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Die Ferne der Welt
Mit dem im Passagenverlag erschienenen Buch "marc mer. ferne der welt. der multiplizierte blick" liegt die erste umfangreichere Publikation über Arbeiten des in Tirol geborenen, in Köln und Graz lebenden Künstlers und Architekten Marc Mer vor. Das Buch versammelt die wichtigen Serien und Installationen aus den Jahren 1984 bis 1992 und gibt einen Einblick in deren grundlegende Fragestellungen und Konzepte, wobei sich zwei zentrale Begriffe, die sich praktisch durch alle Arbeiten ziehen, abzeichnen: Bild und Apparat. Immer wieder ist die Erscheinung der Bilder, als Tafelbild wie auf den und durch Apparate/n (Fotografie, Kopie, Printmedien) ein Thema, immer wieder vor allem das Thema einer Analyse, einer Zerlegung und in weitere Folge einer Auslöschung, einer Unterbindung: das Tafelbild wie die apparative Oberfläche werden auf ihr (konzeptuelles) Minimum reduziert, werden von jeder Darstellung und Erzählung entleert, werden dadurch bild- und (scheinbar) sinn-los. Diese Minimierung erscheint im Buch bereits in der ersten Skizze, die die Anordnung des Projekts "zeittische ( time-tables" im Haus Wittgenstein in Wien zeigt, dem der erste Teil des Buches gewidmet ist: aus dem darin eingezeichneten Kopiergerät entweichen Punkte, die die Kopien repräsentieren, zugleich aber auch den Umstand, daß das Bild (ein als Bild zu begreifendes visuelles Feld) derjenige Begriff ist, auf den sich die gegenwärtige Kultur in ihrer Entgrenzung des Visuellen und Ästhetischen reduzieren, d. h. auf den Punkt bringen läßt. Als Punkt erscheint das Bild auch in einer früheren Serie von kleinformatigen grundierten Leinwänden mit dem Titel "welt ( weltbilder", und von diesem Titel ausgehend wird die zentrale (auch theoretische) Position des Bildes als Kulturtechnik angesprochen: sich durch und über das Bild die Welt zu vergegenwärtigen und zu entwerfen. Seit der Bildbegriff allerdings von technischen und medialen Systemen annektiert wurde, hat sich in diesen Zugriff auf die Welt und ihren Entwurf eine eminente Distanz eingeschlichen: jene "ferne der welt", um die das Buch und die Arbeiten kreisen.
Exemplarisch für die massenmediale Operationalisierung der Welt durch das technische Bild werden Zeitungen zum Gegenstand einer Demonstration: sie werden zugemalt, in Grundierung getaucht, zu einem Objekt verschlossen, an dessen Oberfläche jedoch ein Fenster geöffnet bleibt und dieses "Fenster" ist wiederum: ein Bild ("picture", 1989). Alles wird zum Kommentar der Bilder, jeder Text, alles Schreiben (und Sprechen) begleitet bereits (mentale) Bilder, und auch dieser Kommentar zu den Arbeiten von Marc Mer wird unweigerlich ein Bildkommentar. Die bildliche Darstellung bleibt in der Folge aber nicht unangetastet sondern nähert sich buchstäblich dem Punkt ihres Verschwindens, wie in der kleinformatigen Leinwand "mimesis" aus der Serie "welt ( weltbilder", die als Gegenüberstellung zweier Punkte den Begriff auf seine minimale Formel bringt, die ihn (beinahe) aus der Abbildung selbst rückt. Die Darstellung wird entleert und zu einem "unbeschriebenen Blatt", einer leeren Fläche, die sich von allen Aneignungen befreit hat und gerade dadurch den Umstand vor Augen führt, daß der blinde Fleck jeder Darstellung die Ebene ist, auf der sie erscheint, von der sie erst zur Sichtbarkeit gebracht wird. Durch das Bild hindurch gilt das Interesse von Marc Mer diesen Ebenen, die die Bilder eigentlich erst erzeugen.
In der Entleerung von Oberflächen referriert Marc Mer auf die grundsätzliche Tatsache, daß "man nicht das Medium selbst wahrnimmt, sondern die Form, die die Elemente des Mediums koordiniert".1 Sich gegen diese Form zu richten, heißt, den Blick wieder auf das Medium zu lenken, dorthin, wo es sich konstituiert und der Koordination der Elemente vorausgeht.
Dieser Angriff auf die Formen der Szene des Bildes wie des Bildschirms ist auch ein Angriff auf ihre intendierte Bedeutung und Strategie - die permanente Verbreitung eines Begehrens am Bild, seiner Erzählungen, seiner Fiktionen und Konditionierungen. Damit wendet sich Marc Mer auch gegen die durch diese Bildsysteme produzierten Orientierungen des Blicks (und damit des Bewußtseins) und vor allem gegen eine Unmittelbarkeit von Blick und (medialem) Bild-Objekt. Die "ferne der welt« ist eine Ferne der durch Bildmedien verstellten Erscheinungen und Dinge, ist die Metapher für eine fundamentale Distanz, die zwischen dem Blick und den Erscheinungen konstruiert worden ist und die dazu geführt hat, daß der Blick nur mehr durch Prothesen sich die Welt erschließt. Die Verhinderung dieses Blicks, vielmehr eines scheinbaren Ausblicks auf die Welt, die in den Arbeiten von Marc Mer durch die Entleerung der Bildoberflächen erreicht wird, erscheint somit als ein Kommentar zur Mediatisierung (nicht nur) des Sichtbaren, das nicht weiter zur Ordnung der Wirklichkeit gehört, sondern seit der Erfindung der Fotografie zu einer Ordnung der Reproduktion und Re-Konstruktion.
