TexteReinhard Braun |
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Die diesjährige Strategie des steirischen herbst, sich mithilfe einer Aufgabenliste in zwar unüberschaubare, aber jeweils konkrete alltägliche Tätigkeitsbereiche und Handlungszusammenhänge zu begeben, könnte vordergründig als späte popkulturelle Geste gelesen werden, das politische Potenzial des Alltags zu reaktivieren. In gewissem Sinn erscheint das Politische auch am Horizont der damit verbundenen Fragestellungen, allerdings gerade nicht in der Paraphrasierung des Privaten als Politischen (ein ursprünglich feministischer Leitspruch), sondern in der komplizierten (post-fordistischen) Verschränkung von Privatheit und Öffentlichkeit, Individuum und Kollektiv, Arbeit und Freizeit, Ideal und Pragmatik, Opportunismus und Zynismus. Damit stellt das Leitmotiv des Festivals die Frage nach einem möglichen Terrain des Politischen, einem Terrain, in dem gemeinschaftliche Angelegenheiten öffentlich werden und zur Debatte stehen können. Führen verschiedenen Strategien der Handhabung des je konkreten sozialen Umfelds in eine derartige Sphäre des öffentlich Politischen bzw. wie sind die Verknüpfungen dieser Felder zu denken? Michel Foucault spricht in Zusammenhang mit seinem genealogischen Projekt von einem „Aufstand der 'unterworfenen' Wissen“ und insistiert auf einem lokalen Charakter von Kritik. Er wendet sich „gegen die hemmende Wirkung der totalitären Theorien oder in jedem Fall der umfassenden und globalen Theorien“. John Fiske wiederum spricht von lokalisierenden Wissensarten, „die ihre Grenzen kennen und die durch unmittelbare soziale Bedingungen eingegrenzt sind. (...) Sie beschränken sich auf das, was notwendig ist, um die unmittelbaren Bedingungen zu meistern, unter denen Menschen leben.“ Diese Formulierungen könnten mit Jacques Rancière derart gelesen werden, dass diese kritische Sichtweise auf „imperialisierendes Wissen“ (Fiske) „sowohl die Größenmaßstäbe der Tradition der Repräsentation [...] als auch ein auf der öffentlichen Rede beruhendes Modell von Sprache durch das Lesen der Zeichen auf dem Körper der Dinge, Menschen und Gesellschaften“ widerrufe. Doch wendet man sich von den umfassenden Theorien als einem kulturellen Text der potentiellen Unterdrückung ab und einem Lesen der Zeichen auf dem Körper der Dinge, Menschen und Gesellschaften zu, bringt man also „lokale, unzusammenhängende, disqualifizierte, nicht-legitimierte Wissen [und Erfahrung] gegen die theoretische Einheitsinstanz ins Spiel“ (Michel Foucault), wird das Private dadurch als ein Raum des Wiederstands stilisiert, als ein Raum des Umschreibens von herrschenden Diskursen – oder als ein Konstrukt von Zufällen, Rückschlägen, von Ignoranz, Vorurteilen und Voreingenommenheit festgeschrieben? Als ein Raum von Ersatzhandlungen – „Kristallisationspunkte von absurden Gegensätzen und Zufällen, mit denen zu leben wir uns arrangiert haben“ (Josephine Meckseper)? Oder popularisiert man ohne es zu wollen dennoch immerfort die Leerformel vom Privaten als Politischen, immer schon verstrickt in die umfassenden und globalen Theorien, verstrickt in ein Netz, das, wie es Bruno Latour formuliert hat, von meinem Kühlschrank bis in die Antarktis reicht und das dafür verantwortlich ist, „immer mehr der Welt in ihrer Gesamtheit ausgesetzt“ zu sein (Paolo Virno)? Ist das „lokale, unzusammenhängende, disqualifizierte, nicht-legitimierte Wissen“ ein Symptom der neo-liberalen Auflösung von Distanzen und Differenzen, die uns alle in „unvermeidliche Beziehungen zur Gegenwart anderer“ (Paolo Virno) setzen und uns melancholisch zwischen Opportunismus und Fantasien der Überschreitung pendeln lassen – oder bergen sie das Potenzial zur Herstellung einer anderen Form diskursiver Verknüpfung von Wissen, Erfahrung und Politik? „Strategien zur Unglücksvermeidung“ verweisen auf diese schwierigen Grenzziehungen der Reichweite von Diskursen und Macht, auf die Versuche der Rekonstruktion konkreter kultureller Texte, auf die Schwierigkeiten, dieses „unzusammenhängende Wissen“ in einem Zusammenhang zu bringen, der nicht als rein privatistischer oder gar reaktionärer gedacht werden möchte, sondern als Raum der Verhandlung von Antworten auf die „Probleme der Welt“, als Ausgangspunkt für Handlungen, die auf diese Welt zurückwirken. Auf Distanz halten – aufräumen – kontrollieren – Listen machen verweisen auf Manöver, das Globale im Partikulären zu handhaben, manchmal auf eine Strategie, Geschichte als umkehrbar zu entwerfen, in jedem Fall auf eine Taktik, der Zerrüttung zu entfliehen, die uns selbst, unsere Umwelt und unser Leben bedroht, das Netz zu ordnen, das von unserem Kühlschrank bis in die Antarktis reicht. Dranbleiben – einkaufen – verkleiden – verführen konstruieren wiederum ein Netz von Ritualen, um die tiefe Abhängigkeit von Dingen und Gemeinschften, die Angst um ihren Verlust, entweder in ihre Verschwendung und Verausgabung als Schauspiel eines Luxus, als Parade der Sichtbarmachung und des Karnevalesken zu verkehren, oder einen