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Featuring
¬ Helmut Mark

Reinhard Braun
Unschärfen - Relativierungen - Überlagerungen.
Kunst als Schnittstelle

"Die Massenkultur kennt nicht das Authentische, sondern das Stereotyp und die Wiederholung. Sie zwingt deshalb die Kunst, sich zunächst auf diese Wahrnehmung einzulassen, bevor sie den Betrachter woanders hinführen darf. Die Antwort der Kunst besteht in diesem doppelten Spiel, sich in Frage zu stellen und sich gerade dabei zu behaupten. Sie wird vom Betrachter, der inzwischen schon seine eigene Wahrnehmung wahrnimmt, nur ernstgenommen, wenn sie ihn am Schauplatz der unvermeidlichen Medien in einer medial verspiegelten Gestalt empfängt. Wo wir kein Medium entdecken, durch dessen Brille wir sehen, fühlen wir uns hintergangen, weil wir schon nicht mehr glauben, noch unvermittelt wahrnehmen zu können."1

Stereotypen, Klischees, massenkulturelle ästhetische Phänomene, Wiederholungen, Kunst als Darstellung von Kunst oder als Verdoppelung medialer Situationen und Oberflächen, Tautologien, Aneignungen, Ironie, das Spiel mit Kontexten - die Frage nach den (noch immer?) möglichen Funktionsweisen von Kunst bewegt sich (nicht nur, aber) auch angesichts des durchgehenden Diffundierens von Medieneffekten in alle Bereiche der Kultur (und somit auch in den Bereich der Kunst) immer offensichtlicher in einem zumindest doppelten Bezugssystem: einerseits bilden kunstimmanente (literarische wie ökonomisch-institutionelle) Mechanismen noch immer den Rahmen, in dem Kunst (auch als Kontext-Kunst) auftritt, andererseits sind es gerade kunstfremde (massenmediale, soziale, technologische, ökologische) Phänomene, die diesen Kontext in ständig neue Referenzsituationen und Definitionsstrategien verwickeln - nicht zuletzt die gegenwärtige Transgression der künstlerischen (Informations-) Produktion in Kommunikationsnetzwerke (als neuer Meta-Kontext aller kulturellen Bereiche gewissermaßen).

Spätestens mit der Videokunst wurden massenmediale Phänomene nicht nur für den Bereich der Kunst sozusagen annektiert, sondern finden Kunst und Massenkultur auf der selben Ebene statt: es ist kein Zufall, daß das Video "Global Groove" von Nam June Paik aus dem Jahr 1973 bereits Frühformen des Musikvideos integrierte. Auf derselben Ebene heißt hier aber, daß es nicht nur um Affinitäten der Bildästhetik oder der Erzählformen geht, sondern daß der Produktions- und Distributionsrahmen und -raum prinzipiell ident sind - der Bildschirm (des Fernsehens und des Videos) ist lange Zeit der ausschließliche Ort dieser "Berührung" gewesen, ein Bilderwerfer, der sowohl massenkulturelle wie künstlerische Imaginationen zur Darstellung brachte (gleichzeitig das kollektive Unbewußte nach- bzw. vorzeichnend).

Die zahllosen Thematisierungen des Bildschirms, des Monitors innerhalb von Videoprojekten, -skulpturen und -installationen seit Mitte der 60er Jahre sind ein Zeichen nicht nur für die Integration der Populärkultur in den Bereich der Kunst, d. h. für die unausgesetzte Expansion der Kunst in Bereiche der Alltagskultur (ein Topos der Moderne), sondern mehr noch für die zunehmende Kongruenz beider Bereiche, deren Differenzen immer weniger an der Oberfläche selbst ablesbar wurden. Agierte die Pop Art beispielsweise vor allem mit dem Kontextwechsel, indem sie die (künstlerische) Bearbeitung, die Maßstabsverschiebung oder einen Materialtransfer als Differenz vor Augen führte, so läßt das elektronische Videobild diese Differenz nicht mehr ohne weiteres sichtbar werden - auch deshalb, weil es keinen definitiven Kontext, keinen Ort für das Videobild gibt, auf das es zu beschränken, dem es funktional oder operativ eingeschrieben wäre. Der Bildschirm in einer Ausstellung verweist deshalb nicht nur auf die Integration eines "neuen" Mediums in den Kunstkontext, sondern auf den Prozeß einer Homologisierung des technologischen Horizonts der Kultur insgesamt (dessen letzte Vergegenständlichung gegenwärtig in Form des Computers auftritt), die den Kunstkontext wie den Alltag, den öffentlichen wie privaten Raum gleichermaßen erfaßt hat. Konnte Marshall McLuhan noch über die Differenzen von Schreibmaschine, Radio und Fernsehen schreiben, so haben sich jetzt diese Medienkanäle (beinahe) zu einem einzigen vereint, hat auch das elektronische Bild und mit ihm der (Video-) Monitor dem digitalen Bild und dem Computerbildschirm platzgemacht. Er blieb jedoch bis in die späten 80er Jahre die wichtigste Schnittstelle und das zentrale Experimentierfeld sowohl für künstlerische wie auch massenmediale Strategien, wie sich - auf Seiten der Messenmedien - leicht anhand von Erscheinungsweise und Entwicklung der Sendeschemata von Rundfunk- und Fernsehanstalten seit den 70er Jahren nachvollziehen läßt: das kollektive Unbewußte sucht quasi permanent nach einer entsprechenden visuellen Form - das Fernsehen läßt sich als zentrales Medienfeld ansehen, in welchem diese Form zu finden (oder zu erfinden) versucht wurde. Auch in dieser Hinsicht scheinen die klassischen elektronischen (Massen-) Medien durch digitale (Virtual Reality-) Systeme abgelöst zu werden. Der Anschluß an das eigene Begehren wird im Falle digitaler Technologien durch andere Schnittstellen (oder gar Implantate?) als durch den Bildschirm zu erreichen versucht.

