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Texte


Reinhard Braun
Von der Erscheinung zum Effekt. Paradigmen der Musealisierung

Die Horizonte des Phänomens der Musealisierung haben sich aufgelöst; ebenso jene eines rationalen Diskurses über das Thema. Die Kategorien eines Diskurses wären nicht die einer rationalen Transparenz, sondern jene einer magischen Entzauberung, in denen sich jedoch der Diskurs selbst auflöst: magisch deshalb, da sich gerade in den technoiden Paradigmen auch des Phänomens der Musealisierung die rationalen Theorien zurückziehen und sich ein Meta- bzw. Hyper-Diskurs abzeichnet, der die Tendenz zur völligen Absorption jeglicher Referenz bzw. zu einer immanenten Zirkulation aufweist. Als Antwort auf diese Fiktion einer Theorie scheint nurmehr eine Theorie-Fiktion (Baudrillard) möglich. Diese arbeitet lediglich an einer Fixierung von Figuren, Motiven, Metaphern, die sich in ihrer Polyvalenz und ihrem transitorischen Charakter einer Sedimentierung durch Theorie entziehen: es geht weniger um eine Re-Konstruktion, d.h. um eine Form der Analyse, sondern um eine Konfrontation der Figuren mit sich selbst, quasi als ein theoretisch/fiktiver closed circuit, der punktuell an jener Entzauberung (d.h. gegen die Magie) arbeitet.

Ein Parameter der Musealisierung ist der Raum.
Der Raum, der Objekte umschließt, der sie definiert, als ein ANDERER Ort die Präsenz legitimiert, sichert und als Metapher der Rettung den Zugriff, d.h. die Veränderung der Objekte, als dieser ANDERE tabuisiert. Dieses Konservieren konkreter Objekte trägt magische Züge: es handelt sich um eine Manifestation von Projektionen, u.z. um solche der Präsenz, der Inkarnation, des Objektes (der Systeme der Objekte) und seines Ortes im (fiktiven) System der Geschichte. Der Raum des Museums, die Räume der Musealisierung: sie erscheinen als die objekthaften Zeichen für diesen projektiven Utopismus: als architektonische Metaphern für die Utopie einer zu perpetuierenden Kontiniutät als Inhalt der Projektionen. Die Räume der Musealisierung sind also ein Ort der Hoffnung auf die Äquivalenz mit Vergangenheit, Räume der Projektionen dieser Hoffnung; sie sind die ANDEREN Orte jenes Versuchs einer intensivierten Präsenz - zutiefst sakrale und virtuelle Räume der Imagination, des Imaginären und der Transzendenz, Orte eines Rituals, des magischen Kontaktes und der Selbstversicherung. Sie tragen das apotropäische Symbol des Kulturdenkmals, damit der Raum der Objekte nicht verschwindet und mit ihm die Gegenwart der Transzendenz. (Denn der Raum der Musealisierung ist kein leerer Raum: die Präsenz setzt darauf, daß die Dinge DA sind, daß sie als solche erscheinen: die Emanation der Spur, des Reliktes, des Zeichens der Anwesenheit, wenn diese auch durch einen Prozeß der Transformation als fiktive zu bezeichnen sein wird. Trotzdem geht von dieser Spur der Schein aus, der sie zum sprechen bringt, der sie bedeuten, sie zumindest zum Träger solcher Vorstellungen werden läßt.)

Die Voraussetzung dieses Rituals ist eine Form der Distanzierung, eine Transformation (der Objekte). Gegen die Rettung wendet sich ein Prozeß der Distanzierung: die Annäherung erscheint in der Figur des Rückgewinns von Entäußertem. Nur durch diese Metapher des (möglichen) Verlustes werden die Objekte der Musealisierung, die diese ANDEREN Räume bevölkern, zu Trägern sakraler Vorstellungen, zu Meta-Zeichen, die es zu retten gilt. Nur durch diese Distanzierung, das Entrücken aus dem profanen System der Gegenwart und ihrem Zugriff erscheint die Figur der Rettung erst gerechtfertigt (eine Rettung jedoch, die die Distanz nicht allein bewahrt sondern instrumentalisiert). Jene Transformation bedeutet nicht allein den Verlust an Signifikanz (der ursprüngliche Kontexte), der Referenten, sondern gleichzeitig den Eintritt in eine Zirkulation der Referenten in den Räumen der Musealisierung, in die sich die Projektionen einschreiben.

