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Texte


Reinhard Braun
Mediensysteme als mentale Systeme

Fotografie
Es treten bezeichnende Effekte auf, wenn technische Systeme ihre Mechanismen umkehren. Technische Medien/Systeme werden als Prothesen entwickelt, imitativ, unterstützend, erweiternd, manchmal als Parodie humanoider Funktionen, zumeist aber als Aneignungssysteme. Die Umkehr bezeichnet jenes Stadium, in dem sich diese Aneignung in eine subtile Produktion, eine Projektion, verkehrt, externe, scheinbar vorgängige und immanente Faktoren in ein Feed-Back-Verhältnis übergehen, die eine Aneignung beenden, da das Anzueignende bereits eine Verlängerung der Aneignung ist. Bezeichnend für den Prozeß der Entstehung eines Aneignungssystems erscheint die Wende von der Camera Obscura zum Panorama und zur Fotografie: erstere generiert eine Schau visionärer, magischer Handlungen und stellt ein Vermittlungssystem im wesentlichen imaginativer/imaginärer Sequenzen dar, die zudem im Dunkeln abgespielt werden müssen - ein Bild wird generiert. In der Fotografie wird der Schritt zur Aneignung visueller Zustände vollzogen - das Imaginative als Produkt subjektiver Konstitutionen geht von nun an den mühsamen Weg über die Manipulation dieser Aneignung - Colorierung und Retusche etwa erscheinen als Phänomene dieser Überblendung eines Faktischen, die letztlich als marginale Strategie zurückbleibt. Das Imaginäre existiert jetzt als Differenz zum Bild des Realen, das sich das erste Mal überhaupt als solches darstellt und bezeichnenderweise jetzt im Hellen erscheint und betrachtet werden kann: die Richtung des Lichts wurde ein erstes Mal umgekehrt und damit die Paradigmen eines ganzen Bild-Systems. Die Imitation des An-Blicks des Realen durch die fotografische Oberfläche, seine bannale Präsentation wird Paradigma des fotografischen Diskurses und im Anschluß daran an visuelle Kultur überhaupt: die Fotografie stellt eine symbolische Fläche dieser Konstellation dar, auf der sich das Subjekt quasi selbst in die Augen blickt, einen Abzug seiner eigenen Wahrnehmung betrachtet.
Gegenwärtig ist ein neuerliches Phänomen des fotografischen Surrealen, der Überschreitung der Imitation, der Abbildung, zu beobachten, das sich allerdings eines radikalen Effekts der Sättigung verdankt: das Faktische/Reale als Bild-vorgängige Größe verschwindet erneut, jetzt allerdings hinter seiner ständigen Bemühung als Instanz der medialen Reproduktion: die Bildsysteme der Fotografie und aller daran gekoppelter Techniken ähneln wieder einer Camera Obscura - sie projizieren erneut, diesmal jedoch quasi auf die Oberfläche des Bewußtseins selbst.

Die Allgegenwärtigkeit des fotografischen Bildes, seine inflationäre Inszenierung als Trägermedium hat den Effekt der potentiellen Auflösung seiner Oberfläche als spezifisches Bildfeld dieser Aneignung zur Folge - die Repräsentation und ihre Strategien richten sich zunehmend nicht mehr auf das Faktische, den Mythos des Realen, sondern reproduzieren vielmehr eine entäußerte Teilnahme am fotografischen Diskurs selbst. Die beliebige und unendliche Reproduktionsmöglichkeit des Blicks und seiner Erscheinung, des Augen-Blicks, scheint die Fotografie als Transporteur und Vehikel für den Transfer von Authentizität zu disqualifizieren, sowohl im Hinblick auf den Produzent - das Subjekt - wie auf die (scheinbar) reproduzierte Instanz des Faktischen. Fotografie repräsentiert kaum mehr die Visualisierung von Subjektivität, noch die Visualisierung des Faktischen - durch die endlose Aneignung und Sichtbarmachung des Realen verliert der Blick, seine Aufzeichnung wie der Gegenstand der fotografischen Aneignung an Differenz.

Das Spiel von Sichtbarkeit und Sichtbarmachen scheint angesichts der totalen Mediatisierung zu delirieren: es sind nicht mehr die sichtbaren Dinge, ihre Konstellation, ihre Seltenheit oder dergleichen, die die fotografische Repräsentation evozieren - der fotografische Diskurs selbst generiert die Bilder, die Fotografie wird zunehmend selbstreflektiv und, wichtiger, hat längst das Subjekt, den Produzenten der Bilder, infiziert. Der Diskurs des Visuellen, in Gang gebracht durch die massive Verbreitung der Fotografie, ist zu einem kulturellen Diskurs geworden, die gesamte subjektive Wahrnehmung erfolgt durch die Blende dieses Diskurses; wie die Natur eine Fiktion, ein artifizieller Antipode ist, stellen Visualisierung und Repräsentation nur mehr Fiktionen einer stabilen Ordnung der Dinge und ihrer Wahrnehmung/bildlichen Aneignung dar.

