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...wo sich alles berühren kann.
Herwig Turks Navigationen durchs "Universum der technischen Bilder"
"Wenn Texte von Bildern verdrängt werden, dann erleben, erkennen und werten wir die Welt und uns selbst anders als vorher: nicht mehr eindimensional, linear, prozessual, historisch, sondern zweidimensional, als Fläche, als Kontext, als Szene. Und wir handeln auch anders als vorher: nicht mehr dramatisch, sondern in Beziehungsfelder eingebettet." (Vilèm Flusser)
Gehört es zum Selbstverständnis gegenwärtiger Kunstproduktion, die Medialität des eigenen Konzepts sowie seiner Präsentation bzw. Positionierung in verschiedenen Kontexten mitzureflektieren, den Rahmen quasi zu integrieren, zu thematisieren, so beginnt auch diese Reflexionsfigur schon wieder, an ihren Rändern "unscharf" zu werden: ach ja, Medien.
Flusser entwarf - immer noch - auf der Grundlage von McLuhan sein thesenartiges Theoriegebäude: die Absicht der technischen Bilder ist nicht, die Welt zu verändern, sondern ihre Bedeutung (Botschaft), folglich heißt, ein technisches Bild zu entziffern nicht, seinen Gehalt zu lesen, sondern sein Programm (mit dem es sich auf diese Bedeutung richtet). Damit entwirft Flusser technische Bilder als theoretische und nicht ästhetische Phänomene - eine der Grundlagen aller zeitgenössichen Medientheorie, die immer wieder um den Umstand der Intervention medialer Erscheinungen kreiste, darum, wie (nach welchem Programm) sie durch ihre Oberflächen den Zusammenhang der Kultur neu formieren konnten, um quasi auf diesen Oberflächen Spuren ihres technologischen Entwurfs zu entziffern, nicht um die Inhalte selbst zu deuten.
Der Schritt vom Video und der (animierten) Computergrafik hin zu netzwerkartigen, kommunikativ orientierten Projekten hat aber nicht nur der Theorieproduktion neuen Aufschwung gegeben, sondern hat auch und neuerlich die Perspektive verschoben, aus der die permanente Medialität in den Blick genommen werden konnte: nach der Besetzung, der tentativen, spekulativen, hypothetischen, fragmentarischen und temporären "Abtastung" der Oberflächen und ihrer Einflüsse auf Wahrnehmung, Schreiben, Denken, die Produktion und die Darstellung von Wissen aber auch von Kunst, kurz, nach dem "Zeitalter" der Analyse geht es wieder verstärkt um Re-Konstruktionen, um Kombinatoriken von Aspekten, Einsichten, Ansichten, Methoden, Medien.
Allerdings haben gerade letztere mit einer Verschiebung der Perspektive auch ihren "Ort" gewechselt: sie stehen nicht mehr unmittelbar im Zentrum, sondern sind - fast möchte man sagen, natürliches, zumindest aber konventionalisiertes - Element von mitunter äußerst diversen Arrangements, von Verknüpfungen, Verdoppelungen, Inszenierungen, Informationsenvironments oder ähnlichem geworden. Die Frage nach Medienkunst (im engeren Sinn) stellt hier zum einen den falschen Gegenstand ins Zentrum richtiger Fragen oder richtet sich mit der falschen Methode aufs richtige Objekt.
Es entstehen weniger definitive Arbeiten als Entwürfe oder Modelle von Kontexten, in und durch die es um Fragen der Zirkulation von Bildern, Tönen, Informationen, Objekten, Metaphern, Vorstellungen, ihre Verbreitung, ihre strategische Dimension, ihr operativer Zusammenhang innerhalb diesen entworfenen oder auch nur fiktiven Kontexten im Vordergrund geht, nicht um ihre Darstellung, Modifizierung, Aneignung oder um ihre Kritik.