Trotzdem also immer wieder bildproduzierende Objekte manipuliert werden (und auch das Tafelbild wird dabei immer mehr zum Objekt), d. h. Bilderwerfer: Zeitungen, Monitore, Watchmans, Fotoapparate, Kopierer, usw., richtet sich der Entzug ihrer Produkte (der Bilder) allerdings gegen ihre visuelle Rhetorik, die eine der Faszination und der Überredung ist. Diese Ausblendung erscheint somit nicht als Affirmation jener Bildmedien, nicht als euphorische Medienkunst, sondern als geradezu ikonoklastischer Akt gegen deren fundamentale Mechanismen: darzustellen, zu repräsentieren, zu senden, auszustrahlen, zu verdoppeln, zu verführen usw. usf. Zurück bleiben "zurechtgerückte" Gegenstände im Rahmen einer Kunst-Ordnung, die jetzt allerdings einen Defekt im System der Bildproduktion markiert, ein Defekt, der diese Produktion selbst als Störung definiert.
Insofern sind viele Arbeiten der Versuch, im Anschluß an die Zurückweisung eines authentischen Bildbegriffs der Malerei auch das Licht des Monitors als prinzipielle "Aufklärung" ("bright period", der Titel einer Installation in der Galerie Orms in Innsbruck 1991) anzuzweifeln und die blinden Flecke medialer Bildproduktion aufzufinden und zu markieren - auch als blinde Flecke der Wahrnehmung. Wenn in der Installation "zeittische ( time-tables" ein Monitor auf einem Kopiergerät plaziert ist, dieses Kopiergerät den Bildschirm ablichtet und dennoch nur leere Blätter auswirft, ist das ein Kommentar zu jenen bildweltlichen Weltbildern der Medien, ein Vorgang, in dem beide Apparate ihren Sinn verlieren oder erst durch diese Irritation enthüllen - eine permanente visuelle Tautologie jenseits jeder Wirklichkeit.
Und eine Aufklärung der Apparate - die als black boxes verstanden werden -, ihre Erhellung und somit die Herstellung einer Einsicht in diese technischen Objekte, gelingt für Marc Mer ebenfalls nur über ihre Destabilisierung, über einen Angriff auf ihre Produktion, bis hin zur buchstäblichen Öffnung, etwa des Fotoapparats: durch die Entfernung des Objektivs werden gleichzeitig alle möglichen Bilder entfernt. Die geöffnete Kamera steht einer Spiegelwand gegenüber und reflektiert in ihrem eingebauten Spiegel ein Bild, einen Reflex von sich selbst, der allerdings nicht mehr aufgezeichnet werden kann, weil ohne die Fokussierung durch das Objektiv die Bilder sich zerstreuen und sich nicht mehr abzeichnen - ein zirkuläres System ohne Anfang und Ende, ohne Vorbild und Abbild, keine Repräsentationen mehr, sondern eine Selbstbespiegelung der Apparate - kein Raum auch für die Wahrnehmung oder besser, ein ganz anderer Raum der Wahrnehmung der Bilder entsteht jenseits der Bilder. Bildsysteme erscheinen bei Marc Mer grundsätzlich als paradoxe Systeme, die Installationen selbst werden zu paradoxen Konfigurationen, die die Apparate diffamieren, dabei allerdings versuchen, sie über diese Diffamierung gleichzeitig zu erhellen, über ihre Filter und Determinierungen Aufschluß zu geben, ihre Programme und Programmierungen zu ent-decken - der Apparat vom Subjekt entblösst, sogar.
Es entsteht eine Umkehrung der Exponierung: der Blick fällt nicht auf die Bilder und ihre Motive, sondern in die geöffneten Apparate als das eigentliche Bildsystem, als das theoretische Objekt hinter bzw. vor dem Bild. All dies geschieht allerdings nur durch eine Geste, einen einfachen Dreh, eine Entfernung oder Dis-Plazierung, nicht durch Inszenierungen oder Ästhetisierungen, und nicht in großem Maßstab. Marc Mer untersucht mediale Effekte, ohne sie zu reproduzieren (er selbst stellt schließlich überhaupt keine Bilder mehr her und produziert damit auch nicht kritisch gegen andere), er entfremdet sie vielmehr, dis-loziert sie und markiert ihre Mechanismen durch die Abwesenheit ihrer Konsequenzen. Obwohl das Bild als Begriff und/oder als Objekt anwesend ist, ist es dennoch das große Abwesende, das Andere, auf das die Konzepte zielen. "werden da noch wahrheiten durch licht und schatten, räume und projektionen, zeiten und zitate transportiert?"2
1 Norbert Bolz, Theorie der Neuen Medien, S. 135.
2 Uli Bohnen, "hier und jetzt: utopia flexibel", in: marc mer. ferne der welt. der multiplizierte blick, S. 66.
© Reinhard Braun 1992
erschienen in:
Camera Austria 46/1994
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