Die Umkehr von Der Aneignung/Abbildung zur Entäußerung/Projektion ereignet sich als Rückkoppelung vom Visuellen über das Mentale zum Visuellen, eine Endlosschleife der Wahrnehmung und Reproduktion von ästhetischen Zeichen und Figuren des (scheinbar) Realen- der Blick richtet sich auf eine bereits durch einen Diskurs der Visualität codierten Bereich des Faktischen, der dabei schließlich völlig entrückt. Gleichwohl, ob es sich um Dokumentar- oder inszenierte Fotografie handelt, der Diskurs des Visuellen hat alle Bereich des Erkennens und des Visualisieren des Erkennens erfaßt; es ereignet sich ein Strudel der Bilder, die nicht mehr im Hinblick auf eine vorgängige Instanz oder Referenz decodiert werden können, da sich die Fotografie selbst als Diskurs von Visualität ständig als Kontext der Bilder, ihrer Erscheinung und ihres Sinns einschaltet. Die Fotografie hat das Stadium der Visualisierung hinter sich gebracht, was sich heute im Feld des Fotografischen ereignet, sind komplexe Reproduktionen bereits fotografisch generierter Sichtbarkeits-Effekte - Effekte des Sichtbaren. Die visuellen Medien, gegenwärtig erleben wir die Ekstase des Videos, erreichen das Stadium der Entmediatisierung, sie Verschwinden als Medien zunehmend unterhalb der Bewußtseinsschwelle - An-Zeichen der Repräsentation und der Aufzeichnung, nicht mehr Zeichen einer Differenz zwischen Medium und Realem.

Die Erscheinungen, die als Bild fixiert werden, stammen nicht mehr aus dem Bereich des Faktischen, sondern aus dem Bereich der Konnexion zweier Fiktionen: das Faktische wie seine Visualisierung ist ein Problem der Codierung und Decodierung. Akkurate , imitative Darstellung als eine Form der Synthese von Abbildung und Imagination, von Reproduktion und Produktion, von Objekt-Text und Subjekt-Kommentar ist jederzeit ein Effekt dieser Schleife zwischen Mediensystem und mentalem System. Die gegenwärtige Signifikanz besteht darin, daß beide Systeme durch permanente Effekte der Rückkoppelung ununterscheidbar geworden sind. Der Diskurs des Visuellen, als ein Diskurs der Aufzeichnung wie der Wahrnehmung, zieht beide in den Srudel der Tautologie: es handelt sich um eine Abbildung von Wahrnehmungechanismen, die bereits auf der Abbildung fundieren, ein Reproduktionssystem ohne Anfang und Ende. Es geht längst nicht mehr um die Bilder, die wir produzieren: es geht um die Bilder, die wir nicht mehr medial re-produzieren, da wir sie bereits permanent als Medien-Subjekt produzieren und sie wie ein Objektiv vor die Wahrnehmung blenden. Längst sind die wichtigen Medien jene immanenten, die intra-subjektiven Effekte der Mediatisierung, die es den Medien selbst erlauben, zu verschwinden, weil sie ihren Ort gewechselt haben: die Richtung der Projektion kehrt sich um - nicht das Licht trifft in das Objektiv, um ein Bild zu zeichnen und das Produkt eines Mediums zu erzeugen, der Blick selbst projiziert bereits ein Bild, das die Medien als Produkt erzeugen und das er durch den Apparrat wieder einfängt. Das Subjekt ist Medium eines Bildtransfers geworden, der ständig ablauft und aus dem Bewußtsein eine lichtempfindliche Schicht gemacht hat.

Es handelt sich also um ein Problem der Rückkoppelung, d.h. nicht um eine Frage der Erscheinung des Realen, des Faktischen, nicht nur darum, wie Fotografie das Reale entwirft, sondern um das Phänomen eines Closed Circuit zwischen Bildherstellung und der Reproduktion deren Mechanismen durch die Produktion neuer Bilder. Das Fotografische läßt sich nur sinnvoll betreiben auf der Grundlage einer Differenz, einer Ausdifferenzierung: die Unterscheidung zwischen Bild und vorgängigem Bildgegenstand. Gerade diese Differenz scheint einzubrechen. Die Überblendung des Realen durch die Fotografie arbeitet an der Eliminierung dieser Differenz. Damit steht die Fotografie selbst auf dem Spiel. Die Ausdifferenzierung der fotografischen Praxis und ihres Diskurses arbeitet paradoxerweise an der Aufhebung der Differenz zwischen Fotografie und Realem - das Sichtbare verschwindet jenseits der Fotografie, weil der Blick selbst keine Möglichkeit mehr hat, eine Differenz zu konstruieren.