Opportunismus von Lebensästhetik zu entwerfen, Differenzpolitik zu kultivieren und Identität als affirmative Reihe performativer Akte nachzuvollziehen und sich dabei glamourösen „Objekten zur Ich-Erweiterung“ (Hartmut Böhme) zu bedienen. Derart lassen sich zahllose Querschnitte aus der Aufgabenliste erstellen, die allerdings immer auch Erfahrungen und Wünschen entgegenstehen, die Zeichen auf dem Körper der Dinge, Menschen nicht nur zu lesen, sondern in einen Handlungszusammenhang zu stellen, der einen Ausgleich zwischen Entfremdung und Teilnahme am Sozialen, zwischen Verweigerung und ekstatischer Anteilnahme herzustellen versucht. Inwiefern erschweren also ständig „vermischte Transformationen, die von der Koexistenz einer Vielzahl gleichzeitiger symbolischer Systeme gekennzeichnet sind“ (George Lipsitz) die Versuche, jene Handlungsoptionen zu entwerfen oder zurückzuweisen (auf die Straße gehen oder wegdenken?), weil der Horizont dieser Optionen kaum jemals überblickt werden kann. Seit Jeff Goldblum die Chaostheorie in alle Wohnzimmer vermittelt hat lauern dort Paralyse und Cocooning. Gibt es einen Ausweg aus der Reproduktion von Stereotypen und Katastrophen? Wird diese Liebe jemals meine Liebe sein? Werden meine Entscheidungen jemals ihrer Intention gerecht werden? Oder sind Authentizität und richtiges Handeln nach wie vor die Fallen, in die uns die umfassenden Theorien locken? Macht es überhaupt Sinn, sich politisch zu betätigen oder setzt man/frau sich lediglich unzumutbaren Vereinnahmungen aus? Kann es so etwas wie subversiven Konsum überhaupt geben? Das Ausstellungsprojekt wendet sich dementsprechend den ständigen Perspektivenwechseln zu, den Schwierigkeiten, unzusammenhängendes Wissen zu skalieren und in ein „angemessenes“ Verhältnis zu setzen, Beziehungen zu stiften „zwischen dem, was man sieht und dem, was man sagt, zwischen dem, was man tut und tun kann“ (Jacques Rancière). Dabei scheinen sie aus verschiedenen Blickwinkeln Fragestellungen anzuvisieren, die sich als Fragen nach jenen „gemeinschaftlichen Angelegenheiten“, nach Common Affairs beschreiben ließen: Identität und Prozesse der Individuierung (Maluka, Björnsson), die Rolle von Bildpolitiken (Björnsson, Bizumic), die Banalisierung von Kulturgeschichte und Politik (Föttinger), die Verschränkung von politischem Aktivismus und Lifestyle, d. h. all der „Schutt für die gesellschaftliche Mobilisierung von Bedeutung“ (Okwui Enwezor über Josephine Meckseper), das Un-Zuhause als ständiger und möglicherweise irreversibler Zustand (Biemann), ästhetische und gesellschaftliche Gemeinplätze und Inszenierte Naivität (van der Stokker). Damit stellen die beteiligten Künstlerinnen von verschiedenen Seiten her Fragen über die Möglichkeiten, subjektives Handeln und politische Zusammenhänge auseinanderzuhalten oder zusammenzudenken, die Brüche und Ungereimtheiten auszumachen, die zwischen diesen immer noch getrennten Sphären liegen oder vermitteln, womit sich die gezeigten Arbeiten aus einer bestimmten Perspektive trotz gegensätzlicher Strategien und Formate, Narrationen und Ästhetiken dennoch mit der dem Festival zentralen Frage nach den Möglichkeiten des Politischen als gemeinschaftlicher Angelegenheit zu beschäftigen scheinen. This year’s steirischer herbst festival strategy—exploring, aided by a task list, indeed vast though respectively concrete everyday scopes of activity and contextual frameworks—may ostensibly be interpreted as a late pop-cultural gesture reactivating the political potential in everyday life. In a certain sense, the political emerges on the horizon of related issues, albeit specifically not as the paraphrasing of the private as political (originally a feminist maxim), but rather as the complicated (post-Fordist) enmeshment of privateness and publicness, individual and collective, work and leisure, idealism and pragmatism, opportunism and cynicism. Accordingly, the leitmotif of the festival poses the question of a possible terrain of the political—a terrain where common affairs are public and up for debate. Do various strategies for treating the respective concrete social environment lead to such a public-political sphere, or how is the interlinkage between these fields to be perceived? In the context of his genealogical project, Michel Foucault addresses an “insurrection of ‘subjugated’ knowledges” and insists on a local character of critique. He turns “against the inhibiting effect of totalitarian theories or, in any case, of universal and global theories.” John Fiske, in turn, speaks of localized types of knowledges that “are aware of their bounds and are bounded by immediate social conditions . . . They restrict themselves to the necessary in order to control the immediate conditions under which people live.” These verbalizations could be read, per Jacques Rancière, in such a way as to imply that this critical perspective on “imperialized knowledge” (Fiske) revokes “the representative tradition’s scales of grandeur and . . . the oratorical model of speech in favor