TexteReinhard Braun |
Der Datendandy als Agent
"Über Baudrillards Bücher zu schreiben hieß ab da [dem Erscheinen der Fatalen Strategien], selber neue Theorien zu formulieren. Zusammenfassungen und Kritiken treffen immer beside the point." Was Agentur Bilwet (in den Niederlanden als "De Balie" aktiv) in einem Text in ihrem ersten umfassenden in Deutsche übersetzten Band Medien Archiv (MA) über Baudrillards schreiben (S. 250), läßt sich ebenso auf ihre eigene Textproduktion anwenden - und gleichermaßen bleibt, wie angesichts der Essays von Baudrillard, das Unbehagen, vielleicht der Attitüde einer ironischen und fröhlichen (viralen?) Theorie aufzusitzen, die entweder keine ist, oder die man zumindest in dieser Hinsicht nicht richtig verstanden oder interpretiert hat. "Nicht weil er ständig von Assoziation zu Idee zu Information zu Deduktion zum nächsten Satz schaltet, schreibt sich der Text wie von selbst weiter, sondern weil er abkoppelt, Brüche im Gedankengang, Denkunfälle und Diskontinuitäten verursacht. Beim Schalten gilt die Regel, daß aus dem einen das andere folgt, beim Abkoppeln lautet sie: nach dem einen etwas ganz anderes. Es geht nicht um Tiefe, sondern um Spannung. Die Analyse will keine Verbindungen herstellen, sondern unterbrechen." (MA, S. 272/73) Der Text bestimmt also selbst seinen fatalen Kurs. "Dabei hat jeder das Nachsehen, inklusive die Mischer selbst." (MA, S. 269) Erwartet man sich also Argumente, zusammenhängend entwickelte Ideen über Medien, eine Orientierung über deren Geschichte, Dimensionen, Implikationen, Auswirkungen oder ähnliches (wie das der Begriff des Archivs durchaus indiziert), wird man umweigerlich enttäuscht. Auch ist es nicht ratsam, den klassischen Weg durch das Buch einzuschlagen und auf Seite 7 beginnend sich derart durch zahlreiche, mehr oder weniger zusammenhängende Geschichten und Fiktionen rund um Medien zu arbeiten - besser ist es, das Inhaltsverzeichnis aufzuschlagen und sich nach Interesse quer durch das Buch zu lesen, denn sonst setzt sich die dargebotene spekulative, fiktionale und mitunter auch ernsthafte Wucherung an "Utopischen Theorieobjekten" ins eigene Denken fort, und: die Medien entschwinden als erstes völlig aus dem Blickfeld. "Jeder Satz ein offenes Ende - das reinigt nicht die Gedanken, sondern sie drehen durch." (MA, S. 269) Medientheorie geht in der Form, wie sie Bilwet betreibt, keine (kritische) Symbiose mit ihrem Gegenstand ein, sie will vielmehr "als parasitäre Theorie ihr Objekt aussaugen". (MA, S. 273) Denn: "Medien haben eine unüberschaubare Zahl an Aspekten, Möglichkeiten, Berechen- und Unberechenbarkeiten, keine Ideologie oder prinzipielle Tendenz." (Diedrich Diederichsen im Vorwort, S. 11) Darum scheint es Bilwet in jedem Fall sinnvoller, anstatt berechenbarer Ableitungen "woanders weiterzumachen, wo ein guter Gedanke aufgetaucht ist" (ebd.) - dementsprechend unzusammenhängend und heterogen gestaltet sich das "Medienarchiv", das "manische Interesse an einem paradigmatischen Splitter", wie es im 1995 erschienenen Buch Der Datendandy (DD, S. 8) formuliert wird, bildet die Oberfläche dieses Archivs, das daher schwer zugänglich erscheint, doch immer für eine gelungene Formulierung und eine scharfe Beobachtung gut ist. Und beide Bücher verstehen sich ohnehin als permanente "Probebohrungen" im Feld einer alles berührenden Medientheorie, die sogesehen längst zur Kulturtheorie geworden ist, kümmert sie sich doch um (scheinbar) so weit auseinanderliegende Dinge wie das Tagebuch von Leni Riefenstahl, den Körper als Topos und Mythos der Technologie des ausgehenden 20. Jahrhunderts, um Virilios Vorhersagen den Golf-Krieg betreffend, Probleme im Zusammenhang mit alten, neuen, aktuellen, intelligenten und normalen Medien, Krieger und ihren Medien sowie Fragen im Zusammenhang der Selbstrezeption, wobei eine immer wieder (ebenfalls bereits von Baudrillard skizzierte) Strategie aufscheint: "Das Schreiben über Medien muß sich im Netzwerk der Medien ansiedeln. Auch wer sich mit einer heroischen Geste außerhalb situieren möchte und die Allmacht der Medien verneint, bleibt eine unter vielen Mediengestalten." (MA, S. 14) Dennoch äußert Bilwet die "nagende Vermutung, daß nicht alles gecovered werden kann." (MA, S. 126) Die beiden Bücher nach ihren Positionen zu befragen oder auf eine (oder auch mehrere) Theorien hin zu analysieren (oder gar festzulegen), scheint müßig: was man findet, sind eine Unzahl (sich durchaus widersprechender) theoretischer Motive und Figuren, Assoziationen, Tatsachen, Spekulationen, Fiktionen, Lügen, alles an der Grenze zur Transparenz, einer Ironie, die gerade