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Featuring
¬ Herwig Turk

Reinhard Braun
Jenseits der Zeit und des Körpers

"Schließlich sind das Vordringen der Technologie in den Körper und die Vergesellschaftlichung der simulierten Realitäten mehr als Zeichen technologischen Fortschritts, sie stellen auch eine radikale Transformation des Wissens, der Biologie und der kulturellen Ordnung dar, in der Wissen mit Ideologie, Biologie oder Identität verbunden wird, wobei dies in der Form eines technologischen Imperativs geschieht, der nicht unbedingt mit Notwendigkeit zu tun hat. (...) Dieses infologische System - das auf die Beherrschung des Seins ausgerichtet ist - konzentriert sich nicht mehr nur auf Systeme (...), sondern auf das Rechnen als Apriori."1

"Der Gebrauch informationeller Metaphern hat dazu geführt, die Vorgänge im Zellinneren in 'Analogie zum Kopier-, Speicher- und Zeichenverarbeitungsautomaten, kurz: dem Computer' zu begreifen. Etwa indem man davon spricht, daß der Stoffwechsel in den Genen 'programmiert' sei. Was liegt näher, als ihn mittels Gentechnik 'umzuprogrammieren'?."2

Der menschliche Körper war immer schon eine Konstruktion, ein Produkt geistesgeschichtlicher wie technologischer Konzepte, eine Oberfläche für Fantasmen, ein funktionales Vehikel, das durch technische Modelle und Apparate nicht nur beschrieben, unterstützt, erweitert, sondern durch diese immer miterzeugt wurde - seine Gestalt, die Wahrnehmung seiner Gestalt, die Zerstreuung seiner Gestalt ist eine Folge zahlloser kulturtechnischer Operationen und Projektionen, denen der Körper permanent ausgesetzt war, durch die er sozusagen permanent beschriftet und umgeschrieben wird. Nicht nur sind Wahrnehmung, Erinnern, Denken und Fühlen historisch-kulturell definiert, schon der Körper selbst ist ein diskursives Produkt, bzw., wie es Donna Haraway ausdrückt, das Fleisch selbst ist ein diskursives Produkt, an der Nahtstelle zwischen Materialität und Semiose angesiedelt.3 Kurz: Der Körper ist ein Medium, eine mediale Technologie der Produktion von Welt.

Kulturtechniken als kollektive Praktiken der Herstellung eines (zunächst) einheitlichen und konsensuellen Deutungshorizontes von Umwelt waren immer schon auch Techniken der (zunächst rituellen, magischen, symbolischen) Manipulationen des Körpers, seiner ideelen und physiologischen Veränderung, stellten potentielle Neuentwürfe von Körperlichkeit zur Disposition (Schamanismen, Atavismen), traten als Deformierungen auf, als technische Um- und Aufrüstungen (vom Kanu bis zur Brille, der Beschneidung bis zum Korsett), operationalisierten den Körper als Modell (bis hin zur Grundlage industrieller Produktionsprozesse), bis schließlich durch die Möglichkeiten des Austauschs von Teilen des Körpers, ihrer Korrektur oder Entfernung seine "Bearbeitung" solche Ausmaße annahm, daß bereits vom post-kulturellen, ja post-humanem Körper gesprochen wird - ganz zu Schweigen von der dramatischen Rekonfiguration des Körpers auf molekularer Ebene durch gentechnische Verfahren. Was also könnte "ein Körper" überhaupt noch sein? Diese Frage stellt sich insofern, als sich auch im Bereich der (gen/biotechnischen) Medizin analog zu postmodernen Zeichentheorien keine eindeutige Referenz mehr ausmachen läßt: gemessen woran sprechen wir also noch oder nicht mehr von einem Körper? Gibt es noch einen "Referenzkörper" (der uns Auskunft über Funktionalität, Gesundheit, Aussehen etc. gäbe)? Oder ist dieser Referenz-Körper schon der gen-theoretische Körper, der als Referenz wirkt: sind wir dann alle post-human oder ist es allein jener konstruierte, konzeptuelle "Körper" - der keiner mehr ist?

