TexteReinhard Braun |
Vom Diskurs zur Differenz zur Zerstreuung
"Yet the concept of a singular - one even might say modernist - ideological structure no longer serves to rationalize cultural change, nor to sustain the unity of conditions of difference. Rather than one technology, many; rather than one ideology, many; What is emerging is a discourse of ideologies forming within a distributed set of technologies."1 "Wir leben im Übergang von einer organischen Industriegesellschaft in ein polymorphes Informationssystem (...)."2 Es gibt zahllose Diagnosen über den Zustand unserer gegenwärtigen (westlichen, weißen) Kultur (oder ihrer fernöstlichen Klone, deren Dynamik und Exzessivität zuletzt auf die erste Welt rückzukoppeln und diese massiv zu irritieren begann) - doch fast alle drehen sich in zunehmendem Maße um die Begriffe Medien/Technologien, wenn auch die Bewertung deren Rolle im Transformationsprozeß der Kultur erheblich differiert: sie entfremden uns in vorher nie gekanntem Ausmaß (wovon?), sie nivellieren kulturelle Unterschiede, verderben den Geschmack, stehlen unsere Zeit, reduzieren unsere Sozialkontakte, produzieren Passivität und/oder Aggressivität, unterwerfen uns einem technologischen Imperativ, der in jedem Fall ein ökonomischer ist; sie entwerfen ein völlig neues disloziertes und disloziierendes Machtidispositiv; oder aber sie entlasten das Subjekt von zahllosen (unnötigen) Tätigkeiten, erschließen ihm völlig neue Operationsfelder, erzeugen neue Formen von Sozietät, bereiten den Übergang von einer biologischen in eine informationell gestützte, rein geistige Evolution vor, setzen also durch die Krisen, die sie generieren, einen wichtigen Schub kultureller Evolution in Gang, der uns von der "Herrschaft des Fleisches" befreit, was Anlaß zu unausgesetzter Hoffnung gibt; sie lassen der Erde gewissermaßen ein Nervensystem wachsen, oder sie unterstützen unsere Kreativität, ermöglichen es, alle Prozesse vorstellbar und alle Vorstellungen prozessierbar zu machen und sind überhaupt wunderbar interaktiv (etc. etc.). Wie dem auch sein mag, so läßt sich doch nicht leugnen, daß Mediensysteme - womit hier Radio-Fernsehen-Video (on demand), CD-Roms, Netzwerke, etc. in ihren verschiedenen Ausformungen und Kombinationen angedeutet sind - "uns" - als soziale Körper, als Formationen von Begehren, als physiologische Struktur (als "Fleisch"), d. h. als ein kulturelles Produkt - in anderer Weise mit "Realität" (und schließlich auch mit "unserem" Realen) und dem Sozialen verschalten, daß ihre technologischen Organisationsprinzipien (formal wie strukturell) auf gesellschaftliche bzw. gesamtkulturelle Ebenen ("Plateaus") aus- bzw. durchgreifen, daß sie, kurz gesagt, in die kulturelle Ordnung, in die "Gefüge" der Kultur (um hier Termini von Deleuze/Guattari zu entlehnen) intervenieren. Damit ist aber noch nichts darüber ausgesagt, in welcher Weise diese Mutationen stattfinden. "... Konjunktion 'und ... und ... und ...'."3 Entgegen kulturpessimistischen Positionen - ohne die vielen berechtigten Kritiken am epidemisch um sich greifenden Techno-Determinsmus aus den Augen zu verlieren - bedeutet der Umstand, daß durch Massen-Hyper-Medien unsere Kultur quasi ein neues Profil erhält, ihre Tektonik und Struktur ändert, nicht gleichzeitig, daß bestimmte kulturelle Elemente (allen voran: das Subjekt, dasjenige, was wir als Identität erfahren bzw. aufgrund bestimmter Parameter zu konstruieren in der Lage sind) verschwinden - jedoch: sie ändern massiv ihren "kulturellen Ort", ihre Funktion, ihre Erscheinungsweise, ihre Produktions- und Vermittlungsbedingungen, mit anderen Worten: ihre (kulturelle) Bedeutung. "(...) es gibt nur noch maschinelle Gefüge des Begehrens und kollektive Gefüge der Aüßerung. Keine Signifikanz und keine Subjektivierung (...)."4 - Nicht zuletzt ändert sich auch jene kulturelle Praktik, die entgegen zahlloser - durchaus zutreffender - Dekonstruktionen noch immer mit dem Begriff "Kunst" umschrieben wird. Gerade aber an der zu beobachtenden fortschreitenden Ausdifferenzierung von zahllosen Praktiken im Bereich einer Kunst, die in und mit Medien bzw. technologiegestützt operiert, läßt sich möglicherweise etwas von den Spuren der Verschiebung und Neuorganisation innerhalb zeitgenössischer Kultur "belichten". "Aufgabe künstlerischer Praxis ist nicht das bruchlose Zusammenfügen, sondern das Hervorheben der Brüche und die Entfaltung von Vielfältigkeiten, eine Praxis, die an dem arbeitet, was Guattari 'Heterogenese' genannt hat (...)."5 |
Den wichtigsten Hintergrund für diese Verschiebungen, um nicht zu sagen, "Faltungen" (Gilles Deleuze), des Terrains der Kultur(en) bildet sicherlich der Umstand, daß zahlreiche identitätsstiftende und -tradierende Vorstellungen, Theorien, Genres, Medien, Praktiken etc. auch und besonders im System der Kunst ihre generalisierende und somit stabilisierende Funktion verloren haben und auch nicht mehr eindeutigen Bedeutungshorizonten (Diskurspraktiken) zuordenbar sind: Kultur / Kommunikation / das Soziale / Öffentlichkeit / Werk / Autor etc. finden nicht mehr in und durch verschiedene Verknüpfungen und Überlagerungen von gesellschaftlichen "Räumen" statt, sondern in "(...) Netzwerke[n] von endlichen Automaten, in denen die Kommunikation von einem Nachbarn zum anderen hergestellt wird, in denen Stränge oder Kanäle nicht schon vorgegeben sind, in denen alle Individuen austauschbar und nur durch einen momentanen Zustand definierbar sind, so daß die lokalen Vorgänge koordiniert werden und das Endergebnis unabhängig von einer zentralen Instanz synchronisiert wird. Eine Transduktion intensiver Zustände