TexteReinhard Braun |
Von der Erscheinung zum Effekt. Paradigmen der Musealisierung
Die Horizonte des Phänomens der Musealisierung haben sich aufgelöst; ebenso jene eines rationalen Diskurses über das Thema. Die Kategorien eines Diskurses wären nicht die einer rationalen Transparenz, sondern jene einer magischen Entzauberung, in denen sich jedoch der Diskurs selbst auflöst: magisch deshalb, da sich gerade in den technoiden Paradigmen auch des Phänomens der Musealisierung die rationalen Theorien zurückziehen und sich ein Meta- bzw. Hyper-Diskurs abzeichnet, der die Tendenz zur völligen Absorption jeglicher Referenz bzw. zu einer immanenten Zirkulation aufweist. Als Antwort auf diese Fiktion einer Theorie scheint nurmehr eine Theorie-Fiktion (Baudrillard) möglich. Diese arbeitet lediglich an einer Fixierung von Figuren, Motiven, Metaphern, die sich in ihrer Polyvalenz und ihrem transitorischen Charakter einer Sedimentierung durch Theorie entziehen: es geht weniger um eine Re-Konstruktion, d.h. um eine Form der Analyse, sondern um eine Konfrontation der Figuren mit sich selbst, quasi als ein theoretisch/fiktiver closed circuit, der punktuell an jener Entzauberung (d.h. gegen die Magie) arbeitet. Ein Parameter der Musealisierung ist der Raum. Die Voraussetzung dieses Rituals ist eine Form der Distanzierung, eine Transformation (der Objekte). Gegen die Rettung wendet sich ein Prozeß der Distanzierung: die Annäherung erscheint in der Figur des Rückgewinns von Entäußertem. Nur durch diese Metapher des (möglichen) Verlustes werden die Objekte der Musealisierung, die diese ANDEREN Räume bevölkern, zu Trägern sakraler Vorstellungen, zu Meta-Zeichen, die es zu retten gilt. Nur durch diese Distanzierung, das Entrücken aus dem profanen System der Gegenwart und ihrem Zugriff erscheint die Figur der Rettung erst gerechtfertigt (eine Rettung jedoch, die die Distanz nicht allein bewahrt sondern instrumentalisiert). Jene Transformation bedeutet nicht allein den Verlust an Signifikanz (der ursprüngliche Kontexte), der Referenten, sondern gleichzeitig den Eintritt in eine Zirkulation der Referenten in den Räumen der Musealisierung, in die sich die Projektionen einschreiben. Die Objekte liefern auch die Möglichkeit zur Vergewisserung jener Transzendenz, einer Einschreibung. Sie bilden die Gegenstände dieser Distanzierung/ Annäherung - das Objekt liefert die Metapher für die Objektivation der verschwundenen, weil distanzierten geschichtlichen Phänomene. Im Objekt erscheint Kontinuität in der Abgeschlossenheit (Abwesenheit) von Prozessen realisiert: zu einem Ende gekommen. Zu einem Gegenstand des Rituals werden sie erst in dieser Fixierung im Status , nicht als Objekte eines Prozesses. In der Distanzierung wird prozessuale Erfahrung nivelliert zu statischer Homogenität, die das Modell für Kontinuität liefert. Der Raum der Musealisierung ist einer des Blicks. Durch den Meta-Blick, der den Raum durchschweift, konstituiert sich das Ich als ein meta-geschichtliches: die Distanz läßt diesen Raum zu einem Ort der souveränen Differenzierung, der Autonomie des Subjekts gegenüber den visualisierten und fixierten Spuren der Kontinuität werden. Sie ermöglicht den Spalt, durch den das Subjekt aus der Gegenwart blickt bzw. aus dem eigenen Raum (im Gegensatz zu dem ANDEREN, in dem sich die Bilder (von Objekten, von Bildern) befinden). Sie ermöglicht auch jene Transzendenz, die sich in den Begegnungen mit den ANDEREN Räumen, den Begegnungen mit Geschichte als dem großen, aber fiktiven Referenten der erblickten Ordnungen einstellt, als eine Hoffnung auf Geschichte aus dem Kontakt mit ihren Spuren, ihren Bildern. (Die Distanzierung, die Transformation, durch die dieser ANDERE Raum entsteht, ermöglicht erst das Spiel der Projektionen, die Enstehung der Meta-Zeichen, als