Der (elektronische) Bildschirm, lange Zeit als "Fenster zur Welt" gefeiert, ist nicht zuletzt ein Produkt hochtechnisierter industrieller Produktion auf der Grundlage intensivierter Forschung und Produktoptimierung. Nicht nur aufgrund der visuellen Diskurse, die er repräsentiert, ist er ein paradigmatisches Objekt der Nachkriegskultur und damit der Nachmoderne. Seine Verbreitung im Zuge der Etablierung des Fernsehens als Massenmedium (an dessen Entwicklung Video anschließt) macht ihn im Anschluß an das Automobil und das Telefon zu einer jener (vergegenständlichten) Schnittstellen, auf denen sich eine Reihe von kulturellen Mustern quasi wie eine Tektonik der Gesellschaft spiegeln (etwa das Phänomen der Beschleunigung, der Implosion von Kontexten und kulturellen Differenzen, aber auch der Massenkommunikation, der Ökonomisierung der Privatsphäre, der Umformung des öffentlichen wie des privaten Raumes etc.). Der Bildschirm, als Fernsehgerät wie als Videomonitor, ist (war?) Sinnbild dafür, wie sich gesellschaftliche Mechanismen in einem komplexen Verhältnis zu bestimmten Oberflächen (und bestimmten Objekten) befinden, auf denen sie erscheinen, durch die sie (scheinbar) repräsentiert werden oder sich sogar darauf ereignen (sollen) - und die dadurch auch zum Austragungsort von kulturellen Konflikten werden, auf denen sich das Ringen um das Bewußtsein der Massen ablesen läßt.
Die Transponierung gesellschaftlicher Entscheidungsmechanismen in das Feld medialer Mechanismen und Oberflächen (vom Plakat bis zum Bildschirm) zieht es auch nach sich, daß Strategien einer Aneignung und Analyse, einer Kritik oder "Enttarnung" solcher Mechanismen, ihre Verdoppelung, Persiflierung, auch ihre Negation und Auflösung - d. h. Strategien, mit denen die Kunst der Nachmoderne verstärkt operiert - ebenfalls mit/auf diesen Oberflächen operieren (müssen), bzw. versuchen, als Korrektiv oder zumindest als Kommentar, wenn nicht als Negation, dort einzudringen. Durch die Koppelung dieser öffentlichen Oberfläche mit einem anderen System (jenem der Kunst), das ganz ähnlichen Zugriffen ausgesetzt war und ist, werden beide in ein Spiel von Oberflächen gezogen, zu einer Oberfläche der Kommentierung (oder Erweiterung, Bestätigung) der Kultur, ihrer Bilder, ihres Selbstverständnisses, das durch kollektive Bildmuster und -erzählungen erzeugt wird, die Selbstreproduktion von Vorstellungen und (Wert-) Urteilen. Die Ästhetik des Monitors, die Ästhetik seiner (künstlerisch generierten) Bilder, wie sie in zahllosen Arbeiten zur Videokunst produziert und präsentiert wurden, ist also auch ein Kommentar zur Mediatisierung des Gesellschaft - im Medium selbst, ein Kommentar, der sich nicht von außen auf einen Zustand, einen Gegenstand, richtet, ihn beschreibt oder kritisiert, sondern ihn besetzt, imitiert, modifiziert, in seinem Sinn verkehrt - "im Bauch des Biestes". Durch das Einziehen von Distanzen, was Ästhetik und Materialität betrifft, arbeitet schon die Video-Kunst an der Beendigung einer historisch definierten Eigenheit, der Konstruktion eines "eigenen" Ortes: die in der Kunstgeschichte und -wissenschaft entwickelten Instrumentarien einer Distinktion zwischen Ursachen und Bedingungen, der ursprünglichen Kontexte und der endgültigen Bedeutungen, kurz: der Aufdeckung eines immer schon vorhanden Sinnes, der einer Rekonstruktion zugänglich ist, werden dadurch revidiert. Kunst, Konsum und Unterhaltung ereignen sich zunächst auf derselben Ebene. Wenn solche Produkte also weder auf eine ihnen äußerliche Realität verweisen, noch ihre Herstellung sich durch eine spezifische Praktik (oder Fertigkeit) auszeichnet, stellt sich eminent die Frage nach einem möglichen Kontext, in dem und durch den noch bewertet werden kann, was erscheint und/oder sich ereignet (eine der ersten Sendungen im Österreichischen Fernsehen, in der Videokunst präsentiert wurde - "Impulse", 1972 -, hieß dementsprechend "Ist das Kunst?"). Mit der Videokunst setzen sich also einerseits Stategien und Konzepte der Moderne und Nachmoderne fort, gleichzeitig wird der Zusammenhang zwischen Kunst und (Alltags-) Kultur mit neuer Schärfe thematisiert: er wird auch zu einer Frage der Technologie - eine Frage, die angesichts der jetzt allgegenwärtigen Medienverbundsysteme bereits Historie zu sein scheint. Heute über einen solchen Zustand vor den digitalen Bildern zu sprechen, ein Zustand vor der einsetzenden Realisierung (des Phantasmas) der Synthetisierung potentiell aller Kontexte, heißt demnach geradezu, eine Anstrengung zu vollziehen, eine fremde Perspektive einzunehmen, von der aus ein solcher überhaupt in den Blick kommen kann. Wir erinnern uns also - und bedienen uns dabei schon jener Medien, auf die sich die Erinnerung richtet. Die Medien beginnen sozusagen, selbstreproduktiv, wie von selbst, ihre Geschichte zu erzählen, nachdem wir ihnen schon die Aufzeichung dieser Geschichte anvertraut haben. (Auch aus diesem Grund sind Medien keine Werkzeuge.)