löst die Topologie ab (...)".6 Erschien zwar jede "diskursive Formation"7 schon als "Raum" von Unübersichtlichkeiten, als Feld von "Heterotopien"8, als System einer Streuung, durch Diskontinuität und Brüche gekennzeichnet, so gehorchte diese dennoch einem Verteilungsgesetz, das ein Feld strategischer Möglichkeiten definiert, eine Form der Verteilung determiniert, nach denen die Gegenstände der Diskurse produziert, aufgegriffen, ausgeschlossen oder negiert werden, auch wenn diese Form nicht mehr im strukturalistischen Sinn als überdeterminierte Funktionsbeziehung (synchrone Homologie), sondern als verstreute Gesamtheit von Regeln auftritt, die einer Praxis immanent sind und diese erst im Vollzug in ihrer Spezifität definieren. "Unter Formationssystem muß man also ein komplexes Bündel von Beziehungen verstehen, die als Regel funktionieren: Es schreibt das vor, was in einer diskursiven Praxis in Beziehung gesetzt werden mußte, damit diese sich auf dieses oder jenes Objekt bezieht, damit sie diese oder jene Äußerung zum Zuge bringt, damit sie diesen oder jenen Begriff benutzt, damit sie diese oder jene Strategie organisiert. Ein Formationssystem in seiner besonderen Individualität zu definieren, heißt also, einen Diskurs oder eine Gruppe von Aussagen durch die Regelmäßigkeit einer Praxis zu charakterisieren." Auch Foucault spricht nicht mehr von Kontinuitäten, sondern von Transformationen, Regelhaftigkeit, Diskontinuität, von (diskontinuierlichen) Serien, die die Bedingungen eines Ereignisses umschreiben wie sie zugleich auch noch die kleinsten Einheiten treffen und "zersetzen": den Augenblick und das Subjekt. "Es handelt sich um die Cäsuren, die den Augenblick zersplittern und das Subjekt in eine Vielzahl möglicher Positionen und Funktionen zerreißen."10 Wenn - wie allenorts feststellbar - gesellschaftliche (politische, soziale) und epistemologische Formationen (Erkenntnis, Wahrheit, Wissen, Glauben, Ästhetik, Familie etc.) ihre diskursive Performativität, die Regelmäßigkeit einer (mehr oder weniger kohärenten) Praxis verloren haben, d. h. die Bedingungen, den "Ort" eines Ereignisses zu definieren, nicht mehr herstellen können, verlieren sie auch ihre Funktion als Grundlage von Handlungsfähigkeiten (agencies). Dabei dreht es sich nicht nur darum, daß wir alle unsere postmodernen Lektionen gelernt haben (Kultur dreht sich nicht um Identitäten, um Entbergungen von Objektivitäten, um den Wettstreit von Ideologien oder Herrschaftsformen - sie ist ein Reich der Zeichen und als solches folgt ihre Umbildung vor allem Interventionen im Bereich ihrer symbolischen Struktur - gerade aber das Symbolische ist ein Reich der Maschine11), denn: die Exploision nicht nur des Ästhetischen sondern vor allem der zunehmenden Manipulations- und Verschaltungsmodelle und -praktiken hat auch den Diskurs der Postmoderne entgrenzt und gewissermaßen hinter sich gelassen, war diese doch ganz wesentlich durch die Aneignung und Rekombination historischer Modelle und Kontexte gekennzeichnet, sowohl im Bereich der Kunst wie jenem der Wissenschaftstheorie. Sie läßt sich somit als Projektionsfeld von Kontexten und Diskursen beschreiben, in dem diese Kontexte und Diskurse aber bezeichenbar bleiben, weil sonst gerade das Moment der Aneignung verschwinden würde. Postmoderne erscheint somit als küntlerische wie theoretische Praxis selbst eine diskursive Formation VOR der Wucherung der Signifikanten, wie sie sich als popkulturelle und medientechnische Strategie in den letzten Jahren abgezeichnet hat (ganz abgesehen davon, daß noch immer jede Grammatik der Zeichen in erster Linie eine Markierung der Macht, und erst dann eine syntaktische Markierung12 darstellt). Es geht hier also nicht primär um die Ästhetisierung der Kultur, sondern um ihre Dezentrierung, nicht um die Frage, was sich zeigt, was erscheint, mit welchen Zeichen operiert wird, sondern womit/wodurch es funktioniert: Kultur ist keine postmoderne Maschine, aber eine abstrakte Maschine (wir werden sehen: eine Informationsmaschine, die semantische und pragmatische Inhalte von Aussagen bewerkstelligt und mit kollektiven Äußerungsgefügen, mit einer epidemisch wuchenden Mikropolitik gesellschaftlicher Teilbereiche verknüpft13). Welchen Formationen, welchen strategischen Organisationen folgt dann aber jene Macht, wenn sich Kultur, wenn sich kulturelle Gefüge ohne jede Ausrichtung auf einen Höhepunkt oder ein äußeres Ziel ausbreiten? Ist mit der Geschichte, wie es Jean Baudrillard vorgeschlagen hat14, auch jede Macht an ein Ende gelangt? (Und jede Form von Kunst?) Mitnichten. Sie wächst - wie das Rhizom - "dazwischen, zwischen anderen Dingen"15 - als Metastase, als Konjunktion: "und ... und ... und". Doch sprechen wir hier nicht von Macht, sondern von Kunst, eine paradoxe Formation, ein System, das, wie es Niklas Luhmann ausgedrückt hat, als funktionsbezogenes autopoietisches System zu beschreiben ist, d. h. diejenigen Elemente, aus denen es besteht, durch diejenigen Elemente bildet, aus denen es besteht.16 Als solches "arbeitet" Kunst als operativ geschlossenes und autonomes System. "Die Zeichenverwendung ist eine rein systemische Verwendung im Rahmen von operativer Schließung. Dann hat man die Selbstreferenz im Unterschied zur Fremdreferenz. Dann kann das System die eigene Sprache von den bezeichneten Gegenständen unterscheiden, ohne die Gegenstände selbst in die Operation aufzunehmen oder auch nur kontrollieren zu können, was es mit den Gegenständen auf sich hat."17 Ein maschinelles Gefüge? "Funktionssysteme sind selbstsubstitutive Ordnungen. (...) Das heißt: Kein Funktionssystem kann durch ein anderes