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Texte


Reinhard Braun
Der Künstler als Bildschirm der Kultur: die Zeichen der Ehre.

Ehre
"(...) die Weckung, Pflege und Schonung eines feinen und maßvollen Ehrgefühls gehört, da von ihm die individuell und sozial fruchtbare Entfaltung der Persönlichkeit im Wesentlichen abhängt, zu den höchsten und schwierigsten Aufgaben der Erziehung."
Zit.n.: Philosophisches Wörterbuch, hrsgg. von G. Schischkoff, 21Stuttgart 1982, Stichwort "Ehre", S. 142.

Auffallend bereits an diesem Zitat ist die agrarische Terminologie, die eine Hege und Schonung des zarten Pflänzchen des Ehrgefühls als die Aufgabe eines umsichtigen Gärtners definiert. In der Figur des Gärtners wird deutlich, daß die Quelle der Ehre nicht vom Subjekt selbst erschlossen werden kann, sondern daß quasi ein Meta-Subjekt als Instanz der Weckung und Hege immer schon im Spiel ist. Dieses Meta-Subjekt offenbart die Momente des subtilen Erhebens und Erhöhens der Subjekte als eine Übetragung und Exponierung, ein Gefälle, ein Gefallan. Das Meta-Subjekt als Ursprung der Übertragung und als potente Instanz dieser Erhöhung liest sich demnach als kollektives "Über-Ich". Die Verleihung von Preisen als Auszeichnung als Exponierung des Subjekts kraft der Setzung dieses "Über-Ich" setzt ein Zeichen, der Empfänger des Preises wird zu diesem Zeichen, einem Bild von verdienstvoller Subjektivität (eine sozial fruchtbare Entfaltung). Die Untersuchung der immanenten Aspekte einer derartigen Auszeichnung haben sich aus diesem Grund im Feld von kollektivierten symbolischen Vorstellungen von Verdienst, Belohnung und Bezeichnung (d.h. Projektionen von kulturellen Wertigkeiten) zu bewegen: Ehre als kulturelles Phänomen, die Verleihung bzw. Erwerbung als ein symbolischer Akt.

Der Begriff des Ehrenpreises stellt demnach eine bezeichnende Tautologie dar: der Begriff des Preises allein verweist über seine Konnotationen (Sieg, Auszeichnung) bereits auf das Moment der Erhöhung und Exponierung, der Begriff der Ehre verdoppelt nochmals dieses Moment der Erhöhung und spezifiziert rekursiv den Inhalt der Auszeichnung: dieser besteht nicht in einer wie immer gearteten materiellen Gabe, gerade nicht im Preis, der ihn in unzulässiger Weise materiell diffamieren und verunreinigen würde, sondern in einem psycho-sozialen und symbolischen Ritual der »Erhebung der Seele« (durch das "Über-Ich", der "Name-des-Vaters"?). Es handelt sich demnach um einen Akt der Distribution von kollektiven Vorstellungen über ideelle Wertigkeiten, die sich im "Über-Ich" konzentrieren. Insofern ist die gesamte Terminologie (von der Weckung, Pflege etc. bis zur Ehre selbst) gekennzeichnet durch idealistische, d.h. prä-materialistische Vorstellungsinhalte des 19. Jahrhunderts. Die materielle Gabe findet angesichts dieser idealistischen Fixierung des Begriffs keinen Eingang in die Terminologie der Ehre, die Terminologie des "Über-Ich", das die Ehre verleiht und das schließlich als "das Kulturelle" erscheint (als der Punkt, an dem das Kulturelle als das Symbolische mit jenem Punkt konvergiert, der im Subjekt von ihm selbst nicht besetzt werden kann - das Kulturelle ist immer anderswo). Der Mechanismus der Beehrung ist demnach vor allem ein symbolischer, ein Ritual, das sich im wesentlichen aus einer humanistisch-idealistischen Fixierung kultureller Werte und kollektiver Projektionen speist: der Ehrenpreis als Ritual der Kulturalisation des Subjekts.
Das Subjekt als Träger dieser Bezeichnung/ Auszeichnung/ Anerkennung/ Ehrung mutiert im Ritual zu einer Projektionsfläche: in einem Akt der Signifikation werden dem Subjekt die kulturellen Wertigkeiten (Projektionen des "Über-Ich", eine Punktierung) eingeschrieben, eingezeichnet. Erst durch diesen Akt wird das Subjekt als kulturelles bezeichnet, erhält das unsichtbare und unfixierte Subjekt seine kulturelle Bestimmung und Fixierung: in der Auszeichnung wird der Ort der Subjektivität innerhalb der Kultur bestimmt, tritt das Subjekt in das Feld der Kultur ein und bezieht seinen fixierten Ort, den Ort der Subjektivität. Das Subjekt wird in diesem Ritual zu einer Fläche, einem (symbolischen) Bild von kultureller Bezeichnung, das Subjekt wird zu einem Bildschirm der Kultur.
Der Begriff der Auszeichnung beschreibt diesen Vorgang exakt: das Subjekt wird aus dem Feld der kulturellen Anonymität gehoben und gleichzeitig gezeichnet, gekennzeichnet. In die Fläche des Subjekts schreiben sich kulturelle Zeichen ein (quasi eine Tätowierung). Das Ritual der Ehrung stellt sich als eine kulturelle Initiation heraus. Die Kultur schreibt sich dem Subjekt (flüchtig) ein: insofern stellt es einen Vorgang des Informierens (nach Vilém Flusser das Einschreiben einer Formation) dar, einen Vorgang der Herstellung sichtbarer kultureller Information. Das gekennzeichnete und exponierte Subjekt mutiert zu einem Signal, das ausgezeichnet etwas anzeigt: die Kultur setzt sich Zeichen - in und auf den Subjekten. Auf dem Bildschirm-Subjekt werden die Zeichen für kulturelle Wertigkeit signifikant und signalhaft codiert und zur Erscheinung gebracht; auf dem Subjekts, solcherart ein Bildschirm, erscheint das Ebenbild der Kultur. Das Subjekt wird zur Fläche der Codierung kultureller Information.