Diese Arbeit der Überschreitung des Sichtbaren beginnt bereits mit der Generierung des Sichtbaren in der apparativen Unterschreitung der Wahrnehmung, es entstehen Bilder jenseits des Blicks; Momentfotografie, Makrofotografie, das Neue Sehen etc. entwickeln Bilder jenseits der Bilder, konstruieren eine Ordnung der Bilder jenseits einer Ordnung der Dinge, wie sie noch der Blick konstituiert hat. Das Reale bleibt hinter dem Horizont der Fotografie zurück bzw. wird erst durch die Fotografie restlos (ab-)gebildet. Die Fotografie schließt sozusagen hermeneutisch die Lücken im Text des Realen. In diesem Sinn rekurrieren die Bilder weniger auf Objekte, die Welt der Dinge, des Realen - die Differenz, als vielmehr auf wieder andere Bilder. Es entsteht ein Kreislauf der Reproduktion der Mechanismen und Paradigmen der Bildherstellung selbst - auch unter dem Horizont einer Technisierung der Fotografie. Der Blick richtet sich nicht mehr auf Objekträume, er orientiert sich bereits an Bildräumen, da in diesen allein das Reale vollständig zur Erscheinung gebarcht werden kann. Diese selbst konstruieren Kategorien der Darstellung und Darstellbarkeit und damit Kategorien visueller Erfahrung - das Bildsystem Fotografie -, expandieren, determinieren und generieren zunehmend mentale Bildsysteme. In einer Paraphrasierung könnte man nicht nur von einer fraktalen Fotografie sprechen, sondern von fraktaler Sichtbarkeit überhaupt: das Visuelle zersplittert, ohne daß diese Splitter noch zu erkennen geben, welchem Bildsystemraum sie noch angehören. Faktisch ereignet sich nicht alles, was der Fall ist, sondern nur, wovon ein Bild existiert - gleichgültig ob im Diskurs der Fotografie oder im subjektimmanenten Bild-Diskurs: die Differenzen wurden eingezogen.

Entsprechend existiert nur noch ein Meta-Diskurs der Bilder: das System Fotografie ist nicht mehr als ein technisches Aneignungsrepertoire zu lesen, sondern als Teil eines Meta-Bildsystems, eine visuelle Hyper-Media, dem das Bewußtsein angeschlossen ist; eine Logik der Repräsentation hat sich in eine Logik der permanenten Bild-Produktion verkehrt. Die Bildlichkeit des Denkens erscheint nicht mehr als Topologie, die das Denken unterstützt - es ist buchstäblich zur Bild-(Re)Produktion geworden, das Bewußtsein zu einer reproduktiven Bildmaschine.