Video als Medium ohne Kunstgeschichte, als Medium der Alltagskultur, als Machtsystem elektronischer Bilder, als Symbol eines neuen visuellen Dispositivs der Gesellschaft, als Syptom eines neuen Bilddiskurses, der eine eigene Ästhetik und narrative Logik entwickelt hat, der besonders durch diese Logik von Zirkulationen und Austauschverhältnissen gekennzeichnet ist - Video und mit ihm der Bildschirm als Vergegenständlichung dieses Diskurses stellte in jedem Fall eine erste vor allem technologisch fundierte und definierte Form des Kurzschlusses zwischen Kultur und Kunst dar, der in dieser Form durch traditionelle künstlerische Medien nicht (mehr) zu erreichen war. Der Monitor fungierte unter diesen Vorzeichen geradezu als symbolisches Objekt einer Form der Kultur (und auch der Kunst), die sich über dieses Objekt permanent an sich selbst angeschlossen sah, in dem kollektive Bedürfnisse gespiegelt und/oder geweckt wurden, das einen neuen Zugang zur Realität zu vermitteln schien. Videokunst richtete sich sozusagen auf den Mittelpunkt der Kultur (einer Kultur, die sich im Zentrum immer schon technologisch definiert hat). Und auch nicht aus Zufall stand die (symbolische) Tötung dieses Objekts am Beginn seiner Aneignung durch die Kunst: 1963 zeigt Wolf Vostell in Wuppertal im Haus Jährling "9 Dé-collagen"; im Rahmen dieser Präsentation wird zum ersten Mal ein Gerät durch einen Schuß zum Implodieren gebracht - Implosionen wurden seitdem immer wieder zu erreichen versucht, Implosionen, die sich im Gegensatz zur buchstäblichen Zerstörung vor allem auf die semantischen Potentiale des Mediums bezogen: der leere Bildschirm etwa, der jede Form der Darstellung unterschreitet und damit jede Form der Vermittlung unterbindet; oder das Rauschen, das den Endpunkt der Informationsübertragung kennzeichnet, denn im Rauschen sind alle Informationen völlig gleichwertig und gleichzeitig präsent. Die totale Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit von Informationen (das Fehlen jeder Form der Differenz) ist aber das Ende nicht nur jeder Möglichkeit zur Informationserzeugung, sondern auch jeder Informationsverarbeitung: Rauschen heißt, den Sender zu wechseln, die Idee des Senders zum Implodieren zu bringen. (Und: wir erinnern uns an jene sendefreien Zeiten, in denen sich dieser Zustand im Apparat abgebildet hat - in wildem Rauschen nach dem Sendeschluß. In jenen Momenten war der Apparat wirklich ein Fenster in die Welt, zumindest in ihr Strahlungsverhalten.)

Die Implementierung des visuellen Systems Video in den Kontext der Kunst bzw. die Einschreibung der Kunst in dieses Medium erfolgte analog zu allgemeinen künstlerischen Strategien der wechselseitigen Transgression gesellschaftlicher Teilsysteme (beispielhaft durch die bereits erwähnten Ansätze der Pop Art, aber auch durch Fluxus, Konzeptkunst oder etwa durch Mail Art). "In den 70ern wurde oft Video über Video, d. h. Video über das Phänomen Video gemacht, in den 80ern wird Video als Video gemacht (...) wird in seinen konkreten ästhetischen und technischen Möglichkeiten genutzt."2 Nach medienimmanenten Reflexionen über Reproduktionsaspekte und soziale Implikationen der neuen Bildfläche werden nicht nur ihre formalen Logiken als künstlerische formuliert, Video ist als Bildform wie als technisches/apparatives System "Kunstmittel" geworden, allerdings ein Kunstmittel, das (zumindest kunstimmanent) immer wieder in Differenz zu klassischen Kunstmitteln und -materialien gesetzt wird, das formale Konfigurationen etwa der Malerei imitiert (bzw. persifliert) und auch als Imitation der Skulptur auftritt und diese dadurch gleichzeitig erweitert und relativiert. Video als Video heißt demnach nicht, eine Wende zur Ästhetisierung zu vollziehen, aber die Reflexionsebene zu wechseln: Video als Video heißt, die Spezifität des Video darzustellen bzw. in und durch (hypothetische) Differenzen von Materialien und Formen zu inszenieren. Die Konfrontation oder Mischung der Materialien projiziert Systeme aufeinander, stellt Schnittstellen her, an denen nicht nur die Differenzen der Materialien selbst aufscheinen, sondern vor allem die semantischen, semiologischen Implikationen dieser Differenzen sichtbar werden (können): es geht weniger um die Objekte selbst, als darum, sie als (An-) Zeichen zu verwenden.
Den Monitor als Material zu verwenden, ihn analog zu anderen Kunst-Materialien (wie etwa Beton) als Element einer Skulptur zu setzten, kann als Form der klassischen Montage gelesen werden, als eine (postmoderne) Re-Synthetisierung von disparaten Systemen bzw. Zeichensystemen - es kann aber auch als spezifische Modifikation des Begriffs der Skulptur gedeutet werden, die sozusagen in ihr mediales Stadium eintritt. Skulptur als Medien-Skulptur besitzt nicht mehr nur eine Form, sie beinhaltet die Möglichkeit zu verschiedenen Formen - Medien-Skulpturen formen auch die Zeit ihrer Erscheinung, verfügen über eine Zeitform.
Denn der Monitor als Bilderwerfer elektronischer Signale zeigt gerade in seiner Inszenierung als formales Element einer Skulptur oder Installation, daß das eigentliche Material nicht der Monitor selbst ist, nicht das Objekt, sondern der Kontext, den es transportiert, projiziert, verbreitet - die Bilder, die selbst ganz verschiedenen Kontexten entnommen sein können, die die Skulptur/Installation aktuell mit anderen Kontexten verschaltet (Closed-Circuit), Kontexte, deren Status nicht nur gegenüber Wirklichkeit sondern auch gegenüber der skulpturalen Anordnung selbst vielfältige Formen annehmen kann. Das Videobild impliziert also jenseits seiner formalen Erscheinung die Möglichkeit, daß sich die Skulptur der Gegenwärtigkeit des Betrachters entzieht, gerade, weil es kein Material darstellt, sondern eine Medienform. Spezifität zielt hier also auf keine ästhetischen Kategorien, sondern meint jene Aspekte, die Video zu einem Tele-Medium machen. Bereits das Video (auch als Skulptur) transformiert also die Vorstellung vom Objekt, dem eine stabile Bedeutung eingeschrieben ist (die Spuren der Bearbeitung durch das Künstler-Subjekt). Der Bildschirm erweitert das Feld der Bedeutungen, gerade, weil er keine fixe Bedeutung besitzt außer jener, den Rahmen für beliebige Bedeutungen zu bilden - Medium im buchstäblichen Sinn. Das Verhältnis von Form und Inhalt wird medial transformiert, indem der Inhalt (als Zeichenraum des Bildschirms) die Form (der aktuelle Zustand dieses medialen Zeichenraumes) in permanenter Fluktuation hält. Auch der Materialbegriff wird dadurch einer Veränderung unterzogen.
Bereits das Video machte deutlich, daß Material von nun an (fluktuierende) Information heißt - auf dem Bildschirm einer Skulptur kann die Darstellung permanent verändert werden: es gibt potentiell keinen definitiven Zustand einer solchen mediatisierten Skulptur. Material bedeutet jetzt nicht mehr primär, eine Form herzustellen, sondern einen Prozeß der Semantisierung in Gang zu setzten, aufrechtzuerhalten, Bedeutungen zu produzieren, zu modifizieren, Kontexte zu wechseln. Das Material wird zu einer Anordnung, die in Echtzeit rezipiert werden muß. Skulptur wird dabei selbst zu einer Zustandform, zu einer Operation am Material, zu einem Prozeß innerhalb eines vorübergehenden und sich selbst verändernden Kontextes.

