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Texte


Reinhard Braun

can't see nothing


"Eine Maschine produziert nicht nur etwas in der Welt, sondern sie trägt auch dazu bei, die Welt, in der sie funktioniert, zu produzieren, zu reproduzieren und zu transformieren. Eine Maschine ist ein fügendes Gefüge, sie tendiert dazu, sich zurückzuwenden, zurückzukommen auf ihre eigenen Existenzbedingungen, um sie zu reproduzieren. (Félix Guattari)

Visuelle Medien sind nun ohne Zweifel derartige Maschinen, die nicht nur etwas in der Welt oder etwas von der Welt produzieren und reproduzieren, sondern die vor allem die Welt, in der sie funktionieren, produzieren. Nun verführt diese – zumindest partielle – Dezentrierung des Subjekts vorschnell dazu, den Maschinen/Medien eine geradezu teleologische Subjektivität im Rahmen der Moderne und Nachmoderne zuzuschreiben: es seien im Wesentlichen die Medien, der technische Fortschritt, die Technologie, all die miniaturisierten Gadgets, die unseren Alltag bevölkern und zweifelsohne ein geradezu fetischistisches Begehren auf sich konzentrieren – es sei also vor allem das Technologische, das den Gang der Geschichte, des Politischen und des Sozialen determiniert. Das Gesellschaftliche, das Soziale, wie wir es zu verstehen gewohnt waren, sei lediglich eine Epiphänomen dieses techno-wissenschaftlichen Diskurses, von der Kunst ganz zu schweigen.

Die Widerständigkeit gegen diese Position erliegt wiederum oftmals der Verführung, gerade ein Subjekt retten zu wollen, das es in dieser Form gar nicht mehr zu beschreiben gibt: jenseits dieser technoiden und technifizierten Kultur gäbe es immer noch ein Wesen des Subjekts, da ssich der Verfügung durch Medien entzieht bzw. von diesen gar nicht erreicht werden kann. Jede Koppelung an medientechnische Systeme beschreibt bereits einen Grad der Denaturierung des Subjekts. Doch, indem Sichtbarkeit, um wieder zum Visuellen zurückzukehren, immer "etwas" vorausgeht, ein Denken, eine Politik, "Artikulationen miteinander verbundener Praktiken", wie es Stewart Hall bezeichnet hat, lässt sich im Rahmen von Bildpolitiken diese Dichotomie nicht aufrechterhalten (und, so muß hinzugefügt werden, erscheint sie grundsätzlich auf ein abwegiges Denken eines Ursprungs zu deuten). Die Mißverständnisse beziehen sich dabei zugleich auf ein instrumentell/technische Denken von Medien und ein idealistisch/individuiertes Denken des Subjektiven. Dazu nochmals Félix Guattari: "Die Subjektivität kann nicht autonom existieren, und sie kann in gar keinem Fall die Existenz des Subjekts fundieren." Er beschreibt das Subjekt, die "Produktion der Subjektivität", vielmehr als von "flüssigen Signifikanten" bestimmt: durch die kulturelle Umwelt, den Kultur-Konsum, ideologische Gadgets und schließlich "die Gesamtheit der Informationsmaschinerien". Und gerade letztere sind für Guattari auch nichts rein technisches: "Die Umwelt diesseits und jenseits der Maschine ist Teil der maschinischen Gefüge" – die für ihn in jedem Fall aus einer Koppelung von technischen und sozialen Systemen bestehen.

Vor diesem Hintergrund kann gerade der Blick nicht als etwas gedacht werden, der einem Subjekt voraussetzungslos entspringt, wie dies die Geometrie der Sehpyramide bzw. der Zentralperspektive suggeriert. Dieses System ist nicht als physiologisches zu verstehen, sondern als kulturelles zu beschreiben: die Materialisierung einer Hegemonie, in der Darstellungstechnik und Herrschaft zusammenfallen und in der gerade letztere ein instrumentelles Verhältnis zu Technologien aufweis (intrumentell heisst, dass Technik der Verfügung des Subjekts unterstellt gedacht wird, so, als könnte nan sich "Sehmaschinen" wie eines Werkzeuges bedienen). Insofern kann auch ein Bild nicht als etwas erscheinen, das diesen Blick lediglich materialisiert und dadurch ein Subjekt, wie immer dieses auch gedacht wird, in ein exklusives Verhältnis zur Umwelt setzt.

