TexteReinhard Braun |
INTERNET-KULTUREN
"Menschen sind heute nicht mehr Werkzeugbenutzer, sondern Schaltmomente im Medienverbund. Deshalb setzen sich immer mehr Computermetaphern für Selbstverhältnisse durch - wir rasten in Schaltkreise ein." "Diese neue Kunst ist kollaborativ und interaktiv und beendet den für die traditionelle Kunst und Literatur charakteristischen Zustand der Unidirektionalität. Ihre Elemente sind Text, Ton, Bild und schließlich auf Force-feed-back beruhende virtuelle Berührung. Diese Elemente sind nicht Teil einer festen Ordnung; es sind Zeichen in Bewegung - als Gesten, als Blickkontakt, als Transfiguration gegenseitig unerfüllter Bedeutungen. Was hin- und hergesandt wird, erfährt dabei immer neue Veränderung, wird schrittweise ausgetauscht." Der Künstler "(als Autor eines Kontextes) [generiert] ein Telekommunikations-Event (...), ein Netzwerk, ohne den Zeichenfluß vollständig kontrollieren zu können." Die Medienlandschaft und ihre Topografie bzw. Topologie scheint gegenwärtig ausschließlich durch die Metaphern des Computers und des Netzes bzw. der Kommunikation bestimmt - soviel in den 80ern Jahren über Bilder, über das Visuelle und Ästhetik gedacht und geschrieben wurde, sosehr dreht sich heute der zentrale Mediendiskurs um Information, Konnektivität, Hypertextualität und Interaktion. Kultur ist keine Frage von (postmoderner) Ästhetik mehr, sondern von Informationsverarbeitung, von Signalprozessierung, von "Übertragung, Speicherung, Verarbeitung" (Friedrich Kittler). Diesem kollektiven Horizont, den die Metapher von globaler Kommunikation formuliert, unterliegt aber nicht nur die Verbreitung von Informationen, ein komplexes multidirektionales Austauschsystem, es ist der Raum, es ist der konkrete Ort und mit diesem eine konkrete kulturelle Verortung, die sich in einem trans-globalen Netzwerk von Ähnlichkeit und Differenz aufzulösen scheint. Wir definieren unsere kulturelle Vernetzung nicht mehr über physische Kontakte mit lokalen Umwelten, sondern über transkulturelle Verbindungen zu verstreuten Individuen, Gruppen oder Teilöffentlichkeiten. " (...) der relae Ort der Begegnung wird bei der Telekommunikation unwichtig, d. h. der topische Aspekt tritt in den Hinter-grund gegenüber dem tele-topischen, die Einheit von Zeit und Ort teilt sich auf in Sender und Empfänger der Signale, die durch die Errungenschaften der elektromagnetischen Interaktivität gleichzeitig hier und dort sind." (Paul Virilio) Zahllose Debatten über Identität, Individualität, Subjektivität, Öffentlichkeit, Geschlecht, Macht und Subversivität im Zusammenhang mit Netzwerkkulturen arbeiten an einer Analyse und Kritik der sich abzeichnenden kulturellen Veränderungen - Diskurse, die einerseits Momente der Auflösung, der Zerstreuung in den Vordergrund rücken, andererseits neue Formen von Kollektiven, eine neue Einheit kultureller Kommunikation in Entwicklung begriffen sehen. Daß es sich bei diesen Phänomenen in jedem Fall um gravierende kulturelle Neuordnungen handelt, wird bis in den Alltag hinein spürbar. Die Dynamik dieser Netzwerkkulturen entfaltet sich seit Anfang bis Mitte der 90er Jahre, als mit der Einführung einer neuen Oberfläche auf der Grundlage eines neu entwickelten, standardisierten Übertragungsprotokolls das Internet, ein Verbund aus zahlreichen internationalen Netzen, einen Quantensprung in