Featuring ¬ Josef Klammer Reinhard Braun |
Von A nach D und zurück. Mediale Verwicklungen in Projekten von Josef Klammer "Alle Medien sind mit ihrem Vermögen, Erfahrung in neue Formen zu übertragen, wirksame Metaphern."1 Metaphern sind bekanntermaßen sprachliche Ausdrücke, bei denen ein Wort bzw. eine Wortgruppe aus seinem eigentlichen Bedeutungsfeld in ein anderes übertragen wird, ohne daß ein direkter Vergleich zwischen Signifikant und Signifikat vorliegt bzw. möglich wäre. Die Metapher führt demnach eine Trennung zwischen den Dingen, ihren Bezeichnungen und ihren Bedeutungen ein, ein Spiel der Signifikanten entsteht. Medien-Metaphern operieren entsprechend: sie überführen die Gegenstände ihres Transfers - die Wahrnehmung, den Blick, das Gehör - aus dem Feld des Subjekts in jenes der technischen Apparate, an die das Subjekt zwar gekoppelt bleibt, die aber ihr eigenes Spiel bzw. Programm mit den Signifikanten betreiben: Sichtbarkeit, Abbildung, Darstellung, Repräsentation, Präsenz, Erinnerung etc. sind jetzt innerhalb des Medienverbundes von Subjekt und Apparat zu formulieren - wir sehen nicht nur aufgrund der Sehstärke unserer Augen, sondern aufgrund der Auflösungscharakteristika (elektronischer) Abtastungen, wir hören nicht nur aufgrund der Empfindlichkeiten unserer Ohren, sondern aufgrund der (elektronischen) Verstärkung von akustischen Signalen, und: wir agieren nicht mehr nur aufgrund der Handhabung von Objekten in unserer unmittelbaren Umwelt, sondern aufgrund von teletechnischen Systemen der Fernübertragung von Wort, Bild und Aktion. Der Begriff der Mediatisierung beschreibt dieses Verhältnis des Subjekts zu seiner Umwelt: der unmittelbare Zugang auf etwas wie Wirklichkeit wird zunehmend von über technische Apparaturen - "Armaturen der Sinne"2 - vermittelte Operationen und Manipulationen abgelöst. Medien sind insofern Distanzmaschinen, eröffnen aber eine eminente Operationalisierung von Erscheinungen der Wirklichkeit, indem sie diese in (analoge bzw. binäre) Datenformen transformieren. Diese Datenformen sind zugleich die Grundlage neuer Formen (mediatisierter) Erfahrung: mediale "Metaphern" einer neuen Form der Beschreibung der Welt. Medien operieren somit analog zu Metaphern, indem sie zunächst eine Trennung von Kontexten einführen: der Trennung der Sprache von der Kommunikation, der Trennung von Ereignis und seiner Rezeption, der grundlegenden Trennung von Objekten und ihren Informationen. Das, was an "Tatsachen" der Dinge (bereits medientechnisch) gewonnen werden kann, überschreitet nicht nur den physiologischen Horizont des Subjekts, es hat sich auch gegenüber dem Ding vollständig verselbständigt und ist als Datenform manipulierbar geworden - ohne dabei noch das Ding bzw. das Ereingis zu benötigen. "Ereignisse geschehen, weil Medien sie aufzeichnen und ausstrahlen."3 Signifikanten ohne direkten Vergleich zu einem Signifikat bilden somit die Grundlage auch der medientechnischen Operationen: Medienmaschinen sind symbolische Maschinen. "Wo Gegenstand war, ist Information geworden."4 Es ist nicht mehr das Subjekt allein, das sich aufgrund seiner physiologischen Strukturen ein "Relief" seiner Umwelt entwirft, es sind die von Medienmaschinen produzierten Informationsketten und Datenstrukturen, die - auf die Physiologie des Subjekts zurückgerechnet, d. h. seiner Rezeption zugänglich gemacht - ein solches Relief synthetisieren. "Authentisches" Sendematerial (in Bild und/oder Ton) erspart die Welterfahrung - Umwelt ist zu beschreiben als Koexistenz von Medien und Sinnen. Dieser Weg von A(nalog) nach D(igital) und zurück (zu den analog operierenden