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Texte


Reinhard Braun
Befreiung von der Architektur?

Im Denken über Architektur und Medien gerät man unweigerlich an einen paradoxalen Punkt. Selbst unter Berücksichtigung der permanent vollzo-genen Verschiebung des Begriffs der Architektur, ihrer (konzeptuellen) Entgrenzung ins Prozeßhafte, Variable, Diskontinuierliche usw., der Verlagerung ihrer Konzepte hin zu Modellen der Naturwissenschaft und diversen nachmodernen Wissenschaftstheorien, bleibt Architektur vom "Mal" der (wenn auch nur temporären) Manifestation gekennzeichnet, bleibt sie eine (vorläufige) Besetzung, Auszeichnung oder Markierung einer spezifischen Stelle, eines Ortes, bildet sie um diesen Ort einen je spezifischen Raum von unterschiedlicher Komplexität, Struktur und Dimension. Dieser Ort und seine räumliche Überblendung und Einfassung hat allerdings eine Verschiebung in seiner Vorstellung erfahren: vom Gehäuse, dem Monument, der Maschine, dem Apparat, dem Vehikel und Konglomeraten aus solchen Metaphern hin zu einem offenen System, einem (auch tempora-lisierten) System-Raum: Kommunikation, Rezeption, diverse Transfers durchziehen diesen Raum und bilden sich in seinem Konzept ab, wodurch er immer auch ein Raum diverser Sozial- und Kulturtechniken ist. Ein System von Objekt-, Subjekt-, Zeichen- und Bilderströmen entsteht, die entlang von architektonisch bestimmten bzw. zu bestimmenden Koordinaten ständig bewegt, transportiert, ausgetauscht, generiert, absorbiert, verborgen oder exponiert werden. Architektur hat zahllose Diskurse der Repräsen-tation, der Produktion, der Ware, des Zeichens etc. absorbiert. In diesem Begriff der Architektur als Feld, als System-Feld, scheint aber bereits der Begriff der Medien durch (die sich ebenso zahllose Diskurse angeeig-net haben und einen vergleichbaren Meta-Diskurs darstellen). Deren "Architektur", die Strukturen ihrer Ausstrahlungen, Verbreitung und Verschaltung erzeugt ebenso ein komlexes Feld von Informations- und Datenströmen. Dennoch handelt es sich um völlig divergierende Konzepte des Ortes und um den Ort, um die es auch in diesem Text geht. Als entscheidend wird dabei nicht nur die jeweils konkrete Manifestation von Orten und Räume angesehen - die im Rahmen der Medien ohnehin nur metapho-risch als solche beschrieben werden können -, sondern es wird der operationale Aspekt des jeweiligen Ort- und Raumbegriffs im Vordergrund stehen, d. h. der funktionale und manipulative Ort, den der Begriff vom Raum jeweils einzunehmen imstande ist.