die sich diese Bilder darstellen. Die Kontextverlagerung, der Tod des Objekts bzw. seine Transformation in Bilder öffnet das Reich der (referenzlosen) Zeichen, das Spiel der Magie. Die Auferstehung des Objekts, seine Restituierung, d.h. seine Entfernung aus diesem ANDEREN Raum würde wiederum den Tod dieses Spiels bedeuten. Die Räume der Musealisierung erscheinen somit per se als solche des Todes der Objekte bzw. ihrer Überführung in Bilder - analog zur Fotografie. Die Rettung bezieht sich also gerade nicht auf die Auferstehung des Objekts, sondern auf die Sicherung dieses magischen Zugangs, der nur über den Austritt des Objekts aus seiner Funktion erreicht werden kann. Die Halluzination einer Restituierung läßt sich nur als Simulation zweiter Ordnung (Baudrillard) beschreiben.) In diesem Spiel löst sich auch die Kategorie des Originals bzw. der Authentizität auf. Diese liegt nicht in den Objekten, Authentizität ist keine Kategorie der Rezeption: was die Bilder (der Objekte) liefern sollen, sind imaginäre Systeme der Authentizität, einer ANDEREN Authentizität, die nicht eine des unmittelbaren Zugangs sein soll sondern eine des virtuellen Zutritts, eine Folie für die Imaginationen und Projektionen. Den Gegenstand der Präsentation bilden immer wieder jene imaginären Räume der Vergangenheit, die zwischen den Objekten zu liegen scheinen. (Ohne diese Metapher des Ortes gäbe es keine Möglichkeit für die Dinge, je als ihr Bild zu erscheinen und keine Möglichkeit, sie je zu re-konstruieren.) Eine große Figur der Musealisierung ist jene Halluzination eines Jenseits als ein Bild von Geschichte (Identität, Orientierung) als ein kohärentes System der Bilder. Die beschriebene Transzendenz: erst durch den ANDEREN Ort Museum werden die Objekte, ihre Bilder, zu Schnittpunkten einer Matrix der kollektiven Erinnerung, da sich diese erst über den Umweg der Distanzierung in jene einschreiben kann. Dies ist eine Spielart der Verdopplung, nicht der Spiegelung: IM Raum der Musealisierung werden die Modelle der kollektiven Rezeption entworfen ), gleichzeitig die Figuren des Einschreibens in das Kollektiv vorgezeichnet; die Präsentation dieser Spuren des Kollektivs (Bilder) fixiert zugleich die Möglichkeit der Konvergenz, der Berührung, der Identifikation, der Orientierung. Das Museum erscheint solcherart als große therapeutische Figur. Gerade um diese Identifikation zu gewährleisten, setzt die Transformation der Objekte ein: erst als zirkuläre Meta-Zeichen, als visuelle Formen, werden sie anschlußfähig für eine neue Signifikation, die das Imaginäre der Musealisierung kennzeichnet, deren Magie. Der Raum der Musealisierung postuliert eine Finalität der Objekte (ihr System), er entwirft ein teleologisches Weltbild und antizipiert die zukünftige Bestimmung der Objekte. Das Zukünftige erscheint unter der Perspektive dieses Zugriffs bereits fixiert, gebannt, assimiliert, beherrscht - die Innovation liest sich als Zuträger der Transformation in den ANDEREN Raum. Die uns umgebenden Momente der Auflösung stellen sich in dieser antizipierten Begegnung als bereits organisiert dar, wenn auch nur fiktiv. Jener Raum ist der Ort, an dem die Splitter archäologisch neu definiert wiederauferstehen. Er erscheint solcherart als Metapher der Einheit, der Homogenität - der Vollendung der Bestimmung. Er ist jedoch selbst nicht traditionsmächtig, schreibt keine Geschichte (zirkuläre Referenz), er erscheint lediglich als Raum der Absorption, der sein Paradigma über seine Grenzen hinaus auszudehnen beginnt. Die Objekte des Diesseits scheinen sich einer Strukturierung und Organisation zu fügen, indem sie als antizipierte symbolische Objekte zukünftiger Musealisierung gelesen werden. Das Imaginäre des musealen Raumes beginnt, Realität (sei es auch nur simulierte) zu