Sinnen des Subjekts) kennzeichnet nicht nur den Operationsmodus der Medien sondern aufgrund der zunehmenden Fundierung der gegenwärtigen Kultur auf diese Medien bereits einen Großteil unseres Verhältnisses zur Welt. Das Reale wird zunehmend zu einem Sekundärphänomen der Medien. "Die technisch reproduzierbaren Bilder gehen der Welt voraus, die sie abzubilden scheinen. Wenn aber die Bilder das Ereignis besetzen und vorprägen, entfällt das wesentliche Charakteristikum des Bildes - nämlich abbildend zu stehen für etwas Abwesendes."5 Und weil es hier um allgemeine Mechanismen der Medien geht, läßt sich diese Aussage entsprechend für auditive Komplexe extrapolieren: auch akustische Information dient nicht mehr der "Abbildung" eines Ereignisses, d. h. sie steht nicht mehr in kausaler Verbindung mit einem Geschehen: "Töne und Geräusche werden nicht anders behandelt wie jedes andere künstlerische Material"6. Und, wie hinzugefügt werden muß: wie jedes andere Material, das sich aus der Realität gewinnen, (medial) von ihm abspalten läßt. Der primären Trennung von Wirklichkeit und seiner Verarbeitung durch das Subjekt - eine Entkoppelung des Subjekts von seiner Sinneswahrnehmung durch die Distanzmaschine Medien - folgt jedoch eine sekundäre (aber gewichtigere) Synthetisierung, die die Wirksamkeit der Medien-Metaphern erst fundiert. Der Ort, "wo sich alles berühren kann"7, an dem sich die Zusammenhänge herstellen und sich Kontexte aufeinander bzw. gegeneinander projizieren lassen, mithin ein Verständnis des Reliefs Wirklichkeit hergestellt wird, ist ebenfalls nicht mehr nur jener "einzelne innere Raum", "in dem körperliche und perzeptuelle Empfindungen (...), mathematische Wahrheiten, moralische Regeln, die Idee Gottes, depressive Stimmungen und die übrigen, heute mental genannten Vorgänge"8 angesiedelt sind, d. h. das, was wir als Bewußtsein bzw. als Gefühlswelt des Subjekts zu bezeichnen und erfahren gewohnt sind. Der "Ort", an dem große Teile dieses Wirklichkeitsrelief entstehen, liegt vielmehr "innerhalb" der Medienmaschinen selbst - Wirklichkeit wird dabei zu einem Problem intramedialer Prozesse, zu einem Problem medialer Immanenz bzw. Emergenz. Bilder und Töne von Ereignissen werden bereits medienimmanent zu Repräsentationen von Ereignissen für das Subjekt montiert - unter dem Anschein direkten Zugriffs auf ihren Verlauf, ihre Bedingungen und wichtiger: ihre Bedeutungen; Musik diffunidert von einer hochspezialisierten Fähigkeit des (Musiker-)Subjekts zu einem Output von Audiomedienverbundsystemen (Sampling). Medienimmanente Information "wird zum einzigen 'Relief' der Wirklichkeit, zu ihrem einzigen 'Inhalt'. Im Zeitalter der Digitalisierung der Bilder und Töne muß man sogar sagen ihre 'Hochauflösung'."9 Nachdem Medien zunächst singulär und punktuell Transfers von (beliebigen) Elementen dieses Wirklichkeitsreliefs in andere Kontexte nach dem Muster der Film-Montage vorangetrieben haben (Telegraf, Telefon, Radio, Video, Film usw.), etablieren sie heute über Satellitenverbunde und ISDN-Systeme bzw. entsprechende Standards längst ein zusammenhängendes mediales Austauschsystem vor bzw. hinter den wirklichen Ereignissen: ein (jetzt digitales) Relief der Welt, auf dessen Null-Meridian alle Datenkomplexe rückrechenbar sind, gegen den hin sie konvertierbar geworden sind. Die Pluralität der Kontexte - Sehen, Hören, Tasten etc. - ist jetzt teilweise bereits Fiktion, weswegen an dieser Stelle die Metapher der Metapher aufgegeben werden muß - es sind nicht die Videokameras, die sehen, es ist das Subjekt, das aufgrund der Videokamera sieht, was die Videokamera sieht, und