Die Objekte liefern auch die Möglichkeit zur Vergewisserung jener Transzendenz, einer Einschreibung. Sie bilden die Gegenstände dieser Distanzierung/ Annäherung - das Objekt liefert die Metapher für die Objektivation der verschwundenen, weil distanzierten geschichtlichen Phänomene. Im Objekt erscheint Kontinuität in der Abgeschlossenheit (Abwesenheit) von Prozessen realisiert: zu einem Ende gekommen. Zu einem Gegenstand des Rituals werden sie erst in dieser Fixierung im Status , nicht als Objekte eines Prozesses. In der Distanzierung wird prozessuale Erfahrung nivelliert zu statischer Homogenität, die das Modell für Kontinuität liefert.
Erst die Fixierung liefert diese Möglichkeit: sie erscheint als der Moment VOR der Auflösung der Kontexte. Durch die fiktive Rekonstruktion, die Präsentation der Objekte, ihr suggeriertes System, scheint die Ausdeutbarkeit, die Beherrschung, die Organisation verwirklicht, allein dadurch, daß die Möglichkeit der Präsentation besteht. Die Objekte sind jeder weiteren Progression entzogen - denaturiert (wenn sich dies von Objekten behaupten läßt), jedenfalls in einem Zustand des Entzogen-Seins, der alle Variationen, Tropen etc. absorbiert in sein System der Homogenität. Der ANDERE Raum konstituiert sich so als ein systematischer - und kontrastiert zu den Phänomenen der Auflösung, die ihn hervorbringen: eine Enklave des Dialogs mit dem beherrschbaren Objekt, ein Ort der Versöhnung, "der Traum von einem Status des Objekts jenseits von Tausch und Gebrauch" (Baudrillard). Um als Motive dieser Fixierung zu fungieren, werden die Objekte der Musealisierung einer doppelten Transformation unterzogen: der Distanzierung (der Austritt bzw. die Einsetzung der flottierenden Referenz des Imaginären, jener Projektionen) schließt sich die Visualisierung an, aus den Objekten werden Bilder (von Objekten) als eine Form der Entmaterialisierung. Die Sichtbarkeit ersetzt die Funktion: Schein der Erscheinung. Als diese Bilder liefern sie jetzt die Möglichkeit des magischen Zugangs - über den Blick. Durch ihre eigenen Bilder schlagen die Objekte quasi den Blick auf. (Dafür spricht auch die Auflösung des Haptischen, die Umdeutung des Volumens in wechselnde Ansichten; die Präsenz, die Präsentation besteht in der bildhaften Information.)

Der Raum der Musealisierung ist einer des Blicks. Durch den Meta-Blick, der den Raum durchschweift, konstituiert sich das Ich als ein meta-geschichtliches: die Distanz läßt diesen Raum zu einem Ort der souveränen Differenzierung, der Autonomie des Subjekts gegenüber den visualisierten und fixierten Spuren der Kontinuität werden. Sie ermöglicht den Spalt, durch den das Subjekt aus der Gegenwart blickt bzw. aus dem eigenen Raum (im Gegensatz zu dem ANDEREN, in dem sich die Bilder (von Objekten, von Bildern) befinden). Sie ermöglicht auch jene Transzendenz, die sich in den Begegnungen mit den ANDEREN Räumen, den Begegnungen mit Geschichte als dem großen, aber fiktiven Referenten der erblickten Ordnungen einstellt, als eine Hoffnung auf Geschichte aus dem Kontakt mit ihren Spuren, ihren Bildern. (Die Distanzierung, die Transformation, durch die dieser ANDERE Raum entsteht, ermöglicht erst das Spiel der Projektionen, die Enstehung der Meta-Zeichen, als die sich diese Bilder darstellen. Die Kontextverlagerung, der Tod des Objekts bzw. seine Transformation in Bilder öffnet das Reich der (referenzlosen) Zeichen, das Spiel der Magie. Die Auferstehung des Objekts, seine Restituierung, d.h. seine Entfernung aus diesem ANDEREN Raum würde wiederum den Tod dieses Spiels bedeuten. Die Räume der Musealisierung erscheinen somit per se als solche des Todes der Objekte bzw. ihrer Überführung in Bilder - analog zur Fotografie. Die Rettung bezieht sich also gerade nicht auf die Auferstehung des Objekts, sondern auf die Sicherung dieses magischen Zugangs, der nur über den Austritt des Objekts aus seiner Funktion erreicht werden kann. Die Halluzination einer Restituierung läßt sich nur als Simulation zweiter Ordnung (Baudrillard) beschreiben.)