ersetzt werden."18 Trifft diese Voraussetzung noch zu? Wie sieht es aus mit der Trennung von Kunst, Politik, Ökonomie, Arbeit, Freizeit, Konsum, Sport, Medizin, Unterhaltung etc.? Nicht nur finden sie zunehmend innerhalb derselben Kanäle statt, es sind gerade ihre "unterschiedlichen" Funktionen, die konvergieren: Kunst als Politik als Konsum, Sport als Ästhetik als Ökonomie, Medizin als Politik als Kunst, Freizeit als Unterhaltung als Politik, Konsum als Ästhetik als Arbeit etc. etc. Wenn - wiederum nach Luhmann - etwas nur "soziale Wirklichkeit" erlangt, wenn es als Programm für Kommunikation und Anschlußkommunikation dient19, dann erscheint gegenwärtig (Medien-) Kultur als megalomane und metastatische Kummunikationmaschine, die durch alle Segmente, Plateaus, Gefüge, Diskurse hindurch ihre Spuren zieht. Die Streuung, die exzessive Ausdifferenzierung von Mikro-Diskursen und Mikro-Politiken ist letztendlich eine direkte Folge kommunikativer Verschaltungen, von exzessiver Kommunikations- und Informationstransfers. Trans-Politik verhält sich analog zur Trans-Architektur, wobei letztere versucht, neue Modelle für Architektur aus neuen Modellen medientechnischer / mathematischer Operationen zu gewinnen: die "Oberflächen" von Diskursen konvergieren auf Oberflächen von Medien - Musikvideos machen Politik, Politik versucht zu unterhalten, ökonomische Modelle orientieren sich an Netzwerkstrategien der Hacker, Sport fungiert als soziales Rollenmodell, Medizin wird in Form von Biopolitik zur neuen Form der Sozialpolitik, die Unterhaltungsindustrie entwickelt Lösungsansätze für die scheiternde Beschäftigungspolitik. Es gibt keine selbstsubstitutiven Systeme mehr - jede Funktion wird fröhlich durch verschiedenste Systeme wahrgenommen, die alle ihre Elemente durch ihre Elemente bilden, die sie zunehmend aus allen möglichen anderen Systemen gewinnen (und trotzdem autonom bleiben - man könnte von einer Autopoiesis zweiter Ordnung sprechen). "Cybermedien sind die Endstationen des globalen Netzwerkgedankens. Sie steuern die Vollendung des Infastrukturellen an, nach dem Motto: ein System oder kein System. Ihr Traum ist es, alle medialen Räume im Hause Cyberspace [nicht der große Bruder aber der große Bildschirm] unterzubringen. Bislang hat die Menschheit in kleinen Kämmerchen herumgebastelt, aber jetzt bietet sich die Möglichkeit, alles überschauen zu können und alle Verbindungen anzubringen. Künftig werden wir mühelos von allen Radioprogrammen, allen Filmen und Datenbanken, allen Archiven und Bibliotheken in alle möglichen Privatgespräche, Telefonkonferenzen und Teleshops, wo auch immer, hüpfen können. (...) Anschalten heißt alles immer überall sein."20 Wie ließe sich der Zustand der Entgrenzung besser formulieren? Denken wir dabei noch an Diskurse? "Das ist eine Kultur, die sich als öfentliche Anerkennung aller Dinge in Form von Zeichen und Zeichenkonstellationen versteht. Man beklagt die Kommerzialisierung der Kunst, die Vermarktung ästhetischer Werte. Das ist aber nur die alte bürgerliche und nostalgische Leier. Man muß viel eher die allgemeine Ästhetisierung der Dinge befürchten. Viel mehr als die Handelsspekulation muß man die Transkribierung aller Dinge in kulturelle, ästhetische Begriffe und museographische Zeichen befürchten. (...) Wir leben in einer Welt (...), in der die höchste Funktion des Zeichens darin besteht, die Realität verschwinden zu lassen und gleichzeitig dieses Verschwinden zu maskieren."21 Nach der Postmoderne markiert die Transformation aller Dinge in Zeichen allerdings nicht mehr "nur" eine ästhetische Operation, sondern eine informationelle: Zeichenfluß heißt Informationsfluß. Und als Information ist dieser Fluß einem Code unterworfen, einem Code, der, um mit Vilém Flusser zu sprechen, strukturell einfach und funktionell komplex ist22, d. h. größtmögliche Kompatibilität, d. h. Anschlußfähigkeit von Operationen, bei kleinstmöglicher Varianz und Selektionsanforderung (0/1) bietet.23 Auf dieser Grundlage erst ist es möglich, alles mit allem zu verschalten, d. h. letztlich, das Subjekt an sein eigenes Begehren anzuschließen. |
Wenn es also um das Prozessieren von Symbolen, um das Generieren von Repräsentationsmodi, um eine Amalgamierung von Zeichensystemen geht, betreten wir das ureigenste Spielfeld der Maschine, des Apparats. Man muß sich trotz dieser verkürzten Darstellung klar darüber sein, daß es gerade postmoderne Zeichentheorien und ästhetische Modelle waren, die wesentlich dazu beigetragen haben, Medien ins Zentrum der Kultur und damit auch einer aktuellen Kunstdebatte zu verpflanzen, nachdem sie bereits ganz wesentliche Sektoren der Massenkultur besetzt, redefiniert und neu verschaltet hatten. Innerhalb der ständig mutierenden symbolischen Ordnung "Kultur" waren es vor allem massenmediale Medientechniken und -systeme, die den Übergang von einer organischen Industriegesellschaft in ein polymorphes Informationssystem beschleunigt und kulturelle Kommunikation in eine Frage der Codierung und Recodierung, d. h. in einen Kommunikationszusammenhang verwandelt haben24. Durch diese Neuzusammensetzung, Readjustierung der Austausch- und Kommunikationsverhältnisse haben Mediensysteme ehedem unterschiedliche und (funktional) geschiedene Diskurse bzw. Systeme in ständig neue Referenzsituationen und Definitionsstrategien verwickelt.25 Und, wie die Analyse von Medieneffekten gezeigt hat, verweisen deren (wie auch immer generierte) Repräsentationen immer nur auf wieder andere Bild- / Signifikanten- / Bedeutungseffekte und Trägersysteme, ohne daß dahinter ein Gegenstand, etwas entgegen-stehendes Objektives zum Vorschein