Der Bildschirm
Analog zu den fotografischen Bildräumen läßt sich diese System-Synthese zwischen Medium und Subjekt auch für die elektronischen Bildräume spekulativ entwerfen. Operiert die Fotografie auf der Ebene der Imitation des Blicks, einer Konzentration und der Fixierung, die noch an eine Magie des Bannens, Stillstellens erinnern, so löst das elektronische Bild diese Konzentration in eine Sequenz auf, liefert es umfängliche Kommentare und Interpretationen in Form anderer Bilder, löst die Bildeinheit, die punktuelle Bildfolge in eine Zeitfolge auf. Es handelt sich um die Einführung eines visuellen Zeitsystems. Die elektronischen Bilder sind nicht mehr wie die Fotografie eine Abstraktion des Blicks, sondern des Sehens, mehr noch: zwischen Sehen und Fernsehen existiert keine Differenz mehr. Am Bildschirm erscheint nicht mehr nur der Blick als Tautologie eines selbstreferentiellen Bildsystems, er liefert auch die Erzählung mit, die im fotografischen Bild potentiell bleibt bzw. über komplexe Zeichenkonstellationen artikuliert wird. Die elektronischen Bilder sprechen aus, was das Bild nur konnotiert. Die jahrzehntelange Werbung für das Fernsehen als eine Form der Unmittelbarkeit, der Teilnahme am Geschehen, das Propagieren einer Bildimmanenzt des Rezipienten erscheint jetzt endlich eingelöst. Im elektronischen Bild wird nicht mehr die Deduktion des Realen aus dem Realen repräsentiert, sondern Reales als Bild konstituiert. Stellte bereits das fotografische Bild eine Entblößung dar, eine Form der Transparenz, eine tautologische Reproduktion, ist das elektronische Bild geradezu obszön - es formuliert das Reale vollständig zu Ende, indem es eine endlose und kontinuierliche Bild-Erzählung vom Realen als Reales erzeugt.
Ging es bei der Fotografie noch darum, daß Bilder visuelle Einheiten verdoppelt und/oder bereits vorweggenommen/produziert haben, handelt es sich hier gewissermaßen um eine Auflösung oder Verschmelzung dieser Einheiten, die noch Reste einer Diskontinuität besaßen, die die Erzählung ins Stocken brachte - die Überblendung durch die Fotografie ist eine Abstraktionsleistung, durch die unendliche Bild-Zeit der elektronischen Bildräume geschieht diese Ersetzung quasi real. Die Zeit-Achse des elektronischen Bildes, die Geschwindigkeit der Abfolge der Bildgenerationen multipliziert die Präsenz der Erscheinungen: es ist jederzeit verfügbar und als homogene Erscheinung konsumierbar - das Reale wird redundant, der Blick darauf überflüssig. Der Meta-Diskurs des Visuellen, erweitert um einen Zeitfaktor, verändert jetzt nochmals radikal den Bezugsrahmen, das semantische Feld, indem eine Decodierung des Sichtbaren, d.h. eine Einschätzung seiner Grundlagen, stattfinden kann: die Auflösung distinkter Kategorien der Identifizierung erstreckt sich nicht mehr nur auf das Visuelle selbst, sondern seine Erstreckung in der Zeit; die Reproduktion erfaßt nicht nur eine Logik der Darstellung, sondern die Logik des Sichtbaren, der Erscheinungen und ihrer Abfolge selbst - eine weitere Differenz wird eingezogen.

Der Bildschirm, der elektronische Bildraum entledigt sich nicht nur des Realen, er entledigt auch das Subjekt von der Notwendigkeit, eigene Bilder zu produzieren - "das Licht des Fernsehens ist bekanntlich endogen, es kommt aus dem Inneren und reflektiert nichts. Alles geschieht so, als ob der Bildschirm selber die Ursache und der Ursprungsort der Phänomene, die sich auf ihm produzieren, wäre." (Jean Baudrillard) - der Bildschirm und sein Zeit-Bild ersetzt jede Sehnsucht nach einem anderen Draußen als ihm selbst, die Bilder verschwinden in der Zeit und als Bilder, da sie nicht repräsentieren - die Perfektion der Imitation schlägt um in Simulation -, sondern sind: das elektronische Bild konstruiert eine neue ontologische Bildmenge: Bilder, die radikal denotieren und dennoch geradezu halluzinativ 'wirklich' sind.

Es handelt sich um eine Entledigung, um die Möglichkeit einer Entleerung. Erzeugte die Fotografie Bilder, distinkte und diskrete Flächen, so werden diese vom Bildschirm absorbiert durch die Beschleunigung - auf dem Bildschirm müssen ständig Bilder verschwinden, damit neue transportiert und zur Erscheinung gebracht werden können. Die Beschleunigung läßt die Differenzen zwischen den einzelnen Bildern verschwinden, es entsteht eine einzige Mutation der Bilder, die sich erzeugen und ersetzen, widerstandslos ablösen. Durch diese Absorption der Diskontinuität etabliert sich die Oberfläche des Bildschirms letztlich als einzige Instanz der Bildproduktion und -zirkulation. Das elektronische Bildsystem ist nicht mehr daraufhin angelegt, die Ebene der subjektiven Bildproduktion - die autarken mentalen Bilder - zu überlagern, sich die subjektive Bildproduktion anzueignen, sondern radikal auszulöschen.