seiner "usability" erfuhr, sprich: die Bedienung der notwendigen Verfahren zur Herstellung von Verbindungen und den Austausch von Informationen wurde so einfach und komfortabel, daß daß man von der Entstehung eines neuen Massenmediums sprechen kann. Gleichzeitig trat die Software aus dem Text only/ASCII-Grafik-"Mittelalter" in die "Neuzeit" der "Graphical User Interfaces" (GUI) ein - und wurde damit kompatibel mit bereits existierenden GUI-Plattformen und -Softwaregruppen. Doch durch die technischen bzw. softwarebezogenen Grundlagen allein läßt sich die Dynamik der Entwicklung nicht erklären. Vielmehr muß dieser informationelle Turn-over inerhalb der Logik industrieller bzw. postindustrieller kultureller Entwicklungen insgesamt gesehen werden: "Die 'Trennung der Botschaft vom Körper des Boten' ist nicht nur ein kulturgeschichtlicher Fluchtpunkt von mehr als zwei Jahrtausenden telekommunikativer Entwicklung. Sie ist zugleich Metapher für die politische Ökonomie des historischen Prozesses hin zur Entmaterialisierung des Austauschs bzw. Verkehr der Menschen untereinander (mit dem Warenverkehr als ideelem Gesamtverkehr). Sie ist Sinnbild der zunehmenden Eliminierung der sinnlich-körperlichen (Selbst-) Erfahrung unserer alltäglichen Lebensbeziehungen (...)" (Siegfried Zielinski) "Das eben charakterisiert die Nachindustrie: Die Information, nicht das Ding ist wertvoll." (Vilém Flusser) 1980/81 wurde ARTEX (Artist's Electronic Exchange Program) als Textprogramm dem kommerziellen Netzwerk "I. P. Sharp APL Network" implementiert und stellte weltweit eines der ersten von Künstlern regelmäßig benutzten und eingesetzten Netzwerken dar. I. P. Sharp besaß ein weltweit bestehendes Netzwerk von Terminals, die im Time-Sharing Verfahren mit einem Zentralcomputer in Toronto verbunden waren, der über die jeweiligen Ortsleitungen zum nächsten I. P. Sharp Büro erreicht werden. Das ARTEX1 Programm wurde vom I. P. Sharp Büro Wien (Gottfried Bach) in Zusammenarbeit mit Robert Adrian und Bill Bartlett auf deren Initiative hin entwickelt und existierte bis 1991, bis IPSA von Reuters gekauft wurde. Mit ARTEX entstand ein erstes Kommunikationssystem, das in der Folge die Grundlage für eine Reihe von Projekten bildete, die sich in gewisser Weise als Dialog mit dem System bezeichnen lassen bzw. als Kommunikation darüber, in welcher Form mediengestützte Kommunikation immer als Dialog mit dem System bezeichnet werden muss (als bekanntestes Projekt "Die Welt in 24 Stunden" zur Ars Electronica 1982; weiters "La Plissure du Texte", zur "Electra 83", 1983, "Planetary Network", zur Biennale von Venedig 1986, um hier nur einige wenige zu nennen). 1983 wurde BLIX von Robert Adrian X und Helmut Mark in Wien als offene Gruppe gegründet, die sich je nach Projekt aus verschiedenen Teilnehmern zusammensetze; realisiert wurden u. a. eine Reihe von "Telefonmusiken" (1983), "Kunstfunk" (1984) und in Zusammenarbeit mit "Western Front" das Projekt "Wiencouver IV" (1983, Telefax, Slowscan TV, Telefonmusik, Computer). Die Spur der Gruppe BLIX verliert sich in den 80er Jahren, als Telekommunikationsprojekte aus dem experimentellen Stadium treten und in konzeptueller wie strategischer hinsicht ihre Position an der Schnittstelle zwischen Technologie, Industrie, Politik und Kunst verstärkt reflektieren und thematisieren. In der Tradition derartiger