gebracht werden könnte, ohne, daß es also zu einem Ziel führen würde, hinter den Signifikationsketten eine Sache-an-sich zu entbergen (wie etwa Identität, Macht, Öffentlichkeit, das Soziale oder Politische, das Selbst, etc.). Bildlich gesprochen hat Kultur durch ihre medientechnische Um- bzw. Überformung ihre ontologische Tiefe (Vertikalität) verloren - "Das Reale (z. B. Ton), das Symbolische (z. B. Schrift) und das Imaginäre (Bilder) werden auf einer Darstellungsoberfläche integriert."26 Diese Darstellungsoberfläche fällt allerdings mit keiner bestimmten Technik zusammen, sondern hat sich als Paradigma mediengestützter visueller Operationen entpuppt, als eine Metapher kultureller Produktion überhaupt - Oberfläche selbst ist zu einer Art Apparat geworden (was sich bis hin zu Entwürfen von Medienfassaden feststellen läßt). Life is happening on a surface. (Es geht nicht mehr um Dinge, Objekte, sondern um Zeichen, um, sagen wir, wie es ist, Information und ihre Darstellung.) Diese Oberfläche ist allerdings kein Bild mehr, sondern ein Modell, eine Modellierung der Welt, kein ästhetischer Begriff, sondern ein operativer: wie ein ständiges Monitoring tasten Medien die Welt ab und übersetzen sie in Zeichen- und Informationsflüsse. "Durch das Auftauchen einer das Wesen des Objekts sowie des Subjekts der traditionellen Darstellung grundlegend verändernden anwesenden Telerealität folgt nunmehr das Bild der Örtlichkeit auf die Örtlichkeit der Bilder (...). Das Fernsehen 'geografischer Nähe' und das Video 'geometrischer Nähe' blenden sich in die klare Wahrnehmung des Hier und Jetzt ein, sie durchdringen und vertauschen wechselseitig die Orte teletopologisch, und dies dank der plötzlichen Enthüllung des 'Direkten', d. h. einer 'Raum-Geschwindigkeit', die augenblicklich die Raumzeit unserer üblichen Aktivitäten verdrängt. (...) Es entsteht tatsächlich eine geheimnisvolle Tele-Brücke zwischen einer ständig wachsenden Zahl von Flächen: von den ausgedehntesten bis zu den winzigsten, ein Feedback des Bildes und des Tons, das für uns als die Wahrnehmenden eine Tele-Präsenz, eine (...) Tele-Realität in Gang bringt (...). (...) die südtunesische Wüste ist plötzlich eine Beschriftungsoberfläche, ein Bildschirm geworden, wie es künftig die Gesamtheit der kontinentalen und maritimen Oberflächen wird (...) 'Oberflächen', oder genauer: 'Interfaces', die künftig nur noch dank der videoskopischen Überprüfung objektive Existenz besitzen, dank der Beobachtung der Aufnahmegeräte un der Direktübertragung, anwesende Telerealität (...), die die Realität der Präsenz des realen Raumes der Gegenstände und der Orte verdrängt, da sich die elektromagnetischen Bahnen gegen sie durchsetzen."27 Der Bildschirm, den die allgegenwärtigen Medientechnologien entwerfen, ist keiner der Aufzeichnung oder der Wiedergabe, sondern einer der Verzeichnung, der Ent-Stellung (im strukturalistischen Sinn: die Stellung des Realen gegenüber dem Subjekt wird ver-rückt28) - kein ästhetisches Phänomen, sondern ein eminent "anthropologisches", wenn man so will: Repräsentation, Optik, Transparenz, Erkenntnis, Wahrnehmung etc. rekurrieren nicht mehr auf Bilder (als ästhetische Ordnung), die sich auf ein Subjekt richten, sondern auf Bildschirme (als informationelle Ordnung), die sich auf ihre Programme richten. Wenn eingangs beiläufig unterstellt wurde, daß Medientechniken unser Verhältnis zu "Realität" verschieben, re-konfigurieren, so muß dieser Beiläufigkeit angesichts des bisher gesagten hinzugefügt werden, daß es sich dabei wesentlich um eine Verschiebung der Operationsmodi an und mit diesem Realen handelt. "(...) der Gegenstand wartet nicht in der Vorhölle auf die Ordnung, die ihn befreien und ihm gestatten wird, in einer sichtbaren und beredten Objektivität Gestalt anzunehmen; er ist sich selbst nicht präexistent, von einem Hindernis zurückgehalten an den ersten Ufern des Lichts. Er existiert unter den positiven Bedingungen eines komplexen Bündels von Beziehungen."29 Stellt also die Welt selbst immer schon ein diskursives Phänomen dar, ein diskursives Produkt (wie immer ihr Modell auch zusammengesetzt sein mag), so gilt die erst recht im Zusammenhang mit medientechnologischen Systemen: "Die Realität der Massenmedien, ihre reale Realität könnte man sagen, besteht in ihren eigenen Operationen. (...) Was mit 'Realität' gemeint ist, kann deshalb nur ein internes Korrelat der Systemoperation sein - und nicht etwa eine Eigenschaft, die den Gegenständen der Erkenntnis (...) auszeichnet. (...) Aller Selektion, und das gilt für die alltägliche ebenso wie für die herausgehobene der Massenmedien, liegt also ein Zusammenhang von Kondensierung, Konfirmierung, Generalisierung und Schematisierung zugrunde, der sich in der Außenwelt, über die kommuniziert wird, so nicht findet. Das steckt hinter der These, daß erst die Kommunikation (oder eben: das System der Massenmedien) den Sachverhalten Bedeutung verleiht."30 Von daher erstaunt es auch nicht, daß gerade an der Konstitution, an der Repräsentation des Realen sehr früh - unter dem Einfluß der zunehmenden Ästhetisierung und Mediatisierung des Alltags, Stichwort "McLuhann" - die Auflösungstendenzen gesellschaftlicher Ordnungen wahrzunehmen versucht wurden und diese zu theoretischer Analyse aufforderten.31 "Heutzutage [1978!] funktioniert die Abstraktion nicht mehr nach dem Muster der Karte, des Duplikats, des Spiegels und des Begriffs. Auch bezieht sich die Simulation nicht mehr auf ein Territorium, ein referentielles Wesen oder auf eine Substanz. Vielmehr bedient sie sich verschiedener Modelle zur Generierung eines Realen ohne Ursprung oder