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Texte


Reinhard Braun
Semiologische Spiele - Mediale Imperative

Wo Gegenstand war, ist Information geworden.
Agentur Bilwet

Das Aktivieren von (technischen) Apparaten erzeugt nicht nur Daten, die vorher nicht existierten, nicht beobachtet oder nicht aufgezeichnet werden konnten, die unausgesetzte Produktion von Daten durch solche Apparate erzeugt eine seltsam subjektferne Sphäre von Objektivierungen, die schließlich zur Notwendigkeit führen, diese Daten-Sphäre in eine Ordnung zu bringen - Informationen zu produzieren, in Form von Bildern, Tönen oder Texten (eine Rückübersetzung, Transponierung für das Subjekt). Was gegenwärtig nicht nur eine Flut von Texten, sondern primär eine umfangreiche Denkbewegung ausgelöst hat und weitertreibt - jene Medienapparate und -techniken bzw. ihre spezifischen Modi, Daten zu produzieren, d. h. die Art und Weise, wie sie das Reale (oder das Reele, wie es Friedrich Kittler in Anlehnung an Jacques Lacan bezeichnet) erfassen, aufzeichnen, speichern, ablegen, aufschieben, in eine Möglichkeitsform überführen: diese Modi bilden zunächst und vor allem eine komplexe Ordnung von Daten, von Mediendaten, die das Denken in Gang bringen. Nicht nur, daß, wie in einer Paraphrase auf Friedrich Nietzsche gesagt werden kann, dieses Medienzeug mit an unseren Gedanken arbeitet (Michael Wetzel), es etabliert sich als eine Bezeichnungspraxis des Reelen, von der jede Beschreibung dieses Reelen in Zukunft ihren Ausgang nimmt: Mediendaten. Diese Daten sind nicht nur Resultat eines (visuellen, akustischen, mikroskopischen, quantenmechanischen, mathematischen ...) Zugriffs auf die Welt, sie sind darüberhinaus konstitutiv inkompatibel gegenüber allen Verarbeitungsmöglichkeiten des Subjekts. Die Verschiebung, die sich hier abzeichnet, findet zwischen einem Denken, das sich als Repräsentation der Außenwelt verstand, und einem Maschinenspiel der Medientechniken statt, die nicht nur das Subjekt, sondern auch die Gegenstände seines Denkes, die Objekte, in und durch die Aktivität seiner apparativen Struktur aus dem Zentrum der Erkenntnis befördern. Wenn Bedeutung als Funktion eines Systemzustandes definiert werden kann (Niklas Luhmann), dann ist zu konstatieren, daß sich der Ort des Subjekts im System der Erkenntnis der Welt eminent verschoben hat. "Die Idee eines einzelnen inneren Raumes, in dem körperliche und perzeptuelle Empfindungen (...), mathematische Wahrheiten, moralische Regeln, die Idee Gottes, depressive Stimmungen und die übrigen, heute mental genannten Vorgänge" (Richard Rorty) nicht nur angesiedelt sind, sondern auch beobachtet und verarbeitet werden können, richtet sich nach dieser Verschiebung nicht mehr auf ein Bewußtseins - dort, wo nach Lacan "Ich" nicht bin, weil "Ich ein anderer ist" - sondern auf jene Maschinen, die eine "zweite Natur" als Datensphäre produzieren und verarbeiten (d. h. auf die "Innenräume" von Apparaten - die "Apparatus-Theorie" von Jean-Louis Baudry ist ein schönes Beispiel für eine solche Analyse solcher Apparat-Räume). Nachdem Jacques Lacan das Subjekt als in der Sprache verankert beschrieben hat, das Unbewußte als analog zur Sprache organisiert, läßt sich der Apparat möglicherweise nicht als in der Sprache, wohl aber als in der Schrift verankert beschreiben - ist doch die Schrift das erste Tele-Medium, der erste Medienapparat zur Überwindung des Hier-und-Jetzt des Subjekts (Peter Weibel). Die Schrift der Maschine operiert aber nicht nur unabhängig von uns dort draußen (im Apparat), sondern produziert seit langem schon jene Aufzeichnungen und Beschriftungen der Welt, die sie weniger darstellen, als daß sie Anweisungen zur Ordnung ihrer Bedeutungen geben: die Sprache der Maschine ist ohnehin nur in Befehlen anschreibbar. Ein