Der Körper als kultureller Brennpunkt gegenwärtiger Entwicklungen taucht nicht nur im Zentrum der Wissenschaft auf, er ist - unter anderem - auch Gegenstand des Kinos und taucht dort ebenfalls als Gegenstand techno-kulturell-szientischtisch Utopien auf. In mehreren Texten nähern sich "Agentur Bilwet" dem technologischen Körper über die Technokörper, wie sie in den "Terminator" Filmen James Camerons entworfen werden. "Terminator 2" führt in der Gestalt des "T-1000"-Cyborgs schon einen Post-Cyborg-Golem ein: "T-1000 ist keine Metapher mehr, er arbeitet nach dem Prinzip der Metamorphose. Er entlehnt fortwährend Körperformen, ohne damit einen Sinn oder Inhalt zu verbinden. (...) Er spricht seinen menschlichen Gegnern ihr inneres Fundament ab, ihre Sicherheit, einen einzigartigen Körper zu haben. In der inneren Struktur von T-1000 gibt es keinen Verweis mehr auf eine menschliche Körpererfahrung."4 Jeder beliebige Körper kann für diese post-maschinische Kreatur zur Referenz der eigenen Funktionalität und Operationalität werden (Was unterscheidet "T-1000" dann noch von "Molly", jenem geklonten Schaf, das ebenfalls auf die Utopie einer beliebigen DNA als Ausgangsmaterial von Körperproduktion verweist?). Aus flüssigem Material aufgebaut, ist "T-1000" trotz seiner metamorphotischen Konstitution dennoch eine Metapher, eine auffälige und augenfällige Metapher für die Verflüssigung des Körpers unter dem technologischen Zugriff: Technologie setzt sich an die Stelle des Körpers selbst. Der technologische Imperativ ist also nicht nur einer, der Fleisch in Information verwandelt, er verwandelt dieses Fleisch durch seine Techno-Semiose in Zeichen/Molekülketten, die nicht nur dieses Fleisch repräsentieren, sondern als dieses Fleisch fungieren. Post-Humanität ist nicht nur eine Frage der Perspektive, sie ist vor allem eine Frage der Macht.5 Und diese Macht wiederum nimmt beinahe mythische Formen an, der Körper ist durch sie geradezu einer Transsubstantiation unterworfen: er hat nichts mehr mit Natur zu tun, wenig mit Kultur, fast nichts mehr mit Materie, nur mehr mit Zeichensystemen, Operationsabläufen, Funktionskurven, Darstellungs- und Repräsentationstechniken. Repräsentation hat hier nichts mehr mit Bildern oder Oberflächen zu tun, sondern bedient sich der Körper als operativem Material einer Reprodukton als Darstellung. Der Körper verschwindet als Nahstelle, als Bruchlinie, als Verwerfung im kulturellen System, er wird zunehmend zur symbolischen Figur der vollständigen (technologischen) Beherrschung des Seins: wenn Erbkrankheiten, AIDS und Krebs besiegt sind, bleibt der "reine" - geklonte? - Körper zurück, ein Körper unter Kontrolle, einer Steuerung durch Technologie unterworfen, abgeschirmt von allen Zugriffen, die diese Kontrolle gefährden und irritieren könnten. Wenn der Körper also immer schon ein Medium darstellte, stellt sich dennoch die Frage, welchen Mediatisierungen dieser unterworfen wird: nach dem schamanistischen, dem religiösen und dem modernen Körper sprechen wir heute vom Techno-Körper.