Darüberhinaus mutiert das Subjekt als diese Projektionsfläche des kollektiven Imaginären zu einem Objekt, das Über-Ich zum Sammler, der im Akt der Ehrung quasi einen Akt der Markierung und dadurch der Inbesitznahme der (wertvollen) Objekte vollzieht. Demnach handelt es sich auch um einen Akt der Einverleibung in das kollektive Imaginäre auf der Ebene einer fundamentalen kulturellen Symbolik. Das bezeichnete Subjekt geht als bezeichnetes Objekt ins System der kulturellen Zeichen ein. In dieser Signifikation delegiert die Kultur die Zeichen ihrer Anwesenheit an die Beschriftung der Objekte durch das Ritual der Erhebung. In diesem Ritual tritt die Form des Kulturellen in Erscheinung und verhüllt das Subjekt (als Objekt) mit seinen Zeichen. Es handelt sich um einen Akt, der an der Herstellung einer Kohärenz arbeitet, die sich als Kohärenz des symbolischen Systems der Kultur zu artikulieren trachtet. Diese Kohärenz des funktionellen Systems der Kultur läßt sich eben nur über die Zeichenfunktion realisieren. Die Zeichenfunktion bestimmt das Subjekt gleichzeitig als Software; die kulturelle Zeichnung stellt sich als ein Leihen, eine Leihgabe heraus und offenbart ihren gleichzeitig temporären und verpflichtenden Charakter. Die Auszeichnung ist kein Akt der unauslöschlichen Inschrift, der Gravierung, sondern der flüchtigen und revidierbaren Bezeichnung, eine kulturelle Skizze. Das Ritual der Auszeichnung folgt in diesem Sinn keiner Ideologie der Inschrift mehr, der gravierten Marmortafel, des Denkmales, sondern einem Mechanismus der Beschriftung, einem Mechanismus, der sich im wesentlichen an der Beschriftung der Ware orientiert: die Erhebung stellt sich als Produktionsmechanismus kultureller Ware heraus und folgt derart Mechanismen der Warenästhetik und -distribution. Mit dem Begriff der Ware erscheint eine weitere Analogie zur Objektivation der Subjekte, der Transformation der Subjekte in Objekte, die im Grenzfall eben zur Ware weitergezeichnet werden. Die Erhebung, die Ehrung, die Auszeichnung und Preisverleihung erscheint noch unter dem (ethnologischen) Aspekt der Gabe - allerdings nur negativ: die Verleihung stellt scheinbar einen freiwilligen Akt der Initiation dar, eine Gabe. Scheinbar deshalb, da der Begriff der Gabe dem des Tausches entgegensteht, da sich die Gabe gerade nicht an merkantilen Mechanismen der ökonomischen Abwägung orientiert, sondern eine Affinität zum Begriff der Verausgabung besitzt. In der Abhebung vom Begriff der Gabe wird die Nähe des Preises zu jener Ökonomie der Ware noch deutlicher. Die Kultur erscheint darin nicht mehr wie ein Meta-Subjekt, das sich der Verausgabung hingibt, sondern wie ein Meta-Subjekt der Ökonomie, das sich dem Tausch hingibt. Im Ritual der Preisverleihung, der erhebenden Initiation wird getauscht: die Erhebung, die Bezeichnung markiert den Übergang kultureller Zeichen vom kollektiven Meta-Subjekt (Über-Ich) auf das individuelle Subjekt: das Zeichen wechselt seinen Besitzer nach einer kulturellen Ökonomie des Zeichens. Im selben Zug wechselt die Signifikation ihren Ort: das kulturelle Zeichen wird mit dem konkreten Subjekt verknüpft und gelangt erst in dieser Projektion zu Sichtbarkeit. Was hier getauscht wird, ist die Erhebung gegen ihre Erscheinung. Im Subjekt erst gelangt das kulturelle Zeichen als solches in Umlauf, tritt in Erscheinung und erhebt gleichzeitig ihren Träger - als einen Träger der Erscheinung, des Erscheinens des Kulturellen. Im Begriff des Erscheinens ist das Subjekt nochmals als ein ästhetisches, d.h. als eine Bildfläche gekennzeichnet. In dieser Kennzeichnung wird das Subjekt zum Repräsentant des kulturellen Symbolischen. Erst im Akt dieser Kennzeichnung findet dieses Symbolische seinen (vorübergehenden) Ort der Erscheinung, seine Möglichkeit einer Signifikation. Darin besteht letztendlich auch die Verpflichtung des Subjekts: dem Zeichen der Kultur ein Hort des Erscheinens zu bleiben.