Denn, wie die Analyse von Medieneffekten gezeigt haben dürfte, verweisen diese nur auf wieder andere Bild-/Signifikanten-/Bedeutungseffekte und Trägersysteme, ohne daß dahinter ein Gegenstand, etwas entgegen-stehendes Objektives zum Vorschein kommen würde. Insofern bilden Medien (hier in einem technologsichen Sinn zu verstehen) ein Meta-, Teil- oder Subsystem, das in Beziehungen zu anderen Systemen steht, sich mit ihnen eminent überschneidet, in diese interveniert, aber auch selbst Modifikationen unterworfen wird: die Kunst, die Presse, etwas wie die öffentliche Meinung, die Pornografie, die Erinnerung, der Körper, Archivierungen etc. Wenn Medien bestimmte Vermittlungs- und Darstellungseffekte produzieren, läßt sich nicht nur danach fragen, wie sie diese zu produzieren in der Lage sind, welcher Logik diese Produktion folgt und welche Konsequenzen sie (für die Kunst, aber auch das Subjekt, das Soziale etc.) hat, sondern auch danach, nach welchen (fluktuierenden) Mechanismen diese Darstellungen, Images, spezifische Sichtweisen, narrative Strukturen, kollektivierte Symbole, Stereotypen plaziert, vertrieben, geordnet, verschoben, verborgen, manipuliert werden - zur Disposition steht quasi die gesamte Szenerie medialer verschalteter Kontexte und Systeme: eine Meta-Medien-Welt, die auch und gerade durch ihre Logiken gekennzeichnet ist, Diskurse nicht nur zu entwerfen, zu korrigieren, zu unterbinden, sondern sie zu betreiben, auf- und auszufüllen - eine "Bühne" zu entwerfen, auf der alle Stücke gleichzeitig gespielt werden können, auf der sich sozusagen alles berühren, alles mit allem in Verbindung treten kann (eine kybernetische Bühne, wie sich herausgestellt hat). "Das Reale (z. B. Ton), das Symbolische (z. B. Schrift) und das Imaginäre (Bilder) werden auf einer Darstellungsoberfläche integriert." (Norbert Bolz) Die Frage ist nur, in welcher Form sich diese Trias berührt.
"The Spring Project"
Im April und Mai 1995 realisierte Herwig Turk gemeinsam mit Max Kossatz, Christine Meierhofer und Gebhard Sengmüller als Beitrag von "Hilus" zur gleichnamigen Ausstellung von Matthias Michalka und Doris Guth eine Datenbank mit Material zur Ausstellung. Datenbanken sind zumeist dadurch gekennzeichnet, daß sie die in ihr befindlichen Daten in mehr oder weniger definierten Zusammenhängen verfügbar halten - Benutzerführung ist eine der Prioritäten: Information muß rasch und nach einer durchgängigen Logik abrufbar sein. Die HILUS-Datenbank für "The Spring Project" entzieht sich aber einer derartigen Logik.
Die möglichen Wege durch ihr Material müssen erst einmal gefunden und eingeschlagen werden, um sie als solche zu entdecken: nichts weist auf mögliche Verzweigungen hin, der gesamte Bildschirm ist potentielle Absprungstelle, eine sensitive Oberfläche, die immer überraschend aktiviert werden kann: ein Geflecht von Bildern, Texten und Klängen, die manchmal assoziativ mit in der Ausstellung gesehenen oder gehörten Aspekten zusammengebracht werden können, sich dem Benutzer zu Beginn jedoch zumeist in ihrer Bedeutung entziehen. Die Datenbank präsentiert Information als wucherndes, unübersichtliches Bedeutungsfeld, als Option, als Dysfunktion geradezu. Das "Universum der technischen Bilder" erscheint hier nicht als geordneter "Cyberspace" - es werden keine Hierarchien entworfen oder reproduziert, es wird nicht die euphorische Idee einer vollständigen Beschreibung bzw. medientechnischen Auf- oder Neuzeichnung der Welt vermittelt, sondern die Datenbank scheint einer approximativen Taktik zu folgen, einer sprunghaften Beschreibung der Teilung und Durchquerung der Welt, der Abspaltung von Wirklichkeitsragmenten durch Medientechniken.
"Trivial Circuit"
Auch die für das Ausstellungsprojekt "Trivial Circuit" im Kunstverein für Kärnten 1994 entwickelte Datenbank folgt dem Konzept einer Synthetisierung von diversen Informationsfragmenten zu einem Ort, "wo sich alles berühren kann", einer Zusammenführung der unterschiedlichsten Re-Repräsentationsformen aus verschiedenen zeitlichen, räumlichen oder semantischen Kontexten. Herwig Turk (featuring Max Frazee und Maciej Walczak) kombinierte etwa die minutiösen Mordschilderungen aus dem Roman "American Psycho" von Bret Easton Ellis entweder mit dem von Max Frazee erstellten "Gen Pool" über amerikanische Massenmörder, oder über die in den Mordschilderungen vorkommenden Markenartikel mit Ausschnitten aus Ausgaben der Zeitschrift Vogue, oder aber mit einem Mordfall im Kamptal, und mit zahlreichen anderen Kontexten, die assoziativ, thematisch oder über (willkürliche) Analogien miteinander verknüpft worden sind.
Hintergrund der Datenbank ist wiederum keine rigide Vorstellung von Wissen und Information - sie errichtete keinen einheitlichen Horizont der Darstellungen und Kombinationen, führte keine einheitliche Perspektive ein, die auf einen bestimmten Sinn hin konvergieren sollte. Beide Datenbanken bilden vielmehr eine dichte und komplexe Szenerie medialer Bilder, Töne, Texte, die montiert, überlagert, transformiert, verdichtet, aus ihrem Zusammenhang gerissen wurden und dadurch vor allem die Manipulationsformen, denen sie selbst unterworfen wurden, verdeutlichen und nachzeichnen.