"Die Kunst unseres Jahrhunderts hat sich in erster Linie durch die Emanzipation von allem Narrativen, Illustrativen und Literarischen definiert: das Bild sollte nicht mehr der Verbildlichung bestimmter ihm äußerlicher Mythen, Geschichten oder Erzählungen dienen, sondern ausschließlich seine eigene Präsenz definieren."3

Wenn Material zu Information wird, dann muß auch ein kurzer Blick auf die Formen dieser Information geworfen werden, auch deswegen, weil bisher ästhetische Komponenten vehement ausgeschlossen blieben, und auch deswegen, um schließlich das Video als Koordinatensystem zu verlassen und sich anderen Medien bzw. Fragestellungen rund um Medien zuzuwenden. Warum hier aber so lange beim Video bzw. bei der Videoskulptur verweilt wurde, hatte vor allem den Grund, anzudeuten, daß sowohl die Stellung der Medien im Rahmen von Kunst als auch die Arbeitsweisen mit und in diesen Medien eminente Veränderungen erfahren haben, wovon nicht zuletzt die Frage der Kunst selbst betroffen ist (die bis jetzt im Begriff des "Kunstmittels" relativ unbeschadet als Referenz herangezogen wurde). Zunächst als Material, Form und Kontext der Kunst etabliert, entstehen schließlich in der Reflexionsarbeit am Medium Video jene Strategien, die Medien nicht mehr als Produktionsmittel oder auch Produktionsraum ansehen, sondern als Handlungsraum: Medien als Telemedien stellen nicht nur Zeichen auf verschiedenen Oberflächen (wie etwa dem Bildschirm) dar, sie erlauben es vor allem, diese Zeichen unmittelbar zu manipulieren und zu verbreiten - Video als Zustandsform wird sozusagen extensiv aus dem Bereich der Skulptur hinausgeführt in den Raum der Kommunikation via Medien. Produktion wird zum Prozeß. Medienobjekte werden zu Medienszenen, die nicht präsentiert, sondern in denen agiert wird.