Architektur - und mit diesem Begriff wird hier sozusagen immer auf den konkreten Ort, den Architektur (spätestens) bei ihrer Realisierung bildet, referiert, d. h. es geht dabei immer um Räume, "die es gibt" und die man "betreten" kann, sei es auch nur im Nach-vollzug einer konzeptuel-len Idee -, und das erscheint als eine der Vorraussetzungen für die fol-gende Argumentation, Architektur ist nicht in der Lage, einen bestimmten Abstraktions-grad im Hinblick auf den Raum quasi zu unterschreiten, vor allem in bezug auf jene prozessualen Zeit-Verdichtungen, die im Rahmen der Medien als "Ort" oder "Raum" bezeichnet bzw. umschrieben werden können. Diese flottierenden und immateriellen Begriffe des Ortes und des Raumes, wie sie durch Radio, Fernsehen, Video, Datensysteme etc. gebildet wurden und noch gebildet werden, sind von Architektur nicht zu besetzen, denn alle architektonischen Konzepte "gruppieren" sich letzt-lich um konkrete Manifestationen, Eingriffe und Fixierungen, vor allem im Hinblick auf die Korrelation mit dem Subjekt: es sieht sich im Rahmen von Architektur immer der konkreten Erscheinung eines Raumes gegenüberge-setzt. Architektur bildet somit eine Verortung und Konkretion von Erschei-nungen, die die Medien - fast möchte man meinen: per se - nicht kennen. Deren ephemere visuelle und/oder akustische - und damit synästhe-tische - Effekte sind im wesentlichen nicht materialiter zu verorten: sie sind eben nicht in Speichermedien oder im Rahmen ihrer Erscheinung lokali-sierbar, wohingegen Architektur nach wie vor ein solches Speicher-medium darstellt. Dennoch lassen sich Parallelen zwischen Mediensystemen und architektonischen Systemen ziehen, allerdings nur bis zu jenem Punkt, an dem die Medien die Ordnungen verlassen, in denen sich noch Architekto-nisches ereignen könnte. Diesen Punkt möchte ich mit dem Begriff der "Befreiung" bezeichnen, und dieser Begriff richtet sich wesentlich nicht auf Architektur oder Medien, sondern zur Gänze auf das Subjekt. Vom Subjekt aus vollziehen sich die Transformationen innerhalb der gegenwär-tigen Kultur, die sich nicht gegen das Architek-to-nische richten, die es allerdings (zeitweise) aus den Augen zu verlieren scheinen. Dieser Begriff der Befreiung rekurriert auch und gerade auf jene flottierende Para-Präsenz bzw. Nicht-Verortbarkeit, die Mediensysteme inaugurieren und mittler-weile strategisch flächendeckend vorantreiben. Im Umfeld dieses Begriffs der Befreiung finden sich dementsprechend (auch) Vorstellungen bezüglich der prinzipiellen Erfaßbarkeit, Repräsentierbarkeit und Determinierbarkeit des gegen-wärtigen Subjekts: die Befreiung ist nicht primär eine, die sich auf Konzepte des Raumes bezieht, sondern vor allem im Bereich psychischer, psychoanalytischer, politischer und sozio-technischer Diskurse ihren Ausgangspunkt genommen hat. "Befreiung" - und die Anführungszeichen dienen nicht allein der Auszeichnung des Begriffs - beschreibt die Situation des Subjekts als konstitutiv gespaltenes und pluralisiertes, dadurch aber auch als von einem bestimmten und bestim-menden Diskurs - der Ethik, der Politik, der Religion etc. - entledigtes: die grundlegende Subversion, die Freud im Hinblick auf seinen noch homologen Begriff der Kultur dem Unbewupten des Subjekt attestierte, spleißt sich gegenwärtig in zahllose Diskurse der Subversion auf, die sich wiederum auf zahllose (Mikro-) Aspekte der gegenwärtigen Gesell-schaft richten. Und innerhalb dieser multiplizierten Diskurse um die Gesellschaft und das Subjekt zirkuliert letzteres als unter-schied-lich beschriebenes und erfaßtes inkonsistentes "Modell" - eine Situation, die sich mit dem Begriff des "fraktalen Subjekts", wie Jean Baudrillard ihn eingeführt hat, durchaus beschreiben läßt. Diese Ent-Stellung des Subjekts in bezug auf seine soziale, politische, spirituelle und sexuelle Positionierung paraphrasiert schließlich auch seine konkrete räumliche Positionierung: die Orte seiner Gegenwart und Erfahrung sind längst nicht mehr nur jene, in denen es agiert, weil sich in der Unmittelbarkeit des Lebensvollzuges, im konkreten Hier-und-Jetzt die Bedeutungen und der Sinn nicht vollziehen und vollenden, sondern nur als Fragmente und Montagen von diffusen und sich ausdifferenzierenden Diskursen aufscheinen. Dis-kurse, die eminent von den Medien erfaßt worden sind und deren Vollendung und Vollzug dort simuliert und suggeriert wird. Die konstitutiven "Orte", an denen sich Sinn und Bedeutung (wenn auch nur als Fiktion) vollziehen, sind damit zunehmend jene, in die hinein es operiert und von denen aus es massiv und suggestiv beeinflußt und schließlich erfaßt wird: die fiktiven Räume der Medien bzw. ihre Erscheinung auf diversen medialen Oberflächen (als Orte der Repräsentation wie der Intervention).