Realität, d. h. eines Hyperrealen. (...) Es ist nur noch operational."32 Ein - zugegebener Maßen einfaches - Beispiel: im Rahmen diverser "Reality TV-Programme" zeigen uns zahlreiche Sender alltägliche Katastrophen, Mißgeschicke, geschichtsträchtige Ereignisse, Nebensächliches, aber lustiges, und wir alle sind uns - zurecht - der Skepsis gewahr, mit der wir diese Film/Video-Fragmente betrachten: das kann doch nicht alles wahr gewesen sein. Wir reagieren in post-modern adaptierter Manier auf ein vollständig codiertes, überdeterminiertes Medienphänomen. "Realität", "Alltag" sind zu einer medienimmanenten, operativen Figur im Rahmen des visuellen Systems Fernsehen mutiert, wir sind an "Reales" vor allem über Mediensysteme angeschlossen. Wenige Anzeichen - schlechter Ausschnitt, wackelige Kamera, etwas überbelichtet, leicht unscharf, schlechter Ton, keine Schnitte - genügen, um "Realität" als, Douglas Rushkoff würde sagen: Medienvirus33, unserer Wahrnehmung zu implantieren. Es spielt aber gar keine Rolle, ob dadurch so etwas wie "Realität" bezeichnet wird (oder überhaupt werden kann): die Sequenz funktioniert einfach syntaktisch und auch syntagmatisch als Zeichen für Realität - ein Zeichen, das wir zu recht hinterfragen. Nur führt diese Frage zu keinem Ergebnis, es läßt sich keine Wirklichkeit hinter den Bildern entbergen, und das nicht nur aufgrund der monolinearen Struktur des Fernsehens. Wichtiger ist vielmehr zu erkennen, daß es sich dabei um eine klassische Dissimulation34 handelt, ein medientechnisch generiertes Verbegen des Umstandes, daß hinter der Repräsentation gar nichts zum Vorschein gebracht werden muß - oder kann, weil so etwas wie Realität "im rekursiven Zusammenhang der Systemoperationen erzeugt [wird] und nicht darauf angewiesen [ist], daß die Umwelt sie bestätigt."35 In Abhebung von jeder 'klassischen' Referenztheorie - etwa des Barthesschen "so ist es gewesen"36 - läßt sich Referenz erzeugen, produzieren, sie läßt sich dissimulieren. Insofern ist "Realität", "Alltag", das, was "uns" "wirklich" passiert, eine unausgesetzte Konstruktion, eine Konstruktion, die wir immer weniger selbst leisten, sondern delegiert haben, oder, die uns immer mehr entzogen wurde ("Unterhaltung heißt eben: keinen Anlaß suchen und finden, auf Kommunikation durch Kommunikation zu antworten."37) - es handelt sich dabei um keine Simulation im engeren Sinn, referiert sie doch auf bekannte, d. h. redundante Realitätsmuster, greift also Diskursformationen auf, übersetzt sie, unterwirft sie system- / medieninternen Operationen und erscheint damit als post-diskursives System. "Reales" wird als Zeichensystem, als Informationsgehalt, als Signal- und Datenverlauf generiert, weil es längst entlang "elektromagnetischer Bahnen" de- und recodiert und damit völlig zerstreut wurde (Teletoplogie). Fernsehen, wie wir es kennen, ist also per se postmodern und post-diskursiv, vor allem deshalb, weil es gar keine Rolle mehr spielt, ob wir in der Lage sind, etwas als Fake zu enttarnen - es funktioniert trotzdem. "Die Kopplung zwischen Mensch und Fernsehen wird offensichtlich nicht mehr als Dissonanz zwischen 'natürlicher' und technisierter, verfremdeter Wahrnehmung empfunden, im Gegenteil: Eine bereits perfekt funktionierende Konsonanz des menschlichen Bewußtseins mit dem Fernsehen verhindert die Erfahrbarkeit des Phänomens, daß Kopplung überhaupt stattgefunden hat."38 Das Reale ist als Hyper-Reales zu einem Produkt medientechnischer Re/Codierung mutiert: "Fern-Sehen ist ein Organ des Menschen geworden."39 Was wir beim Betrachten technischer, medialer Bilder sehen, ist zwar ein spezifisches Bild der Wirklichkeit, vor allem aber die Form eines entgrenzten und exzessiven "Diskurses" deren Erfassung, Vermessung, Aufzeichnung und Darstellung, eine systeminterne Re-Präsentation eines operativ geschlossenen maschinellen, informationelen Gefüges, eines Gefüges, das diesen Diskurs in Gang setzt, in Gang hält wie es ihn gleichzeitig zerstreut, diesen in vielfältiger Weise in zahllose andere "Diskurse" einschleust. "Das eben charakterisiert die Nachindustrie: Die Information, nicht das Ding ist wertvoll."40 "Wo Gegenstand war, ist Information geworden."41 |
Hier zeichnet sich neuerlich der Effekt einer Ent-Stellung, einer systemisch generierten Verschiebung von ehemaligen Diskurselementen ab. "Die Elelente einer Struktur haben weder äußerliche Bezeichnung noch innere Bedeutung. (...) [Sie haben] nichts anderes als einen Sinn: einen Sinn, der notwendig und einzig aus der 'Stellung' hervorgeht. Es handelt sich nicht um einen Platz in einer realen Ausdehnung, noch um Orte in imaginären Bereichen, sondern um Plätze und Orte in einem eigentliche strukturllen, das heißt, topologischen Raum. Was struktural ist, ist der Raum, aber ein unausgedehnter, prä-extensiver Raum, reines spatium, das allmählich als Nachbarschaftsordnung herausgebildet wurde (...)