noch sichtbar bleibt - was aber ständig (sozusagen als eine Form des Zusammenhangs) greifbar bleibt, ist der Kontext der Texte, der nur sein kann: die Allgegenwart der Medien selbst. Ob als Droge, als "Zeichenmeister", als Waffe, als Illusion, als Werkzeug, als schwarzes Loch - Medien stecken für Bilwet den Horizont ab, in dem alles (auch noch so flüchtige) Denken, Handeln, Genießen und Verachten stattfinden muß, weil sie den Rahmen aller denkbaren Verschiebungen, Darstellungen, Aufzeichnungen von Information (und damit von Erkennen und Wissen) sind. Abgesehen von der Frage, ob sie wirklich Kommunikation ermöglichen, sind sie ein immer exklusiveres Tor zur Welt. Dieser televisionäre Raum ist Gegenstand unaugesetzter Befragung durch Bilwet, seine Erscheinungsformen werden nicht nur im Science-fiction-Film erkannt (und hier wieder vorzugsweise in den "Terminator"-Filmen James Camerons), sondern in allen grundsätzlichen Verhältnissen des zeitgenössischen Subjekts zu seinen Denkinhalten, Vorstellungsräumen, Handlungsmustern - analog zu McLuhan deuten sie jedes Medium als Intervention in ein Kultursystem, das sich beginnt, neu mit und um diese Intervention zu ordnen. Als unausgesprochene Zeitdiagnose liegt den beiden Büchern vielleicht noch die Ansicht zugrunde, daß die 80er und 90er Jahre noch einen Zeitraum darstellen, der von solchen Interventionen geprägt ist und dem folglich Prozesse der Um- und Neuformierung quasi an seiner (uneinheitlichen) Oberfläche abgelesen werden können, wenn man nur, und hier agiert Bilwet ebenso in McLuhanscher Tradition, auf die Formen achtet, mit denen neue Medien auftreten, und nicht, wie das sprichwörtliche Kaninchen, den Inhalten lauscht. Wenn man nach einer Methode bei diesen Beobachtungen sucht, findet man zumindest eine Operation, die Bilwet in ihrem theoretischen und literarischen Streifzug durch die Gegenwartskultur oft und gerne anwenden: Entfremdung (trotz aller Konnotationen dieses Begriffs mit prä-medialen Theoriekonstrukten): "Erst durch die Entfremdung wird die Phantasie zur Hermeneutik des Alltags gereizt." (MA, S. 49) Es geht um das Auffinden derjenigen Details, Umstände, Gewohnheiten, die in den Alltag eingebettet erscheinen, an denen sich jedoch die Bruchlinien abzeichnen, die die Medien quer durch die Kultur gezogen haben. Doch zielt diese Lust an der Hermeneutik trotzdem nicht auf die Formierung einer Theorie oder die Systematik von Erkenntnissen: "Alle Hoffnung, daß die Theorie noch ein erlösendes Wort bringen kann, muß dem Erdboden gleichgemacht werden." (DD, S. 216) Neben jenem Aufsuchen paradigmatischer Splitter stehen im Datendandy dennoch auch grundlegende und kollektive Fragen (allerdings wiederum ironisch) im Zentrum: Wird die Qualität des Lebens durch die Quantität an pulp, den die Medien ins Private transportieren, angegriffen? Oder ist die conditio video bereits jener post-humane Meta-Zustand, der sich souverän durch alle Medien switcht und die Bilder längst manipuliert, sie in seine Spielpraktiken einbezieht? Sind wir noch die knetbaren Massen der Medien, oder liegt der alltägliche Bildbrei bereits zu unserer ungehinderten Bearbeitung bereit? Ist also die techné bereits ein Freund fürs Leben? Oder können weder der große Überblick noch das erklärende Detail die Geistesverwirrung mindern, die aufgrund eines Übermaßes an Informiertheit eingetreten ist? (DD, S. 69 ff.) Diesen Fragen begegnen sie mit der von ihnen skizzierten Taktik des Datendandy: mit hedonistischer Lust am Fabulieren, an eleganten Formulierungen und harten Schnitten, mit flüchtigen Bemerkungen und Assoziationen, die situationell, ja parasitär erscheinen. Was Bilwet in ihren multiperspektivischen Texten hinterlassen möchten, "ist starke Geschichte, Brennstoff aller Medien und Hoffnung der Theorie" (DD, S. 80), ohne diese Hoffnung jedoch einzulösen. In jedem Fall distanziert sich Bilwet von jeder Form der Kritik, gegen die sie eine Strategie der Überrundung setzen, die "in aktuelle Medien nicht eindringen [will], sondern sie einholen, um sie selbstersonnenen Regeln zu unterwerfen." (MA, S. 34) Der Datendandy wird zum textuellen Agenten dieses Verwirrspiels um die Position des Autors, der diese Regeln ersinnen könnte, ein Alter ego, das quer durch alle Kontexte, Ausgangspunkte und Horizonte streift, dessen Persönlichkeit sich verflüchtigt, wenn der Stecker aus dem Netz gezogen wird, der Text endet, doch: "Wer spricht vom Siegen, überleben ist alles!" (MA, S. 131) "Zukunft, wir kommen!" (DD, S. 35) © Reinhard Braun 1995 erschienen in: Camera Austria 53/1995 |
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