Die Konsumtion der Bilder bedeutet zugleich deren Verbrauch, deren Aufzehrung. Die permanente Belichtung des Bewußtseins mit elektronischen Bildräumen und deren Erzählungen: Glück, Mord, Liebe, Tod, erscheint gleichzeitig als (scheinbare) totale Verfügung über Bilder und deren Sequenzen, die bereits bestehen, die nicht darauf beschränkt bleiben, Erscheinungen zu repräsentieren, sondern die selbst Erscheinungen sind. Der Kosmos des elektronischen Bildraumes evoziert die große Erzählung, erinnert an die mythischen Epen, die das gesamte Leben in seinen möglichen Erscheinungen in sich aufheben, abbilden, erklären und interpretieren - daneben ist keine weitere Erzählung mehr notwendig. Die technische Entwicklung des bewegten Bildes bis hin zu High-End-Personal-Video-Systems richtet sich also über die Perfektion der Wiedergabe, die Vollendung der Repräsentation, auf die Vollendung einer Erzählung, die Konstruktion eines adäquaten Mythos' - du sollst keine anderen Bilder neben meinen haben.
Die Ekstase des Bildes stellt also gleichzeitig einen ikonoklastischen Akt gegen das Bewußtsein und die mentalen Bilder dar: was sich im Bereich der Fotografie als Indifferenz darstellt, zeigt sich hier als Negation einer Notwendigkeit zur Differenz, die Aufgabe einer Idee, einer Möglichkeit der Differenz: der Bildraum schlechthin wird mit dem elektronischen Bildraum gleichgesetzt, das Reale entsteht als elektronischer Bildraum neu.
Die totale Reproduktion wird hier zur totalen Erscheinung gewendet, zur ultimativen Bildgestalt. Indem der Bildschirm als Fläche der absoluten Wunscherfüllung inszeniert wird, absorbiert er das kollektive Imaginäre und mit ihm jede Form der Bildproduktion. Im Angeschlossen-Sein an den Bildschirm ereignet sich die letzte traumhafte Verflüchtigung des Subjekts, sein endgültiges Aufgehoben-Sein in der großen Erzählung der Bilder.

Der Begriff der Entmediatisierung versucht, diesen Effekt zu erfassen. Er beschreibt eine Phase des Umkehrs: die totale Mediatisierung beschleunigt das Verschwinden der Medien als Ebenen einer ANDEREN Logik des Bildes, seiner Herstellung und Verteilung; der Systemraum der Medien umfaßt längst das Subjekt, indem er eine Synchronizität zwischen der visuellen Logik des Unbewußten und der visuellen Logik der Medien (Schulte-Sasse) erzeugt und damit dem Subjekt die Bildproduktion entzieht. Die Entwicklung der technischen Bildräume als Begehren an der Wirklichkeit führt jetzt zu einem "Anschluß des Begehrens an sich selbst" (Dietmar Kamper). Der Bildschirm wird zum prototypischen Objekt, einer Wunscherfüllungsmaschine, die endlich die entäußerten Bilder in eine einzige große Erzählung zu verwandeln in der Lage ist, eine Erzählung vom Realen und vor allem vom Subjekt selbst. Der Bildschirm ist kein Spiegel, keine Reflexion, die eine Sichtbarkeit erzeugt, sondern ein Doppelgänger, der wieder zur Erscheinung bringt, was längst an die Apparate entäußert wurde: er repräsentiert den "eigenen Körper, der einem nicht gehört" (Jacques Lacan) und der von der Notwendigkeit zur Produktion befreit worden ist. Über die elektronischen Bildräume kehrt das Imaginäre wieder zum Subjekt zurück - verzerrt zwar, aber als Form der Befreiung. Im Angeschlossen-Sein an die Konsumtion des Selbst ereignet sich die Diffusion von Medium und Subjekt, das Diffundieren des Subjekts in die System-Räume der Medien. Die Indifferenz der Logiken der Darstellung und der Erscheinung der Bilder führt zu einer prinzipiellen medialen Indifferenz: die Medien verschwinden als das ANDERE System, als Folie, gegen die sich noch Identitäts- und Stabilitätskriterien abzeichnen.
Was mit der Krise des Realen beschrieben wird, zeichnet sich nicht als ein Verschwinden der Dinge ab, aber als ein Verlust stabiler Codes ihrer Kennzeichnung und Klassifizierung. Die Krise der Subjektivität ist dementsprechend die Krise seiner Fundierung auf das Reale; es geht hier nicht um die Formulierung einer Apokalypse, aber um die Absage an längst verschwundene Autonomien: sowohl jene der apparativen Netzwerke wie jene des Subjekts selbst. Was formuliert werden muß, ist die Kontur der Ruckkoppelungskultur (Schulte-Sasse), die bereits existiert und die die Kontexte sowohl ästhetischer (Bild), kommunikativer (Information) und produktionstechnischer (Waren) Transfers verschiebt wie auch die Konstitutions-Kontexte des Subjekts; das Bild des Subjekts, das sich den Effekten der Medien ausgesetzt sieht, verzerrt die permanente Medien-Immanenz, die Erscheinung des Subjekts als Systemvariable der Medien.



© Reinhard Braun 1992

erschienen in:
Medien.Kunst.Passagen 04/92, Passagen: Wien 1992



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