Dieser Entortung des Subjekts entspricht weitestgehend die Ideologie der medientech-nischen Expansion der letzten hundert Jahre: diese richtete sich sozusagen primär auf bzw. gegen den Ort, gegen die definitive und unauflösliche Verkoppelung von Ereignis und Schauplatz. "(...) nämlich die Technologie zu sehen als Sprache des Abwesenden, als Fortsetzung der Schrift. (...) Die Symbolbildung, die Abstraktion zur Symbolbildung, die Überwindung des Territoriums ist der Ursprung von Schrift und Technolo-gie." Die Mobili-sierung der Töne und Bilder entspricht somit einer Mobilisierung der Erscheinungen und Ereignisse jenseits der Schauplätze (und Kontexte). Medientechnisch gesehen unterliegt der Ort dadurch einer Operationalisierung durch den Zugriff auf seine grundsätzliche Konsti-tution: Handlungsfeld zu sein, ein genuiner und in der Zeit einmaliger Schauplatz von Ereignissen (und damit auch von symbolischen Strukturen, die in der Sprache solcher Ereignisse vollzogen werden, oder besser: sich vollziehen). Die ansprechbaren Orte, die Taten und Handlungen bildeten eine Topografie, innerhalb der Geschichte erst denkbar werden konnte als Rekonstruktion solcher identifizierbaren Handlungen und Handlungs-abläufe. Dieser Kontinuierung der Orte und Räume als Geschichtsraum entgegen vollzogen sich allerdings die medientechnischen Entwicklungen als prin-zipielle Diskontinuierung auch der Koordinaten des Geschichtlichen. Bereits Walter Benjamin kennzeichnete die ersten Erfahrungen mit be-schleu-nigten Bildern und ihrer Rezeption mit dem Begriff der Zerstreuung.

Indem sich Medien also gegen jene Topografie richten, die eine Beschrif-tung nicht nur des Raumes, sondern auch der Zeit bildet, und die Konfi-guration von Erscheinung, Schauplatz und Zeitpunkt aufzulösen beginnen, produzieren sie nicht nur eine sekundäre Topografie, die jene primäre des Ortes, der Zeit und damit der Geschichte überlagert, sondern eine spezi-fische mediale Topologie, einen völlig neuen Logos des Ortes, der jetzt eine unter-schiedliche Strukturierung dieser Verschaltungen von Ort, Zeit und damit auch von Bedeutung und Sinn einführt und mit diversen (linea-ren) Beschriftungen der Welt im Rahmen von prä-medialen Kulturtechniken nichts mehr zu tun hat. Diese sekündäre Topologie (jenseits der Orte und ihrer Zeitpunkte) richtet sich damit auch gegen die Ordnung des Symboli-schen und ihre Konstitution (analog der Sprache bzw. der Signifi-zierungen durch die Sprache) bzw. errichtet sie eine andere Konstituierung des Sym-bolischen innerhalb der Medien selbst. Wie die Sprache, die Schrift, das Sprechen und das Bild wird auch das Symbolische von dieser Diskontinuie-rung und Entortung erfaßt: der Ort, von dem aus das Subjekt gesprochen wird, ist nun nicht mehr als Leerstelle im Unbewußten des Subjekts selbst anzusetzen, sondern bereits als Entäußerung zu beschreiben, als Leer-stelle innerhalb der Medien, an der sich das Begehren jetzt artikuliert . Und aufgrund dieses Diffundierens des Begehrens ist diese Situation auch im gegenwärtigen Zusammenhang interessant: an ihr wird exemplarisch "einsichtig", daß fundamentale Ansprüche des Subjekts gegenüber der Welt beginnen, ihre Ordnung zu wechseln, sich vom Subjekt als metabolischer Koordinate innerhalb eines kontinu-ierlichen und kontinuierenden Raumes hin zu einem prinzipiell diskontinuierten, diskontinuierenden, operablen und damit disponierbaren und verfügbaren Raum verlagern - das Subjekt steht angesichts der Medien einem "Bild", besser: einem Erscheinungsfeld gegenüber, in dem auch sein eigenes Begehren positioniert ist, und erlebt dieses Begehren jetzt als disponibel und verfügbar. Die Befreiung hat also nicht nur die Säkularisierung der Psyche, die Sexualität sondern auch das Begehren hinter sich gelassen. Diese Verkehrung der Determinie-rung des Subjekts vollzieht sich dement-sprechend auch an den Vorstellun-gen vom und den Ansprüchen an den Raum: auch dessen konstituierende Ebenen für die Ver- und Einfassung des Subjekts wird verkehrt und disponibel. Der konkrete Ort, der je spezifische Raum ist keine Dimension mehr, die über das Subjekt verfügt. Sein von den Medien geprägter Anspruch auf unmittelbare Überschreitung und Entgrenzung des Hier-und-Jetzt richtet sich auch gegen seine architektonische Fixierung.