strukturieren. Der letzte Schritt besteht in der Musealisierung des Selbst, um den Anschluß an die beschriebenen Momente der Transzendenz, die Magie der Zirkulation der Referenten, an das Modell einer (fiktiven) Identität und Kontunuität herzustellen. Die Distanzierung erscheint weiters als große Figur der Potentialität: indem alles gleichermaßen distanziert wird, erscheint es andererseits gleich potentiell verfügbar - den Projektionen ausgesetzt. Diese Speicherung, das Verhalten in der Verfügbarkeit stellt eine eminente Affinität zu Daten-Verarbeitungssystemen, Daten-Banken, Wissensbanken etc. dar. Kultur, Bildung, Geschichte etc. wird möglich, in der unüberschaubaren Masse und Gleichzeitigkeit der verfügbaren Daten nicht mehr vollzogen - bleibt aber gegenwärtig. Die Speicherung, die Überführung in den Raum der Musealisierung, hält den Schein aufrecht, Zugangsmöglichkeiten zu besitzen, das verfügbar Gehaltene jederzeit in das Spiel der Projektionen ziehen zu können. Die Distanzierung, die Abkoppelung von Strukturen der Veränderung, Reformation, der Verwertung erscheint notwendig, um diese Potentialität aufrechtzuerhalten, das Chaos abzuwenden: die Distanz wendet sich in die Zeit. Der utopische Zug der Musealisierung besteht in dieser Rettung der Distanz in die Zukunft, der teleologische Endzustand ist bereits eingetreten, ein System der Objekte realisiert. In dieser Perpetuierung der Distanz sind die Objekte (Bilder) nur als vollendete zu rezipieren (Jeudy). Wer/was treibt diese Distanzierung, den Prozeß der Transformierung voran? Eine progressive Dynamik der Produktion von Umwelt (als die Artefakte), die den Rahmen der Funktionalität (Kontext) immer weiter verschiebt und somit die Referenten der Objekte unaufhaltsam auflöst? Oder radikaler: handelt es sich dabei um eine Figur der Zerstörung, des radikalen Einbruchs eines Anderen, Musealisierung als Phänomen des Taumels der Objekte vor dem Hintergrund einer vollständigen Auflösung? Oder handelt es sich um eine Inszenierung der Progression, der Produktivität, des Entschwindens, um den Schein einer Dynamik aufrechtzuerhalten: der simulierte Fortschritt? Die Funktionalisierung der Distanzierung, die Einsetzung eines Imaginären quasi als profane Form des Magischen, alles dies deutet auf eine Inszenierung (einer Tradition des Potentiellen). Gerade gegen den Bruch, gegen das Ereignis, das Flüchtige erscheint jetzt als große soziale Figur das Fixierbare, die Distanzierung und Verwahrung, das Monumentale des stillgestellten Augenblicks, die Manifestation. Das Szenario, das die Musealisierung innerhalb dieser fiktiven Progression entwirft, ist im wesentlichen nostalgisch: darin wird versucht, das Bild eines unversehrten, stabilen Subjekt-Objekt-Verhältnisses zu retten, eine Metaphysik des Subjekts. Die kontinuierliche Auflösung des Objekts in einen Energiezustand, dessen Organisation und Strukturierung in Kategorien, die die menschliche Rezeption quasi unterschreiten, destabilisiert aber permanent die Identifikation des Subjekts (Lyotard). Die Produktion von Sinn, Symbolen, Bedeutung wird in der Zirkulation von Information neutralisiert. Das neue Modell ist jenes der allgemeinen Systemisierung: Materie wird durch Information ersetzt, das Objekt verschwindet. Die Metapher der "Befreiungsgeschwindigkeit" (Baudrillard) deutet diesen Verlust einer referentiellen Späre von Realität und Geschichte an, in der noch Ereignisse, Folgen - in der sinnstiftende Akte distinkter Signifikation noch möglich waren. Die Vernetzung, Allgegenwärtigkeit und Gleichzeitigkeit der Information (als Kurzschluß von Ereignis und dessen Wirkung) neutralisiert Geschichte zur Aktualität. Die einzige Referenz dieser Akte ist jetzt die Auflösung, die Zerstörung, ihr Verschwinden in der Geschwindigkeit (Virilio).
