[start]



Featuring
¬ Marc Mer

Reinhard Braun
Der Punkt, das Bild, die Welt.

Gegeben ist: die Präsentation von Bildern bei gleichzeitiger Unterschreitung des Bildes selbst. Bereits in den malerischen Arbeiten von Marc Mer ist die Ablehnung der Re-Präsentation, einer referentiell orientierten Darstellung, signifikant, bereits die Malereien zeigen die quasi generative Dimension von Bildern, entgegen der Narration eine Form der Präsentation/Präsenz zu markieren. Bereits die Malereien zeigen auch den Versuch, diese Präsentation - nicht zu reduzieren, sondern diese in möglichst präzisen (Bild-) Zuständen durch die Gestaltung zu fokussieren und in dieser Präzision auch zu transportieren. Es werden letztlich die Bilder selbst gezeigt und keine Erscheinungen.

Die Präzision - auf der Ebene einer zeichenhaften Konstellation - wird in den kleinformatigen Leinwänden - die keine Malereien im eigentlichen Sinn mehr sind - konsequent weiterformuliert und weiterbetrieben. Die semantische Dimension dieser Arbeiten wird durch den Einsatz von Text/Begriffen unterstrichen, und zwar von Begriffen, die durch die Schreibmaschine auf die Leinwand gebracht werden, d.h. die ein Beschreiben indizieren, das bis vor kurzem noch ein internalisierter Mechanismus der Autorenschaft im weitesten Sinn war. Von diesen Begriffen, dieser Bezeichnung der Leinwand aus, öffnet sich ein symbolisches Feld kultureller Produktion, das bei Marc Mer auch in den Installationen präsent ist: die Print-Medien, das Buch, der Text als kulturelle Metaphern und ihre permanente Symbiose mit dem Bild, dem Bild(-Begriff), der einen Fokus der Arbeiten Marc Mers darstellt. Indem diese textuelle-kulturelle Produktion auf den minimierten Leinwänden nur mehr als Zeichen präsent ist, wird sie - derart transformiert - anschlußfähig an ein semantisches Feld, das sich auch über das Bild und seine symbolischen Inschriften erstreckt, seine traditionelle Re-Präsentation und die Projektionen auf die Bilder mitumfaßt und gleichermaßen transformiert: das Bild ist nurmehr als eine abstrakte Größe gegenwärtig, es wird zu einem - selbst zeichenhaften - Schauplatz der Zeichen, die allerdings keine ästhetischen, allegorischen oder metaphorischen mehr sind. Es handelt sich vielmehr um Null-Zeichen, auch um Null-Begriffe: "bild" - "tv" - "weltbild(er)"; Punkt, Quadrat und Strecke korrespondieren diesem konzentrierten Universum als visuelle Äquivalente, die aber fast nicht mehr auf einer visuellen Ebene sprechen. Marc Mer konstruiert ein visuelles/textuelles Gefüge, eine visuelle Topologie, die in immer neuen aber nicht unendlichen Anordnungen nichts weniger als die zentralen Paradigmen gegenwärtiger Kunstproduktion formuliert, ohne noch auf einer traditionellen ästhetischen Ebene vom Bild zu sprechen. "Mimesis" erscheint nur mehr als die Gegenüberstellung zweier identischer Punkte: das Bild wird zu einem Faktor, einem Operator, einer funktionellen Größe und kippt in dieser Dimension von einer Re-Präsentation zur Präsentation: obwohl von der Mimesis "sprechend", entzieht sich das Bild selbst der Mimesis und unterschreitet jede Vorstellung davon. Die kleinen Leinwandgevierte erscheinen als objekthafte Zeichen einer Bildvorstellung, die dadurch gleichzeitig ihrer eigenen Auslöschung entgegengeführt wird. Die präzise Formulierung der Mimesis als minimierte Applikation einer Oberfläche legt paradoxerweise wieder diese Oberfläche frei, die als solche immer nur auf sich selbst zurückweist: die leere Leinwand. Das Bild und seine funktionalisierten Kommunikationsrituale erscheinen nur mehr als verdinglichtes Zeichensystem auf einer entleerten und radikal entmythisierten Oberfläche.

In einem Triptychon wendet sich Marc Mer schließlich gegen die Integrität dieses Trägersystems Bild: der Leinwand als bereits ein Bild wird dieses nochmals in Form einer Kopie eingeschrieben, hinterlegt. Die Kombination zwischen der zeichenhaften Form für eine ehemals nobilitierte Oberfläche [Malerei] und dem kopierten Bild als Metapher der Reproduzierbarkeit spannt wiederum ein kulturelles Kaleidoskop auf, bringt dieses in (auf) eine einprägsame Form(el). Die Kopie einer Reproduktion eines Tafelbildes als buchstäblicher Aus-Schnitt einer Null-Form des Tafelbildes signalisiert diesen Zirkel zwischen Bild, Abbild, Nachbild (Reproduktion) und dem Weltbild als eine Form des mentalen Bildes (in einer Welt der Bilder). Bis hin zu den versiegelten Zeitungen, die in dieser Versiegelung wieder ausschließlich zu Trägern von Bildern werden, dreht sich alles um diesen Begriff: die Auslöschung des Kontextes um der Inszenierung dieses einen Bildes willen, auf dem sich Spencer Tracy und Catherine Hepburn einen Blick zuwerfen, der hier nur wieder gelesen werden kann als einer, der Bilder erzeugt, intelligible, erotische, intellektuelle, neurotische - jedenfalls Bilder, die bereits kulturell besetzt zirkulieren. Gegeben ist letztlich: das Bild, das die Arbeit gegen sich selbst evoziert, die Arbeit an einer visuellen Sprache, die das Bild als kulturelle Konstante und Dominante denotiert - eine Unterschreitung des Bildes.



© Reinhard Braun 1992

erschienen in:
"marc mer. ferne der welt. der multiplizierte blick", Passagen, Wien 1992



[download text als pdf][get acrobat reader]



[start]





last modified on 2002 04 09 at 19:36 by braun /