Mediale Gegenwärtigkeit und "Erscheinung" sind gegenüber einer solchen (wenn auch nur punktuellen) Fixierung durch paradoxe und damit operable (räumliche und zeitliche) Multiplizierungen bei gleichzeitiger je konkre-ter Präsenz und Gegenwärtigkeit gekennzeichnet, durch einen multiplen und latenten Zugriff der Medien auf den Raum (paradigmatisch bereits in Form der Radio-Sendung). Jeder Ort ist potentiell ein Ort, an dem sich Medien-Präsenz ereignen kann, womit kein Ort mehr eine Exklusivität besitzt: jede Rezeption ist immer dezentral und fragmentarisch. Ereignisse (und damit Fakten) sind latente Eigenschaften jedes Ortes geworden. Mit diesem zunehmenden Aufgeben des klassischen Ortes als räumlicher Schnittstelle und damit als einmaliger und ausgezeichneter Ort innerhalb eines Territo-riums geht der Verlust einer Unmittelbarkeit im Verhältnis zum uns umge-benden Raum einher: wir schalten Ereignisse, Informationen usw. beliebig diesem unserem Raum zu oder isolieren ihn (temporär) von jeder medialen Invasion - potentiell und latent jedoch befinden wir und permanent im Feld der Medien und der durch sie produzierten Effekte; sie sind noch abwesend gegenwärtig. Der Eingriff des Subjekts erscheint dabei als Aktualisierung dieser latenten Gegenwärtigkeit und damit als operative Verfügung über die Präsenz der medialen (Raum- und Sinn-)Erscheinungen.
Der Raum ist jetzt nicht mehr einer des Objekts, seiner Erscheinung und Plazierung, ein Raum des Subjekts, seiner Wahrnehmung und Handlung, d. h. ein Raum, der die Kontinuität zwischen der Sphäre des Subjekts und jener des Objekts fortführt, eine Kontinuität zwischen Ursache und Wirkung, Produktion und Rezeption herstellt und garantiert, ein Raum, in dem sich sowohl Ereignisse/Objekte und deren Bedeutung und Sinn ereignen bzw. aufeinander verweisen. In dieses Kontinuum der Bedeutungen und des Sinns blieb das Subjekt noch integriert. Der klassische Raum ist einer, in dem sich die Bedeutung erfüllt, in dem der Sinn signifiziert und zugleich rezipiert wird: ästhetische wie semantische Kontinuität garantieren dafür, daß der Raum ein "Etui" für das Subjekt, die Objekte und die Bedeutungen beider bleibt. Dagegen zeichnet sich in medialem Zugriff und medialer Repräsentation eine Entkoppellung von "Gegenstand", Ereignis und Wahrnehmung ab, ein Übergang vom kontinuierlichen und erfüllten Raum, vom einheitlichen ästhetischen Feld zu partiellen und diskontunuierlichen "Effekten", zu Sinn- und ästhetischen Fragmenten - jede Gegenwärtigkeit bleibt Fragment innerhalb dessen, was Medien als Rezeption potentiell entwerfen (allerdings erscheinen diese Fragmentierungen als Inszenierung einer Geschlossenheit, in der sich die Bedeutungen sozusagen selbst darstellen - die "objektiven" Medien). Die "Gegenstände" und somit auch der Raum existieren auf einer völlig anderen Ebene wie das Subjekt - es hat letztlich keinen Zugriff auf die Sphäre jener "Gegenstände", denen es sich ausgesetzt sieht; es besteht keine Kontinuität zwischen dem Ort und dem Raum des Subjekts und den medialen Erscheinungen, sie besitzen keine einheitlichen Koordi-naten mehr; eine prinzipielle Distanz ist installiert - es sein denn, das Subjekt katapultiert sich mit Hilfe diverser techno-logischer Prothesen mitten unter diese Chimären von Ereignis, Präsenz und Raum, d. h. es sei denn, es vollzieht seine Befreiung aus seinen Koordi-naten und "begibt" sich in die Systeme - was sich auf dem Gebiet inter-aktiver Systeme abzuzeichnen beginnt.