In diesem Syndrom der Informierung des Subjekts geben sich schließlich die »sozial fruchtbaren Entfaltungen« als Pflanzen des Kulturellen zu erkennen. Die höchsten und schwierigsten Aufgaben der Er-Ziehung bestehen in der distinkten Bezeichnung dieser Sprösslinge des kulturellen Kollektiven. Im Mißtrauen über die Flüchtigkeit dieser Markierung des Subjekts (Software) begleiten weitere kulturell informierte Gegenstände das Ritual der Bepflanzung: Medaillen und Urkunden. Sie kennzeichnen den ursprünglichen, prä-ökonomischen Vorgang nochmals als einen der Prägung und Einschreibung. Das Subjekt als Partner in diesem Tausch repräsentiert das humane Äquivalent zum Vorgang der Prägung (Medaille) und Einschreibung (Urkunde, Inschrift). Der Unterschied besteht in der Notwendigkeit zur Schonung des Subjekts: das Subjekt als Träger kulturell erhebender Zeichen, die gerade in devianten Momenten bestehen, d.h. durch eine Abweichung gekennzeichnet sind, soll in dem Akt der Informierung diese Informationen nicht verlieren, sie dürfen nicht ausgelöscht, überschrieben werden, ansonsten verschwindet gerade das Trägersignal der Information. Diese Informationen der Subjekte vor jeder Auszeichnung stellen ein wesentliches Moment des Tausches dar, es entsteht eine paradoxe Situation: die kulturellen Zeichen, sowohl jene subbjekt-immanenten wie jene projektiven, hinzutretenden, stellen sich als äußert flüchtig, schonungs- und hegebedürftig heraus. Der Akt der Signifikation gerät durch diese Unwägbarkeit ins Wanken, da es zu keiner Überschreibung und Auslöschung bereits bestehender Information kommen darf.
Das Kulturelle ist permanent auf der Suche nach geeignet informierten Subjekten, um diese nochmals zu informieren, bestehende Information zu überschreiten und diese Überschreitung als Erhebung zu codieren. Information besteht gerade im Unwahrscheinlichen, der unwahrscheinlichen Botschaft, d.h. im Überschreiten der Redundanz, der wahrscheinlichen Botschaft. Dadurch ist die Situation der Erhebung nochmals als prinzipiell paradoxe gekennzeichnet: die Kultur ist auf der Suche nach dem Unwahrscheinlichen (Information). Doch in der Annexion des Unwahrscheinlichen durch die Erhebung und Auszeichnung arbeitet Kultur permanent an der eigenen Aufladung mit Information und somit an der Weiterschreibung der Kultur, ihrer permanenten Konsolidierung und Legitimierung. Indem sich Kultur Information auf dem Wege der Ehrung einverleibt, arbeitet sie aber ihrer eigenen Redundanz entgegen und sichert Kultur als kollektive Information; Kultur wendet das Paradoxon zur eigenen permanenten Re-Definition. Insofern wird die Auszeichnung als nur scheinbare Fremd-Signifikation entlarvt: in der Kennzeichnung der Subjekte handelt es sich in Wahrheit um eine Selbst-Signifikation der Kultur, eine Gabe der Kultur an sich selbst.

