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Texte


Reinhard Braun
Fotografie nach der Fotografie

Kunst.Halle.Krems, 17. 2. - 24. 3. 1996

Die Kunst.Halle.Krems zeigt die als Siemens Kulturprojekt entstandene Ausstellung "Fotografie nach der Fotografie", die von den Kuratoren Hubertus von Amelunxen, Stefan Iglhaut und Florian Rötzer zusammen-gestellt wurde und zuerst im Aktionsforum Praterinsel in München zu sehen war. Ausgangspunkt, so die Kuratoren im Vorwort zum umfangrei-chen Katalog, war eine Untersuchung des "Wandels des Fotografischen angesichts der digitalen Technologien", das "Aufbrechen der Grenzen der Fotografie, ihre Unterwanderung, ihre mediale Vernetzung", d. h. die Frage, "ob das noch Fotografie ist, was nach der fotografischen 'Lichtmalerei' mittels Computer entsteht".

Der Titel scheint bereits eine Anwort zu suggerieren: "Fotografie nach der Fotografie", sozusagen post-fotografische Fotografie, setzt nicht nur die Postulate vom Ende der Malerei, des Subjekts, der Moderne etc. fort - die letztlich auf das Postulat des Endes der "großen Erzäh-lungen" zurückgehen, das Jean-François Lyotard bereits Ende der 70er Jahre formuliert hat, steht also in dieser "Tradition" postmoderner Re-Entwürfe von Geschichte und Kunst -, der gewählte Titel definiert implizit auch dasjenige, das von diesem Motto als beendet erklärt wird: die Fotografie.

"Durch die Verschmelzung mit der digitalen Technik ist die Fotografie nicht mehr das, was sie einmal - vielleicht - war: Agent eines buchstäblich objektiven, weil von einem Apparat produzierten Bildes, das ein Stück unverfälschter Wirklichkeit aufzeigt, von etwas, das im Akt der Aufnahme sich vor dem Objekt befand und dann dem Betrachter, zeitlich und räumlich entfernt, als Reproduktion wieder erscheint." Hier ist nicht nur das Wort "vielleicht" zu betonen, es wird vielmehr die Voraussetzung angesprochen, unter der Fotografie überhaupt erst in der und durch die digitale Technik zu beenden sein kann: die Reduktion auf ihren technischen Aspekt, die neuerliche Bestimmung der Fotografie als "unverfälschtes" Abbild der Welt, ihr dokumentarischer Aspekt. Zu Recht fügt Florian Rötzer hier ein "vielleicht" ein - ohne dadurch vom Kern der technologischen Argumentation abzuweichen, obwohl er an anderer Stelle die digitale Bildproduktion durch das Prozessieren von Informationseinheiten beschreibt, die nichts repräsentieren, bevor sie nicht "gedeutet" werden. Was aber wäre ein Bild vor seiner Deutung? Ist der analogen Technik Bedeutung sozusagen immanent, wird sie dort nur "extrahiert", oder lassen sich nicht vielmehr auch diese analogen, d. h. fotografischen, Bilder als "nackte Imaginationsfläche" beschrei-ben, die erst durch Bedeutungszuschreibungen, Interpretations-leistungen, konkrete Kontexte ihren Sinn erhalten? Und was bedeutet die Feststellung der "unverfälschten Aufzeichnung" angesichts der Konstruktionsprinzipien von Fotografien etwa des Neuen Sehens? Sieht die Welt "wirklich" so aus, wie sie in der Bauhausfotografie er-scheint? Welche Erkenntnisse ließen sich unter diesem Abbildungs-postulat über fotografische Arbeiten der Konzeptkunst gewinnen?