Projekte stehen Arbeiten wie "Chipradio" (1992), "Realtime" (1993), von TRANSIT produziert, bis hin zu "Horizontal Radio" (1995 zur Ars Electronica in einer Kooperation mit dem ORF Kunstradio und einer großen Anzahl europäischer Rundfunkstationen, Mediengruppen und -aktivisten realisiert). Im Mittelpunkt all dieser Projekte steht die Idee einer netzwerkbasierenden Echtzeit-Kommunikation, die sich schriftlicher und audiovisuelle Daten bedient, die vor allem aber auch einen telekommunikativen Handlungsraum erzeugen, bei dem über Distenzen hinweg interaktiv ko-agiert wird (durch Übermittlung von Steuerdaten, MIDI-Daten und ähnlichem). Eines der frühesten MIDI-Live-Projekte was "Razionalnik" von Seppo Gründler und Josef Klammer, 1987; in komplexer Form operierte auch "Hausmusik" von Thomas Feuerstein, Matthias Fuchs und Mia Zabelka, 1993, in dieser Form der Bearbeitung von Echtzeit-Daten. Was dadurch entsteht, charakterisiert Timothy Druckrey als "ein Utopos von Netzwerken, elektronischen Rezeptionsweisen und eine post-territoriale Gemeinschaft, deren Materialität ephemer bleibt, sich der räumlichen Einordnung entzieht und deren Gegenwart von ihrer Teilnahme statt von ihrem zufälligen Standort bestimmt wird." (Timothy Druckrey) Die Bedeutung dieser Projekte als Pilotsysteme der Erprobung von kommunikativen Systemen, der Installierung von dislozierten und nur über technische Gadgets verbundene Gruppen und des dabei entstehenden "elektronischen Raumes" als künstlerisches Handlungsfeld mit allen daran geknüpften Fragen danach, wie sich so etwas wie Kunst im Rahmen von Mediennetzwerken und telekommunikativen Systemen überhaupt positionieren läßt, kann gar nicht hoch eingeschätzt werden, auch, wenn aus heutiger Sicht die installierten Systeme ziemlich rudimentär erscheinen (für "Die Welt in 24 Stunden" etwa waren noch keine Bildschirme als Ausgabemedien verfügbar). "Künstler, die in den neunziger Jahren Netzwerke einbeziehen, arbeiten nicht im kunstgeschichtslosen Raum: Künstlerische Strategien mit Medienvernetzungen liegen vor (...), die für Projekte in Datennetzen und Installationen mit elektronischen Netzwerken modifizierbar sind." (Thomas Dreher) Wenn User heute in ihre Chatrooms oder agieren sie innerhalb bestimmter Newsgroups oder Mailinglisten, so tun sie dies innerhalb von gleichartigen dis-lokativen/netztopologischen Öffentlichkeitshorizonten, die sie in unterschiedlicher Weise (nicht inhaltlich, aber eben topo-logisch und vor allem im Hinblick auf die zeitliche Koppelung) mit apparativ konstruierten Öffentlichkeiten / Kollektiven verschalten und vernetzen. Sie partizipieren an keiner physischen Gemeinschaft, sondern realisieren temporäre und virtuelles Gruppen, eine virtuelle Gemeinschaft? Man darf Internet-Kultur in keinem Fall als Marktplatz, Pornoladen, Tratsch- und Gerüchteküche, oder als "Info-Highway" mißverstehen, wie dies häufig in Tageszeitungen und Magazinen geschieht - was sich tatsächlich an kultureller Verschiebung abzeichnet und woran viele künstlerische Projekte seit den 80er Jahren - und einige wichtige davon schwerpunktmäßig in und aus Österreich - arbeiten, dreht sich nicht nur um Information und Ökonomie. Es geht vor allem um neuartige Schnittstellen zwischen Individuen und um neuartige Schnittstellen zwischen realen geografischen/sozialen/kulturellen und