nichts weiter. Alle Kontexte jenseits jener durch die Medien (re-) konstruierten sind am verschwinden. Die Trennung von Ereignis und ihrer Wirkung ist somit nur mehr eine sekundäre Hypothese: die Medien haben ihren "Gewaltstreich" bereits vollführt, der in der Entwertung des konkreten Charakters eines Ereignisses zum Vorteil seiner Vermittlung besteht.10 Indem Medien als eine Technik, eine Fertigkeit bezeichnet werden müssen, das Profil gegenwärtiger Realität zu entwerfen und wesentlich zu bestimmen, setzen sich Medientechniken als Kulturtechniken in Szene. Sich medialer Mechanismen und Verfahren zu bedienen heißt dementsprechend nicht primär, eine Expansion der Kunst zu verfolgen, sondern sich auf die Spuren kultureller Praktiken zu begeben bzw. auf die Spuren jener Effekte, die die Medien auf kulturelle Praktiken - darunter so etwas wie Kunst - ausüben. Bei dieser medientechnischen Exploration entstehen durchaus hybride Systeme und Anordnungen auf verschiedensten technischen Ebenen, Systeme, die sich nicht ohne weiteres als Kunst bezeichnen lassen, faßt man sie in Kategorien der Ästhetik bzw. des Materials (obwohl gerade in Fragen des Materials seit Beginn des Jahrhunderts zahllose expansive Strategien entwickelt worden sind). Es geht bei vielen dieser Explorationen aber grundsätzlich nicht primär um Fragen der (akustischen) Ästhetik, sondern um prozessuale Aspekte, d. h. um Anordnungen, die Material des Realen in einer bestimmten Art und Weise verarbeiten (bzw. simulieren) und um Effekte dieser Verarbeitung (und Simulation). Gerade auch die Projekte von Josef Klammer sind als Systeme der Verschaltung und Produktion von Bedeutungsräumen zu lesen, die auf medialer Basis errichtet werden. Wenn dabei darauf insistiert wird, im Rahmen von Kunst bzw. Musik zu operieren, geht es vor allem darum, diese Praktik nicht als spekulative Technikinterpretation mißzudeuten und sie im Feld der Technik selbst anzusiedeln: gerade die erzeugten Bedeutungsräume sind es, die sich einer Adaption an konventionelle Medientechniken entziehen, die im Gegensatz zu den Konzepten, die hier interessieren, dadurch gekennzeichnet sind, einerseits die Technik zu perfektionieren und andererseits - eine Konsequenz dieser vermeintlichen Perfektion - die Medien selbst zum verschwinden zu bringen: hochauflösende Bildschirme verbergen weitgehend die Tatsache medialer Übertragung, High-End-Audiosysteme versuchen, alle Störeinflüsse zu beseitigen und nichts als den "reinen Klang" auszustrahlen, d. h. die Tatsache seiner Bearbeitung, Zwischenspeicherung etc. im perfekten Hörerlebnis zu eliminieren. Künstlerische Strategien der Besetzung von Medientechniken und -systemen distanzieren sich von dieser Auslöschung: die Systeme, ihre Verarbeitungsmodi und Präsentationsformen bleiben Teil der Arbeit - es geht immer auch um eine Form der Transparenz. "Es geht um das Sichtbarmachen einer medialen Landschaft, die uns zu einer Art zweiten Natur und so selbstverständlich geworden ist, daß wir sie nicht mehr wahrnehmen."11 Eine solche "transparente" Anordnung stellt auch die Arbeit "ADA - Analog Drumming" von Josef Klammer dar. Jeweils ein Schlag auf eine Trommel eines Schlagzeug-Sets wird auf jeweils einer Compact Disc aufgenommen und über eine entsprechende Anzahl von Abspielgeräten (automatisiert) und Aktiv-Lautsprecher in den gleichen Größen wie die Trommeln wiedergegeben. Diese fünf Lautsprecher - die das ursprüngliche Musikinstrument "simulieren" - sind - in einer neuerlichen "Simulation" der Ausgangssituation - auf einer Bühne angeordnet. Hi-Hat und Becken werden dabei wie üblich zum "Set" montiert. Der "musikalische" Output entsteht durch die unterschiedlichen Zugriffszeiten der Abspielgeräte auf den jeweiligen Track mit der Klanginformation. Der Schlagzeuger und sein Instrument, die Situation der Live-Performance auf der Bühne, ist durch eine selbsttätig ablaufende mediale Anordnung ersetzt: eine Musikmaschine gewissermaßen. Klangproduktion und Klanginformation verweisen strukturell aufeinander. "ADA - Analog Drumming" hat kein Thema, sondern repräsentiert eine strukturelle Anordnung zur Produktion akustischer Ereignisse. Die Lautsprecher als metaphorische Repräsentanten eines realen Schlagzeugs zeigen diese Zusammenführung von Struktur und Prozeß: sie spielen selbst Schlagzeug. Das Schlagzeug ist hier nur noch als theoretischer Gegenstand präsent, nur mehr akustisch, nicht aber real - und das heißt: als Objekt - anwesend. Die "Ausstellungssituation" bzw. die Tatsache, daß eine Situation der Performance in eine solche übersetzt wurde, spiegelt konsequent die Befindlichkeit des musikalischen Feldes unter Medienbedingungen, indem sie diese vor Augen führt. Es geht hier also nicht nur um die Erzeugung von Musik, von klanglichen Strukturen und Sequenzen, sondern um deren Zirkulieren, deren Einfassung durch mediale Systeme. Musik ist nur ein Element in diesen Systemen. Im Mittelpunkt stehen die Strukturen, die Prozesse und die Möglichkeiten ihrer Steuerung und damit ihrer Auslagerung aus dem Bereich eines analogen Zugriffs des Subjekts. Auch die - von Josef Klammer auf seinem Schlagzeug - eingespielten Trommelschläge sind selbst als Musik weitestgehend reduziert, aus dem Feld von Virtuosität und Musikalität herausgenommen. Es sind letztlich nur die (digitalen) Geräte, die etwas wie Musik produzieren, hinter bzw. durch die sich kein Autor mehr artikuliert. Der spezifische Bedeutungsraum dieser Arbeit besteht also zunächst im Spiegeln dieser Medienbedingungen - die Abwesenheit des Künstlers, die leere Bühne kennzeichnet dabei den zunehmenden Ausschluß des Subjekts aus diesem Regel- und Programmkreisen: Medien behaupten ihre Struktur unabhängig vom Subjekt. Josef Klammer entwickelt seit 1983 Projekte, die in diesem Feld einer an Mediensystemen orientierten Musikproduktion angesiedelt sind. Exemplarisch dafür kann das gemeinsam mit Seppo Gründler entwickelte und realisierte Projekt "Razionalnik" aus dem Jahr 1987 angeführt werden. "Razionalnik" das slowenische Wort für Computer und quasi programmatisch die Intention der Überführung des Musikalischen in den Bereich von Medienmaschinen anzeigend - war Teil des Projekts "entgrenzte grenzen" von Richard Kriesche und ein Live-Event, der Budapest, Laibach, Trient und Graz über Telefonleitungen verband, die zugleich das Datennetz für dieses erste On-Line-MIDI-Konzert weltweit darstellten, als das »Razionalnik« gelten darf. Akustikkoppler, Sampler (digitale Naturklangspeicher), Synthesizer, Personalcomputer und das Telefonnetz bildeten das medientechnische System, das zugleich die Musik generierte und die Verbindung der verstreuten Musiker herstellte. Die verwendeten Instrumente erzeugten dementsprechend keine Klänge, sondern MIDI-Daten, die entweder von Soundmodulen in Klänge umgewandelt oder von Computern in Verbindung mit Akustikkopplern in über das Telefon verschickbare MIDI-Daten verarbeitet wurden, die am anderen Ende der Leitung wieder zu Klängen rückverwandelt wurden (von A nach D und zurück). Aufgrund der Datendelays (Übertragungszeiten) war an keinem der Orte das Gleiche zu hören, auch wurden in Graz die Midi-Daten nach gewissen Algorhitmen verändert, sodaß sie nicht nur als Klanginformation, sondern