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Featuring
¬ Marc Mer

Reinhard Braun
para/logie

In der Arbeit mit dem Titel "para/logo" werden das Bild und der Apparat, das apparative Bild als eine weitreichende Metapher für die gegenwärtige visuelle Kultur, und seine Sprache, eine Sprache der permanenten Ausstrahlung und Verbreitung von (ästhetischen bzw. ästhetisch codierten) Bedeutungefeldern zum Gegenstand einer Installation - einer Installation, die diese Konfiguraation von Apparat/Objekt und Bild/Oberfläche nicht künstlerisch re-inszeniert, um sie einer Kritik auszusetzen, sondern die diese Konstellation zum Einbruch bringt, indem sie außerhalb der Bilder, VOR den Bildern interveniert und diese damit vom Blick abtrennt, sie diesem entzieht und einen Eingriff in die Verbreitung vornimmt.
Zwei Monitore sind über Eck an einen Pfeiler gestellt; sie übertragen jeweils einen österreichischen Fernsehkanal in Farbe, der Ton läuft. Unmittelbar vor den Bildschirmen ist jeweils ein Spiegel in der selben Größe angebracht, der das Fernsehbild somit beinahe völlig verdeckt. Lediglich von der Seite her ist ein Einblick auf das Geschehen am Bildschirm möglich. Auf den beiden Fernsehmonitoren befinden sich je ein Computer mit dazugehörigem Monitor. Auf diesem zweiten Monitorpaar erscheinen die Schriftzüge "para" bzw. "logo" und blinken darauf ohne konstantes Verhältnis zum jeweils anderen Wortteil.
Bereits diese Anordnung des aufgetrennten Begriffs "para/logo" auf den Computermonitoren ist bezeichnend für die Arbeitsweise Marc Mers: ein geradezu marginal plaziertes Wort, jenseits jeder ästhetischen Präsentation, wie die ganze Arbeit sozusagen als mediale "Spurensicherung" erscheint, und die Reduziertheit der Mittel und ihre Kombination suggerieren keine großangelegte Medienanalytik, sondern eine punktuelle - allerdings auch punktgenaue - Markierung medialer Erscheinungsformen.
Mit dem Angriff auf den Bildschirm durch sein Verbergen ist gleichzeitig ein Angriff auf die Verbreitung seiner Bedeutungen, seines Begehrens, seiner Verführungen, seiner Erzählungen, seines Sinns verbunden: "Ein Bildschirm ohne Bild ist bedeutungslos"1. Damit wendet sich Marc Mer auch gegen die Orientierungen des Blicks, gegen eine vollständige Ausrichtung des Blicks an der apparativen Oberfläche, gegen diese Unmittelbarkeit von Blick und (medialem) Objekt, das immer noch als Repräsentant von Wirklichkeiten verstanden wird. Die Abtastungen, die der Blick am Bildschirm vornimmt, und die Abtastungen, die der Bildschirm am Subjekt vollzieht, verkehren das Schauen in einen Akt der Differenzierung, der Entfernung und der Entfremdung: die Orientierung an diesen Abtastungen konstruiert eine "ferne der welt".2 Die Verhinderung des Blicks, der Wahrnehmung, wie sie immer wieder in den Arbeiten von Marc Mer aufscheint, ist ein Kommentar zur immer vollständigeren Mediatisierung des Sichtbaren, das damit gerade nicht mehr zur Ordnung der Wirklichkeit gehört, sondern seit der Erfindung der Fotografie zunehmend zu einer Ordnung der (medialen) Reproduktion und Re-Konstruktion. Dieser Produktion und Re-Produktion fügt Marc Mer keine weitere Bildproduktion mehr hinzu: in der simultanen Wahrnehmung zweier Programme, vor allem auch ihres akustischen Profils, d. h. ihrer gegenseitigen Störung und teilweisen Auslöschung, wird die nicht hintergehbare Anwesenheit medialer Bilder durch eine knappe Anordnung vorgeführt, gleichzeitig aber auch die Konfusion ihres Sprechens, ihrer Logik.