In diesem Spiel löst sich auch die Kategorie des Originals bzw. der Authentizität auf. Diese liegt nicht in den Objekten, Authentizität ist keine Kategorie der Rezeption: was die Bilder (der Objekte) liefern sollen, sind imaginäre Systeme der Authentizität, einer ANDEREN Authentizität, die nicht eine des unmittelbaren Zugangs sein soll sondern eine des virtuellen Zutritts, eine Folie für die Imaginationen und Projektionen. Den Gegenstand der Präsentation bilden immer wieder jene imaginären Räume der Vergangenheit, die zwischen den Objekten zu liegen scheinen. (Ohne diese Metapher des Ortes gäbe es keine Möglichkeit für die Dinge, je als ihr Bild zu erscheinen und keine Möglichkeit, sie je zu re-konstruieren.) Eine große Figur der Musealisierung ist jene Halluzination eines Jenseits als ein Bild von Geschichte (Identität, Orientierung) als ein kohärentes System der Bilder.
Bereits Benjamin kennzeichnete das Objekt (des Sammlers) als eines, das sich in seiner Konkretheit der Klassifizierung entzieht. Als Fragment wendet es sich gegen die Tradition, gegen das Typische, Kennzeichnende. Durch die Authentizität, die Magie des Objekts, die sich immer als eine gerichtete darstellt, d.h. Kontexte ausschließt, durchschlägt es das System seiner Organisation durch die Musealisierung. (Diese gibt demnach immer vor, ein System der Objekte zu entwerfen). Erst in der Auflösung dieser perforativen Kraft des Objekts wird es zugänglich für die Zirkulation durch seine Musealisierung, schreibt es sich ein in die Mechanismen der Distanzierung, ist sein Tod möglich.

Die beschriebene Transzendenz: erst durch den ANDEREN Ort Museum werden die Objekte, ihre Bilder, zu Schnittpunkten einer Matrix der kollektiven Erinnerung, da sich diese erst über den Umweg der Distanzierung in jene einschreiben kann. Dies ist eine Spielart der Verdopplung, nicht der Spiegelung: IM Raum der Musealisierung werden die Modelle der kollektiven Rezeption entworfen ), gleichzeitig die Figuren des Einschreibens in das Kollektiv vorgezeichnet; die Präsentation dieser Spuren des Kollektivs (Bilder) fixiert zugleich die Möglichkeit der Konvergenz, der Berührung, der Identifikation, der Orientierung. Das Museum erscheint solcherart als große therapeutische Figur. Gerade um diese Identifikation zu gewährleisten, setzt die Transformation der Objekte ein: erst als zirkuläre Meta-Zeichen, als visuelle Formen, werden sie anschlußfähig für eine neue Signifikation, die das Imaginäre der Musealisierung kennzeichnet, deren Magie.

Der Raum der Musealisierung postuliert eine Finalität der Objekte (ihr System), er entwirft ein teleologisches Weltbild und antizipiert die zukünftige Bestimmung der Objekte. Das Zukünftige erscheint unter der Perspektive dieses Zugriffs bereits fixiert, gebannt, assimiliert, beherrscht - die Innovation liest sich als Zuträger der Transformation in den ANDEREN Raum. Die uns umgebenden Momente der Auflösung stellen sich in dieser antizipierten Begegnung als bereits organisiert dar, wenn auch nur fiktiv. Jener Raum ist der Ort, an dem die Splitter archäologisch neu definiert wiederauferstehen. Er erscheint solcherart als Metapher der Einheit, der Homogenität - der Vollendung der Bestimmung. Er ist jedoch selbst nicht traditionsmächtig, schreibt keine Geschichte (zirkuläre Referenz), er erscheint lediglich als Raum der Absorption, der sein Paradigma über seine Grenzen hinaus auszudehnen beginnt. Die Objekte des Diesseits scheinen sich einer Strukturierung und Organisation zu fügen, indem sie als antizipierte symbolische Objekte zukünftiger Musealisierung gelesen werden. Das Imaginäre des musealen Raumes beginnt, Realität (sei es auch nur simulierte) zu strukturieren. Der letzte Schritt besteht in der Musealisierung des Selbst, um den Anschluß an die beschriebenen Momente der Transzendenz, die Magie der Zirkulation der Referenten, an das Modell einer (fiktiven) Identität und Kontunuität herzustellen.