"never age - never die - never live" beschäftigt sich gerade mit dem Körper als Gegenstand von Kulturtechniken, genauer: dem Körper als Gegenstand, als buchstäbliches Objekt einer Technologisierung von Kulturtechniken. Zunächst als "Parallelaktion" im Wiener Museum für angewandte Kunst im Rahmen der Reihe "mak - medien, apparate, kunst" (1996) realisiert6, besetzte Herwig Turk im September 1997 einen ehemaligen Operationssaal im Wolfsberger Krankenhaus mit einer erweiterten Installation: ein Kühlregal für Tiefkühlkost, darin ein Block aus mehreren hundert Fischstäbchen; Videoloops einer endlosen Meereswelle auf zwei Monitoren; applizierte Texte zum Thema der Kryonik, einer Newsgroup aus dem Internet entnommen; in einem Nebenraum durch phosphoreszierende Farbe im Dunkeln zum Leuchten gebrachte Waschbecken - "never age - never die - never live" siedelt sich buchstäblich im medizinischen Kontext an, ein Kontext, die seit jeher nicht nur an einer "Rettung" der Körper arbeitete, sondern zentral an ihrer Disziplinierung, ihrer Regulierung, d. h. an einer buchstäblichen "Eroberung des Körpers"7. Und aus diesem Kontext heraus beschäftigt sich die Installation mit techno-szientistischen Kulturtechniken bzw. mit einer wesentlichen, diesen Regulationstechniken zugrundeliegenden Vorstellung, einem Fantasma, einem Mythos: demjenigen vom ewigen Leben - jenseits der Sterblichkeit, sprich: diesseits der Kontrolle und jenseits des Körpers wie der Zeit. Diese Fantasie erfordert einen "neuen" Körper, vollständig erfaßt, beschrieben und damit durch (Bio-) Technologie rekonstruierbar, konservierbar. Allerdings spekuliert schon er Titel der Arbeit damit, daß durch diese Neukonstruktion des Körpers als Behältnis (nicht als Teil) des Selbst gerade jener "Zwischenraum" wegfallen könnte, den man (noch) Leben nennt, oder, anders interpretiert: gerade unter der Kontrolle von Technologie (der Kryonik) könnte dieser "Zwischenraum Leben" auf unbestimmte Zeit aufgeschoben, fragmentiert, zerstreut werden - wodurch ebenfalls verschwindet, was wir als Leben zu bezeichnen gewohnt sind.8

Gegenwärtig treten die Vorstellungen von der Konservierung des Körpers jenseits des Raumes und der Zeit vor allem in zweierlei Gestalt auf: zum einen existiert der Traum einer Transgression des Lebens in die Maschine fort: "Let me now confess the reason why I fell for artificial life. Just before I die I would like to be able to copy much of my knowledge, my intelligence, my entire consciousness onto a computer and thus be able to live inside the chips."9 Diese Utopien der Unsterblichkeit haben den Körper als begehrenswerten Sitz dieser Unsterblichkeit (never die - forever young) hinter sich gelassen und richten sich vollständig auf die Sphäre technologischer bzw. medientechnischer Systeme (die sich etwa im Modell der neuronalen Netzwerke ohnehin längst ausschließlich am Bewußtsein bzw. am Modell des Gehirns orientieren und als Perspektive dessen Verdoppelung und Konservierung haben). Das Fantasma eines Lebens jenseits des Körpers vervollständigt die durch Technologie verschärfte Polarisierung von Objekt/Information und richtet sich konsequenterweise auf einen Übertritt in eine Ordnung hinter den Objekten, hinter der Sprache, hinter dem Begehren, eine Ordnung der reinen Informationsverarbeitung (die auch als Metapher für den Geist fungiert), die dem Subjekt verspricht, sich endlich jenseits der Konditionierungen durch den Körper in einer "reinen" geistigen Sphäre zu bewegen, einer Sphäre, die in einer Umkehrung der selbstgetroffenen Annahme nur als informationsverarbeitendes System gedacht werden und erscheinen kann: für immer und jederzeit beliebige Gestalt anzunehmen, jeden Ort der Erde und noch darüber hinaus erreichen zu können, ohne noch jemals vom Körper an einen bestimmten Ort und (tiefgefroren verpackt, jedoch ohne Ablaufdatum) in eine bestimmte Zeit gezwungen zu werden. Dieser Mythos läßt sich als Mythos der Befreiung beschreiben, der Befreiung aus dem "Gefängnis" des Körpers in ein halluzinatorisches Reich der ständigen und unmittelbaren Erfüllung aller Wünsche - läßt es sich doch als Datenstrom hervorragend an Medienrealitäten der Gegenwart wie der Zukunft andocken. "Im Reich des 'Virtuellen', so sagt man, wird der Mensch mit der Morphologie seiner prothetischen technischen Ergänzung verschmelzen. Nicht länger im bedrückend beengenden 'Fleisch' seines Körpers gefangen, wird das menschliche Bewußtsein austeigen in die kybernetischen Informationsflüsse, die unsere Welt heute durchqueren."10