An diesem Punkt setzt die These an: innerhalb dieses Meta-Modells des universalen Austausches, der Reversibiliät und Kompatibilität, die sich gegen das distinkte Objekt wendet (es in seine Informationsmerkmale zerlegt, code-fähig macht), wird die Musealisierung funktionalisiert: nicht, um ein System der Realität erneut aufzubauen, abzubilden etc., sondern es wieder auferstehen zu lassen innerhalb seiner ANDEREN Räume. Diese neutralisieren die Referenzlosigkeit , liefern das System einer ANDEREN Signifikation der Potentialität von Sinn und Bedeutung. Sie öffnen sich für diese Projektionen eines virulenten Imaginären und seiner Hoffnung auf Identität und Orientierung.
Die Distanzierung befördert den Austritt der Objekte (nicht aus der Funktion, sondern der Referenz, dem Vorrang des Referenten) und die Einsetzung der Magie der Musealisierung: der Projektionen des Imaginären als deren neuer Referenz. Eine ANDERE symbolische Ordnung (eine nostalgische) wird konstruiert. Diesem Modell einer progressiven Musealisierung läßt sich jenes andere Modell zur Seite stellen, das bereits einen Teil der Metaphern, der Motive für die Phänomene der Musealisierung lieferte: nicht der Computer als quasi zu individueller Begriff, sondern die Systeme (der Datenerfassung und -bearbeitung) - die Digitalisierung, die Vernetzung und die Kompatibilität als universale Paradigmen der Kommunikation, der Erzeugung und Distribution von (neuen) Symbolen. Sie besetzen jetzt den Horizont der Utopie: die umfassende Registrierung, der universale Zugriff und der beliebige Austausch.
Analoge These: im gleichen Maß wie die Musealisierung die Objekte von der Referenz zu lösen sucht, betreibt die Installation der Systeme (die Systemisierung) deren Destruktion; hier nicht, um eine nostalgische Form des Imaginären in Szene zu setzen, sondern sich selbst als die universelle Referenz zu etablieren - in Form des Codes. Die Sprache, die als Modell die Materie ersetzt (Lyotard), wird nun durch die Codierung aufgelöst: der Universalitätsanspruch durch die binäre Sprache. Die Räume haben sich aufgelöst, ein Jenseits der Technologie als der alleinige Horizont entsteht. (Wie später noch gezeigt wird, handelt es sich dabei um keine Räume mehr, nicht einmal im metaphorischen Sinn, lediglich um deren Effekte.) Varraci schreibt (allerdings im Rahmen der Fotografie) über ein technologisches Unbewußtes: indem der Bediener (User) sich als Urheber der Strukturierung (des Bildes, der Information, des Textes) erlebt, verliert er sich in einer tautologischen Situation, in der er nichts anderem als seinen eigenen Projektionen begegnet: das Imaginäre wird als Reales erlebt (analog könnte man von einem musealen Unbewußten sprechen). Er agiert allein auf der Ebene des Transformationssystems, des Interfaces als Schnittpunkt zur automatisierten Struktur des Systems - das Grundsystem, die Maschinensprache als das Muster der Codierung wird nicht berührt. Das Interface stellt den eigentlichen Prozeß der Interpretation, der Signifikation für das System dar: alles, was davor liegt ist eigentlich systemfremd, das anthropologische Fremde. Der User erscheint als das Handikap des Systems. Die Visualisierung der Information, ihre Darstellung, das Erscheinen, kommunikative Ästhetik bzw. ästhetische Kommunikation erscheinen als dieser anthropologische Rest, der sich als Projektion entpuppt (welche sich wiederum als zentrales Moment des Umgangs mit dem System erweist; dieses ist keineswegs auf die Visualität der Daten angewiesen: seine symbolische Ordnung ist der Code. Die Benutzeroberfläche, der