Zunächst allerdings zur Frage der Darstellung. Am Bildsystem Video läßt sich die Einsicht gewinnen, daß mediale Bilder, als Aufzeichnung wie als Emergenz, immer auch Darstellungen des Mediums selbst sind und Spuren der spezifischen Modi des Mediums gewissermaßen wie eine Signatur tragen: das "Programm" technischer Medien, d. h. ihre Theorie bestimmt darüber, was erfaßt werden kann, wie es erfaßt wird und durch welche Vergegenständlichungen es zur Darstellung gelangt. Die Schnittstelle entscheidet darüber, was als ikonischer, indexikalischer, d. h. was als lesbarer Effekt entäußert werden kann, und damit zum Objekt/einer Szene der Wahrnehmung und Deutung wird (als Helligkeitswerte, Bildzeilen oder Punktmenge). An dieser Schnittstelle zu intervenieren bedeutet, das Programm (das ja immer eines der Darstellung ist) zu bearbeiten, es zu verzeichnen - oder aber: die Dissimulation auszusetzen, die alle Programme der Medien betreiben und die darin besteht, sich als ein Drittes zu negieren.
Darstellungen von Zahlen, Farbfeldern oder monochrome Bildflächen, ein großer, brennender Punkt, eine den Bildschirm waagerecht dividierende Linie, das Videotestbild, (blaues) Rauschen führen als Darstellungen "hinter" bzw. "vor" alle darstellbaren (bedeutenden, sinnvollen) Inhalte zurück (und damit "hinter" bzw. "vor" die Dissimulation). Sie sind Beispiele ästhetischer Zeichen, die nicht nur jede Verbindung mit einer malerischen Reduktion oder Geometrie negieren, sondern auch den Zusammenhang mit einem Künstler-Subjekt. Es ist nicht primär der Autor, der sich hier durch eine ästhetische Geste (wie etwa größtenteils in der Computergrafik) in Szene setzt, der eine Geste als Resultat eines minimalistischen Konzepts der Kunst ins Bild setzt (es sei denn als ironische Simulation), es erscheint vielmehr das Medium selbst, Spuren seiner apparativen Darstellungsmodi. Die Bildschirme in vielen Objekten oder Installationen zeigen einen ästhetischen Zustand des Mediums vor jeder Erzählung, vor jedem "sinnvollen" Bild - die Dissimulation ist außer Funktion gesetzt (das Fenster zur Welt ist sozusagen geschlossen). Lapidare geometrisierte Computerausdrucke wiederum (eines Herzens etwa) verwenden Standardfarben von Farbdruckern in schlechter Auflösung, die die grafischen und damit gestalterischen Möglichkeiten sichtbar werden lassen. Mit Ironie wird vor Augen geführt, wie die Inhalte durch das Medium erfaßt, assimiliert, umgeformt und entsprechend ihrer technologischen Möglichkeiten völlig neuformiert wieder zur Darstellung gelangen. Der neue und vermeintlich direkte Zugang zur Wirklichkeit und ihrer Darstellung entpuppt sich als komplexer Prozeß der Aneignung jeder Darstellungsform durch die Modalitäten der Medien (ihr Programm). Da wir aber heute über diesen Umstand bescheid wissen, d. h. uns vom Begriff bzw. der Vorstellung der Authentizität, eines direkten Zuganges zu den Dingen und zur Welt distanzieren, wir immer öfter wissen wollen, wie ihre Bedeutungen konstruiert - nicht freigelegt - worden sind, liegt in der Darstellung der Modalitäten der Medien ein Stück Beschreibung jenes Zustandes, in den wir uns als Rezipienten versetzt sehen - und zwar durch Medien versetzt sehen. Der Weg, der in solchen Darstellungen zurückgelegt wurde, ist wiederum jener vom Material zur Semantik, denn nach der Idee der Authentizität ist die pure Präsentation von Materialien als Medium eines Inhalts nicht mehr tragfähig; ohne Rahmen, ohne Signifikation, ohne Einschreibung einer Bedeutung bei gleichzeitiger Darstellung dieser Einschreibung ist keine glaubwürdige Bedeutungserzeugung mehr möglich - das Ding an sich ist kein Terminus der Gegenwartskunst.
Diese Relativierung des Materials bzw. des Objekts führt schließlich auch zur Aufgabe der Idee der Skulptur, wenn sie immer mehr zu einer diskontinuierlichen Formation von Dingen, Formen und Zeichen etc. wird, ein Prozeß, der auch als Folge einer zunehmenden Konzentration auf Oberflächen anzusehen ist. Form wird zu einer planen Fläche, dem surface, einem selbstbezüglichen Projektionsfeld, auf dem quasi alles zur Darstellung gebracht werden kann, das von allem erzählen kann und jeden Blick auf weiteres angelagertes Material überflüssig zu machen scheint. Es steht nicht mehr die Repräsentation und damit die Idee eines dahinterliegenden Objekts (als Metapher für das Reale) im Vordergrund - offensichtlich findet ein Übergang zum Konzept (referenzloser) Bedeutungsproduktion statt: Kunst wird Kommunikation innerhalb eines (medialen) Zeichensystems. Kunsterzeugung wird zu einem kommunikativen Verfahren. Die semantisch orientierte Formalisierung, die im und durch das Videobild stattfindet, stattgefunden hat, weist bereits in die Richtung der Symbolisierung von Welt durch digitale Medien. Auch im Bereich der Kunst richten sich formale "Termini" (als "Sprache" von Kunst) nicht mehr auf Differenzen von Dingen, Materialien, Eigenschaften (wie noch in der Videoskulptur), sondern auf Differenzen von Zeichen. Diese Zeichen erscheinen auf der Oberfläche des (Bild-) Schirms - als Schrift des Mediums.
Exemplarisch läßt sich also an der Videokunst die Verlagerung des Interesses vom physischen Raum, seinen Objekten und Körpern (inklusive des menschlichen) hin zu zeichenhaften, abstrahierten, prozessualen, immateriellen, kurz: zu elektronischen Räumen nachzeichnen. Bereits der Bildraum des Video skizziert die prozessuale Dimension der Telemedien, indem es eine Zeitform des Bildes darstellt, multiple Zustandformen kennt und vor allem (im doppelten Wortsinn) synthetisch konstruiert ist, aus diskontinuierlichen zeitlichen und semantischen Fragmenten besteht, keinen einheitlichen Horizont der Bedeutung mehr besitzt. Diesen "Raum" medientechnisch zu disloziieren bedeutet: Telekommunikation. Dem Medium Video ist eine Expansion sozusagen bereits eingeschrieben: der Bildschirm ein Objekt, das in seiner penetranten Gegenwart immer auch zugleich woanders ist.
Dieser Umstand wird schließlich nicht mehr durch Interventionen attackiert, er braucht auch nicht mehr (tautologisch) verstärkt zu werden. Die mediale Verspiegelung des Alltags ist ein Gemeinplatz nicht nur der Diskurse über Kunst. Sie kann allerdings auch nicht (ästhetisch) übertroffen werden. Diese Situation, privat wie öffentlich permanent mit und über Medien bzw. ihre Schnittstellen zu agieren, läßt sich aber auch nicht kritisieren, hat doch gerade auch die Kunst - wie eingangs zu skizzieren versucht wurde - immer wieder versucht, die Distanz zu den Medien abzubauen und einzuziehen. Indem aber die Distanz verschwunden ist, hat Kunst - ironischerweise - eine ihrer Utopien geradezu eingelöst: mit dem (alltäglichen) Leben zu verschmelzen, von alltäglichen Handlungen, Ereignissen, Objekten, Umstanden, Zuständen usw. nicht mehr unterscheidbar zu werden - kurz: die Idee des Ready made umzukehren und jetzt "Objekte" der Kunst ins Leben zurückzuschleusen, ohne daß sie als solche ohne weiteres zu identifizieren wären. Allerdings ist dadurch nicht das Leben zur Kunst geworden, sondern Kunst und Leben haben sich auf halbem Weg getroffen: im Dritten der Medien, die sowohl zur Ordnung der Kunst wie des "Lebens" gehören. Jenseits der Differenzen und Distanzen.