."42 Entgegen diesem topologischen "Raum", der trotz seiner Komplexität ein Raum der Ordnung, der Bedeutung, d. h. ein signifikanter Raum, der voll von Sinn ist, ein Raum der Entfaltung von Diskursen, errichten Mediensysteme einen tele-topologischen "Raum" der Zerrüttung dieses Sinns, auf keinen Fall ohne Bedeutung, aber ein Raum der Übertragung, Speicherung, Verarbeitung von Information, kein Raum des Gedächtnisses und des Denkens, ein potentieller Raum, ein Raum der Potentialität, der Diskursneutralisierung, da in ihm Gedächtnis auf Distanz gestellt wird, das Aufschreiben des Realen, der Geschichte zwischen Apparaten abläuft, aus deren "Stellung" sich kein Sinn mehr ergibt, deren Stellung gar nicht im Hinblick auf irgendeinen Sinn determiniert wird (wie man es noch beispielsweise von der Wirtschaft behaupten könnte) - Mediensysteme operieren schlicht dort, "wo uns Hören und Sehen vergeht"43. "Nicht-lineare Formprinzipien sind in der Tat das Maß einer Kultur, die die Fragmentarisierung und die Montage gewohnt ist. Wissen als Sampling, Erfahrung als intentional, Kommunikatin als Weise der Transaktion, hyper, Zugang auf Wunsch: das sind einige Begriffe der Technokultur des 'nomadischen Wahnsinns' (...)".44 Und dieser "nomadische Wahnsinn" produziert keine Diskurse und ist auch nicht als Ausdifferenzierung zu beschreiben, sondern als maschinisches Gefüge differentieller, infinitesimaler Verrückungen im Netz der Signifikanten. Kein Diskurs. Eine Zerstreuung von Diskursen und Differenzen. An der "Oberfläche" dieser post-diskursiven Differenzphänomene ist in den letzten Jahren eine Metapher aufgetaucht, die sozusagen die aktuelle post-diskursive Reorganisation der Kultur auf den Punkt zu bringen scheint. Das Netz. Das Netzwerk scheint die (auch terminologische) "Oberfläche" der kulturellen Wucherung von Differenzierungen zu bilden, ein Begriff, der zwar noch auf Ordnung verweist, auf Strukturierung, allerdings die Form dieser Ordnung nicht festlegt - und damit auf die Möglichkeit strategischer Operationen, einer mehr oder weniger zielorientierten Navigation verweist, auf verschiedenste Veknüpfungsmöglichkeiten usw. Der "Hintergrund" des Netzbegriffs ist eine völlig verschobene, trans-formierte Erscheinung von Topologie, einer Logik von "Orten" (die keine mehr sind): das Netz bildet sich nicht durch Verknüpfung und Verbindung von geografisch naheliegenden Knoten, Schnittstellen (das beschreibt lediglich seinen physikalischen Aufbau); operativ ist es heterarchisch aufgebaut, beschreibbar etwa durch den Begriff der "Nachbarschaft"45: "nicht unbedingt räumlich zu verstehen, sondern topologisch im Sinne einer Vernetzungsstruktur, die zu Impulsnachbarn macht, was für einen Beobachter durchaus an vollkommen verschiedenen Enden eines Netzes liegen kann. (...) In diesen Netzwerken reagiert man entsprechend aber auch nur auf Impulse aus der 'Nachbarschaft', so daß alles, was man etwa als Gesamtordnung beschreiben könnte, sich immer nur durch den Filter der topologischen Nahordnung zur Geltung bringen und durchsetzen kann. In einer solchen Gesamtordnung sind dann auch Ausdifferenzierungen von Teilordnungen möglich, die miteinander kaum Berührungspunkte haben und auch gar nicht mehr über das Verhältnis von Teil und Ganzem begriffen werden können."46 Die Form der Kommunikation des Meta-Systems Kultur, von dem Kunst ein Subsystem darstellt, erscheint also als relationale Wucherung von (ästhetischen, semantischen, informationellen, d. h. operablen) Ereignissen, als Transgression von Kontexten, als ständige Freisetzung von Information als Kommunikationsangebot an wieder andere Systeme, als fröhliche Nachbarschaft des Unvereinbaren, Gegensätzlichen, Getrennten. Kontamination und Wucherung als formales Prinzip. Alle Entfernungen und Zeiträume, die normalerweise die unterschiedlichen Funktionen (und die Differenz von Signifikant und Signifikat) voneinander trennen und dadurch erst Bedeutung herzustellen erlauben, werden durch "das Netz" eliminiert, der Zwischenraum zwischen den Dingen, den Wörtern, den Bezeichnungen, zwischen Aufnahme und Wiedergabe, Repräsentation und Realem wird eingezogen - was übrig bleibt ist ein maschinisches Feld von Streuungen (die bestenfalls mittels Wahrscheinlichkeitsrechnung beschrieben werden können). Mediensysteme produzieren Daten, die nur noch von Medien in eine (medien-) technisch fundierte Anordnung gebracht werden können, in eine Ordnung, die Sinn bestenfalls noch simuliert.47 "Dinge, Ereignisse und Unterscheidungen sind jedoch längst nicht mehr das, was wir von ihnen erwarten, wenn wir auf sie zurückgreifen um zu beschreiben, was in der Welt der Fall ist. Sie entziehen sich auf ihre je eigene Weise unserem Zugriff."48 Im Rahmen von aktuellen Kunstpraktiken, die selbst zu einem erheblichen Teil von künstlerisch orientierten Medienpraktiken seit den 70er Jahren beeinflußt sind, zeigt sich diese Symptomatik der Streuung nicht zuletzt im völligen Dissens über einen noch aktualisierbaren Begriff des Kunstwerks, im weiteren Sinn also weiterer Ausdifferenzierungen dieser spezifischen Praktik, dieses spezifischen Produktionszusammenhanges, der als Kunst noch kummunizierbar ist - auch hier zeigt sich das Problem der Differenz angesichts der medientechnischen Implosion aller (nicht nur kultureller) Differenzen (oder, was auf das selbe hinausläuft: die ständige Akkumulation von Differenzen, das ständige Enstehen von "Fluchtlinien", die neue Gefüge, neue Wucherungen anlagern und auslagern, ein ständiges Oszillieren zwischen Fremd- und Selbstreferenz, ein ständiges "Entführen" von Differenzen, von Unterscheidungen, die einen Unterschied machen). |