Die Distanzierung erscheint weiters als große Figur der Potentialität: indem alles gleichermaßen distanziert wird, erscheint es andererseits gleich potentiell verfügbar - den Projektionen ausgesetzt. Diese Speicherung, das Verhalten in der Verfügbarkeit stellt eine eminente Affinität zu Daten-Verarbeitungssystemen, Daten-Banken, Wissensbanken etc. dar. Kultur, Bildung, Geschichte etc. wird möglich, in der unüberschaubaren Masse und Gleichzeitigkeit der verfügbaren Daten nicht mehr vollzogen - bleibt aber gegenwärtig. Die Speicherung, die Überführung in den Raum der Musealisierung, hält den Schein aufrecht, Zugangsmöglichkeiten zu besitzen, das verfügbar Gehaltene jederzeit in das Spiel der Projektionen ziehen zu können. Die Distanzierung, die Abkoppelung von Strukturen der Veränderung, Reformation, der Verwertung erscheint notwendig, um diese Potentialität aufrechtzuerhalten, das Chaos abzuwenden: die Distanz wendet sich in die Zeit. Der utopische Zug der Musealisierung besteht in dieser Rettung der Distanz in die Zukunft, der teleologische Endzustand ist bereits eingetreten, ein System der Objekte realisiert. In dieser Perpetuierung der Distanz sind die Objekte (Bilder) nur als vollendete zu rezipieren (Jeudy).

Wer/was treibt diese Distanzierung, den Prozeß der Transformierung voran? Eine progressive Dynamik der Produktion von Umwelt (als die Artefakte), die den Rahmen der Funktionalität (Kontext) immer weiter verschiebt und somit die Referenten der Objekte unaufhaltsam auflöst? Oder radikaler: handelt es sich dabei um eine Figur der Zerstörung, des radikalen Einbruchs eines Anderen, Musealisierung als Phänomen des Taumels der Objekte vor dem Hintergrund einer vollständigen Auflösung? Oder handelt es sich um eine Inszenierung der Progression, der Produktivität, des Entschwindens, um den Schein einer Dynamik aufrechtzuerhalten: der simulierte Fortschritt? Die Funktionalisierung der Distanzierung, die Einsetzung eines Imaginären quasi als profane Form des Magischen, alles dies deutet auf eine Inszenierung (einer Tradition des Potentiellen). Gerade gegen den Bruch, gegen das Ereignis, das Flüchtige erscheint jetzt als große soziale Figur das Fixierbare, die Distanzierung und Verwahrung, das Monumentale des stillgestellten Augenblicks, die Manifestation.

Das Szenario, das die Musealisierung innerhalb dieser fiktiven Progression entwirft, ist im wesentlichen nostalgisch: darin wird versucht, das Bild eines unversehrten, stabilen Subjekt-Objekt-Verhältnisses zu retten, eine Metaphysik des Subjekts. Die kontinuierliche Auflösung des Objekts in einen Energiezustand, dessen Organisation und Strukturierung in Kategorien, die die menschliche Rezeption quasi unterschreiten, destabilisiert aber permanent die Identifikation des Subjekts (Lyotard). Die Produktion von Sinn, Symbolen, Bedeutung wird in der Zirkulation von Information neutralisiert. Das neue Modell ist jenes der allgemeinen Systemisierung: Materie wird durch Information ersetzt, das Objekt verschwindet. Die Metapher der "Befreiungsgeschwindigkeit" (Baudrillard) deutet diesen Verlust einer referentiellen Späre von Realität und Geschichte an, in der noch Ereignisse, Folgen - in der sinnstiftende Akte distinkter Signifikation noch möglich waren. Die Vernetzung, Allgegenwärtigkeit und Gleichzeitigkeit der Information (als Kurzschluß von Ereignis und dessen Wirkung) neutralisiert Geschichte zur Aktualität. Die einzige Referenz dieser Akte ist jetzt die Auflösung, die Zerstörung, ihr Verschwinden in der Geschwindigkeit (Virilio). An diesem Punkt setzt die These an: innerhalb dieses Meta-Modells des universalen Austausches, der Reversibiliät und Kompatibilität, die sich gegen das distinkte Objekt wendet (es in seine Informationsmerkmale zerlegt, code-fähig macht), wird die Musealisierung funktionalisiert: nicht, um ein System der Realität erneut aufzubauen, abzubilden etc., sondern es wieder auferstehen zu lassen innerhalb seiner ANDEREN Räume. Diese neutralisieren die Referenzlosigkeit , liefern das System einer ANDEREN Signifikation der Potentialität von Sinn und Bedeutung. Sie öffnen sich für diese Projektionen eines virulenten Imaginären und seiner Hoffnung auf Identität und Orientierung. Die Distanzierung befördert den Austritt der Objekte (nicht aus der Funktion, sondern der Referenz, dem Vorrang des Referenten) und die Einsetzung der Magie der Musealisierung: der Projektionen des Imaginären als deren neuer Referenz. Eine ANDERE symbolische Ordnung (eine nostalgische) wird konstruiert.
Die Rettung zielt auf eine Fiktion von Geschichtlichkeit, eine Fiktion des Realen, indem es deren Archäologie betreibt: das Ziel ist eine Suggestion der Kontinuität des Realen, eine Strategie der Einschreibung des Subjekts in diese Kontinuität, die Stabilisierung dieses Subjekts (Therapie). Die radikale Frage, die es zu stellen gilt, ist nicht die nach möglichen Bedingungen der Rückgewinnung eines (sozialen) Modells, das die Zirkularität unterbindet und eine Form der Stabilität aufrecht erhält (obwohl die Musealisierung potentiell eine Form der Rettung des Imaginären darstellt); die radikale Frage ist jene nach der Aufgabe der Strategie der Kompensation, der Absorption durch die Musealisierung: was würde geschehen, ließe man die Dinge einfach verschwinden?