Diese - hier nur skizzierte - Situation spiegelt somit eine umfassende "Transformation des Territoriums" , eine Neuorganisation der gesamten Topografie und ihrer immanenten Relationen und damit auch eine Neufor-mulierung der Postion des Subjekts innerhalb der neuen "Topologie". Die Telegrafie hatte erstmals in der Verschaltung großer Entfernungen eine Relativierung der Distanz eingeführt; der Funk hat diese Relativierung sozusagen von einem materiellen Träger unabhängig gemacht und die Grund-lage für eine Visualisierung der Topografie geschaffen: das Radar bedeu-tet bereits das potentielle Ende jeden Verstecks für ein Objekt und markiert gleichzeitig den endgültigen Übergang zum Infor-ma-tionsbegriff - jede noch so durchschlagskräftige Waffe ist (beinahe) wertlos, wenn ihr Einsatz gleichzeitig Informationen für den Gegner produziert (d. h. wenn sie rechtzeitig entdeckt, aufgekärt, wird). Strategie richtet sich nicht mehr auf die effiziente Besetzung der Topografie, des Raumes, sondern in der Abwehr seiner radikalen Durchdringung und Entbergung, d. h. im Verbergen und der Dissimulation (und diese Transparenz des Territoriums wird gegenwärtig massiv auf das "Territorium" des Subjekts ausgedehnt). "Die Grenzen von Nationalstaaten sind im Zeitalter globaler terrestri-scher Reichweiten und Frequenzen, im Zeitalter orbitaler Satelliten zum Verschwinden verurteilt." Paraphrasierend läßt sich hinzufügen, daß auch die Grenzen des Subjekts im Zeitalter nano-technologischer Durchdringung aller Materie zunehmend zum Verschwinden verurteilt sind. Desgleichen gilt für den Raum; nicht, das er buchstäblich verschwindet, er ändert aber radikal seinen Status innerhalb informationeller Operationen, d. h. seinen Ort im System der Kultur: es steht jetzt seine Kompatibilität und Konvertierbarkeit im Rahmen von (telematischen) Techniken zur Disposi-tion, Techniken, die sich längst auch zu eminenten Kulturtechniken entwickelt haben. Vor allem auch anhand der Warenproduktion und -distri-bution und all ihrer Kontexte läßt sich diese Ersetzung der strategischen Funktion des Ortes und des Raumes durch mediale Prozesse und Systeme skizzieren. Es sind also in zunehmendem Maße diese medialen Kanäle, die zu Transporteuren und Repräsentanten von kollektiven Vorstellungen und kollektivem Bewußtsein werden, zu Fäden, zu einem Gewebe, einem System, das schließlich auch als relevante, weil effektive und affizierende Öffentlichkeit fungiert, weil "es spricht", weil "es sich ereignet", nicht das Subjekt spricht oder handelt. In diesem mediatisierten "Raum", der in dieser Exzentrizität gegenüber dem Subjekt als vollständig technologische Sphäre erscheint, findet sich schließlich das Subjekt zunehmend angesiedelt und operierend - und verliert sukzessive den architektonischen Boden unter den Füßen.