Dieses Verhältnis zur Umwelt ist dem Blick/Bild als Schnittstelle zu dieser Umwelt immer schon eingeschrieben; das Bild ist immer schon technisch, wie es immer schon sozial ist. "Die Frage der Bedeutung muss daher beständig auf die sozialen und psychischen Formationen des Autors/Lesers bezogen werden." (Victor Burgin) Andererseits liefern bestimmte Instrumente oder Apparaturen nicht erst seit der Einführung der Fotografie Bilder, "die einer anderen Ordnung angehören als der Repräsentation" (André Gunthert), die sich also einem apparativen Verfahren verdanken, dass nicht einfach die subjektive Wahrnehmung kopiert: es ist das Verfahren selbst, "das sich zurückwendet" und Bild, Blick, Repräsentation, Erfahrung, Erinnerung und Denken in neue Verhältnisse setzt. Es entstehen Bildkonstellationen, die den Blick überschreiten (und gleichzeitig reduzieren, zumindest aber systematisieren) und die im Grunde auf die fundamentale Inkongruenz von Blick, Bild, Repräsentation und Medium verweisen. Die Frage der Bedeutung muß also ebenso auf die Zusammenhänge bezogen werden, unter denen diese Inkongruenz auftritt.

In den Bildern tritt somit nicht einfach ein Mediales unvermittelt hervor, so wenig wie sich darin sozialromantisch die Befindlichkeit oder Subjektivität von Subjekten einschreibt und daraus wieder decodierbar wäre. Vielmehr ist mit dem "Umstand" eines Bildes in jedem Fall ein "komplexes Wechselspiel von Visualität, Apparat, Institution, Diskurs, Körpern und Figurativität" (W.J.T. Mitchell) anzunehmen. Und dieser Umstand hat immer weniger mit Repräsentation im engeren Sinn zu tun, mit der Frage nach einer Wirklichkeit, die sich irgendwie bannen und dabei interpretieren ließe, oder wie sie in und durch Bilder auch nur beschrieben werden könnte, sondern vielmehr nimmt das "Lesen" der Bilder die Form einer kulturellen Performanz an: "Ständig redefinieren die Gebrauchsweisen und Instrumentalisierungen von Bildern die Verhältnisse der Sichtbarkeit." (Tom Holert) Bilder stellen also immer mehr ein Ensemble von "offenen Dispositiven" dar, die, wie ich es bereits an anderer Stelle* zu formulieren versuchte, im Hinblick darauf wichtig sind, in welcher Form sie verwertbar und konsumierbar sind, welche Repräsentations- und Kommunikationsangebote sie machen, welche Repräsentationsmöglichkeiten ihnen eingeschrieben oder einschreibbar sind, was sich an Technologien des Selbst anlagern lässt, kurz: welchen Performanzgehalt sie aufweisen. "Auf diesem Feld des Neuen fungieren Bilder diskurs- und medienübergreifend als Kommunikationsbeschleuniger, als Evidenz-Maschinen" (Tom Holert), wobei "Evidenz" nicht den Nachweis einer Wirklichkeit meint, sondern die Bestätigung eines Ereignischarakters.

Wenn Bilder immer noch einen mehr oder weniger "privilegierten" Ort beschreiben, an dem Repräsentationsverhältnisse (Verhältnisse der Verschränkung von Blick, Bild, Medium und Repräsentation, nicht der Abbildung oder er Reproduktion) als Verhältnisse von Macht erscheinen, so lässt sich diese Macht nicht einfach mit Werbung, Marketing, der Industrie oder Medienkonzernen markieren – so wenig, wie sich aus diesen Repräsentationsverhältnissen ein Blick jenseits der medialen "Überformung" sozusagen extrahieren ließe. Wenn es stimmt, dass Medien generell Möglichkeiten für kulturelle Praktiken der Bedeutungserzeugung bereitstellen (und natürlich auch vorgeben und determinieren), dass muss sich ihre Funktionsbeschreibung im Rahmen gegenwärtiger Konsumgesellschaften zugleich auf die hegemonialen ökonomisch-politischen Strategien wie auch die mikropolitischen (um nicht zu sagen subversiven) Praktiken mit und Gebrauchsweisen von Bildern beziehen. Und diese Strategien und Praktiken sind gekennzeichnet von einer Verschränkung des Sozialen mit dem Technischen.

Auch, wenn Repräsentationsverhältnisse ein Subjekt, den Ort eines Subjekts konstruieren, heißt das noch nicht, dass es keine Möglichkeit gibt, einen anderen Ort der Subjektivierung, einen anderen Ort als Ausgangspunkt der Bilder zu denken – und dies auch angesichts einer Kultur, die, wie es Paul Virilio bezeichnet hat, den Übergang vom Sehen zur Visualisierung längst vollzogen hat. Denn genau dieser Übergang beschreibt das Bild als weder auf einem Subjekt, noch auf einer "Verwendung" von Technik beruhend, sondern gerade an jener Schnitstelle angesiedelt, an denen ein Blick nicht mehr subjektiv und noch nicht vollständig technologisch ist, ein Bild niemals vollständig medial und Sehen ganz gewiss nicht mehr natürlich.