Diesem Modell einer progressiven Musealisierung läßt sich jenes andere Modell zur Seite stellen, das bereits einen Teil der Metaphern, der Motive für die Phänomene der Musealisierung lieferte: nicht der Computer als quasi zu individueller Begriff, sondern die Systeme (der Datenerfassung und -bearbeitung) - die Digitalisierung, die Vernetzung und die Kompatibilität als universale Paradigmen der Kommunikation, der Erzeugung und Distribution von (neuen) Symbolen. Sie besetzen jetzt den Horizont der Utopie: die umfassende Registrierung, der universale Zugriff und der beliebige Austausch. Analoge These: im gleichen Maß wie die Musealisierung die Objekte von der Referenz zu lösen sucht, betreibt die Installation der Systeme (die Systemisierung) deren Destruktion; hier nicht, um eine nostalgische Form des Imaginären in Szene zu setzen, sondern sich selbst als die universelle Referenz zu etablieren - in Form des Codes. Die Sprache, die als Modell die Materie ersetzt (Lyotard), wird nun durch die Codierung aufgelöst: der Universalitätsanspruch durch die binäre Sprache. Die Räume haben sich aufgelöst, ein Jenseits der Technologie als der alleinige Horizont entsteht. (Wie später noch gezeigt wird, handelt es sich dabei um keine Räume mehr, nicht einmal im metaphorischen Sinn, lediglich um deren Effekte.)
Die Systeme etablieren durch den Code, die Matrix der Information, ihre eigene Form der Transformation. Allein, was sich auf die Ebene des Codes transformieren läßt (allgemeine Kompatibilität) erscheint in der Inszenierung der Technologie als wirklich (das bedeutet die Rede vom Code als alleinigem Referenten, als letztem Kontext der Kommunikation). Als Meta-Sprache und -Kontext vereinigt er alle Diskurse und löst sie gleichzeitig in der Kompatibilität auf. Das technologische Sematop, ein Reich der codierten Zeichen erscheint realisiert.
Über das Interface transportiert das System den Code in den Bereich der Bedienung: diese wird quasi vorstrukturiert durch die Matrix der Transformation aller Eingaben. Es findet keine Anthropomorphisierung des Systems statt, der Vektor weist in die andere Richtung.