"Unter diesen Bedingungen wird es immer schwieriger, die Funktion von Popkultur so zu interpretieren, wie es bis vor kurzem noch üblich und angemessen schien." Was sich unschwer auch für den Bereich der Kunst postulieren läßt: mit dem Begriff der "Popkultur" wir hier eine zusätzliche "Fluchtlinie" geöffnet, die uns für einen aktuellen Begriff der Zerstreuung von Praktiken, so auch der Kunst, brauchbar erscheint, obwohl gerade das damit angedeutete "Crossover" ins Gerede gekommen ist (zurecht)49. Die exzessive Partikularisierung von Kontexten bzw. die fröhliche Re-Organisation dieser Fragmente ohne Rücksicht auf (ohnehin nur noch rudimentär) bestehende Diskursformationen erscheint also nicht nur auf dem Gebiet medientechnisch gestützter Kunst im engeren Sinn, sondern zeigt sich als durchgehendes Phänomen gegenwärtiger künstlerischer Strategien. "Der 'kreative' Gebrauch der massenkulturellen Produkte, zentraler Bestandteil der positiven Utopie von Popkultur als 'taktischer' Konsumption, tritt zugunsten des 'kreativen' Gebrauchs der Pop-, Jugend-, Subkulturen durch die Massenmedien selbst zurück. [Wir erinnern uns: Kunst als Marketing, als Konsum als Unterhaltung als Politik als Jugendkultur?] Die alte Logik der Inkorporierung und Exkorporierung scheint überhaupt nicht mehr zu greifen; auch die Rede von den 'verwischten Grenzen' macht einen zunehmend unangemessenen Eindruck."50 Sowohl in der Popindustrie, im Bereich von Kunst wie in der theoretischen Praxis läßt sich also die "Illusion einer im Prinzip grenzenlosen Vernetzbarkeit unterschiedlichster medialer Felder" feststelen. Pop, Kunst, Design, Mode, Medien, Internet sind allesamt zu Knoten in einem multidimensionalen Verweissystem geworden, das zunehmend den Eindruck vermittelt, als ließe sich - wie in einem großen, bunten Cyber-Universum - wahlfrei zwischen den verschiedenen Brennpunkten herumsurfen und floaten. Und tatsächlich ist diese Art von intermedialer Flexibilität zum Arbeitsprinzip vieler Jungkünstler geworden (...)."51 Man kann dies als "kontextblinden Transfer" beklagen, die Frage ist nur, welche Kontexte es denn durch ihre Beschreibung, ihr Postulieren zu retten (oder gar zu befestigen?) gilt. Denn es wäre falsch, "als Akt der Distanzierung zum Crossover die Grenzen zwischen Kultur, Politik und Sozialem bzw. zwischen Privatleben und öffentlicher Positionierung wieder ganz rigide zu ziehen. [Was hier nicht unterstellt werden möchte!] Damit würde man die institutionelle Struktur der bürgerlich-patriarchalischen Welt spiegeln, statt sie in Frage zu stellen."52 Es geht hier auch weniger darum, das buchstäbliche "Ambient im White Cube"53 zu verteidigen oder auf der "Art & Pop & Crossover"54-Welle zu reiten, Viel interessanter und wichtiger scheint es, die Produktions- und Distributionsstrategien der vermeintlich oder tatsächlich hybridisierten Praktiken aufeinander zu beziehen - um Medienphänomene handelt es sich allemal. "Es gibt in der Tat eine beschleunigte Einverleibung und kodierende Kennzeichnung (...) was in erster Linie mit der Informationsrevolution zu tun hat. Subversion, Mutation und das Zerfetzen selbst von fragilen Normen werden damit komplizierter. (...) Nimmt man den Differenzbegriff in philosophischem, ethnischen Sinn her (...), so ist das zum einen eine langweilige Invokation, zum anderen aber überschneiden sich all diese komplexen Differenzen tatsächlich in unseren Körpern und im Körper der Kultur insgesamt."55 Die medientechnische Verschaltung praktisch aller möglichen Musik / Text / Bild / Handlungs-Kontexte hat also, wie es scheint, zu einem Zustand geführt, in dem die "Welt" (als Summe möglicher sozialer Praktiken) als ein "gleichförmig Abstandsloses" (Martin Heidegger) erscheint. "Das Abstandslose ist eine schlechte Einheit, denn was verschieden war, ist es nicht mehr. Die Unterschiede sind nicht mehr zu erkennen. Die Entropie ist der Tod der Dinge."56 Der "Tod der Dinge", d. h. eine Auflösung von Einheiten (gegen deren Erscheinungsweisen als Autor und das Werk sich, wie erwähnt, schon Michel Foucault vehement gewendet hat57), erscheint primär als Wegfall von Unterscheidungskriterien, als Defizit von Bezeichnungs- und Markierungsstrukturen, als Defizit stabiler Referenz- oder Decodierungskontexte, als ein ständiges Zirkulieren von Zeichen / Information / Kontexten / Diskursen, einer epidemischen Ökonomie der Zeichen58, oder aber ihrer Dekonstruktion: der "Tod des Dings" (als Metapher für die Schwierigkeit, noch Einheiten zu identifizieren), als ein ständiges Implodieren von Kontexten und Referenzsystemen führt in das Zentrum der Unsicherheit der Kulturtheorie gegenüber Mediensystemen - gerade diese Erscheinungen sind es allerdings, die das Gewebe (um nicht zu sagen die Wucherung) der Medientheorie beflügelt haben. Es geht also um die Frage, wie angesichts der "Implosion und Raffung" durch die elektronische Beschleunigung des gesellschaftlichen und kulturellen Austauschs - deren "Operationsgeschwindigkeit einen so hohen Grad an Interdependenz zwischen allen Stadien eines Vorganges verlangt"59 - die Warnehmung eines kulturellen Zusammenhangs zwar zusammenbricht, diese Auflösung aber auch als Moment neuer kultureller Praktiken, neuer kultureller Re-Formierung und neuer Formationen beschrieben werden kann. "Es geht um Übertragung, Übersetzung, Verschiebung, um 'Traduktion (Übersetzung), Metapher (Übertragung), Transfers, Transpositionen, analogische Konversionen und vor allem Transfers von Transfers: Über, meta, tele, (...), Trans.'"60 Und, wie sich hinzufügen ließe: nicht mehr um die analytische Präparierung eines Gegenstandbereichs (die Gesellschaft, das Subjekt, die Ökonomie, die Kunst etc.), sondern - angesichts der sich etablierenden immensen Austauschsysteme, eines nahezu vollständigen "Trans-" - um Kontamination, Ansteckung, um Wucherungen, um Konjunktionen: und ... dund ...und. Damit ließe sich nicht nur eine Form von "Kommunikation" metaphorisch beschreiben, die sich ständig an verschiedenste andere Kommunikationen anschließt, sie umarbeitet, überformt, reformuliert und neue - z. T. extrem hybridisierte - Kommunikationsangebote produziert (an die sie sich sofort wieder selbst anschließt, in die sich sich viral einschleust), sondern auch Formen von temporalisierten Subjektentwürfen, von fiktiven und vorläufigen gesellschaftlichen