of the interpretation of signs on the body of people, things, and civilization.” Yet if one moves away from the universal theories as a cultural text of potential suppression and toward an interpretation of the signs on the body of people, things, and civilization—if one thus calls into play “local, desultory, disqualified, non-legitimate knowledge [and experience] vis-à-vis theoretical unity” (Michel Foucault), is the private then conventionalized as a space of resistance, as a space of circumscription of prevalent discourses, or rather established as a construct of coincidences, setbacks, ignorance, prejudice, and bias? As a space of compensational acts—“crystallization points of absurd antipodes and coincidences with which we have become accustomed to living” (Josephine Meckseper)? Or does one continue to inadvertently repopularize the inanity of the private as the political, having always been enmeshed in the universal and global theories, enlaced in a web that, citing Bruno Latour, spans from my refrigerator all the way to Antarctica and is responsible for being “increasingly exposed to the world in its entirety” (Paolo Virno)? Is the “local, desultory, disqualified, non-legitimate knowledge” a symptom of the neoliberal disintegration of those distances and differences placing us all in “inevitable relationships with the presence of others” (Paolo Virno), permitting us to pensively oscillate between opportunism and fantasies of transgression—or do they harbor the potential to generate another form of discursive correlation between knowledge, experience, and politics? “Strategien zur Unglückvermeidung” (Strategies for Avoiding Misfortune) alludes to this challenging delineation in the scope of discourses and forces, to the attempts at reconstructing concrete cultural texts, to the difficulties involved in placing this “desultory knowledge” into a context that is not to be interpreted as purely privatistic, or even reactionary, but rather as a space for negotiating answers to the “problems of the world,” as a starting point for action bearing back upon this world. Auf Distanz halten – aufräumen – kontrollieren – Listen machen (Maintaining Distance – Straightening – Controlling – Making Lists) point to maneuvers for managing the global in particular, occasionally to a strategy for framing history as reversible, and most certainly to tactics for escaping the destruction threatening us, our environment, and our lives with the alignment of the web stretching from our refrigerator to the Antarctic. Hence, to what extent do continually “intermixed transformations characterized by the coexistence of numerous simultaneous symbolic systems” (George Lipsitz) impede those attempts at devising or rejecting (hitting the street or dismissing thoughts?) options of agency, for the horizon of these options can almost never be grasped. Since Jeff Goldblum conveyed the chaos theory into all living rooms, paralysis and cocooning have been lurking there. Can the reproduction of stereotypes and catastrophes be circumvented? Will this love ever be my love? Will my decisions ever do justice to their intentions? Or do authenticity and correct action remain the traps into which the universal theories lure us? Does it even make sense to be politically active, or is one merely exposing oneself to unwarranted misappropriation? Can something like subversive consumption actually exist? The exhibition project consequently addresses the perpetual changes of perspective, the quandary of scaling desultory knowledge and placing it in a “pertinent” position, and the fostering of relationships “between that which is seen and which is said, between that which is done and can be done” (Jacques Rancière). From various perspectives issues appear to be targeted that can be described as queries into those common affairs: identity and individualization processes (Maluka, Björnsson), the role of image politics (Björnsson, Bizumic), the banalization of cultural history and politics (Föttinger), the interplay between political activism and lifestyle, that is, all of the “debris for the social mobilization of meaning” (Okwui Enwezor about Josephine Meckseper), the un-home as a continual and possibly irreversible condition (Biemann), aesthetic and social truisms and staged naïveté (van der Stokker). The involved artists thereby pose, from diverse vantage points, questions about possibilities for keeping separate or associating subjective action and political contexts, for detecting fractures and inconsistencies situated or facilitating between these yet disassociated spheres, with the exhibited works yet suggesting—from a certain perspective despite contrasting strategies and formats, narrations and aesthetics—an exploration of the festival’s main theme centered on the potential of the political as a collective issue. © Reinhard Braun 2008 erschienen in: Common Affairs, steirischer herbst 2008, Edition Camera Austria, Graz 2008 |
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