Zeitgenössische Fotografie auf Dokumentarismus zu reduzieren bedeutet, einen Teil der Geschichte der Kunst des 20. Jahrhunderts schlichtweg zu ignorieren. Nicht nur erscheint eine solche Reduktion nicht zulässig, es ist auch der unproblematische Gebrauch des Begriffs der Wirklichkeit im Zusammenhang mit ihrer Dokumentation abzulehnen, der suggeriert, es gäbe nach wie vor ein Objektives, daß sich ohne weiteres dokumentieren ließe. Realität ist prinzipiell nicht dem Bild vorgängig zu denken, sondern entsteht in jedem Fall erst in einem Rückkoppelungsprozeß mit ihren Aufzeichnungstechniken, worauf auch Lev Manovich in seinem Essay hinweist. Jede Vorstellung der Wirklichkeit kann nur über Systeme ihrer - theoretischen oder visuellen - Erfassung gebildet werden. Was wir heute als Referenz der Fotografie bezeichnen, wurde überhaupt erst durch fotografische Effekte mithergestellt - Wirklichkeit ist ein Produkt auch der Fotografie. "Geschichte, Wissen und Identität waren durchdrungen von der Erfahrung der Repräsen-tation." (Timothy Druckrey in seinem Katalogbeitrag) Repräsentation ist ein System der Vermittlung zwischen Objekt und Subjekt - es ist nicht notwendigerweise als Abbild zu begreifen, sondern muß zunächst als Umwandlung dieses Objekts in ein Dokument für das Subjekt beschrieben werden: (nach wie vor) die Fotografie.

Stichworte zur visuellen Kultur der Nachmoderne unter dem Einfluß elektrifizierter Massenmedien liefert auch Victor Burgin in seinem Katalogessay: das heutige Universum der Bilder ist durch Fragmenta-risierung gekennzeichnet, das Feld der zeitgenössischen Medien ist ebenso fragmentarisch und heterogen, ein Kaleidoskop sich ständig verändernder Bildmuster, die keine stabilen Identitätskonstruktionen mehr zulassen: Geschichte, Subjekt, Klasse, Gesellschaft und andere kollektive Vorstellungen unterliegen eminenten Verschiebungen, Verdichtungen und Verzeichnungen durch die beschleunigten Kontexte, unter denen solche Vorstellungen noch repräsentierbar und identi-fi-zierbar sein können; epistemologische Unterscheidungen werden von diesem Zirkulieren der Bilder und ihren Bedeutungen ebenso erschwert: Realität und Fantasie, Wirklichkeit und Einbildung, Wahr und Falsch lassen sich nicht mehr hinreichend anhand kollektiver Bildformen fixieren. Damit sind jene Veränderungen der Kultur angesprochen, die dem Bewußtsein des Subjekts im 20. Jahrundert nachhaltige und ständig wiederkehrende "Chocks" erteilt haben - sie sind alle auch Topoi der frühen Theorie der Fotografie. Fotografie wird sehr bald als eine Bildtechnik wahrgenommen, die das Leben nicht einfach "unverfälscht" abbildet, sondern diesem quasi Gewalt antut, es im und durch das Bild in eine andere Ordnung übersetzt, die einer eigenen Logik gehorcht: das Universum der technischen Bilder.

Stichworte der digitalen Bildform sind somit bereits im Zusammenhang mit Fotografie relevant. Wenn nun die Generierbarkeit von Bildern durch digitale Techniken den Glauben an dieses technische Bild, seine Repräsentationsleistung, nochmals irritiert, die Zweifel an der visuellen Darstellbarkeit von Welt weiter verschärft, führt sie damit dennoch ein "Projekt" fort, das mit der Fotografie ihren Ausgang genommen hat. Und gerade die Beispiele der Ausstellung "Fotografie nach der Fotografie" beschränken sich zumeist auf die Simulation von Methoden und Effekten, die bereits im Kontext der Fotografie disku-tiert wurden (insofern simulieren sie Fotografie eher, als daß sie sie überschreiten oder verlassen): Montage, Inszenierungen, Unschärfen, Überblendungen, surreale Bildräume etc. sind durchgehende Topoi der Geschichte der Fotografie, auch wenn sie durch digitale Techniken in anderer Form realisierbar sind, wie sich etwa an den mittlerweile bekannten Arbeiten Inez van Lamsweerdes zeigt. An diesen Arbeiten zeigt sich aber auch, daß es oftmals gar nicht so sehr um die Technik selbst geht, sondern vielmehr um die Möglichkeit der Darstellung von Fragestellungen, die wiederum erst in ihrem Zusammenhang virulent werden, etwa, um bei van Lamsweerde zu bleiben, Fragen im Zusammenhang mit dem Körper, den verschiedenen Techniken, die sich auf seine Veränderung richten bzw. geradezu einen Neuentwurf des Körpers ermöglichen.