Varraci schreibt (allerdings im Rahmen der Fotografie) über ein technologisches Unbewußtes: indem der Bediener (User) sich als Urheber der Strukturierung (des Bildes, der Information, des Textes) erlebt, verliert er sich in einer tautologischen Situation, in der er nichts anderem als seinen eigenen Projektionen begegnet: das Imaginäre wird als Reales erlebt (analog könnte man von einem musealen Unbewußten sprechen). Er agiert allein auf der Ebene des Transformationssystems, des Interfaces als Schnittpunkt zur automatisierten Struktur des Systems - das Grundsystem, die Maschinensprache als das Muster der Codierung wird nicht berührt. Das Interface stellt den eigentlichen Prozeß der Interpretation, der Signifikation für das System dar: alles, was davor liegt ist eigentlich systemfremd, das anthropologische Fremde. Der User erscheint als das Handikap des Systems. Die Visualisierung der Information, ihre Darstellung, das Erscheinen, kommunikative Ästhetik bzw. ästhetische Kommunikation erscheinen als dieser anthropologische Rest, der sich als Projektion entpuppt (welche sich wiederum als zentrales Moment des Umgangs mit dem System erweist; dieses ist keineswegs auf die Visualität der Daten angewiesen: seine symbolische Ordnung ist der Code. Die Benutzeroberfläche, der Zugriff auf die Systeme über Bilder, Symbole erscheint selbst als eine Art Interface, als Modem: sie ermöglicht die Kommunikation mit dem technologischen Jenseits, das wiederum eine Art Rückkehr der Magie bedeutet; eine Magie, die sich jetzt in immateriellen Bildern darstellt, als reine sensitive Oberfläche.).
virtual reality treibt die Symbiose des Systems mit dem User (dessen Annexion?) noch weiter voran: der Schritt IN die Maschine, das Eintauchen in die virtuellen Räume der Systeme. Die Paradoxie des Begriffspaares kennzeichnet, worum es sich dabei handelt: eine Phänomenologie der Imagination, eine Visualisierung alles potentiell Denkbaren; inmitten der systemintegrierte User als Projektion unter Projektionen. Wir treten ein in die Möglichkeit der Simulation bzw. der Re-Generierung unseres Körpers als Bild (von Koordinaten), die umfassende Homologie von User und System ist bereits realisiert.
Es geht hier nicht um eine nostalgische Kritik an der Digitalisierung bzw. Systemisierung, sondern um eine Relativierung der utopischen Aspekte. Erschienen die Räume der Musealisierung als magische Projektionen von zu kontinuierenden Identifikationsmustern, so erscheinen die Räume der Digitalisierung dagegen als solche der unendlichen Simulation, einer Simulation, die die Projektion des Users miteinschließt, dabei jedoch eminent affirmative Züge trägt.
Denn analog zur Musealisierung stellen auch die virtual realities ein Projekt der Einschreibung in ein Konzept der Homogenität dar (der definierte und beherrschte virtuelle Raum), setzten sie ein System der Objekte voraus, eine Ordnung der Dinge. Die absolute Transparenz der Objekte (die unendliche Analyse der Materie) geht ihrer Visualisierung durch die Systeme voraus. Der Auflösung der Referenz als eine pluralistische, multi-diskursive in der Transparenz und Universalität des Codes, der Synchronisation durch potentiell völlige Vernetzung, der Funktionalisierung des Sehens und der Wahrnehmung folgt jetzt die Synthese durch die Systeme: der virtuelle elektronische Raum ist jener der Beherrschung geworden und damit erlebt sich das transformierte Ich, wenn auch nur virtuell, d.h. systemimmanent, als ein omni-potentes, d.h. einer absoluten Ordnung eingeschrieben, als deren Urheber es sich denkt (letztendlich bleiben alle Random-Funktionen programmiert und systemintegriert). Die Simulationen der interaktiven Systeme stellen sich als Tautologie der Imagination dar, eine Vollendung dessen, das sich hier und jetzt dem absoluten Zugriff entzieht - und damit als totale Projektion: die Substitution der Welt durch die Omni-Fiktion.
Das Ich der virtuellen Realitäten transportiert, projiziert sich über Datenanzüge als Koordinaten in das Bild (die Räume) seines eigenen Imaginären: nicht ein Gegenbild entsteht, endlich befinden wir uns im letzten noch zu realisierenden Bild: keine Opposition ist mehr möglich, jeder Entwurf einer Szenerie erscheint bereits assimiliert (da beherrscht), wir arbeiten unaufhörlich nicht mehr an der Verdopplung der Welt (Baudrillard), jetzt erscheint die Verdopplung selbst des Imaginären möglich.
In dieser Möglichkeit der Distanzierung des Imaginären in seiner Visualisierung, seiner Speicherung, Aufzeichnung, endlosen Reproduktion, des Eintritts als Projektion in eine Projektion fiktiver Räume zeigen sich die Analogien zur Musealisierung. Von jeder Referenz befreit, erscheinen im System die Räume wiederum als solche der Projektionen, des Einschreibens in eine umfassende Ordnung. (Hier entsteht ein Paradoxon: das System generiert ein neues technologisches Jenseits, einen elektronischen Raum der Überschreitung; dieses Jenseits erscheint jedoch einer Transzendenz radikal entzogen, es entbehrt der Spur der Objekte, des Erscheinens: die absolute Transparenz des Generierten ist als das Artifizielle bereits entzaubert. Wie in den Räumen der Musealisierung entschwindet die Präsenz im Übergang vom Objekt zum Zeichen, es bleiben die Bilder. Was hier aber das Moment der Transzendenz verhindert (und deshalb den buchstäblichen Eintritt fordert), ist gerade die Transparenz der generierten Ordnung: alles ist bereits vom System besetzt.)
Was sich in den Räumen der Musealisierung über das Moment der Transzendenz quasi im Imaginären ereignet - die Einschreibung - erscheint mit oder besser: in den virtual realities nicht nur bildlich realisiert: der Eintritt in die Ordnung (des Systems), die hier als eine völlige Absorption, Perfektionierung der Ordnung der Dinge erscheint und in dieser Art weniger das Imaginäre verdrängt als sich selbst als jenes präsentiert.