In der Einverleibung und ständigen Re-Definition verändert sich innerhalb der Kultur aber ständig der relevante Kontext der Codierung wie De-Codierung von Information; aus diesem Grund sind keine radikalen und/oder permanenten Erhebungen, Ehrungen möglich, weil sich sonst der Horizont der Ehre verflüchtigt, d. h. nicht decodiert werden kann; dies scheint allerdings heute der Fall zu sein: in der permanenten Überschreibung der Zeichen, der ständigen Neuformierung der symbolischen Ebene geraten die Signifikanten durcheinander, die Codes verlieren ihren Informationsgehalt. Der Vorgang der Bezeichnung der Subjekte durch bestimmte (Ehren-) Zeichen setzt als solcher eine stabile Ebene der Referenz für diese Zeichen voraus, die als solche allerdings größtenteils als redundant (d. h. wahrscheinlich und nicht-informativ) zu bezeichnen ist. In der anhaltenden Verleihung der codifizierten Ehrenzeichen und deren schleichender Modifikation besteht die Gefahr einer Verflüchtigung der Kategorien ihrer Decodierung, erscheint gerade die Identifizierung dieser Zeichen der Ehre zunehmend schwierig. Andererseits besteht bei einer Stabilisierung des Rahmens die Gefahr, permanent in Redundanz zu verfallen (Problem der Tradition). Gerade das Unwahrscheinliche (die begehrte Information) steht außerhalb der kollektiven symbolischen Ebene der Kultur und kann gerade als diese Information nicht decodiert werden. Aus diesem Grund erscheint Kultur als Über-Ich, das kraft seiner Setzung die devianten symbolischen Werte legitimiert und aus der Spirale der Inkohärenz sich ausschließender Systeme herausführt: durch die Verleihung wird paradoxerweise das aktuelle Deviante als solches bezeichnet. In dieser Form rettet das Über-Ich quasi die Konstanz des Unwahrscheinlichen; in der Initiation der Subjekte rettet sich Kultur temporär in deviante, d.h. nicht decodierbare Felder des Symbolischen und damit aus der permanenten Bedrohung der Redundanz. Die Subjekte der Bezeichnung werden solcherart nicht nur zum Bildschirm der Kultur, sie stellen geradezu ihre Terminals dar, über die es sich permanent mit der Information verschaltet.

Die Kultur hat aus diesen Gründen mit den Ritualen der Ehebung sparsam umzugehen, um nicht permanent der Gefahr der Redundanz zu verfallen; sie stellt sich ein weiteres Mal als ein Ökonom des 19. Jahrhunderts heraus: der Geist der Sparsamkeit kennzeichnet Kultur als einen Geizigen, der Angst vor der Verausgabung hat und sein Potential der Erhebung in der Unachtsamkeit sich verflüchtigen sieht. Dieser Gefahr der Verflüchtigung der informativen Zeichen begegnet die Kultur mit Vorsicht: es ortet gewissenhaft und sparsam seine Flächen der Einschreibung und Kennzeichnung: das Subjekt erscheint wie ein seltenes Bild. Die mitgegebenen Gegenstände wiederum ("Grabbeigaben" der beschrifteten, bezeichneten Fläche des Subjekts) sollen quasi magisch und vor allem dauerhaft die Erhebung repräsentieren, über das Subjekt hinaus. Die Szene der Auszeichnung läßt sich insofern auch als Museum der Erhebung lesen, als ein Museum der kulturellen Texte (Informationen, Codes) und Beschriftungen. Die Gegenstände und archivierten Texte sichern der Erhebung ihr zukünftiges Erscheinen in einer vorweggenommenen Archäologie der Kultur. Das Subjekt selbst wird im Akt der Auszeichnung zu einem (allerdings vergänglichen, d. h zur dauerhaften Reproduktion kultureller Zeichen eigentlich ungeeigneten) Träger und somit zu einem Museum der kulturellen Zeichen der Erhebung.



© Reinhard Braun 1992

erschienen in:
erschienen in: Werkstadt Graz (Hg.), "Österreich Bild", Graz 1993



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