Featuring ¬ Marc Mer Reinhard Braun |
Marc Mer Von Blicken, dem Begehren und von der Kontingenz "Gegegeben sei: 1° Der Wasserfall 2° Das Leuchtgas". Gegeben sei weiters: 3° Sharon Stone 4° Eine sehr belebte Straße 5° Der bloße Zufall 6° Spiegel 7° Glas 8° Bildschirme 9° Bewegung 10° Der Blick ... Was immer man in theoretischen und analytischen Umkreisungen von Marcel Duchamps - mittlerweile ikonen-gleicher - Arbeit aus dieser gewinnen mag, in jedem Fall inszeniert "Etant donnés ..." ein Blickverhältnis, ein Raumverhältnis, ein Verhältnis der Annäherung (Bewegung) und der konstruierten und konditionierten Wahrnehmung. Und "hinter Robbe-Grillet durch eine sehr belebte Straße auf dem Weg zum Bordell" treffen wir auf eine ähnlich inszenierte, konstruierte Raumorganisation, die nicht nur Objekte, Metaphern, Zitate und ähnliches in eine spezifische Ordnung bringt, sondern vielmehr Subjekte in ihrer Bewegung durch den "privaten öffentlichen Raum", Individuen in ihrem Lesevorgang der Welt, in ihrer Kommunikation über Welt steuert. Zunächst erscheint "coitus by mere coincidence (private public space)" allerdings als ein Raum, in dem Objekte miteinander kommunizieren, als Raum eines "ungehörigen Dialogs" (Marc Mer) zwischen den Objekten: aufgeschlagene Sexzeitschriften, ein Essay von Peter Sloterdijk, eine Reproduktion von Duchamps "Etants donnés ...", Jean Clairs "Metamorphosen des Eros", "Giacomettis Nase" und anderes. Es scheint, als würden die Bücher, die Oberflächen (Glas, Spiegel, Bldschirm) und die Gegenstände (Bügelbrett, Abfalleimer, Wäschetrockner, Zeitungen, Bücher) sozusagen über uns kommunizieren - erzählen sie sich von unserem Begehren? Von unserem Begehren an der Rekonstruktion unseres eigenen Begehrens? Und um welches Begehren könnte es sich handeln? Ist es Sharon Stone als Metapher von Glamour und Sex, als Verkörperung unseres "Basic Instinct"? Oder ist es gar nicht so sehr ein Begehren an anderen Körpern, als vielmehr ein Begehren an den Dingen, an den Objekten, an der gegenständlichen Welt und ihrer Organisation zu einem Spiegel unseres Selbst? Ein Begehren an der Erweckung einer Produktivität des Anderen, des Gegenübers, des Unbekannten, das in seiner Differenz zum Selbst es diesem überhaupt erst erlaubt zu erscheinen? Es handelt sich dabei allerdings um eine äußerst zwiespältige Situation: In der Organisation dieses Anderen formiert sich überhaupt erst Welt, zugleich errichtet dieses Andere eine unüberbrückbare Schwelle gegenüber allem, was jenseits dessen Formierung zu liegen kommen mag. Das Andere wird in jeder Aneignung zum Eigenen - doch keine Aneignung ist vollständig, es bleibt immer ein Rest. Handelt es sich bei diesem Rest um ein Reales, das, nach Lacan, niemals erreicht und besetzt werden kann? "Identität und körperliche Integrität werden zur Kunst, sich im Anonymen, Heteronomen und Pseudonymen als Eigenart zu begreifen, Körper wird zu einem Stil, mit medialen Umgebungen umzugehen." (Manfred Faßler) In vielen Arbeiten der letzten Jahre umkreist Marc Mer Fragestellungen zu diesem "Stil", mit medialen Umgebungen umzugehen. Er bezieht sich dabei sowohl auf spezifische Formen einer "Grammatik", wie sie Erscheinungs- und Verkehrsformen von Mediensystemen entwerfen, als auch von Grammatiken, wie sie innerhalb des Kunstkontextes zirkulieren (in der vorliegenden Arbeit etwa durch Marcel Duchamp oder auch Alberto Giacometti und René Clair skizziert) - beispielhaft dafür seien zumindest die Projekte "paralaogo" (1993), "zeittische/time-tables" (1992) oder zuletzt ein Projekt im öffentlichen Raum: "local talks/ortsgespräche" (1999) genannt. Die Environments, die Marc Mer entwirft, stellen dabei immer auch die Frage nach der Position des Subjekts angesichts dieser zahllosen Medienoberflächen und Weltentwürfe, der unausgesetzten Produktion und Reproduktion von Wirklichkeiten (vgl. "welt · weltbilder", 1989, "bright period",1991, "data-date", 1994, "scene/obscene", 1997, "wittgensteinscher sockel, schachteltatsache/standbildes fall", 1998, "chronoscop (zeitung). zum zeitgenössischen unfall zwischen innenraum und außenraum", 1998). In welcher Form werden diese Wirklichkeiten für das Subjekt entworfen, zugänglich, manipulierbar, zugerichtet oder von diesem entfernt, für dieses unsichtbar, verspiegelt? Insofern also verschiedene Grammatiken im Spiel sind, handelt es sich bei den Projekten von Marc Mer immer auch um theoretische Arbeiten, die vielleicht sogar weniger Bild-, Material-, oder Raum-kon-stellationen präsentieren, als vielmehr Hypothesen, Kommentare, Fragestellungen, Vermutungen, Zweifel - theoretisch angesetzte