Fatal wäre es in jedem Fall, diesen (imaginierten) "anderen" Ort durch einen Diskurs des Subjektiven zu konstruieren (oder zu retten versuchen) und die Koppelung, die maschinische Koppelung an die Systeme der Medien, der Technologie, der Apparate, "die sich zurückwenden", zu unterschlagen. Steven Shapiro hat diesen Zusammenhang so umschrieben. "Es geht nicht um unsere Anpassung an eine neue technologische Umwelt, sondern um die Erkenntnis, dass diese Technologie bereits unsere Anpassung ist." Selbst, wenn es also stimmt, dass Wahrnehmung als Zuschreibung eines Repräsentationsverhältnisses – die Definition einer "Ortes", an dem Wahrnehmung stattfindet und in Bedeutung übersetz wird – ein machtvolles gesellschaftliches Signifikationssystem darstellt, das im gleichen Zug, wie es seinen offensichtlichen 'Gehalt' kommuniziert (ein Bild, einen Gegenstand konstruiert) auch das ideologische Subjekt produziert (Victor Burgin), ist damit noch nicht beantwortet, worin dieses ideologische Subjekt besteht, wie es beschrieben werden kann/muss, noch, wodurch es letztlich produziert wird; und schon gar nicht wird dadurch der Begriff der Wahrnehmung selbst bestimmt.

Das Postulat, dass in diesem Text zu formulieren versucht wird, besteht darin, dieses "Wodurch" in einer Verschränkung von sozialen und medialen/bildmedialen Systemen/Maschinen zu sehen. Und dieser Verschränkung ist eine Form der Komplizenschaft eingeschrieben, eine "Fusion/Konfusion von Auge und Objektiv" (Paul Virilio), die die Bilder zu einer Grundlage kultureller Performanz werden lassen, und denen damit genau diejenigen Koppelungen und Verschränkungen bereits eingeschrieben sind, die hier eher umständlich zu skizzieren versucht werden. Es sind nicht unsere Blicke, die uns in Bildern entgegentreten, es sind immer auch die Bilder, die uns anblicken (und deren Ursprung damit immer auch woanders, d. h. außerhalb von uns selbst liegt).

Gleichzeitig muss allerdings darauf insistiert werden, dass dadurch die Frage nach der Macht in keiner Weise relativiert wird: auch, wenn im Zuge der Cultural Studies anzuerkennen ist, dass beinahe jede Form des Konsums immer auch eine Form der Aneignung und Produktion ist, sind dadurch die Parameter dieser Produktion nicht beschrieben, ist die Frage der Hegemonie und der Macht nicht entkräftet – wir sind immer auch Teil dieser Macht, die uns (beileibe nicht nur in Bildern) entgegentritt. Doch unidirektionale Zuteilungen sind im Bereich der Kultur ohnehin undenkbar: weder sind Bilder die einzigen kollektiven Schnittstellen zur Produktion von Öffentlichkeit, Geschichte und Politik, noch stellen sie den alleinigen Ausgangspunkt der Zirkulation von Bedeutung dar. Indem sie allerdings zugleich kulturell wie technisch bestimmt sind, lassen sich gerade aus ihren Diskursformationen heraus Strategien einer Kritik entwickeln und formulieren, eine Kritik allerdings, die sich immer auch gegen den Blick selbst richtet und vor allem gegen dessen Begehren, als Bild zu erscheinen.

Literatur
Oliver Fahle (Hg.), Störzeichen. Das Bild angesichts des Realen, Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften: Weimar 2003.
Tom Holert (Hg.), Imagineering. Visuelle Kultur und Politik der Sichtbarkeit, Oktagon: Köln 2000.
Wolfgang Kemp (Hg.), Theorie der Fotografei III. 1945 – 1980, Schirmer/Mosel: München 1983.
Henning Schmidgen (Hg.), Ästhetik des Maschinismus. Texte zu und von Félix Guattari, Merve: Berlin 1995.
Stephen Shapiro, Doom Patrols. Streifzüge durch die Postmoderne, Bollmann: Mannheim 1997.
Paul Virilio, Die Sehmaschine, Merve: Berlin 1989.
Herta Wolf (Hg.), Paradigma Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Suhrkamp: Frankfurt 2002.



© Reinhard Braun 2005

erschienen in:
can't see nothing, Wien: dreizehnzwei 2005 (Ausstellungskatalog)



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