"Die Differenz von Kunst und Nichtkunst bleibt in der Aufhebung dieser Differenz unbestritten. Die Autonomie des Systems findet ihre Vollendung in der Einführung der Negation des Systems ins System."4

Praktiken, die, aus dem Feld der Kunst sich definierend, in und mit Medien arbeiten, repräsentiert sozusagen eine aktuelle Zustandform dieser Entdifferenzierung zwischen Kunst und Nichtkunst (Alltag, Umwelt, Gesellschaft etc.). Im Bereich der Medien operiert Kunst quasi automatisch auch im Bereich der Alltagskultur und damit im Rahmen allgemeiner gesellschaftlicher Problemstellungen und Konfliktfelder (um nicht von Paradigmen zu sprechen) - ohne sich dezidiert als "sozial engagiert" definieren zu müssen. Schließlich eröffnete bereits die Rezeption des Diktums von McLuhan (das Medium als Botschaft) die Thematisierung formaler Aspekte der Medien und ihrer Apparate als strukturelle - und damit auch für den Inhalt, die Bedeutung und den Sinn relevante. Das Medium selbst wird zum funktionalen und operativen Element. Über die Thematisierung von Fragen der Repräsentation, der Wahrnehmung, d. h. kollektiver Formen visueller Orientierung und Kommunikation, agiert diese künstlerische Praktik in und mit Medien - ob als Videoskulptur, als Tape, als Installtion, als Kommunikationsvorschlag im Rahmen von Faxprojekten, als Kommunikationsevent oder als hybride Form - immer auch schon im Bereich sozialer bzw. institutioneller Aspekte gegenwärtiger Gesellschaft, d. h. auch im Bereich ihrer iedologischen Muster und Ordnungen. Diese werden dabei nicht einfach repräsentiert, affirmiert oder kritisiert, sondern im Sinn von strukturellen Koppelungen implizit zu einem Teil des Arbeit bzw. der Projekte selbst. Diese Implikationen, die es erlauben, eine enge Definition künstlerischer Arbeit im Sinn kollektiver Themen und Fragestellungen zu verlassen, ohne als "Sozialarbeiter" auftreten zu müssen, trugen sicherlich dazu bei, daß sich viele Künstlerinnen und Künstler, die seit dem Ende der 70er Jahre arbeiten, dem Bereich der Medien zugewendet haben.

Kunstproduktion bewegt sich mit dem Wegfallen von Differenzen bzw. genauer: mit dem Wegfallen bestimmter Konstruktionsfiguren von Differenzen aber auch innerhalb der Dichotomie, sich selbst gleichzeitig als (Neu- bzw. Re-) Formulierung von Kunst, als Kommunikation über Kunst zu positionieren (Selbstreflexivität) und gleichzeitig ihre Relevanz immer weiter auszudehnen, indem permanent ihre Expansion betrieben wird, d. h. den Rahmen der Kommunikation zu verlassen bzw. zu erweitern, indem neue Elemente ins Spiel gebracht werden. Eines dieser Elemente stellten seit der Fotografie die technischen Medien dar, und die Schwierigkeiten sowohl der Kunstgeschichte wie der Kritik und auch des Marktes, diese neue Kunstproduktion innerhalb der eigenen Systeme zu funktionalisieren, kommunizier-, be- und verwertbar zu machen, zeugen von der (vorübergehenden) Beeinträchtigung dieser Kommunikation. Um es vorwegzunehmen: die paradoxe Auflösung dieser Dichotomie besteht gerade darin, die Expansion, das Aufgreifen zahlloser "anderer" Kontexte als Selbstreflexion zu etablieren, einen permanenten Kommunikationsüberschuß zu produzieren, der wiederum Anlaß für ständige (künstlerische) Bearbeitungen darstellt.

Da etwas als künstlerische Arbeit zu lesen seit langem schon bedeutet, nicht nur ein Objekt, eine Darstellung, eine Erscheinung, einen Umstand, ein soziales Phänomen zu identifizieren, sondern in zunehmendem Maße auch die Situation und den Umstand des Aufgreifens, des Zitierens, des Bearbeitens, deren Flüchtigkeit zu reflektieren, den Rahmen mitzusehen, die Methode zu erkennen, nach der er verlassen, markiert oder destruiert werden soll, kurz: nachdem sowohl die Kunstvermittlung, die Wissenschaft wie der Kunstmarkt in hohem Maße die funktionelle Ausdifferenzierung der Kunst nachvollzogen bzw. sogar bestätigt haben, wurde auch die künstlerische Praktik im Bereich der Medien - wie der (allseits kritisierte) Terminus "Medienkunst", der in dieser Form auf den deutschen Sprachraum beschränkt ist, allein schon anzeigt - Teil des Kunstsystems. Die Frage ist nur, mit welchen Unschärfen und Verzeichnungen diese Einverleibung als Kunst in diese Diskurssysteme erfolgreich prozessiert werden konnte.

"Das Problem der Medienkunst ist (...) ihre Randstellung gegenüber der Unterhaltungsindustrie der elektronischen Traumfabriken (...). In einem solchen Vergleich kann die Medienkunst technologisch keinen Eindruck hinterlassen."5