Indem es also nicht nur um die Destituierung der Orte und ihrer Ereignis-se geht, sondern auch um die grundlegende Destituierung des Subjekts als Fokus solcher Ereignisse und Schauplätze, wird die Frage nach dem Ort und auch dem Raum durch die Frage nach dem Standpunkt des Subjekts (vorläu-fig) abgelöst. Indem es sich in und über die Medien beliebige (fiktive) Schauplätze zu halluzinieren und sich in zuneh-mendem Maße auch in diese einzuschleusen imstande ist, positioniert es sich selbst zunehmend außerhalb und neben konkreten Architekturen, ihren Orten und Räumen. Dies meint der Begriff der Befreiung: die Entortung des Subjekts gegenüber seinen konkreten Erfahrungen am konkreten Ort, der dabei zunehmend aus seinem Blickwinkel verschwindet bzw. auf den Medienoberflächen als Abbildung wiederkehrt und dabei seine Ordnung wechselt. Läßt sich der traditionelle Ort noch als eine räumlich definierte Koordinate von unter-schied-licher Ausdehnung und Komplexität skizzieren, in jedem Fall aber als Schnittpunkt von Bewegungen, Aktionen, Repräsenta-tio-nen usw., als Stelle einer Konzentration, auf die hin verschiedene Strategien konvergieren, auf die hin sich diverse Projektionen richten, dann läßt sich an dieser Skizze die Verschiebung ablesen: bereits Robert Venturi und Denise Scott Browns 1972 erschienenes "Learning from Las Vegas" definierte den (auch architektonischen Raum) bereits indirekt von den zahllosen Plakat- und Werbeflächen her, die seine eigentliche Ober-flä-che zu werden begannen. Doch auch diese Analyse des Stadraumes und damit der architektonischen urbanen Konzepte erfaßte ihn als Projektions-raum der Waren und folgte damit einer Logik des Objekts und seiner Fetischisierung. Doch gerade diese Logik des Objekts (und seiner konven-tionellen Zeichensysteme) wird durch die Medien unterschritten - die gegenwärtigen Projektionen drehen sich um eine Fiktionalisierung auch des Zeichens und richten sich primär nicht auf den (Stadt-)Raum, sondern auf das Subjekt als "mentale Oberfläche". Wohl bilden nach wie vor Werbeflä-chen und diverse visuelle Signalflächen eine Hülle der Bestrahlungen des Ortes, die ihn noch als öffentlichen und für Öffentlichkeit relevanten Schauplatz inszenieren, doch die wirklichen Oberflächen des Begehrens sind in die Medien abgewandert, Medien-oberflächen haben die Bestrahlung des öffentlichen Raumes ersetzt und sich selbst zu öffentlichen Oberflä-chen umgebildet. Parallel dazu haben sich auch die Besetzungen der priva-ten wie der öffentlichen Innenräume zu Schaltstellen innerhalb solcher ent-objektivierter Zeit- und Zeichenstrukturen umgebildet: Wohnen etwa bedeutet nicht mehr primär den Entwurf und die Fixierung einer Privat-sphäre und somit einer Konstante der Bergung des Subjekts, sondern zunehmend die Idee einer flexiblen funktionalen Korrelation zur diskon-tinuierlichen Befindlichkeit des Subjekts im Rahmen seiner sozio- und kulturtechnischen Media-tisierung. Im Vordergrund stehen effiziente Regeneration und kontinuierendes Ange-schlossen-Sein an diverse Informa-tionskanäle, prototypisch bereits im "Transformator House" von Cedric Price (1976) realisiert. "der elektrische mensch hört nicht mehr radio - er ist selbst radio: gleichzeitig auf empfang und ausstrahlung geschal-tet. als zeichen seiner existenz zeichnet er damit seine spuren auf den datenhintergrund. im zeichnen der zeichen liegt seine existenz begründet (auf video, bankomatkarte, telefon, fax, pc, etc.). gleichsam in aner-kennung der elektrischen schaltkreise in seinem eigenen organismus, lädt sich der 'radioman' mit mobilen elektronischen rechenmaschinen, uhren, daten- und diktiergeräten, walkman, mobiltelefon, elektronischen such-geräten, laptop, notebook, etc. auf. batteriegestützt bildet er um sich die postmoderne aura einer postmodernen omnipräsenz. strahlend wie das waschmittel 'radion' ist sein äußeres, eingebettet in die elektronische gemeinschaft des datenhintergrundes sein inneres. er selbst ist ein lichtpunkt (pixel) im raum der oberflächen, der 'computerplanes', der vordergründe, hintergründe und image-planes. in sie taucht er ein, um zu verschwinden und um woanders als ein anderer aufzutauchen. als lichtpunkt hat der 'radioman' in permanenz die form des flucht-punktes angenommen." Diese Konzentration auf das Subjekt in und durch die Miniatu-risierung seiner vielfältigen Prothesen, wie es hier von Richard Kriesche drastisch formuliert wird und wie sie die Umgebung des Subjekts zu einer Rander-scheinung seiner medialen Verschaltung werden läßt, rückt die Frage nach dem Ort und dem Raum vollends aus dem architektonischen Diskurs (und damit auch weg von den architektonischen Oberflächen - selbst der "Medienarchi-tekturen").

Damit ist allerdings nicht gesagt, daß der Ort im buchstäblichen Sinn sowie als Metapher für die Konfiguration eines Lebensraumes oder für Teile aus einer solchen Konfiguration - die Beschriftung einer Topografie durch die Handlungs- und Bewe-gungsformen des Subjekts, seine Struktur, die an den Begriff der "Figur" bei Roland Barthes erinnert - ver-schwindet und sich auflöst, denn die Montage von diversen Ortsbesetzungen bilden nach wie vor das Gerüst des Subjekts in seinen täglichen Besiedelungen und Aneignungen des Umraumes. Aber sie bilden (längst) nicht mehr das einzige (und/oder bestimmende) Gerüst. Der Ort ist nichts, das am Ver-schwinden wäre - er stellt allerdings zunehmend eine Erfahrung dar, die sich eminenten Überla-gerungen und Interventionen ausgesetzt sieht: durch jene "anderen" Orte, in die sich das Subjekt mit zunehmender Häufigkeit "begibt", und die von den Medien entwor-fen, inszeniert und verschaltet werden, Orte, die letztendlich nur als Nicht-Orte zu bezeichnen sind. Und diese Orte liegen gegenwärtig noch außerhalb eines mög-lichen Blickfeldes eines Aufzeichnungssystems: die Medien selbst sind nicht in der Lage, sich selbst abzubilden (und diesbezüglich nicht operationalisierbar, d. h. der klassische kritische Standpunkt gegen-über den Medien erscheint äußert fragwürdig). Obwohl also tendenziell alles zu einem Gegenstand der Aufzeichnung und / oder Erfassung geworden zu sein scheint, entstehen medienimanent Überlagerungen und Verdichtungen, die sich (metaphorisch) als Orte beschreiben lassen, nicht aber als solche abbildbar sind.