Reales (bzw. Reeles) also, das ausschließlich aus Schrift besteht (Jens Schreiber). Die Artikulation dieser Schrift als Abarbeitung einer Signalkette oder von Zeichenfolgen funktioniert - und das ist jene semiologische Verschiebung, die das Maschinenspiel initiiert - ohne jede Bedeutung: die Zustandsformen von Medienapparaten lassen sich nicht in Bedeutungen anschreiben. Mediendaten bedeuten nichts, bevor sie nicht gedeutet, und das heißt nicht, von einem Subjekt mit Bedeutungen belegt, sondern von Medienmaschinen prozessiert werden. Ohne die Ordnung der Medienmaschinen werden diese Daten zu einem Schutthaufen zusammenhangloser Signifikanten (Frederic Jameson), das postmoderne Subjekt zu einem tele-tpologischen Puzzle der Medien fragmentarisiert: ein Raum der Schizophrenie (Victor Burgin), des Rauschens (Vrääth Öhner) und des Rausches (Marvin Minsky). Die Sprachen und Schriften der Maschinen (Tele-fon, Grammo-fon, Foto-grafie) sorgen dafür, daß Menschenfassungen (Walter Seitter) heute Programmierungen durch Medien sind (Friedrich Kittler). Subjektive Bedeutungsintentionen haben keinen objektiven Geltungsanspruch mehr. Die Ordnung der Wörter als schriftliche Ordnung der Welt durch das Subjekt geht in der Ordnung der Dinge zugrunde (Michael Wetzel), weil es schließlich die Dinge sind, deren Spuren sich die Medienmaschinen zuwenden und als Daten erfassen, um auch diese zurückzulassen: zur symbolischen Fixierung von Symbolischem tritt die technische Aufzeichnung des Reelen in Konkurrenz (Friedrich Kittler). Werden es nur mehr Formen der Emergenz von Mediensystemen sein, die das Reele konfigurieren und auch dessen "Geschichte" schreiben? (Norbert Bolz) Die Derealisierung des Reelen nimmt seinen Umweg über die Ontologisierung des Wissens, eine Fundierung der Erkenntnis auf die Dinge als Evidenzen für die Verweisungs- und Anweisungsräume der Medienmaschinen - symptomatisch an der immer wiederkehrenden Beschreibung der Fotografie als Abdruck der Natur ablesbar: die Fotografie ist gewissermaßen als indexikalisches technisch-maschinelles Zeichensystem zugleich eine Schrift der Natur selbst, ihr Abdruck. Und wie der Fingerabdruck des Menschen ist sie ein Indiz, ein Beleg der Identifizierung und Zuschreibung: diese/dieser bzw. so ist es gewesen. Das semiologische Spiel der Medien erscheint als Verschiebung von Denkinhalten zu einer Ordnung der Dinge - Spurensicherung, Indizienanalyse, Symptomatologie, Phänomenologie - und dann als Ablösung der Dinge zunächst durch Signalverläufe, schließlich durch Zeichen, durch Zeichenmanipulationen. Und diese Zeichen vermitteln primär keine Kenntnis, sondern geben eine Anweisung (Michael Wetzel): die Anweisung, die Natur, die Welt, das Reele als Schrift der Maschine zu lesen, in den Schriften der Medien zu entziffern, den Verweisungen der Medien, ihren Identifikationen zu folgen, sie als System der Vermittlung zwischen Subjekt und Welt zu internalisieren, denn: sie sind nicht zwischen Welt und Subjekt geschaltetes Medium, sondern unmittelbarer Kontakt mit dem An-Sich-Sein der Dinge (Michael Wetzel). Von der Prothese zur Mind machine.
Das Licht der Aufklärung kommt aus dem Inneren des Apparats, der Medienmaschine. Die Lichtzeichen der Großstadt, von denen nicht nur die Architektur gelernt hat (Robert Venturi, Denise Scott Brown), bildeten eine erste Rekonfiguration des Sozialen mithilfe von Medienschriften. Schließlich hat dieses elektrische Licht als Paradigma aller elektrischen Medien (Marshall McLuhan) mit allen seinen Kanälen den Raum des Privaten besetzt - und richtet sich seitdem auf das Subjekt als Projektionsoberfläche seiner Beschriftungen, auf diesen "inneren Raum der mentalen Vorgänge": Platzverweis (Georg Christoph Tholen), Verweisungen (Michael Wetzel), Transpositionen (Friedrich Kittler).