Die Matrix dieser neuen Bilder als das Imaginäre ist der Code; genau darin besteht ihre beliebige Verfügbarkeit (die Kompatibilität, durch die alles potentiell zum Interface wird): sie stellt sich als die Folge einer maßlosen Entgrenzung und Entstellung der Bilder durch den Transformationsprozeß in codierte Bilder dar. Durch diesen Modus verdeutlichen die Systeme, daß es sich bei der Erzeugung von Bildern allgemein um die (technische) Codierung visueller Daten über Objekte handelt: die Bilder werden als Zeichensysteme lesbar. Dafür geben die digitalen Bilder die gültige technologische Metapher ab: als eine Form der Symbolisierung der Bilderzeugung und deren endloser Reproduktion. Die Systeme werden zu symbolischen Repräsentanten der Entgrenzung der Bilder durch die Substitution aller Referenten in der Einsetzung des Codes: es sind keine Bilder mehr zu erzeugen, nur noch zu digitalisieren. Die Visualisierung durch die Systeme zeigt sich in Überschreitung der bisherigen technischen Bilder als Effekt des Bildes, wie es der Simulation nur mehr um die Effekte des Realen geht (Baudrillard). In diesem Sinn (der Technologisierung des Sehens - es handelt sich nicht mehr um optische Prothesen einer Expansion des Sehens, des Blicks) bedeutet der Bildschirm eben kein Bild mehr, er stellt sich als die Anzeige aktueller (codierter) Daten dar, d.h. er wird prinzipiell gelesen. Es ergibt sich eine Paradoxie der Wahrnehmung: die Bildschirmanzeige wirft in Echtzeit die Information einer Aktualisierung seiner selbst zurück. Es kommt zu einer Fusion des Faktischen mit dem Virtuellen. Der Aktualität des Bildes (Anzeige) entspricht die Virtualität seiner Präsenz (Virilio), welche verschwindet.

virtual realities erzeugen aber scheinbar nur nebenbei Bilder, im Zentrum steht die interaktive Bevölkerung eines digitalen Raumes. Es ist die Interaktion, die die advanced technology art forciert: in Realzeit laufen der Zugriff und die Reaktion auf die Systeme ab, diese werden selbst in Realzeit, d.h. faktisch verzögerungslos, dadurch modifiziert. Durch dieses Moment der Partizipation entsteht ein gewisses Pathos in der Einschätzung der Situation: der User nicht mehr als Konsument des Programms sondern als sein Mit-Gestalter. Es zeigt sich jedoch, daß die Parameter dieser Modifizierung durch Interaktion wiederum im System liegen bzw. das System die Instanz der Synthetisierung der Variablen ist. Es läßt seine eigene Negation bzw. Aufhebung nicht zu: als ein weiterer Faktor wird der User als Ausgangspunkt von variabler, aber immer konvertierbarer (codierbarer) Information für das und vom System integriert; über die Richtung des Vektors Interaktion sollte kein Zweifel herrschen. Die Interaktion stellt vielmehr ein Phänomen der Übertragung bzw. der Geschwindigkeit dar, die eine Täuschung ermöglicht: der neue closed-circiut des Systems basiert nicht mehr auf einer Übertragung der Präsenz, wie das etwa noch bei den Medien der Fall ist, er führt ein neues Moment der Reise, d.h. der (virtuellen) Bewegung ein: er transportiert einen Effekt der Bewegung, des Agierens etc., der in einen Effekt der Präsenz mündet. Was hier übertragen wird ist also weder die Präsenz noch die Bewegung: transportiert werden lediglich Daten, die durch die Möglichkeit ihrer unmittelbaren Darstellung (Geschwindigkeit) zu einer Halluzination der Präsenz wie der Bewegung führen. Die Interaktion stellt sich unter diesem Aspekt als eine Erscheinung dieser Übertragung dar, als Effekt der Systeme. (Ebenso erscheint der virtuelle Raum als ein Effekt der Systeme, als Interpolation von Daten über Gestalt und Bewegung; letztendlich erscheint nichts hinter den Bildern als das technologische Jenseits als finales Substitut des Sozialen. Aber gerade die Rede von den virtuellen Räumen ist ein Zeichen der Projektion bzw. der Hoffnung, die in jene realities gesetzt wird: darin erscheinen sie nicht allein als digitale Räume, vielmehr als der absolute reine Raum.)