Der elektronische Raum - so möchte man sagen - erscheint also nicht in seinen Erscheinungen wie der archetiktonische: seine Präsenz erleidet sozusagen einen permanenten Mangel; doch dieses Nicht-Erscheinen trägt zur Kennzeichnung dessen bei, das da als Suggestion eines Ortes, eines Schauplatzes (Radio, Fernsehen, Videosysteme, Mail-Box, Picture-Phone etc.) "erscheint": medial transferierte oder generierte Ereignisse sind keine Objekte, haben keinen Widerstand, sondern nur einen temporären und temporalisierten Kontext, der in jedem Fall der Rahmen dessen bleibt, was da geschieht oder erscheint. Der elektronische Raum als Metapher für diese Konfiguration ist also zuallererst durch seine Abwesenheit, die eine Anwesenheit produziert, gekennzeichnet. "So verweist auch jede Gegenwart technischer Konfiguration auf eine apresente techné, die uneinholbar und vorgängig bleibt, so daß von ihr aus erst das problema-tische Feld differentieller Technik-ver-hältnisse spurengesichert werden kann."

Als Funktionalisierung und Operationalisierung des Abwesenden haben die Medien also Bedeutung und Sinn jenseits jeder Kontinuität von Raum und Zeit etabliert, sind Raum, Zeit und Ereignis disponier- und montierbar geworden. Im Vordergrund steht keine Kontinuität im realräumlichen Sinn, sondern lediglich im Sinn einer je spezifi-schen Kontextualisierung. Durch die zunehmende Erfassung des Subjekts durch Mediensysteme und seine Diffundie-rung in die medialen Räume - als vorläufiger Höhepunkt die verschiedenen Strategien der Virtual realities -, d. h. seine analoge Erfassung und Verarbeitung als Abwesendes, entkoppelt sich das Subjekt in einer Verdoppellung der medialen Distanz zur Realität immer mehr von real-räumlichen Kontexten, zu denen die Architektur in jedem Fall zu zählen ist. Es ist ein Zustand des Subjekts zu konstatieren, der sich zum Teil in Allmachts-Fantasmen artikuliert, wie sie etwa von Florian Rötzer auch gegenüber der Architektur als Anspruch formuliert werden: jederzeit veränderbar, reversibel, aufgebbar zu sein. Er zieht eine Parallele zum digitalen Bild im Allgemeinen, das immer weiter verändert werden kann und sich jeder Fixierung entzieht, damit auch jeden Widerstand gegenüber dem Subjekt aufgibt. Analog dazu bieten Virtual realities das Fantasma, jede beliebige Gestalt anzunehmen, jeden beliebigen Ort zu erreichen oder zu besetzen. "So wäre der Ort, an dem man sich befindet, gleichgültig geworden." Diese Ansprüche an medientechnische Vorrichtungen, alles manipulieren und über alles verfügen zu können, markiert genau jenen Punkt der Befreiung des Subjekts, wenn es nicht mehr "im Hier und Jetzt mit seinen beschränkten Möglichkeiten eingesperrt" ist. Das Subjekt entzieht sich unter dieser technologischen Aufrüstung jeder Ordnung, die den Anspruch noch erhebt, es zu fundieren, zu beschreiben und zu reprä-sentieren. Das Subjekt ist auf dem Weg, sich sein Begehren zu realisieren und permanent sich selbst zu projizieren, sich zu spiegeln und die Ebenen seiner Repräsentation zu konstruieren: dieser Strategie der "Befreiung" steht Architektur allerdings entgegen. Sie etabliert gerade eine Ordnung, der sich das Subjekt sozusagen auszusetzen hat, die einen Widerstand ausübt und die dem Subjekt vor allem bestimmte Positionen in der Erfah-rung und Aneignung zuweist, weil sich Architektur nur realisiert, wenn sie sozusagen ihre Räume definiert und "beherrscht". "(...) der reale Ort der Begegnung wird bei der Telekommunikation unwichtig, d. h. der topi-sche Aspekt tritt in den Hinter-grund gegenüber dem teletopischen, die Einheit von Zeit und Ort teilt sich auf in Sender und Empfänger der Signale, die durch die Errungenschaften der elektromagneti-schen Inter-akti-vitäten gleichzeitig hier und dort sind. (...) Damit liegt der "tele-visuelle Horizont" einzig und allein in der Gegenwart der Sendung." Demgegenüber etabliert Architektur gerade die Einheit von Ort, Zeit und Erfahrung (wiewohl die Zeit nicht mehr in der klassischen Form als lineare und kontinuierende den Architekturkonzepten zugrundeliegt): die je konkrete und nicht manipulierbare Erfahrung einer Raum-Konstellation läßt sich nicht unterschreiten. Wenn eingangs die Parallelität zwischen architektonischen Konzepten und Mediensystemen erwähnt wurde, so hat die Architektur an dieser Konkretion der räumlichen Erfahrung - selbst reduziert auf die Metapher des Containers - sozusagen ihren Grenzwert.