Offensichtlich führt die Implosion der Kontexte auch zu einer Implosion von Kategorien der Beschreibung, der Analyse und der Bewertung, d. h. von Argumentationsfiguren zur Herstellung von (sinnvollen, bedeutenden) Unterschieden. Wenn allerdings bereits Marshall McLuhan festgestellt hat, daß angesichts der elektronischen Beschleunigung des gesellschaftlichen Austauschs "Implosion und Raffung" an die Stelle der "mechanischen Explosion und Expansion" getreten sind, weil "ihre Operationsgeschwindigkeit einen so hohen Grad von Interdependenz zwischen allen Stadien eines Vorganges verlangt"6, dann läßt sich die Frage nach einem relevanten Kontext, in den eine künstlerische Arbeit gestellt wird und nach dem sie auch beurteilt werden kann, nicht mehr durch additive oder lineare Distinktionen gewinnen (hier Kunst, dort Medien, Design, Arbeit, Architektur etc.). Gerade das (übrigens nicht im Rahmen von Kunst mit/in Medien neu auftretende) Phänomen der Entdifferenzierung von Kontexten könnte zur Einsicht führen, "daß Fakten und Bedeutungen weder vorzufinden noch vorauszusetzen sind, sondern diskursiv produziert, interpretiert und modifiziert werden", um daraus die Aufgabe der Theorie als Analyse von variablen, durch Unschärfen gekennzeichnete Systeme zu bestimmen wäre, "denen die Produktion, Limitierung, Distribution und Rezeption von Fakten und Bedeutungen obliegt" - d. h., die selbst jene Unterschiede produzieren, die einen Unterschied machen. Die Frage nach dem Kontext läßt sich also nicht mit dem Hinweis auf ein konkretes System (Kunst im Gegensatz zu einem anderen System) allein beantworten. Hier sind andere Strategien der Interpretation notwendig, um einem spezifischen (künstlerischen) Prozeß eine konkrete Bedeutung zuschreiben zu können, gerade, wenn dieser durch Überlagerungen, Aneignungen, Deformationen und Reinterpretationen nicht nur multipler Kontexte besteht, sondern gleichzeitig in und durch dieselben Instanzen und Zeichensysteme realisiert wird, auf die er sich bezieht. Es sind die Verrückungen in diesen Zeichensystemen zu beobachten, die durch das Intervenieren von künstlerischen Logiken erzeugt werden, nicht die (ästhetischen) Formen, die durch solche Verrückungen entstehen (sie dienen gewissermaßen als Indizes, Indikatoren). Kunst, die im Feld von (Massen-) Medien operiert, ist keine Praxis, die durch ihre besonderen Operationen Material in kunsteigenes Material umformt (insofern geht es auch nicht um Kontext-Kunst, nicht darum, das Bezugssystem der jeweiligen Produktion als - auch - künstlerische zu thematisieren), sondern sich über die Medien einem Bereich gewissermaßen einschreibt, ein Bereich, der massiv von außerkünstlerischen Strategien bestimmt wird und bereits besetzt ist. Viele der diesbezüglich operierenden Künstlerinnen und Künstler "wollen von einer Interpretation des Kunstwerkbegriffs als spezifisch handwerklich und kostbar abrücken. Sie stellen den Prozeß über das Produkt und Erfahrung über Besitz. Zeit und Ort sind ihnen wichtiger als Raum und Form. Sie sind fasziniert von der Objektqualität des Wortes und der literarischen Konnotation des Bildes. Illusion, Subjektivität, formalistisches Vorgehen und eine Wertehierarchie lehnen sie ab."8

Aus der Ablehnung solcher konventionalisierter Aspekte, die auch noch in der gegenwärtigen Kunstproduktion virulent sind, ergeben sich nicht nur zahlreiche Probleme am und mit dem Kunstmarkt, es entstehen auch zahlreiche Mißverständnisse der Bewertung. Medienkunst - um bei diesem Terminus zu bleiben - begibt sich in einen strategischen Raum, der bereits definiert ist, "als ein Raum, der vorhanden ist, ein vorgefundener Raum, der bestimmt ist von gesellschaftlichen Regeln und Normen von Teil-Gesellschaften, Teil-Öffentlichkeiten, von Institutionen. (...) Die Künstler besetzen diesen Raum bzw. Teilaspekte dieses Raumes - oft nur sehr kurzfristig -, sie setzen andere Inhalte und Formen in diesen Raum, versetzen Formen aus einem Teilbereich in einen anderen, bilden Räume live ineinander ab (...)."9

Kunst läßt sich hier nicht als etwas "eigenes" in einem derartigen (elektronisch/digitalen) Raum behaupten oder extrahieren, sondern erscheint gerade in und durch Überlagerungen, als Prozeß der Mischung, der Aufhebung von Segmentierungen. Hier hat der Prozeß der Moderne ein Ende (oder, er sieht sich hier am Ziel): indem sich Kunst ständig neue Horizonte eröffnet hat, ständig "neue" Kunst produziert hat, war sie auch bisher in der Lage, sich als Kunst im Rahmen neuer gesellschaftlicher Erscheinungen und Kontexte zu positionieren und dadurch ihre Autonomisierung auszubauen und zu stabilisieren. Durch ein Verschieben der Grenzen, die Konstruktion neuer Wahrnehmungs- und Diskursfelder, vor allem aber durch eine Neuordnung von Diskurselementen definierte Kunst ihre spezifische Praktik im wesentlichen als Form der Bedeutungsmanipulation. Die dabei sich abzeichnende Logik besteht gerade in der Ausdehnung, der Transgression, um sich gleichzeitig als selbstreferentielles System zu stabilisieren. Der Umstand, daß Medienkunst als Epiphänomen (der Technik, der Unterhaltung) gedeutet wird, verkennt gerade jene Logik, sich als spezifischer Kontext durch ständiges Implementieren von Kontexten zu etablieren bzw., wie es Niklas Luhmann ausdrückt, sich zu einem autonomen System auszudifferenzieren, das sich im wesentlichen durch immanente Prozesse der Rekursion und Selbstreflexion bestimmt, nicht obwohl, sondern gerade weil sich dieses System in komplexen Austauschverhältnissen mit anderen Systemen befindet, diese aber nicht einfach beeinflußt oder determiniert, auch nicht einfach von solchen beeinflußt oder determiniert wird, sondern diese anderen Systeme und Kontexte in sich selbst reproduziert und damit funktionalisiert.10 Medien bleiben als das Andere der Kunst, des Alltags wie des Subjekts "erhalten", gerade weil sie als Teil des Kunstsystems auftreten. Auch innerhalb der technischen, elektronischen und digitalen Medien greift also diese Logik (der Moderne). Sie ist dabei bzw. darin allerdings nicht durch Objektstrategien gekennzeichnet, d. h. es entstehen keine neuen oder besonderen Gegenstände (gute, neue oder "andere" Bilder, Objekte, Töne) - Kunst hat hier keinen eigenen Raum, um zu erscheinen, keinen Raum, der eine Kontinuität zwischen (künstlerischem) Objekt und dem Subjekt bewahrt (und damit eine Kontinuität zwischen Ursache und Wirkung, Produktion und Rezeption, Ästhetik und Wahrnehmung). In dieses Kontinuum der (ästhetischen) Bedeutungen und des Sinns blieb das Subjekt als konstitutives Element integriert. Der klassische Kunst-Raum (die Galerie, das Museum, der Katalog) stellt eine Situation her, in der sich die Bedeutung unmittelbar und "vor Ort" erfüllt (die Rezeption eines Bildes, einer Installation, eines Ready mades, eines Textes), eine Situation, in der zugleich der Sinn durch das Werk signifiziert und durch den Betrachter rezipiert wird. Bis hin zur Rezeptionsästhetik wird von einer ästhetischen wie semantischen Kontinuität ausgegangen. Als (wenn auch kalkulierter) Medieneffekt bereiten Prozesse der Anverwandlung, der Verrückung und Affirmation von Medienereignissen Schwierigkeiten, eine Kategorie an die Hand zu geben, die es ermöglicht, eine sinnvolle Differenz "Kunst" rechtfertigen zu können.

