Featuring ¬ Christoph Nebel Reinhard Braun |
Das Bild im Nebel der Systeme
Der Bildbegriff ist zu einem Systembegriff geworden. Im System der Kunst erscheint jede Oberfläche potentiell als BILD. Diese Bild-Erscheinung ist allerdings disponibel, verfügbar - gegenüber Positionen der Aggressivität gegen das Bild, der Distanz, der Ablehnung usw. erscheinen zunehmend Strategien interessant, die eine völlige Affirmation dem Bild gegenüber vollziehen, die es aufladen, inszenieren, komplexe Konstellationen um das Bild konstruieren, um es dem anderen Ende seines möglichen Verschwindens bzw. seiner Entleerung entgegenzutreiben. Es handelt sich um Strategien, die den Effekt der Bildlichkeit aller Oberflächen, die Extension des Bildbegriffs, positiv wenden, die nicht dem System Kunst das Bild entziehen (Negation), sondern mit dem Bild den Bildbegriff zu überschreiten versuchen, d.h. am System selbst arbeiten. Das Bild - selbst als reiner Effekt einer Oberfläche - partizipiert dennoch unausgesetzt, wenn nicht an der Darstellung, so doch an der Re-Präsentation; das entleerte Bild, das monochrome Bild usw. repräsentieren immer noch Bilder, ihre Mechanismen und Funktionalismen. Die Erscheinung ist das Bild selbst, auch wenn auf seiner Oberfläche nichts erscheint. Entgegen diesem Entzug, dieser Entsignifizierung läßt sich eine Umkehr zur Verdichtung, zur erneuten Projektion vollziehen. Die Konstruktion derartiger Projektionssysteme richtet sich nicht auf das Bild allein, es erscheint lediglich als Fokus, als Brennpunkt der Arbeit am System Kunst selbst. Es entstehen Versuchsanordnungen, Definitionsfelder und keine abgegrenzten oder abgeschlossenen Werke, vielmehr Anordnungen, die weiterentwickelt, modifiziert oder aufgegeben werden. Das Bild als Teil dieser Anordnungen wird zu einem temporären Phänomen, einer Variablen, die jeweils neu bestimmt und inszeniert wird. Dementsprechend bestimmt sich die Oberfläche nicht mehr ästhetisch, d.h. es handelt sich nicht mehr um ein Objekt-immanentes, sondern um ein kontextuelles Phänomen - nicht im Bild, sondern um das Bild herum ereignen sich die Entscheidungen seiner Bestimmung. Indem auch die Ausstellung - als eine solche Anordnung - das Werk überschreitet, überschreitet sie auch Rezeptionsmodi: die Anordnung, das System Ausstellung, seine Variablen usw. müssen erst rekonstruiert werden, die Blickpunkte werden nicht durch Objekte gebildet, sondern durch Beziehungen, Verbindungen, Auflösungen, Verhältnisse. Die Entleerung des Bildes, seine Abkoppellung von der Darstellung, dem Sinn, der Imitation, der Verdoppellung oder der Parodie, daß es nicht mehr als ein semantisches System erscheint, ist dabei nicht ausschlaggebend. Kern der Anordnung sind nicht diese Unterlassungen, sondern der Prozeß, durch den diese Entleerung erreicht wird: ein Prozeß der Projektion, der Belichtung, des Bildwerfens, der Aufzeichnung, d.h. alles Vorgänge der Besetzung des Bildes, seiner Codierung und Aufladung, seiner neuerlichen Inszenierung. Dennoch erscheint das Bild als leere Fläche, als zeichenhafte Form. Die klassische Konstellation der Belichtung einer empfindlichen Oberfläche mit sinnhaften, narrativen und gegenständlichen Zeichen, d.h. eine massive Besetzung des Bildes, führt trotzdem zur Implosion der Darstellung, zum Verschwinden der Reproduktion. Die vorliegende Anordnung führt diesen Effekt durch eine Konfrontation herbei: ein elektronische Bild richtet sich auf ein mechanisch/ chemisches; zwei Bildsysteme stehen sich gegenüber und demonstrieren die Inkompatibilität ihrer funktionalen und ästhetischen Ebenen, die sich nicht aufeinander abbilden lassen und zu keiner decodierbaren Form der Aufzeichnung führen, obwohl diese Aufzeichnung vollständig wiedergegeben ist, oder gerade deshalb. Es überlagern sich nicht allein zwei Bildsysteme, sondern zusätzlich zwei Zeitsysteme, die sich nicht aufeinander reduzieren lassen. Das klassische Moment-Bild der fotografischen Reproduktion steht dem spezifischen Zeit-Bild des elektronischen Bildes gegenüber. Es handelt sich quasi um eine Reproduktion zweiter Ordnung, da ein Aufzeichnungssystem auf ein weiteres projiziert wird, um eine Reproduktion der Reproduktion, die das Bild zwar erfaßt, die es aber nicht zu fixieren vermag. Voll Inhalt bleibt es doch eine annähernd leere Oberfläche. Die Information wird dem Bild nicht entzogen, es wird nicht attakiert, sondern bis zur Redundanz informiert. Die Auflösung dieser Redundanz ist nur durch das System der Ausstellung selbst möglich. Dieses konstruiert einen Rezeptions- und Rekonstruktionsraum, der die Formen der An- und Abwesenheit umkehrt. Die Gegenwart des Referenten - das elektronische Bild - ist nur möglich, indem der Raum der Präsenz seiner Aufzeichnung verlassen wird, das Bild abwesend ist. Angesichts des Bildes wiederum läßt sich der Referent nicht rekonstruieren, da es sich bei diesem bereits um eine Reproduktion handelt. Diese Konstellation dreht sich nicht um die Aufhebung des Bildes, aber um seine Einschränkung und Freilegung, die nicht in der Dekonstruktion des Bildes sichtbar gemacht wird, sondern durch die Inszenierung seiner Expansion, bis die Unschärfe eintritt und das Bildsystem selbst überschritten wird, der Produktionsmechanismus des Bildes in sein Delirium gerät; dieses transitorische Moment vermag Grenzwerte der Bildproduktion zu markieren, ohne die Produktion selbst aufzugeben. © Reinhard Braun 1992 erschienen in: Christoph Nebel (Hg.), "Vom Neuen Schein der Kunst" , Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Ausstellungskatalog, Graz 1992 |
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