Es geht weder um das Ende der Architektur oder des Subjekts, noch um die Euphorisierung der medientechnischen Möglichkeiten und Fantasmem. Es geht lediglich um die Beschreibung, weniger die Analyse, einer eminente Dicho-tomie, die sich in der gegenwärtigen Kultur abzeichnet, die gleichermaßen materielle wie immaterielle Räume von zunehmender Komplexität entwickelt, die sich wiederum überlagern und aufeinander beziehen, Räume, in denen das Subjekt zunehmend, allerdings als je unterschiedliches, präsent ist: als "Phänomen" innerhalb der Medien ist es denselben Abtastungen und Transformationen unterworfen, die durch diverse Interfaces an prinzipiell jedem externen "Ereignis" vollzogen werden. In bezug auf die Architektur erscheint es immer noch als "klassisches" Subjekt, als Konglomerat von ästhetischen Rezeptions- und Erlebnismustern, mit denen es selbst den Umraum sozusagen abtastet und klassifiziert. Innerhalb dieser Spaltung des Subjekts geht es wiederum weder um die Rettung seiner "authentischen" Position innerhalb seines Umraums oder um eine Rettung der Architektur als Rahmen solch einer Re-Authentisierung des Subjekts. Es geht, wie eingangs erwähnt, um die Beschreibung der möglichen funktionalen Stellung von Raumvorstellungen und -begriffen innerhalb gegenwärtiger Kulturtech-niken, und das heißt: im Rahmen einer durchgängigen Mediatisierung, wie sie die Vorraussetzung jeder Beschreibung einer hochtechnisieten Kultur heute bildet. Da es um völlig unterschiedliche Diskurse in der Produktion und der Erfassung des Raumes geht, sieht sich das Subjekt hier einer immanenten Spaltung ausgesetzt: im Rahmen der Medien halluzieniert es zunehmend über beliebige Fiktionalisierungen seine Positionierung in der Welt, im Rahmen der Architektur begegnet es einem Widerstand des Objekts und seiner Ordnungen, von denen es sich im Laufe der letzten fünfzig Jahre zunehmend entfernt und emanzipiert hat. Für die Architektur eröffnet sich dabei eine Spekulation über mögliche "Faltungen" in ihrem Inneren wie Äußeren, die einen Punkt eröffnen, an den Architektur selbst nicht hinreicht, sich nicht abbildet oder verdoppelt. Das heißt mithin, einen Ort zu konstruieren, den sie selbst nicht kennt. Die Integration einer Negation der Architektur als architektonische Komponente jenseits aller Ruinen- und Dekompositionsagitationen eröffnet möglicherweise eine strategische Navigation des Subjekts, die ihm punktuelle "Verstecke" bietet, an denen es seine Verfügbarkeit auch über den architektonischen Raum zu vollziehen in der Lage ist. Die Frage bleibt allerdings, ob sich Architektur dieses Widerstands gegen ihre Operationalisierung begeben soll.



© Reinhard Braun 1994

erschienen in:
Stephan Schmidt-Wulffen, Bar-bara Steiner (Hg.), "In Bewegung. Denkmodelle zur Veränderung von Ar-chitektur und bildender Kunst", Schriften des Kunstvereins in Ham-burg, Oktogon: Stuttgart 1994



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