Was sich dadurch ändert, ist die Form, die Vermittlungen annehmen: welche Logiken sind es, nach denen eine Verschaltung von Wahrnehmung und Erfahrung erfolgt, was verwandelt Rauschen in Information und schließlich in Wissen? Welcher Logik wird das Bezugssysteme künftiger Epistemologien gehorchen angesichts der Technologisierung des Bewußtseins? Was Medienapparate in ihrer Transponierung von Mediendaten in Repräsentationen des Reelen vorgeben, produzieren, herstellen, ist die Abwesenheit von Rauschen - wenn sie eine Ideologie implizieren, dann jene, daß das Reele ist immer schon Bedeutung hat, daß die Daten über Dinge schon Sinn sind, der nur noch übertragen, prozessiert zu werden, dem Subjekt zur Verfügung gestellt werden braucht. Die Technologisierung des Bewußtseins ist Resultat einer Entdifferenzierung von Reelem und Bedeutung. Die Logik der Darstellung der Apparate, des Prozessierens ihrer Daten, besteht in der Präsentation der Darstellung als Formation von Bedeutung. Das Rauschen als Hintergrund dieser Daten wird vom Apparat überblendet. Das Bezugssystem künsftiger Epistemologien folgt dem Bezugssystem der Projektion von Sinn ins Reele und der Verkehrung dieser Projektion in Indizien. Verkehrung als Struktur der Maschine.
Die Maschine ist allerdings nur eine Metapher - sie ist aber auch Medium der Metapher, als Metapher wirksam, sie metaphorisiert das Subjekt zu einem Servomechanismus der großen Medienmaschine (George Orwell), der mechanischen Braut (Marshall McLuhan). Die Maschine ist Medium der Metapher: Sie spricht von der Welt als einem Anderen, indem sie das Reele als Differenz, als Distanz produziert (es gleichwohl als Indiz präsentiert). Der Bildschirm ist Projektionsfläche von Abschließung und Auschließung, er produziert einen ontologischen Spalt zwischen dem Subjekt als Denken im Reelen und dem Medium als Generator eines differenten Reelen. Der Effekt der Medienmaschine ist die Projektion dieses Spaltes in das Subjekt: der Metaphorisierung der Technik zu folgen heißt, sich vom Objekt des Körpers zu befreien, den immanenten Spalt zu beseitigen, die Spaltung zu beenden und sich auf die Seite der Mediendaten zu schlagen. Die Technologisierung des Bewußtseins erscheint als Entsubjektivierung des Wahrnehmungs- und Denkraumes: eine Leerstelle, die die Medienmaschine besetzt. Sie bilden um diese Leerstelle herum gewissermaßen ein Symptom, jene Stelle, von der aus das Subjekt die Welt betrachtet, die den Horizont strukturiert, innerhalb dessen die Dinge für das Subjekt erst Bedeutung annehmen (Slavoj Zizek). Das mediale Symptom des Subjekts wird aber auch jenes signifikante "Gebilde", um das herum das Subjekt sein Genießen organisiert, das dem Reelen des Subjekts seine Konsistenz verleiht (Slavoj Zizek) - ein blinder Fleck. Jede symbolische Struktur muß ein Element enthalten, welches das Moment ihrer Unmöglichkeit verkörpert, um das herum sie gegliedert ist. Bedeutet die Rede von der Immersion (Florian Rötzer), von der Emergenz (Norbert Bolz), daß Medienmaschinen bzw. reele Effekte solcher Medienmaschinen jenes symptomatische Element zu bilden im Begriff sind, um das herum das Subjekt seine symbolische Struktur wie das Genießen aufbaut - werden die Medien zu jenem Element, das die formale Struktur des subjektiven Symbolischen verkörpert? Was aber läßt sich dann über die Befreiung des Subjekts vom Körper schreiben, welche Schrift verzeichnet das Verlassen des Körpers, seinen Austritt aus der Ordnung der Dinge? Läßt sich der Imperativ der Medien als diese Verschiebung der symbolischen Ordnung des Subjekts bezeichnen? Wenn das Symbolische selber Platztausch ist, dann vollzieht das Subjekt als Servomechanismus der Medien (Marshall McLuhan) die Besiedelung des Symbolischen, tauscht es in der Negation des Körpers seinen ontologischen gegen einen symbolischen Ort: Platzverweis. Wenn die Apparate aktiviert werden, dann wird das Reele in die symbolische Sphäre der Daten gerettet. Durch die Fantasien der Technologisierung projiziert sich das Subjekt in die Reihe der Gegenstände einer solchen Rettung. Die Beschriftung des Subjekts durch die Medien transponiert auch dieses in eine Form von Datenmengen, die durch die Maschine prozessiert werden können, die einen Teil ihrer Objektivierungen bilden. Dermaßen vom Ding, vom Automat, von der Maschine absorbiert ist das Subjekt kein verschlungener Ort mehr, an dem sich Wahrnehmung, Erfahrung, Erkenntnis, Sexualität, Krankeit usw. ereignen, sondern ein von der Maschine addressierter "Ort", an dem sich das Subjekt vom eigenen Körper befreit hat.



© Reinhard Braun 1996

erschienen in:
Joachim Baur (Hg.), Werkstadt Graz - Almanach/Alamac 1996, Graz 1996



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