auch in der Strukturierung des Konzerts eine wichtige Rolle spielten. Die bei jedem Musiker ankommenden Midi-Daten wurden schließlich von einem Sequenzer aufgenommen, nach dem Konzert über die Akustikkoppler nach Graz geschickt, dort mit den gleichen Sounds wie an den Außenstellen in analoge Musiksignale umgewandelt und auf Band aufgenommen. Die vier resultierenden Bänder waren während der Ausstellung zu hören. Die Übertragung der Mediensysteme beginnt also gerade dort, wo alle Sende- und Empfangsmöglichkeiten des Subjekts aufgehört haben. "So verläuft eine Trennlinie, die selber unhörbar ist, zwischen dem Gehörten und dem Gesendeten."12 Das Projekt realisiert eine geradezu exemplarische Situation, in der das Subjekt vom Maschinenspiel der Medien radikal dezentriert wird. "Die Trennung der Botschaft vom Körper des Boten ist nicht nur ein kulturgeschichtlicher Fluchtpunkt von mehr als zwei Jahrtausenden telekommunikativer Entwicklung. Sie ist zugleich Metapher für die politische Ökonomie des historischen Prozesses hin zur Entmaterialisierung des Austauschs bzw. des Verkehrs des Menschen untereinander (mit dem Warenverkehr als ideelem Gesamtverkehr). Sie ist Sinnbild der zunehmenden Eliminierung der sinnlich-körperlichen (Selbst-)Erfahrung unserer alltäglichen Lebensbeziehungen (...)."13 Kommunikation, ein aktueller Austausch von diversen Äußerungsformen des Subjekts, ist hier kein Ereignis mehr, das Menschen zusammenführt, sondern ein Prozeß, den sie medientechnisch miteinander vollziehen. "So verweist jede Gegenwart technischer Konfiguration auf eine apresente techné, die uneinholbar und vorgängig bleibt, so daß von ihr aus erst das problematische Feld differentieller Technikverhältnisse spurengesichert werden kann."14 In gewissem Sinn stellt auch hier die "Anordnung" der Situation selbst zumindest einen wichtigen Teil der Arbeit dar. Es entstehen hier keine "Reservate", keine wie immer definierten "Cubes" künstlerischer Medienarbeit, sondern spezielle Anwendungen, Besetzungen, und Konfigurationen. Dadurch sind derartige Projekte allerdings auch nicht mehr in der Lage, ihr vorläufiges "Terrain", das sie sich erschließen, ohne weiteres als eines der Kunst zu definieren. Insofern geraten sie (mit Absicht) in einen Bereich, indem ihre "Kompatibilität" mit bekannten kulturellen Mustern und Werten in bezug auf den Begriff "Kunst" in Frage gestellt ist. Einen anderen Aspekt führt die 1992 realisierte Arbeit "Sampler" ein. Von einem Mikrophon werden beliebige akustische Sequenzen (begrenzter Längen) der Besucher aufgenommen und über einen Wandler in den Arbeitsspeicher einer Nähmaschine gelesen. Diese Eingaben bestimmten in weiterer Folge den Lauf von Stofftransport und Nähfluß. Das so entstandene Stickmuster entspricht einem Amplituden-Zeit-Diagramm der digitalen Klangaufzeichnung. Die Amplitude definiert die Auslenkung der Nadel, die Frequenz die Abstände der Stiche.15 Dem Katalog zu diesem Projekt ist eine Mini-Compact Disk beigelegt, auf der "Musik" zu hören ist, der die Umkehr dieses Verfahrens zugrundeliegt: die eingespeicherten Stich- und Stickmusterdaten der Nähmaschine wurden in den Computer übertragen und in entsprechende Tonwerte umgewandelt. Die so entstandenen Sequenzen steuerten über MIDI-Interface einen Ensoniq-EPS-Sampler: das Ergebnis waren 188 Klaviersonaten. Diese Arbeit zeigt vor allem die durch Prozesse digitaler Medien mögliche Transgression von Kontexten, die eingangs skizzierte Synthetisierungsleistung der Medien: am Beispiel der Musik wird hier deutlich, wie nicht nur ihr Produktionsmodus, sondern auch ihre Konzeption durch potentiell