Zum anderen existiert der - hier im Mittelpunkt stehende - Traum der umfassenden Reprogrammierung des Körpers als ebenso von Zeit und Raum befreites Vehikel für ein Selbst (als Denken? als Kommunikation? als Geist?). Im Rahmen dieses Traumes - der gleichzeitig wissenschaftliche Forschungsprogramme vorantreibt - befinden wir "uns" - wie auch immer dieses (nicht näher) definiert sein mag - nach wie vor in einem Körper, der aussieht wie jener, den wir kennen. Dieser Körper wurde in seiner Fundierung jedoch erheblich verändert - er wird das Resultat einer Neuprogrammierung. "Beide Richtungen versuchen, das Management des Reproduktionsprozesses zu verstärken, einen gutverwalteten Körper zu produzieren und die Technologie in die Reproduktion selbst einzufügen."11 Diese Umprogrammierung kann allerdings nur gelingen, wenn es möglich ist, das Programm des Körpers zu entschlüsseln (Human Genome Project "HUGO"), zu decodieren und entsprechend zu recodieren. Dem liegt aber schon die Vorstellung des Körpers als Maschine, die einem Programm folgt, zugrunde, welche in der gegenwärtigen Debatte vom genetischen Code, der Gentechnik, der Biotechnologie manifest wird. Wurde im Zuge der Befreiung des Geistes vom Körper Denken, Selbstbewußtsein, Erkenntnis, Gedächtnis etc. mit Information gleichgesetzt, richtet sich der Terminus der Information hier auf die Ebene der molekularen biochemischen Organisation des Körpers. Wir brauchen also nicht lange nach den Effekten technologischer Systeme auf unser Selbst zu suchen, etwa im Rahmen von soziologischen Untersuchungen zum Konsum der Massenmedien, ihrer Gewaltverbreitung oder ähnliches, sie erscheinen zuallererst in der vorherrschenden wissenschaftlichen Metaphorik, in der Analogie zwischen technologischer und biologischer Metaphorik. Der Körper wird nicht nur durch materielle Prothesen aufgerüstet, diese technoide Prothetik schreibt sich ihm schon auf einer diskursiven Ebene ein. In diesem Sinn wurde eingangs vom Körper als durch Kulturtechniken beschriftet gesprochen, vom Fleisch als diskursivem Produkt.

Auch im zweiten Mythos, den man als Mythos der Manipulation bezeichnen könnte, geht es um Befreiung: allerdings nicht um eine Befreiung des Geistes vom Körper, sondern um eine Befreiung des Körpers von seinen durch sein natürliches Programm auferlegten Beschränkungen. Als informationelle (genetische) Maschine definiert, wird der Körper selbst zu so etwas wie Information, d. h. von Materie gereinigt, gerade indem er als informationsverarbeitendes System aufgefaßt wird und seine physiologischen Schranken und Störungen wegprogrammiert werden - er nähert sich einer vergeistigten Quasi-Materie an, weswegen sich das Leben, das Hausen in diesem Körper auch ewig lohnen wird. Das Fleisch ist diskursiv - und in diesen Diskursen wird die Differenz zwischen Materie und Information eingezogen, wegprogrammiert, werden wir "menschlicher als menschlich"12. In einer eigentümlich paradoxen Symbiose entwerfen Medien- wie Biotechnologien ein Verschwinden des Körpers in der Überwindung des "chaotischen, organischen Gewichts lebenden Fleisches"13 bei gleichzeitiger Rekonfiguration dieses Fleisches als gereinigte Materie.