"Superorgane"
Auch in der 1994 entstandenen Reihe von großformatigen Schwarzweißfotografien, die auf digitale Bearbeitungen von gescannten Fotos zurückgehen, ist Herwig Turk weniger an klassischen Bildformen interessiert, auch wenn die "Superorgane" diese zumindest zu imitieren scheinen. Es sind jedoch Bilder, die vor allem Momentaufnahmen von möglichen Bildzuständen und Manipulationsformen aufzeichnen. Sie zeigen nicht nur aus Fragmenten von realen Körperteilen montierte, d. h. medial neuformierte "Organe", sie zeigen auch, daß Fragen nach der Repräsentation, d. h. nach dem Wirklichkeitsgehalt dieser Neuformierungen nicht die Logik dieser Bildwelt treffen: jede bildliche Aneignung durch digitale visuelle Systeme reduziert diesen Gehalt auf eine einzige Oberflächenschicht - jedes Fragment der Darstellung ist gleich real oder gleich künstlich, ganz egal, welchem Kontext es entnommen sein mag bzw. welchen medialen Bearbeitungen dieser schon unterlegen war. Die "Superorgane" stellen unter dieser Perspektive metaphorische Bilder eines (tele-) technischen Zugriffs auf die Welt dar. Dadurch entfällt aber eine wesentliche Eigenschaft des (klassischen) Bildes: abbildend einzustehen für etwas Abwesendes, eine Vermittlung darzustellen. Die "Superorgane" wollen aber nicht vermitteln, wie dies auch die Datenbanken verweigern, sie fixieren einen Prozeß, eine Form der Aneignung der Welt, d. h. eine Form der Distanzierung vom Realen, das dabei nur Vehikel einer Methode ist, kein Referenzsystem mehr.
Time to Time
In der Ausstellung "Differenzen - Affinitäten - Brüche: Zeitschnitt '92" zeigte Herwig Turk unter dem Titel "Time to Time" eine Installation von drei Monitoren, auf denen jeweils eine Computeranimation zu sehen war. Ausgangspunkt für diese sind im wesentlichen Aufnahmen von alltäglichen Ereignissen (das Überqueren einer Straße etwa). Diese Abläufe wurden in verschiedene Bildsegmente aufgesplittet, bearbeitet und zeitlich versetzt remontiert: eine immer wiederkehrende Schleife entsteht, zahlreiche verschiedene Zeitausschnitte überlagern sich in jedem Bildsegment, sodaß quasi an jedem Moment der "Handlung" alle anderen Zeitpunkte durchscheinen - animierte Bilder einer permanenten Gegenwärtigkeit.
Auch hier ist weniger die formale Lösung interessant, als daß durch die Manipulation ein spezifisches "Relief" der Darstellung entsteht. Innerhalb jeder Animationsschleife sind die zeitlichen und "ontologischen", d. h. referentiellen Bezüge veränderbar und variabel, die Bildinhalte sind beweglich und unabhängig voneinander. Indem verschiedene Zeitpunkte einer Handlung aufeinander projiziert werden, entsteht ein neuartiges Zeitbild - und elektronische wie digitale Bilder sind vor allem Zeitformen. Das Bildfeld ist Schauplatz einer permanenten Rekursion, die sich letztendlich nur auf eine medienimmanente Logik bezieht. Es geht nicht das Motiv oder eine ästhetische Form, wieder nicht um eine Darstellung, sondern um die Logik, die Grammatik des synthetischen Bildes selbst, ein Bildfluß, der nicht mehr als Erzählung angelegt ist, auch nicht als Fragment einer solchen Erzählung, sondern als Visualisierung der immanenten Bildlogik selbst.
Herwig Turks Navigationen durchs Universum der technischen Bilder (und Effekte) sind also hauptsächlich dadurch gekennzeichnet, abseits von ästhetischem Interesse vor allem die Logiken der Strukturen zu erfassen, nach denen mediale Bildformen ihre Wirksamkeiten entfalten, d. h. Strategien zu entwickeln (eine eigene Logik der Kombinatorik und Bearbeitung), die diese immanente Logik nicht in ein formales Konzept fassen und präsentieren (und es dadurch reproduzieren), sondern neuerlichen Manipulationen unterwirft, sie verzeichnet, metaphorisiert und entstellt. Letztlich darf angenommen werden, daß diese (unübersichtliche, weil oftmals verkehrende und verzeichnende) Methode schließlich den Bildschirm und das Bild als Grenzen wieder verläßt und woanders weitermacht, wo ein guter Gedanke aufgetaucht ist.
"Wird der Mediendiskurs je scheitern, völlig irren, so daß jeder auf der Stelle beschließt, etwas Vernünftigeres zu tun? Davon kann man wohl ausgehen." (Agentur Bilwet)
© Reinhard Braun 1996
erschienen in:
proketionsräume: Herwig Turk, Ausstellungskatalog zur Reihe "medien, apparate, kunst", hrssgg. vom Museum für angewandte Kunst, Wien 1996.
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