Zuordnungen. "Haushalt, Arbeitsplatz, Markt, öffentliche Shpäre, sogar der Körper - alles kann in nahezu unbegrenzter, vielgestaltiger Weise aufgelöst und verschaltet werden."61 In vielgestaltiger Weise ist auch das Subjekt genötigt, in diesem "Spiel" der Verschaltungen (nicht nur im Rahmen "künstlerischer Netze") aufzutreten. Diese Vielgestaltigkeit (die immer auch in eine Form der Politik gewendet werden kann) bündelt Donna Haraway in ihrer Figur der "Cyborg", "eine Art zerlegtes und neu zusammengesetztes, postmodernes kollektives und individuelles Selbst. Es ist das Selbst, das Feministinnen kodieren müssen."62 Die "Cyborg" ist eine metaphorische Figur, sie ist wörtlicher als wörtlich zu nehmen. Es geht dabei nicht um den Cyborg, wie er in SciFi-Mythen entworfen wurde, sondern um eine (feministische) Figur der Identitätspolitik, um eine "von Andersheit und Differenz ausgehende Form postmoderner Identität."63 Da Haraway Technologien auch "als mächtige Instrumente zur Durchsetzung von Bedeutung" im Rahmen der "Übersetzung der gesamten Welt in ein Problem der Kodierung"64 betrachtet, richtet sich "die Cyborg" wie ein Bedeutungsvirus auf und gegen Formen technologischer Sprache und Kontrolle. "Die Grenzlinie, die zwischen Werkzeug und Mythos, Instrument und Konzept, historischen Systemen gesellschaftlicher Verhältnisse und historischen Antinomien möglicher Körper, die Wissensobjekte eingeschlossen, verläuft, ist durchlässig. Mythos und Werkzeug konstituieren sich gegenseitig."65 An dieser Grenze siedelt Haraway "die Cyborg" als strategische Figur der subversiven "Verschmutzung" der perfekten Kommunikation, der perfekten Zerstreuung des Sinns und der Bedeutungen an. "Daher besteht Cyborg-Politik auf dem Rauschen und auf der Verschmutzung und bejubelt die illegitime Verschmelzung von Tier und Maschine. Solche Verbindungen machen den Mann und die Frau problematisch, sie untergraben die Struktur des Begehrens, die imaginierte Macht, die Sprache und Gender hervorgebracht hat und unterlaufen damit die Strukturen und die Reproduktionsweisen westlicher Identität, Natur und Kultur, Spiegel und Auge, Knecht und Herr, Körper und Geist."66 Die gegenwärige, nicht nur im Rahmen "medienkünstlerischer" Projekte sich abzeichnende "Verschmutzung" von Kontexten, die epidemische Verschaltung von Apparaturen, Strategien, Ästhetiken und Semantiken, jene "anti-essentialistische kulturelle Produktion, die gleichsam vom Mischpult aus entsteht"67 und einen Kreis um die vorhandenen Dinge zieht und wilde Verbindungen unter ihnen herstellt, läßt sich verständlicherweise als Niedergang der Reflexion, als Verlust jeder kritischen Kritik, als Eskapismus etc. lesen, deuten oder analysieren, als wilde Verbindungen, durch die auch der Kunstbetrieb nicht wirklich überschritten würde, da es doch nur um den altbekannten (avatgardistischen) Trick der Aneignung, des Transfers geht, welchen spätestens Andy Warhol volständig durchgespielt hat. Gerade aber solche Transfers sind in dieser Form gar nicht mehr möglich, da sich die Felder Kunst, Alltag, Konsum, Pop, Politik etc. längst nicht mehr als distinkte Einheiten ausmachen lassen. Auch im Zusammenhang mit künstlerischen Projekten - nicht nur im Rahmen einer Medienkunst im engeren Sinn - erscheint es notwendig, die Produktion heterotopische Ordnungen zu beobachten, flüchtige, instabile, polyvalente Anordnungen, die eine spekulative Topologie medialer/popkultureller Strategien in Szene setzen, erscheint es notwendig, einem Verwischen der Spuren zu folgen, Spuren der Verschiebung und Transformation von Inhalten, Ästhetiken und Bedeutungen auszumachen, ohne sie auf Kategorien zu reduzieren, auf die sich sich gar nicht mehr beziehen. Kommunikative, performative, semantische und ästhetische Dispositive werden längst im Hinblick darauf präsentiert, wie sie (medien-) technische, kontextuelle und ästhetische Operationen verwenden, manipulieren, persiflieren, freisetzen, umarbeiten, negieren etc. um dabei ein (mitunter spekulatives) Konstrukt herzustellen, dessen Beschreibung schwierig, dessen klassische Analyse zum Scheitern verurteilt ist - und das als strategisches Kommunikationsangebot nicht auf einen spezifischen Diskurs- bzw. Differenzzusammenhang reduziert, rückgeführt werden kann, sondern selbst einem Prinzip der Streuung frönt. "Das 'Konstrukt' steht im Zentrum der Aufmerksamkeit: Machen, Lesen, Schreiben und Bedeuten scheinen fast dasselbe zu sein."68 Fakten und Bedeutungen sind im Rahmen solcher transgressiver Praktiken weder vorzufinden noch vorauszusetzen, sondern müssen diskursiv produziert, interpretiert und modifiziert werden69. Und: "In diesem Spiel verfügen wir über mehr als nur eine Konstitution, und wir befinden uns nicht nur an einem einzigen Ort. Verortung ist keine Frage der Empirie, man kann nicht auflisten, wo man sich befindet. (...) Unter Verortung verstehe ich eine komplexe Komstruktion und keine empirische Aufzählung oder bestimmte Stelle."70 Ent-Stellungen allenortens. "Es geht um das Modell, das unaufhörlich entsteht und einstürzt, und um den Prozeß, der unaufhörlich fortgesetzt, unterbrochen und wieder aufgenommen wird."71 "Wird der Mediendiskurs je scheitern, völlig irren, so daß jeder auf der Stelle beschließt, etwas Vernünftigeres zu tun? Davon kann man wohl ausgehen."72 |
1 Timothy Druckrey, "Introduction", in: Gretchen Bender, Timothy Druckrey (Hg.), Culture on the Brink. Ideologies of Technology, Seattle 1994, S. 1. © Reinhard Braun 1998 erschienen in: Almanach 1998 - Werkstadt Graz, hrsgg. von Joachim Baur, Graz 1998 |
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