Nun geht es - so wird hier einmal behauptet - in der Arbeit "never age - never die - never live" nicht darum, der Technologie ein Ende bereiten zu wollen, sich den Konsequenzen einer sich ständig technologisch definierenden Veränderung von Gesellschaft und Kultur zu entziehen, indem sie etwa auf einem bestimmten Stand eingefroren oder gar revisionistisch ein "Zurück!" gefordert wird (wohin zurück sollte es auch gehen, es warten lediglich andere Stadien der kulturellen Mediatisierung des Körpers, des Selbst und all dessen, was wir als Selbstbewußtsein zu bezeichnen gewohnt sind) - der kritische Impetus der Installation zielt nicht auf eine solche - vordergründige - Kritik, die nicht "die eigene Verwicklung in die kulturelle Vermittlung der Technologien und ihre Attraktionen nicht nur nicht leugnen sondern auch produktiv zu machen"14 versucht. Allerdings: Es geht darum, diese technologisch indizierte Reformulierung des Körpers als Schrift der Kultur, als Beschriftung durch Kultur als permanente Eroberung des Körpers zu markieren bzw. Aspekte der "Grammatik", die diese Beschriftung, die Aneignung des Subjekts als Objekt kutltureller - und das heißt: technologischer - Semiose. Diese künstlerische "Grammatologie", wie man sie bezeichnen könnte, zielt dann darauf, sich den - immer wieder vorschnell proklamierten - Paradigmenwechseln zu entziehen, zwischen Utopien und Fantasmen zu differenzieren. "Man muß erneut jene völlig fertiggestellten Synthesen, jene Gruppierungen in Frage stellen, die man gewöhnlich vor jeder Prüfung anerkennt, deren Gültigkeit ohne weiteres zugestanden wird."15 Der Umstand etwa, daß der Körper wie das Selbst zunehmend künstlich zusammengesetzt sind, buchstäblich als bio/ technische Hybride mit fremden Organen, unterstützenden elektromechanischen Implantaten, durch "smart drugs", Doping und Vitaminpräparate psychisch wie physisch manipuliert, oder vermittelt und telemedial vernetzt und aufgerüstet ständig die physiologischen Wahrnehmungshorizonte überschreitend - die Tatsache also, daß das Subjekt konstitutiv gespalten ist wie produziert wird, daß innerhalb dieser Produktion Flüchtigkeit und Zufall anstelle von Stabilität und Vorhersagbarkeit den Alltag bestimmen, diese ganze technologisch aufgerüstete Zersplitterung von ehedem homogenen und geordneten Objekten, Zusammenhängen und Ereignissen bedeutet eben nicht gleichzeitig, daß diese flüchtigen und flüssigen Konstruktionen völlig transparent, d. h. durch jene Technologien kontrolliert herstellbar uns synthetisierbar sind, die sie mitverursachen. Nicht umsonst beschäftigen sich zahllose Katastrophenfilme mit den Folgen scheinbarer Technikbeherrschung (Kurz bevor das Chaos ausbricht, hören wir von einem Nebendarsteller die Meldung, das "alles unter Kontrolle ist"). Und vor allem folgt die technologische Zerstreuung der Kultur, der das Subjekt unterworfen ist, trotz - oder gerade: wegen - ihrer Fundierung auf Technologie - keinem einheitlichen und/oder ideologiefreien Programm: es geht nicht nur um die Produktion von Wissen, Erkenntnis und Wahrheit (und Access) für alle. "Die Darstellungen der Welt sind immer in einem engen Kontext von Praktiken und Apparaturen, ohne die wir uns nicht auf die Welt beziehen können, eingebunden und zugleich abhängig von den Machtverhältnissen zwischen den beteiligten Akteuren."16 Eine Reihe von Fragen richtet sich also auf die jeweilige Situierung von Wissen, darauf, welche Bedeutungen überhaupt produziert werden können, welchen Regelwerken bzw. welchen entregelten Grammatiken die offensichtliche wilde Techno-Semiose folgt, um die Ausschließungs- und Verengungsmechanismen diskursiver Formationen zu produzieren, wie auch technologische Forschung eine ist. Es gilt also nach wie vor, die Formen der Repräsentationen des Körpers innerhalb technischer/ technologischer/medialer Diskurse auf ihre Ausblendungen und Leerstellen hin abzutasten, mithin den Körper selbst als Gegenstand dieser neu formulierten Techno-Fantasmen als Repräsentation zu begreifen, als Medium, in und durch das "etwas" in Erscheinung tritt.