Auffallend erscheint in der Ausstellung auch der Umstand, daß der überwiegende Teil der Arbeiten die klassische Form des Museumsbildes verwendet. Der großformatige Abzug, das Tableau, Triptychen, alle klassisch gerahmt - Präsentationsformen der künstlerischen Fotografie der 80er Jahre, die sich durch diese Ästhetisierung der Präsentation in den Kunstkontext zu integrieren suchte. Die "Fotografie nach der Fotografie" imitiert quasi Aspekte der Künstlerfotografie und posi-tioniert sich selbst damit augenscheinlich im Kontext zeitgenös-sischer Kunst. Nimmt sie auch ihren Ausgangspunkt sozusagen im Computer, so weist ihre Teleologie - wie sie zumindest in der Ausstellung darge-stellt wird - über die klassische Bildform doch wieder in den Bereich der - fetischisierten, ökonomisierten und auratisierten - Objektwelt der Kunst. Nur einige wenige Teilnehmer entziehen sich - zumindest zum Teil - einer derartigen Konvention: Lewis Baltz, Miroslaw Rogala (CD-Rom), Georges Legrady und Jeffrey Shaw (interaktive Arbeiten) - und nur Felix Stephan Huber und Philip Pockock sind mit einem gemeinsam realisierten Internet-Projekt vertreten.

Die Frage bleibt, ob die Tatsache, daß sich (endlich viele) mögliche Bildwelten jenseits jeder Verkettung mit Wirklichkeit generieren lassen, zur Diagnose eines Endes der Fotografie führt. Der Umstand, daß fotografische Methoden und Strategien angesichts des technologisch fundierten Umbaus des visuellen Horizonts der Gesellschaft neu positioniert werden müssen, daß Fotografie dadurch ihren funktionalen Ort innerhalb dieser visuellen Kultur verändert (verändern muß), sie möglicherweise nicht mehr im Zentrum der Ausbildung kollektiver visueller Kommunikationsformen steht, ist wiederum keine Frage.

Die Identifizierung bzw. Gleichsetzung der Fotografie mit ihrer technischen Grundlage - die wiederum eine Situation impliziert, in der ein Subjekt und/oder ein Apparat eine konkrete Position (in mehrfachem Sinn) einem Objekt gegenüber einnimmt, ein Umstand, der die Fotografie im Rahmen der vielzitierten permanenten Intervenier- und Veränderbar-keit aller Parameter des digitalen Bildes besonders "diskreditieren" dürfte - verbirgt allerdings den Umstand, daß Fotografie seit langem schon ein Spiel mit dieser ihrer Referenzialität treibt, sich selbst als Zeichen (Schein) von Abbildhaftigkeit reflektiert und vielschich-tig inszeniert: "Ungeachtet dessen, was es abbildet, repräsentiert jedes fotografische Bild heute zuallererst die Fotografie selbst." (Lev Manovich) Das fotografische Bild ist lange schon kein Dokument für ein reales Faktum mehr, es ist vielmehr selbst zu einem Dokument dafür geworden, wie sich der direkte Zugang zur Wirklichkeit als Fiktion erwiesen hat, wie der direkte Blick zunehmend durch technische Apparaturen verstellt, mediatisiert wurde - ein Prozeß, an dem schließlich die Fotografie selbst beteiligt war. Fotografie ist daher selbst zu einem Dokument für den verschlungenen, mediatisierten, fragmentarisierten und durch zahllose Zugriffe verzeichneten Wirklich-keitsbegriff geworden und längst kein Fenster zur Welt mehr. Fotogra-fie ist mithin - auch vor der Post-Fotografie - kein Mittel zur Frei-setzung eines Sinns im Realen, sondern ein Instrument zur Herstellung einer Konstruktion, die sich auf das Reale bezieht - ohne es zu dokumen-tieren. "(...) in unsere Vorstellung dieser Bilder hat sich ein Zweifel, eine Sorge, eine Angst eingeschlichen, und diese Angst bricht in unser Selbstverständnis von Darstellen und Vergegenwärtigen ein." (Hubertus von Amelunxen) Glücklich, wer erst jetzt von solchen Sorgen geplagt wird.



© Reinhard Braun 1995

erschienen in:
Camera Austria 54/1996



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