Zugriff auf die Systeme über Bilder, Symbole erscheint selbst als eine Art Interface, als Modem: sie ermöglicht die Kommunikation mit dem technologischen Jenseits, das wiederum eine Art Rückkehr der Magie bedeutet; eine Magie, die sich jetzt in immateriellen Bildern darstellt, als reine sensitive Oberfläche.). Die Matrix dieser neuen Bilder als das Imaginäre ist der Code; genau darin besteht ihre beliebige Verfügbarkeit (die Kompatibilität, durch die alles potentiell zum Interface wird): sie stellt sich als die Folge einer maßlosen Entgrenzung und Entstellung der Bilder durch den Transformationsprozeß in codierte Bilder dar. Durch diesen Modus verdeutlichen die Systeme, daß es sich bei der Erzeugung von Bildern allgemein um die (technische) Codierung visueller Daten über Objekte handelt: die Bilder werden als Zeichensysteme lesbar. Dafür geben die digitalen Bilder die gültige technologische Metapher ab: als eine Form der Symbolisierung der Bilderzeugung und deren endloser Reproduktion. Die Systeme werden zu symbolischen Repräsentanten der Entgrenzung der Bilder durch die Substitution aller Referenten in der Einsetzung des Codes: es sind keine Bilder mehr zu erzeugen, nur noch zu digitalisieren. Die Visualisierung durch die Systeme zeigt sich in Überschreitung der bisherigen technischen Bilder als Effekt des Bildes, wie es der Simulation nur mehr um die Effekte des Realen geht (Baudrillard). In diesem Sinn (der Technologisierung des Sehens - es handelt sich nicht mehr um optische Prothesen einer Expansion des Sehens, des Blicks) bedeutet der Bildschirm eben kein Bild mehr, er stellt sich als die Anzeige aktueller (codierter) Daten dar, d.h. er wird prinzipiell gelesen. Es ergibt sich eine Paradoxie der Wahrnehmung: die Bildschirmanzeige wirft in Echtzeit die Information einer Aktualisierung seiner selbst zurück. Es kommt zu einer Fusion des Faktischen mit dem Virtuellen. Der Aktualität des Bildes (Anzeige) entspricht die Virtualität seiner Präsenz (Virilio), welche verschwindet. virtual realities erzeugen aber scheinbar nur nebenbei Bilder, im Zentrum steht die interaktive Bevölkerung eines digitalen Raumes. Es ist die Interaktion, die die advanced technology art forciert: in Realzeit laufen der Zugriff und die Reaktion auf die Systeme ab, diese werden selbst in Realzeit, d.h. faktisch verzögerungslos, dadurch modifiziert. Durch dieses Moment der Partizipation entsteht ein gewisses Pathos in der Einschätzung der Situation: der User nicht mehr als Konsument des Programms sondern als sein Mit-Gestalter. Es zeigt sich jedoch, daß die Parameter dieser Modifizierung durch Interaktion wiederum im System liegen bzw. das System die Instanz der Synthetisierung der Variablen ist. Es läßt seine eigene Negation bzw. Aufhebung nicht zu: als ein weiterer Faktor wird der User als Ausgangspunkt von variabler, aber immer konvertierbarer (codierbarer) Information für das und vom System integriert; über die Richtung des Vektors Interaktion sollte kein Zweifel herrschen. Die Interaktion stellt vielmehr ein Phänomen der Übertragung bzw. der Geschwindigkeit dar, die eine Täuschung ermöglicht: der neue closed-circiut des Systems basiert nicht mehr auf einer Übertragung der Präsenz, wie das etwa noch bei den Medien der Fall ist, er führt ein neues Moment der Reise, d.h. der (virtuellen) Bewegung ein: er transportiert einen Effekt der Bewegung, des Agierens etc., der in einen Effekt der Präsenz mündet. Was hier übertragen wird ist also weder die Präsenz noch die Bewegung: transportiert werden lediglich Daten, die durch die Möglichkeit ihrer