Was aber hat das alles mit Fischstäbchen zu tun?

"Den Tod zu negieren oder das Jenseits zu definieren gehört zu den Kulturtechniken, denen sich die meisten Gesellschaften bedienen, um über den Schmerz des Sterben-Müssens und den Verlust geliebter Menschen hinwegzukommen. Den Tod kann man auch dadurch negieren, daß man ihn dermaßen tabuisiert, wie dies in unseren westlichen Gesellschaften der Fall ist. Der Tod ist eine Unverschämtheit gegen den Glauben an den Fortschritt, der uns das Leben immer angenehmer machen soll. (...) Der beginnt in der Embryologie, im gezielten Eingriff in den genetischen Code und er endet in der Reanimation oder in der Hirnverpflanzung als Jungbrunnen. Der Kreislauf des Lebens ist nicht mehr zyklisch-natürlich, er ist fortschrittlich-künstlich."17 Teil dieses fortschrittlich-künstlichen Lebens, dessen Beendigung durch den Tod offenbar einen empfindlichen Riß in eben diesem Fortschritt erzeugt, ist seit langem schon die Lebensmittelindustrie. Die Fischstäbchen sind Hinweise auf die Perfektionierung der Nahrungsmittelproduktion, die sich in ganz anderer Weise als Gen/Reproduktionstechnologien unserer Körper bemächtigt, Stoffwechselerkrankungen verursacht, Gastritis und Arthritis und was-weiß-ich-noch hervorruft, uns andererseits mit Vitaminen (über-) versorgt und uns wie ein Gadget an ihre Produktionsmechanismen anschließt, die uns unsere Eßgewohnheiten wie unsere Konsummechanismen vorschreiben. Selbstverständlich verweisen die Fischstäbchen aber auch auf die längst weit verbreitete Konservierung und Wideraufbereitung unserer Instant-Nahrungsmittel, auf das Überwinden bzw. Aufhalten von Verfallsprozessen, und damit letztlich auf jenes bereits besprochene medizinische Projekt, das Altern des menschlichen Körpers mittels Einfrieren aufzuhalten (das Einfrieren und Widerauftauen der Fischstäbchen wird stellvertretend als prototypisches Verfahren der Kryonik präsentiert) - und daher weisen die Fischstäbchen selbstverständlich auch auf jene menschlichen Köpfe, die im Rahmen der ersten kommerziellen Projekte der Kryonik-Forschung tiefgefroren auf die medizintechnischen Entwicklungen der nächsten Jahrzehnte warten, die es ihnen möglich machen werden/sollen, wiederaufzuerstehen (aber als was? in welchem Alter? mit welcher Geschichte?). "never age - never die - never live" spricht also allein durch die Präsentation der Fischstäbchen eine Reihe von Kulturtechniken an, die sich auf das Eingespannt-Sein des Individuums in Kreisläufe technologischer Produktion als Fortsetzung der Schrift der Kultur richten, Kreisläufe, die sich alle mit den Begriffen der Synthetisierung, der Automatisierung, vor allem aber der Manipulation und Kontrolle beschrieben werden können. Die Synthetisierung und Technologisierung von um den Körper angelagerter Verfahren und Systeme - Nahrung, Medizin, Unterhaltung, Konsum etc. - hat den Körper selbst schon lange ergriffen. "Fortan sind Sie, und zwar unendlich mehr, als Sie denken können, Subjekte von Gadgets oder Instrumenten, die (...) die Elemente Ihres Daseins werden."18