Die Bilder werden - indem sie sich gegenseitig ausgesetzt sind - als Erscheinungen eines spezifischen UN-Sinns, einer spezifischen Verrückung gekennzeichnet - als Effekte medial-apparativer Systeme und ihres simultanen Zugriffs auf die Welt, aber auch ihrer simultanen Gegenwart in der Welt (des Subjekts), die längst dazu geführt hat, daß sich die Bedeutungsfelder der ausgestrahlten Programme in Ketten von diskontinuierlichen Bedeutungs- und Verführungsfragmenten aufgelöst haben (Zapping). Die Verdeckung des Bildschirms, die Selbstbespiegelung des Betrachters im Nähern, erscheint als Analogie dieser Fragmentarisierung, die den Verkehr mit der Welt über die apparativen Bilder kennzeichnet: nur ein Stück vom Bildschirm und nur ein Stück von sich selbst ist zu erkennen: die Medien erscheinen nicht länger als mächtiges Erkenntnisinstrument, sondern als Nadelöhr der Wahrnehmung und des Sinns, nicht als vollständige Beschreibung und Aufzeichnung, sondern als Diskontinuierung der Erscheinung wie des Sinns: "Paralogie", ein Begriff aus der Psychologie, ist ein Sprechen, das nicht in der Lage ist, eine Klarheit seines Inhaltes zu erreichen, eine kontinuierliche Erzählung aufzubauen, das mithin keine Mitteilungen produziert, sondern lediglich fragmentarische Äußerungen - dieses Sprechen deutet auf jenes der apparativen Bilder, auf ihre Effekte und Enervierungen, auf ihre Affizierungen, die nicht auf die Aufklärung des Subjekts zielen, sondern auf seine Verführung. Diese Affizierungen werden von Marc Mer beeinträchtigt, kanalisiert auf ein schmales Erkennen am Rande der Bilder.
Es handelt sich nicht mehr um Oberflächen, auf denen etwas erscheint oder sich ereignet, das der Blick noch entziffern könnte (und von dem er sich sozusagen gefangen sieht), sondern um Felder, die sich als pure Folie zu erkennen geben, als das eigentliche Medium der Bilder: Ort ihres Erscheinens zu sein, ein fatales Träger- und Transportsystem einer PARALOGIE: ein verwirrtes und gestörtes, beschleunigtes und fragmentiertes visuelles Sprechen, das in seiner Syntax und seinen Syntagma eigentlich nicht mehr entziffert werden kann: die Störung der Kommunikation zugunsten von Informationsfragmenten, von Informierungen, Suggestionen. Gegen diese Fiktionen der Bilder, als Kommentare und Freilegungen, als Kennzeichnungen ihrer Konsequenzen ist die Arbeit letztlich angelegt - damit gleichzeitig gegen die Fiktion der Wahrnehmung, des Erkennens, gegen das Deuten, das sich auf die Wahrnehmung dieser Fiktionen gründet: ein Mißtrauen gegenüber der Kultur der apparativen Visualität.
Zurück bleibt eine Konstellation der Beeinträchtigung, ein Defekt im apparativen System der Bild-Produktion, der diese Produktion selbst als Störung definiert und der überdies die Rezeption als eine Störung zu kennzeichnen versucht. Die Arbeit selbst ist als Paralogie angelegt, nicht als eine Verdoppelung, sondern als ein Nebenher-Sprechen zu dieser immer auch symbolischen Ordnung der apparativen Bilder, mithin ihrer Weltbilder.
Marc Mer präsentiert uns damit eine anamorphotische Situation: es ist nicht der direkte Blick auf das Objekt, den Apparat, der seien Sinn zu entschlüsseln in der Lage ist, sondern es ist der Blick von der Seite her, es ist der auf die Seite gelenkte Blick, weg von den Zentren der Bedeutungsfelder, der jetzt den Sinn, und dieser ist: die Paralogie, freilegt. Es geht um diese Verschiebung der Aufmerksamkeit, um ein Entsetzen der Kontinuität von (apparativer) Erscheinung und Wahrnehmung, eine Wahrnehmung, die, auf das Zentrum der Erscheinungen gerichtet, lediglich apparative Effekte erkennt, "die, richtig gesehen [und das heißt jetzt in einer Verkehrung: von der Seite her], nichts als Schatten dessen sind, was nicht ist."3

1 Marc Mer, Das multiplizierte Fenster. Vom Haus zur interaktiven Apparate-Architektur, in: Medien. Kunst. Passagen., 1/1992.
2 marc mer: ferne der welt. der multiplizierte blick, Passagen: Wien 1993.
3 William Shakespeare, König Richard II., Stuttgart 1976, zit. nach: Slavoj Zizek: Mehr Genießen. Lacan in der Populärkultur, Turia & Kant: Wien 1992.



© Reinhard Braun 1993

erschienen in:
Marc Mer, "para-logo", Köln 1994



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