apparativen/medialen/maschinischen "Räumen". "Die Grenzen zwischen dem Subjekt, wenn nicht dem Körper, und dem 'Rest der Welt' werden durch die Vermittlung von Technologie radikal neu gestaltet." (Allucquerce Roseanne Stone) Zu den wichtigsten, weil nachhaltigsten Projekten zählen schießlich jene, die nicht nur für einen bestimmten Zeitraum Dialoge bzw. Schnittstellen mit Mediensystemen initiieren, sondern auf einer infrastrukturellen Ebene permanente Netzwerke als künstlerische Handlungsräume etablieren. Robert Adrian X hat das Konzept eines "Artist's Use of Telecommunications" weiterverfolgt und 1992/93 während seiner künstlerischen Leitung der "Steirischen Kulturinitiative" (gemeinsam mit Gerfried Stocker, dem heutigen Leiter des Ars Electronica Centers) das Mailbox-System "Zeronet - The Art of Being Everywhere" entwickelt und bis 1994 betrieben. Das "Zeronet" war Bestandteil des Fido-Netzes und nicht nur als System des Nachrichtenaustauschs konzipiert, sondern - analog zu ARTEX - auch "Schauplatz" künstlerischer Projekte (u. a. "Big Net Jam", 1993, von Seppo Gründler, Kalr Stocker, "Texttouren", 1993, von Pool Processing, das Symposion "Online - Kunst im Netz" in Graz 1993). "Zeronet" verstand sich - noch vor den ersten Internet-Projekten in Österreich - als Pilotversuch zur Etablierung einer Mailbox speziell zu Fragen und Themen im Bereich "Netzwerke und Kunst", d. h. ein Wiederaufgreifen der ARTEX-Idee, eine praktische wie theoretische Beschäftigung mit kommunikativen Netzwerken voranzutreiben - der Prototyp eines Content Providers. 1993 wurde "The Thing Vienna" gegründet, zunächst ebenfalls als Mailboxsystem, seit 1995 als Internetanbieter. The Thing Vienna operiert in enger Kooperation mit "The Thing New York" und verstand sich von Anfang an als ein Online-Labor zur Weiterentwicklung interaktiver Produktions- und Kommunikationsformen und als Plattform zur künstlerischen wie theoretischen Reflexion mit Netzkulturen. Diese Reflexion bezieht sich immer auch auf eine Neudefinition der gängigen Kultur- und Kunstbegriffe bzw. -praxen. Seit 1993 arbeiten - großteils in einger Kooperation mit internationalen Partnern - eine Vielzahl österreichischer Gruppen und KünstlerInnen (darunter Robert Adrian X, Sam Auinger, Eva Grubinger, Seppo Gründler, Josef Klammer, Eva Wohlgemuth, Margarethe Jahrmann, Knowbotic Research, Winfried Ritsch, Sabine Bitter und Helmut Weber, HILUS, Franz Xaver u. v. a.) - schwerpunktmäßig im Bereich Internet/World Wide Web. Dabei geht es nicht nur darum, das Netz selbst als Gadget, als System, als "technologisches Jenseits" zu erkunden und zu thematisieren, sondern gerade die Bezüge und Überlagerungen dieses Mediums mit Gesellschaft, Ökonomie, Politik und Kunst. Die Strategien sind vielfältig, temporär, kontextbezogen, teilweise geradezu situationistisch, und verhindern vorweg, eine verallgemeinernde Perspektive auf künstlerische Praktiken in und mit dem Netz zu entwerfen oder in einer kritischen Bearbeitungzu konstruieren. Denn: "Medien haben eine unüberschaubare Anzahl von Aspekten, Möglichkeiten, Berechen- und Unberechenbarkeiten, keine Teleologie oder prinzipelle Tendenz." (Agentur Bilwet) Literatur: © Reinhard Braun 1999 erschienen in: "Kunst und Kultur in Österreich. Das 20. Jahrhundert", Brandstätter Verlag, Wien 1999. |
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