Ruft man sich nochmals in Erinnerung, daß bereits Marshall McLuhan in den 60er Jahren die "all involving sensory" der Medien als Extensionen des Subjekts bezeichnet hat, die allerdings nicht dort draußen verbleiben, sondern eminent auf das "hier drinnen" des Subjekts zurückwirken, indem man sich sozusagen den Effekten der urprünglichen Amputation seiner Sinne gegenübergestellt sieht, dann läßt sich auch seine Redewendung vom Subjekt als Servomechanismus der Maschine angesichts der skiziierten gentechnischen Entwicklungen (allerdings unter ganz anderen Voraussetzungen) aktualisieren. "Indem wir fortlaufend neue Techniken übernehmen, machen wir uns zu ihren Servomechanismen."19 Das meint nicht mehr und nicht weniger als jene Rückkoppelungseffekte, die unser Selbst ergriffen haben, und die schließlich im Falle der Intervention in den Körper auf molekularer Ebene buchstäblich als eine Form der Synthese zwischen Mensch und Technologie beschrieben werden müssen. Der Systemraum der Technologie und ihrer Gadgets umfaßt bereits das Subjekt und seine intrinsischen Prozesse, indem er eine Synchronizität zwischen Technologie und Körper/Selbst erzwingt. Wir sind gewissermaßen vermittelt über die Technologie an uns selbst (an unseren Körper, unser Bewußtsein und unser Begehren) angeschlossen. Wir sind dadurch aber auch an eine bestimmte Logik des Zugriffs auf unseren Körper angeschlossen, an Vorstellungen und Konzepte, auf die sich "never age - never die - never live" richtet und die die Installation zugleich markiert wie zu relativieren versucht. "never live" erscheint als Formel für ein Leben jenseits der Zeit wie des Körpers, als Revidierung eines Fantasmas wissenschaftlicher Forschung, der Utopie einer vollständigen Beherrschbarkeit der Natur, ihrer Umwandlung in eine bessere, artifizielle Natur, natürlicher als natürlich, vorhersagbar, manipulierbar, aber eben das Ende jeder Natur, und, im Falle des Menschen, jeder Geschichte.