unmittelbaren Darstellung (Geschwindigkeit) zu einer Halluzination der Präsenz wie der Bewegung führen. Die Interaktion stellt sich unter diesem Aspekt als eine Erscheinung dieser Übertragung dar, als Effekt der Systeme. (Ebenso erscheint der virtuelle Raum als ein Effekt der Systeme, als Interpolation von Daten über Gestalt und Bewegung; letztendlich erscheint nichts hinter den Bildern als das technologische Jenseits als finales Substitut des Sozialen. Aber gerade die Rede von den virtuellen Räumen ist ein Zeichen der Projektion bzw. der Hoffnung, die in jene realities gesetzt wird: darin erscheinen sie nicht allein als digitale Räume, vielmehr als der absolute reine Raum.) Durch die Projektion des Selbst in diesen Prozeß der Visualisierung, der Erzeugung eines Effekts der Bilder bzw. eines Effekts des Raumes, schreibt es sich ein in den infiniten Kreislauf der Produktion, des pro-ducere, des Sichtbar-Machens; die Visualisierung (die Digitalisierung) durch die Systeme bringt ein Realitätsprinzip vollständig zum Verschwinden: die Bilder (Anzeige) erscheinen anstelle der Objekte und als Bild unter Bildern wird das Selbst endlich interaktiv, d.h. für das System lesbar: alles wird durch diesen Modus produziert (zur Erscheinung gebracht), aufgezeichnet, gespeichert, übertragen. Um zu einem früheren Punkt zurückzukehren: virtual realities liefern im Grunde ein Paradoxon, gerade was ihre Affirmation betrifft: sie gründen sich in ihrem Wechselspiel von Rekonstruktion und Generierung quasi auf ein System des Realen, der Objekte, einen Prozeß der Analyse und der Transparenz. Die Kategorien ihrer Bilder (die virtuellen Räume) beschreiben diese Spiegelung des Realen bzw. die Vorhersage einer Überschreitung, Entgrenzung. Andererseits assimilieren sie die Projektionen des Users, visualisieren sie die Imagination als Teil ihres technologischen Jenseits. Derart synthestisieren sie die Fiktion des Imaginären mit der Fiktion des Realen: eine Figur der Versöhnung des Imaginären mit der Produktion (dem Erscheinen). Im eigenen Bild löst sie das Imaginäre auf. Insofern vollzieht sich hier ganz offensichtlich, d.h. dem Blick ausgesetzt, als Bild, der Verlust des Imaginären, nicht seine Verwundung, Verdrängung oder Sublimierung (Kategorien, die für die Kunst in Anspruch genommen werden), sondern seine Auflösung durch die Systeme. Das Imaginäre tritt in sein kybernetisches Zeitalter ein, seine Auflösung in der vollkommenen Transparenz des technologischen pro-ducere. Die virtual realities spiegeln somit den Niedergang, das Verlöschen des Kontrastes, der Differenz, der Distinktion. Das mental/virtuelle Bild kehrt in seiner statistisch/numerischen Form zurück und erweist sich endlich als synthetisierbar. Stellte die Musealisierung ein Modell dar, das Verhältnis von Subjekt und Objekt bzw. die Hoffnung des Subjekts auf Identität durch die Konstruktion eines Systems der Objekte (bzw. Bilder) als Erscheinung einer Kontinuität durch die Transformation dieser Objekte (Distanzierung etc.) zu erreichen (d.h. diese Utopie-fähig zu machen, zum Feld einer Projektion), so lösen die virtual realities dieses Verhältnis potentiell auf durch den Eintritt in die Systeme als endgültige Synthese. In diesem Sinn erlischt das Imaginäre, auch in der Form, in der es die Musealisierung zu beschwören versuchte: insofern hat die Metapher des Systems jene der Musealisierung nicht allein gesprengt sondern ersetzt. © Reinhard Braun 1999 erschienen in: "und, Das Buch zur Museumswelt und darüber hinaus", Leykam, Graz 1991 |
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