Schnittflächen und Schnittstellen durch Wirklichkeitskonstruktionen und -konstrukte. Als "Effekte" von Medienerzählungen stellen diese Konstrukte immer schon Produkte verschlungener, kontingenter Operationen dar - es hätte sich immer auch anders ereignen können, die Diskurse hätten immer auch andere Wendungen nehmen können. Weil es sich bei Wirklichkeits-konstruktionen um kontingente Prozesse, um Prozesse der Kontingenz handelt, ist da immer schon ein Spielraum zur De- und Rekonstruktion, für ein neues "Arrangement", für einen neuen "Stil". Wahrnehmungsräume und Handlungsfelder als kontingente Formationen zu beschreiben, heisst auch, den Strom von Oberflächen, Informationen, Konsumangeboten, Verführungen, Kontaminierungen und Überlagerungen als flüchtige und teilweise zufällige (wenn auch nicht beliebige) Umwelten zu deuten. "In diesem Spiel verfügen wir über mehr als nur eine Konstitution, und wir befinden uns nicht nur an einem einzigen Ort. Verortung ist keine Frage der Empirie, man kann nicht auflisten, wo man sich befindet. (...) Unter Verortung verstehe ich eine komplexe Konstruk-tion und keine empirische Aufzählung oder bestimmte Stelle." (Donna Haraway) Identität, Bewußtsein, Begehren, Erfahrung, Handlung, Er-kennt-nis usw. sind Variablen in diesem "Spiel" der kontingenten und epide-mischen Koordinierung durch Massen/Tele/Hy-per-Medien - eine Koordi-nierung als Kodifizie-rung, wobei diese Kodifizierung, wie bereits ange-deutet wurde, auch eine Frage der Re-präsentation (als eine Form der Aneignung und Verarbei-tung von Welt) bleibt. (Jenseits jeder Frage nach Referenz erzeugen Bilder, Bildwelten immer noch Bedeutungen.) Lesen wir die Installationen also als eine Art eigenständiges, para-logisches Koordinatensystem zur Re-Konstruktion von Re-Präsentation, als ein Koordinatensystem, in dem sich die Epidemie der Kontingenz fortschreibt, fortgeschrieben wird, wenn auch jenseits und quasi parallel zu manchen medialen kontingenten Logiken: eine Kopulation von Sinn, eine Kopulation von Bedeutungen aufgrund blossen Zufalls? Durch ein Feld der Kontingenz ("coitus by mere coincidence") führt uns Marc Mer in ein Feld der Schwelle "auf dem Weg zum Bordell". Zwischen Duchamp, zwischen Fernsehen, zwischen Printmedien, Sex und Philosophie führt uns Marc Mer auf und über eine paradoxe Oberfläche, die eigentlich als Grenze zu verstehen sein könnte: über Steinen zerbrochenes Glas, Holz, ein Schachbrettmuster bildend, von einer Spiegelfolie unterlegt, die in ungehöriger Weise beim Durchqueren dieses Feldes unsere (bedeckten, codierten?) Geschlechtsmerkmale reflektiert (vgl. "scene/obscene", 1997, "taschentaten - trickbilder. museum/moment/monument", 1998). Das Schachbrettmuster suggeriert eine Form der Ordnung dieses Feldes, einer strengen Organisation, und verdankt sich dennoch einer Metaphorik der Zweideutigkeit und Doppelbödigkeit (vgl. auch "das schöne an meinem bau aber ist seine stille, freilich, sie ist trügerisch, plötzlich einmal kann sie ...", Franz Kafka, Der Bau; Abtei Brauweiler bei Köln, 1999). Das Glas als Membrane, als osmotische Oberfläche verbindet und trennt immer schon ein Inneres und Äußeres, eröffnet sozusagen eine Differenz, eine Schwelle zu einem Anderen und separiert doch undurchdringlich von diesem. Verweist diese in die Horizontale gekippte Membrane (das ehemalige "Fenster zur Welt") - zerbrochen, vom Körper des Steins durchstoßen, traumatisiert gewissermassen, und somit scheinbar einem vorangegangenen "Angriff" ausgesetzt - auf unser prinzipielles Begehren am Durchstoßen der dadurch installierten Differenz, die in der vom Begehren getriebenen Aneignung ständig überschritten und zugleich bestätigt wird? Zeugt das zerbrochene Glas von unserem gnadenlosen Begehren nach Wirklichkeit(en) - einem "wirklichen" Anderen? Von der Traumatisierung dieses Begehrens? Von dieser "anderen Seite" wirft uns Marc Mer allerdings nur wieder ein Abbild unseres Selbst entgegen. Von Kontingenz zu sprechen, Spielräume für ein Experimentieren mit Stilen der Bewäl-tigung medialer Umgebungen zu eröffnen, heisst schliesslich und endlich dennoch nicht, von diesem unseren Körper befreit zu werden, sich von diesem Körper lösen zu können, ein Körper, der sich einer Überschreitung der Schwelle, einer Transgression der Membrane widersetzt, wie die Steine in ihrem Bestreben, das Glas zu durchdringen, dieses zwar zerstören, in ihrem Bestreben letztlich aber scheitern. © Reinhard Braun 2000 erschienen in: "Die Desorientierung des Blicks", Ausstellungskatalog, Museum "De Beyerd"/NL, März 2000 |
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