1 Timothy Druckrey, "Cn. command, control, communication, culture, consciousness, cognition, cybernetics, computing, cyberspace, cyborg [...].", in: Brigitte Felderer (Hg.), Wunschmaschine Welterfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert, Wien-New York 1996, S. 222-235, 224f.
2 "read me", in: BüroBert, minimal club, Susanne Schultz (Hg.), geld. beat.synthetik. Abwerten bio/technologischer Annahmen, Berlin 1996, S. 8-27, S. 25.
3 Vgl. "Wie gleich einem Blatt. Ein Gespräch mit Donna Haraway", in: Gerfried Stocker, Christine Schöpf (Hg.), fleshfactor. Informationsmaschine Mensch, Wien-New York 1997, S. 46-69, S. 54. Nebenbei bemerkt: allein das Thema der Ars Electronica 1997 bzw. die durch das Thema evozierte Identifizierungvon Fleisch/Körper und Informationsmaschine bestätigt die Virulenz der hier skizzierten Fantasien wie es die Notwendigkeit ihrer Kritik manifestiert.
4 Agentur Bilwet, "Verehrung des Technokörpers", in: dies., Der Daten Dandy. Über Medien, New Age, Technokultur, Mannheim 1995, S. 29-35, S. 33f.
5 Kulturtechniken - soziale Praktiken, Wertehierarchien, aber auch Deutungsmuster der "Welt", zu denen eben techologisches Wissen gehört, etc. - sind in jedem Fall darauf ausgerichtet, ein Individuum an einer Stelle innerhalb der Sozietät/Kultur zu positionieren und auch zu fixieren. Diese Fixierung, die Festschreibung eines bestimmten Interaktionsmusters des Individuums mit seiner Umwelt, hat immer mit Macht und Unterwerfung zu tun. Auch gegenwärtige technologische Forschung und Wissenssysteme stellen eine solche Macht dar, das Individuum an einer bestimmten Stelle innerhalb der diskursiven Formationen zu fixieren, die sie selbst generieren, sowohl sozial als auch zeitlich und räumlich. Dieser Umstand sollte nicht übersehen werden, gerade weil Technologie als notwendiges Supplement des Fortschritts agiert, aber auch als "Dienstleistungsgewerbe" des Individuums auftritt: ihm mehr Gesundheit, mehr und bessere Waren, ein rundum gemütlicheres und einfacheres Leben verspricht. Aus diesem Grund - der Verbesserung der Lebensqualität - und wegen der durch Technologie (scheinbar) möglich gewordenen Mobilität des Individuums innerhalb der Gesellschaft/Kultur, geben sich technologisch gestützte und initiierte Praktiken oftmals den Anschein, wesentlich emanzipatorisch orientiert zu sein. Es findet jedoch lediglich ein Platztausch derjenigen Diskurse statt, die eine Herrschaft über das Individuum beanspruchen.
6 Vgl. medien, apparate, kunst. projektionsräume. Beispiele apparativer Kunst in Österreich, Ausstellungskatalog, Wien 1996.
7 So ein Buchtitel Paul Virilios: Die Eroberung des Körpers. Vom Übermenschen zum überreitzten Menschen, München-Wien 1994.
8 In seiner "Sprawl"-Trilogie beschreibt William Gibson einen globalen Technologie-Konzern (Tessier-Ashpool), der von einer Dynastie geleitet wird, die ihren Firmensitz ins Orbit der Erde verlegen und sich dort zunächst klonen und sich dann wechselweise einfrieren, wodurch eigentlich niemand genau weiß, wer gerade die Geschäfte führt, wer gerade "am Leben" ist bzw. wer überhapt wen verkörpert: Individuum, Subjekt und Geschichte werden dabei vollständig aufgelöst bzw. disponibel - allerdings befällt eine Inkarnation von T-A schließlich der Wahnsinn, wodurch sie die Familie finanziell ruiniert; noch scheint es nicht möglich, "neben" der Geschichte wie "neben" dem Subjekt durchzuhalten, vgl. William Gibson, Neuromancer, Biochips und Mona Lisa Overdrive, München 1987 - 89.
9 Larry Yeager im Programmfolder zur Ars Electronica 1993; Abstract zu seinem Vortrag im Rahmen des Symposions zum Thema "Die Lust auf Unsterblichkeit, Kloning, Kryonik und Kosmetik", 16. 6. 1993, Brucknerhaus Linz, vgl.: Karl Gerbel, Peter Weibel (Hg.), Genetische Kunst - Künstliches Leben, Wien 1993, S. 122ff.
10 Douglas Fogle, "Virtuelle Hysterische", in: Jörg Huber, Alois Martin Müller (Hg.), Die Weiderkehr des Anderen, Basel-Frankfurt 1996, S. 245-263, S. 246; Douglas Fogle setzt selbst im Anschluß an dieses Zitat zu einer Revidierung mancher ihrer Voraussetzungen an, vor allem jener der cartesianischen Trennung von Körper und Geist.
11 Linda Singer, "Biopolitik im Zeitalter der sexuellen Epidemie", in: geld.beat.synthetik, op. cit., S. 182-186, S. 184.
12 Max More, "Jenseits der Maschine. Technologie und posthumane Freiheit", in: fleshfactor, op. cit., S. 121-130, S. 121. 13 Douglas Fogle, a. a. O., S. 248.
14 "Vorbemerkung", in: geld.beat.synthetik, op. cit., S. 4.
15 Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt 1973, S. 34.
16 Carmen Hammer, Immanuel Stieß, "Einleitung", in: Donna Haraway. Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt-New York 1995, pp. 9-32, p. 23. [Simians, Cyborgs and Women: The Reinvention of Nature]. Cf. also: Donna Haraway, "Situiertes Wissen. Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialien Perspektive", op. cit.
17 Gerhard Johann Lischka, "To Live Longer", in: Genetic Art - Artifical Life, op. cit. pp. 165-166, p. 165.
18 Jacques Lacan, quoted by Friedrich Kittler, Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, Leipzig 1993, p. 15.
19 Marshall McLuhan, op.cit., p. 81.



© Reinhard Braun 1997/98

erschienen in:
Herwig Turk, Wien 1998



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