Durch die Projektion des Selbst in diesen Prozeß der Visualisierung, der Erzeugung eines Effekts der Bilder bzw. eines Effekts des Raumes, schreibt es sich ein in den infiniten Kreislauf der Produktion, des pro-ducere, des Sichtbar-Machens; die Visualisierung (die Digitalisierung) durch die Systeme bringt ein Realitätsprinzip vollständig zum Verschwinden: die Bilder (Anzeige) erscheinen anstelle der Objekte und als Bild unter Bildern wird das Selbst endlich interaktiv, d.h. für das System lesbar: alles wird durch diesen Modus produziert (zur Erscheinung gebracht), aufgezeichnet, gespeichert, übertragen.
(In der selben Weise liefert die Musealisierung ihre Bilder der Produktion (des pro-ducere): das Erscheinen der Objekte, das Erscheinen der Geschichte; in dem selben Maße wird sie auch ein virtueller Raum der Projektionen. Doch beginnt jener Raum des technologischen Jenseits die ANDEREN Räume der Musealisierung zu ersetzten, zumindest aber deren Horizont aufzulösen.) Als diese Projektion löst sich das Selbst im System auf, dieses liefert die Parameter für den Eintritt: der Pathos der Interaktion erscheint als Pathos des Systems. In einer letzten Synthese, einer finalen Fusion/Konfusion vereinigen sich die Effekte des Realen mit den Effekten der Systeme: die Referenten werden ununterscheidbar im Echtzeit-Kreislauf, die Herkunft der Bilder nicht mehr rekonstruierbar. Auch in diesem Zusammenhang erscheint die Interaktion jenseits allen Pathos´ als Motiv eines Kreislaufs, als Kurzschluß, als das Angeschlossen-Sein an die Systeme zur Ermöglichung eines beliebigen Austausches, der Zirkularität (und damit der Aufzeichnung und Speicherung) aller Information. (Dieser Kurzschluß, die völlige Reversibilität jeder (fiktiven) Aktion in diesem Feld der totalen Generierung löscht mit seinem Effekt der Aktualität auch jede Rede von einer Rettung aus.)

Um zu einem früheren Punkt zurückzukehren: virtual realities liefern im Grunde ein Paradoxon, gerade was ihre Affirmation betrifft: sie gründen sich in ihrem Wechselspiel von Rekonstruktion und Generierung quasi auf ein System des Realen, der Objekte, einen Prozeß der Analyse und der Transparenz. Die Kategorien ihrer Bilder (die virtuellen Räume) beschreiben diese Spiegelung des Realen bzw. die Vorhersage einer Überschreitung, Entgrenzung. Andererseits assimilieren sie die Projektionen des Users, visualisieren sie die Imagination als Teil ihres technologischen Jenseits. Derart synthestisieren sie die Fiktion des Imaginären mit der Fiktion des Realen: eine Figur der Versöhnung des Imaginären mit der Produktion (dem Erscheinen). Im eigenen Bild löst sie das Imaginäre auf. Insofern vollzieht sich hier ganz offensichtlich, d.h. dem Blick ausgesetzt, als Bild, der Verlust des Imaginären, nicht seine Verwundung, Verdrängung oder Sublimierung (Kategorien, die für die Kunst in Anspruch genommen werden), sondern seine Auflösung durch die Systeme. Das Imaginäre tritt in sein kybernetisches Zeitalter ein, seine Auflösung in der vollkommenen Transparenz des technologischen pro-ducere. Die virtual realities spiegeln somit den Niedergang, das Verlöschen des Kontrastes, der Differenz, der Distinktion. Das mental/virtuelle Bild kehrt in seiner statistisch/numerischen Form zurück und erweist sich endlich als synthetisierbar.

Stellte die Musealisierung ein Modell dar, das Verhältnis von Subjekt und Objekt bzw. die Hoffnung des Subjekts auf Identität durch die Konstruktion eines Systems der Objekte (bzw. Bilder) als Erscheinung einer Kontinuität durch die Transformation dieser Objekte (Distanzierung etc.) zu erreichen (d.h. diese Utopie-fähig zu machen, zum Feld einer Projektion), so lösen die virtual realities dieses Verhältnis potentiell auf durch den Eintritt in die Systeme als endgültige Synthese. In diesem Sinn erlischt das Imaginäre, auch in der Form, in der es die Musealisierung zu beschwören versuchte: insofern hat die Metapher des Systems jene der Musealisierung nicht allein gesprengt sondern ersetzt.
Was diese in ihrem immer noch vom Objekt ihren Ausgang nehmenden Kategorien beschreibt, inszeniert, zur Erscheinung bringt - ein System der Imagination, dessen Fortschreibung - wird in der Systemisierung radikal negiert: da es sich um ein Substitut des Imaginären handelt, erscheint eine (rettende) Re-Inszenierung nicht mehr notwendig, da die Aufzeichnung (Speicherung) parallel zur Fiktion läuft und von dieser nicht mehr zu trennen ist. Was auf diesem Weg systemimmanent realisiert wird, stellt sich quasi gleichzeitig als dessen Musealisierung dar. Mit anderen Worten: die Frage nach der Musealisierung wird sich nicht mehr stellen.



© Reinhard Braun 1999

erschienen in:
"und, Das Buch zur Museumswelt und darüber hinaus", Leykam, Graz 1991



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