beliebige Kontexte bestimmt werden kann. Musik wird dabei zu einem (auch möglichen) Effekt der maschinellen Interpretation von Ereignishorizonten, ein Effekt der Verarbeitung von Variablen, die jetzt aus prinzipiell beliebigen Kontexten gewonnen werden können: Bewegungsabläufe, sprachliche aber auch stochastische akustische Sequenzen, Bildverläufe etc. In Musik ist transformierbar, was an Information dieser Vorgänge ausgewertet und dem digitalen System implementierbar ist. Musik ist nicht mehr nur ein Produkt musikalischer Ordnungen und Konzepte, d. h. ein ausdifferenzierter, selbststeuernder Kontext, sondern ein offenes und zugängliches System. Diese Konvertierbarkeit, die das gegenwärtige digitale Relief der Welt einführt, wird durch Josef Klammer in einem Statement zur Arbeit "ADA" als "digitales Bad" bezeichnet: immer mehr Phänomene des Realen werden diesem digitalen Bad zugeführt, tauchen quasi in das technologische Jenseits komplexer Mediensysteme, um als etwas anderes daraus wieder aufzutauchen, auch wenn diese Andersheit den Sinnen nicht unmittelbar zugänglich ist, d. h. nicht hör- oder sichtbar wird. Jetzt handelt es sich um mediale Erfassungen und Rekonstruktionen der "ursprünglichen" Phänomene, bereits um Effekte der Medien selbst. Was immer wieder als Verschwinden des Realen beschrieben wird, ist nichts anderes als die Welt nach ihrem digitalen Bad. Die Projekte von Josef Klammer richten sich auf solche Erscheinungsweisen der medialen Neuformulierung und -ordnung der Wirklichkeit, ihrer voranschreitenden Fusion mit technologischen Effekten, medialen Symptomen. 1993 realisierte Josef Klammer im Rahmen von "entgrenzte grenzen II" "TELAY" (TELefon DeLAY), ein Telefonkonzert mit Sidney und New York, daß auf Formen der Datenübertragung zurückgreift. Er spielte live im Grazer Künstlerhaus ein Schlagzeugsolo ("Trommelstück"), das aufgenommen und dessen MIDI-Daten auf jedem der beiden Kanäle über unterschiedliche Telefonleitungen, Satelliten und Bodenstationen wieder nach Graz übertragen und live eingespielt wurden. Die Delay Time, d. h. die entstehende Zeitverzögerung der Datenübertragung, etwas weniger als eine halbe Sekunde, war als (scheinbares) Echo des vor Ort gespielten Solos zu hören: der Musiker und sein mediensystemisches Echo. "Solche Reproduktionen (im Sinne von Nachbildung / Fortpflanzung) weisen je nach Wetterlage, Wegstrecken und Frequentierung der Telefonleitungen verschiedene Qualitäten auf und entziehen somit dem Musiker die unmittelbare Kontrolle von Delaytime und Delayfeedback. Unvorhersehbare Faktoren und Parameter definieren Rhythmus und Timbre."16 Die übertragenen und somit an Mediensysteme "übergebene" bzw. entäußerte Signale des "Trommelstücks" werden zu einem unmittelbaren Teil seiner Aufführung, die Systemparameter werden zu Parametern der Aufführung der Musik, der Musiker befindet sich im Austausch mit den Medien: die dabei entstehende musikalische Aktion ist Folge einer Koexistenz von Medium und Subjekt. Es geht neuerlich um die Verwicklung auch des künstlerischen Subjekts in medienimmanente Systeme und ihren Erscheinungen, in die Immanenz der Medien: um die Fusion des Realen mit dem technologischen und medialen Imaginären. Daneben wird an "TELAY" neuerlich die Prozeßorientiertheit der Arbeitsweise von Josef Klammer ablesbar: neben dem als Compact Disk erhältlichen Endprodukt geht es wesentlich und den Produktionsprozeß selbst, um diejenigen Faktoren, die ihn bestimmen, und schließlich um die strukturelle Verkoppelung verschiedenster Kontexte auf der Basis medientechnischer Einrichtungen und Standards. Projekte wie "Razionalnik" und "TELAY" lassen sich auch als Versuch deuten, künstlerische Strategien in Form musikalischer Datenketten in das digitale Relief der Gegenwart zu schleusen, d. h. ein Feld (vorübergehend) zu besetzen und zu annektieren, das aus ganz anderen Gesichtspunkten heraus konzipiert wurde und seine Effizienzen entwickelt hat: letztendlich sind alle Kommunikationsnetze militärischen Ursprungs. Die speziell für die Ausstellung im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum konzipierte Arbeit "ADA" referiert auf diese bereits etablierte und zu einem kulturellen Paradigma expandierte Erfassung bzw. Einfassung der Welt durch technische Systeme, das Verschwinden der Relevanz von Objekten, der Informationalisierung der Gesellschaft, und operiert in diesem "Raum" der Mediensysteme, jenseits der Dinge, jenseits des Analogen: die Arbeit führt quasi eine Schnittstelle ein, an der etwas von diesen Systemen "erscheint", sich "abbildet" (wenn auch als Abwesendes), über die "metaphorischen" Objekte rezipierbar wird. "ADA" bezeichnet somit einen Kreislauf von Operationen, die von einer Medien- zu einer Kulturtechnik expandiert sind: vom Realen über die Medienmaschine ins Reale. Diese Operation, von A nach D und zurück, bezeichnet somit die fundamentale Mittelbarkeit, Vermittelheit, die den Verkehr des Menschen mit der Welt über mediale Extensionen seiner selbst kennzeichnet, der damit sein Reales auch in zunehmenden Maße zu produzieren beginnt: ein Ageschlossen-Sein an sich selbst zeichnet sich ab, das Josef Klammer durch die Arbeit "TELAY" exemplarisch vor Augen geführt hat - ein Angeschlossensein, das (noch) den Umweg von A nach D und zurück nimmt. 1 Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle. Understanding Media, Dresden-Basel 1994, S. 97. 2 So ein Buchtitel: Jochen Hörisch, Michael Wetzel (Hg.), Armaturen der Sinne, München 1991. 3 Norbert Bolz, Am Ende der Gutenberg-Galaxis, S. 135. 4 Agentur Bilwet, Medien-Archiv, Düsseldorf 1993, S. 24. 5 Norbert Bolz, a. a. O., S. 140. 6 Heidi Grundmann, "Radiokunst", in: Kunstforum International, Nr. 103/1989 ("Im Netz der Systeme"), S. 279-289, S. 280. 7 Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt 1973, S. 63. 8 Richard Rorty, Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie, Frankfurt 1981, S. 64. 9 Paul Virilio, Die Eroberung des Körpers, München-Wien 1994, S. 143. 10 Paul Virilio, Die Eroberung des Körpers, S. 142. 11 Heidi Grundmann, "On the Air", in: Eikon, Medien.Kunst.Passagen (Hg.), Reflexionen. Zu Kunst und Medien, Wien: Passagen 1993, S. 111-120, S. 118. 12 Friedrich Kittler, "Anmerkungen zum Volksempfang", in: Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (Hg.), Interferenzen IV: Die Geometrie des Schweigens, Wien 1991, o. S. 13 Siegfried Zielinski, "Von Nachrichtenkörpern und Körpernachrichten. Ein eiliger Beutezug durch zwei Jahrtausende Mediengeschichte", in: Edith Decker, Peter Weibel (Hg.), Vom Verschwinden der Ferne. Telekommunikation und Kunst, Dumont: Köln 1990, S. 229-252, S. 229. 14 Georg Christoph Tholen, "Platzverweis. Unmögliche Zwischenspiele von Mensch und Maschine", in: Norbert Bolz (Hg.), Computer als Medium, Fink: München 1993, S. 111-135, S. 129. 15 Vgl. Katalog Sampler, Werkstadt Graz: Graz 1992, o. S. Die Hardware stammt von Gerfried Stocker, die Software von Horst Hörtner. 16 Josef Klammer, in: Teleskulptur III, Graz 1993, S. 73. © Reinhard Braun 1995 erschienen in: Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum (Hg.), ADA - Analog Drumming, Ausstellungskatalog, Innsbruck 1995 |
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