"Wir verlangen heute die Präsenz der technischen Bilder und die Reproduktions-Realität der Bildmedien, die allerdings zum künstlerischen Produkt in einem unauflöslichen Widerspruch steht."11 Hier scheint nochmals der klassische Widerspruch von Kunst und Technik durchzuschlagen, und auch die Kriterien, die angelegt werden, erinnern an Fragen der Virtuosität: "Daß es sich bei Medienkunst tatsächlich um Kunst handelt, wird nicht durch ihre Technik, sondern durch deren Anwendung entschieden."12 Erneut also die Frage nach Differenzen, nach einem Unterschied, einer Unterscheidung, die eine Erkenntnis möglich machen soll, wo doch gerade die Erkenntnis gefordert ist, Unterschiede zu konstruieren - stellt sich die Frage nach der Kunst doch ausschließlich im Funktionssystem der Kunst selbst (für den Kontext der Medien ist jede Frage nach der Kunst unerheblich). "Wenn es um den Sinn von Kunst geht, müssen also immer Ablehnungsbegriffe, müssen immer Autonyme mitgeführt werden, die das in den Sinn der Kunst einschließen, was ausgeschlossen werden soll. Die Frage kann also nur sein, ob und wie sich die Ausdifferenzierung des Kunstsystems auf die Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz (mit anderen Worten: auf die Form der Selbstreferenz) auswirkt."13

Der Blick auf den Bildschirm (der Videoskulptur, einer Installation etc.) ist also immer schon ein Blick auf die veränderte Form dieser Selbstreferenz, die Material, Information, Gegenstand und Subjekt in spezifischen (durchaus inhomogenen) Weisen reflektiert, definiert, disponibel werden und mit ihnen operieren läßt - im Kontext der Kunst als Thema der Kunst. Viele der Arbeiten, die hier diesem Text (in mehrfachem Sinn) unterlegt sind, stellen solche Formen als Formen von Kunst und über Kunst zur Reflexion - und geben Anhaltspunkte für Hypothesen über ihren Status im Verhältnis zu Kunst und im Verhältnis zu Medien. Sie können zwar in jedem Fall ganz unterschiedlich über diese Verhältnisse befragt werden, es macht aber - um abschließend nochmals Niklas Luhmann zu paraphrasieren - einen Unterschied, in welcher Form diese Fragen gestellt werden (auf die man keine Antwort hat?).

1 Hans Belting, Das Ende der Kunstgeschichte. Eine Revision nach zehn Jahren, München: Beck 1995, S. 85.
2 Dieter Daniels, zit. n.: Gerda Lampalzer, Videokunst. Historischer Überblick und theoretische Zugänge, Wien: Pro/Media 1992, S. 123.
3 Boris Groys, "Der Tod steht ihr gut", in: Kunst ohne Geschichte? Ansichten zu Kunst und Kunstgeschichte heute, München: Beck 1995, S. 13-22, S. 13.
4 Niklas Luhmann, "Neu-Sein als Herausforderung", in: Salzburger Kunstverein (Hg.), Original. Symposium Salzburger Kunstverein, Ostfildern: Cantz 1995, S. 45-49, S. 49.
5 Hans Belting, Das Ende der Kunstgeschichte (Revision), S. 90.
6 Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle. Understanding Media, Dresden-Basel, Verlag der Kunst 1994, S. 163f.
7 Stefan Germer, "Mit den Augen des Kartographen", in: Anne-Marie Bonnet, Gabriele Kopp-Schmidt (Hg.), Kunst ohne Geschichte? Ansichten zu Kunst und Kunstgeschichte heute, München: Beck 1995, S. 140-151, S. 147.
8 Katalog zur Ausstellung "Art by Telephone" im Museum of Contemporary Art in Washington, 1969, zit. nach: Eduardo Kac, "Aspekte einer Ästhetik der Telekommunikation", in: Steirische Kulturinitiative (Hg.), ZERO-The Art of Being Everywhere, Graz 1993, S. 70.
9 Ebda.
10 Vgl. dazu etwa: Niklas Luhmann, Die Ausdifferenzierung des Kunstsystems, Bern: Benteli 1994.
11 Hans Belting, Am Ende der Kunstgeschichte (Revision), S. 85.
12 Ebd., S. 89.
13 Niklas Luhmann, Die Ausdifferenzierung des Kunstsystems, S. 33.



© Reinhard Braun 1996

erschienen in:
n. v.



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