniale) Perspektive auf Kultur überhaupt? Besfestigen nicht derartige Diskurshegemonien gerade kulturelle Verhältnisse, die von künstlerischen Praktiken zu unterlaufen versucht werden? Fragen, die an der "Oberffläche" der Ausstellung nicht sichtbar werden.

Pluralismen, Geschichten, Perspektiven

Wenn es auch scheinen mag, dass hier Diskurse über die Ausstellung geblendet werden, dann hat dies auch mit der Logik der Projekte zu tun: es geht nicht um die Vermittlung einer Anschauung, um die Vermittlung einer Interpretation oder eine kritischen Analyse der Projekte, weil sich diese gar nicht ausschiesslich auf ein Pubikum vor Ort beziehen. Der Kritiker (und der Kurator!) ist - wenn man gerade die Rede von der multilokalen Präsenz und der verteilten Autorenschaft ernst nimmt - keine alleinige Instanz mehr, über die sich künstlerische und kulturelle Praktik vermittelt: sie wendet sich direkt an die/den Rezipienten und ihre/seine Aktivierung, ihre/seine Interventionen, die je spezifischen Pfade und Navigationsmuster, die sie/er vornehmen und einschlagen. Fragen sie "Das Berkeley-Orakel" von Jochen Gerz ihre eigenen sinnlosen und irrlevanten Fragen, testen Sie Ihre datavarischen Fähigkeiten an "LinX3D" von Margarethe Jahrmann und Max Moswitzer und überprüfen Sie derart die Soziabilität dieser Projekte und deren Potential zur Überformung dessen, was wir als sozialen Raum zu bezeichnen geneigt sind.

Nur soviel sei verraten: angesichts der ebenso oftmals proklamierten Hybridiserung von Medien und Kontexten, von Codes und Zeichensystemen erschien das "net.art.archive" von Marina Grzinic und Aina Smid als die überzeugendste Arbeit - site specific, trashig und in respektlosem Umgang mit Medien und Materialen wird darin eine Geschichte erzählt und eine Perspektive vermittelt. "net.art.archive" präsentiert im Untergeschoss des "AVL Art Gate" keinen objektivierten Signifikanten "net.art" sondern eine durch konkrete historische Bezüge und individuelle Ansätze geprägte künstlerische Praktik: Videos ("Post-socualism + IRWIN", 1997, und "On the Flies of the Market Place", 1999) "vermessen" beide einen kulturell-künstlerischen und politischen Raum und handeln von der Idee des europäischen Raumes, wie er geteilt und geopfert wird (Grzinic, Smid). Daneben finden sich im "net.art.archive" gescannte, kopierte und überarbeitete Texte und Bilder aus Magazinen, Enzyklopädien und Büchern, die Teil des ideologischen, politischen und sozialen Raumes des einst als Jugoslawien bekannten Staates waren. Das Archiv, dass sich in der Gegenwart in keinem festen geografischen und/oder historischem Kontext befindet, spiegelt dadurch die Perspektive der Reflexion seiner eigenen Voraussetzungen und Genealogien. Damit hebt sich ds Projekt wohltuend vom insgesamt vorherrschenden technologischen Imperativ der Ausstellung ab. (Dazu musste man alerdings doch wieder nach Graz reisen.) Es gibt eben keine Medientheorie, es gibt nur Medientheorien. Das Stichwort lautet "Inclusion", nicht "Exklusion".

"Wird der Mediendiskurs je scheitern, völlig irren, sodass jeder auf der Stelle beschliesst, etwas vernünftigeres zu tun? Davon kann man wohl ausgehen."
Agentur Bilwet




© Reinhard Braun 1999

erschienen in:
springerin - Hefte zur Gegenwartskunst, Band V, Heft 4/1999.



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