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Featuring
¬ Feuerstein/Strickner

Reinhard Braun
Feuerstein/Strickner, Matthias Fuchs, Mia Zabelka
Hausmusik

"Bei den Bits handelt es sich um Elementar- und Universalzeichen, mit deren Hilfe beliebige andere Zeichen und Zeichensysteme abgebildet, übersetzt, kombiniert und ausgetauscht werden können: Töne, Bilder, Schrift, logische Operationen, Roboterbewegungen und - Warenwerte. Ökonomisch gesprochen ist der Binärcode reines Zeichengeld." Und: "Der Markt findet immer weniger in Raum und Zeit statt, sondern im Medium. Der Bildschirm wird zum Markt." (Bernhard Vief) - Und, wie sich hinzufügen ließe - zum Marktplatz, zum Schauplatz der verschiedensten kulturellen Austausch- und Produktionsverhältnisse.

"Hausmusik" versucht, gerade diese Situation transparent zu machen: daß sich wichtige und bestimmende Entscheidungs- und Informationsvorgänge nicht mehr an einer Ökonomie der Dinge und deren Gebrauch durch das Subjekt, sondern an einer Ökonomie der (digitalen) Zeichen orientieren - und dabei gleichzeitig aus dem Bereich der Sichtbarkeit, d. h. von wahrnehmbaren Manifestation, die diese Ökonomie noch bezeichnen würden, zunehmend verschwinden. Künstlerische Strategien im Feld digitaler Medien arbeiten aus diesem Grund der Verflüchtigung der Spuren von Operationen und Mechanismen, an denen sie selbst partizipiert, bzw. in deren Feld sie operiert, vermehrt an Möglichkeiten, diesen Entzug an Sichtbarkeit in eine Erscheinung zu überführen, Sichtbarkeit zu produzieren, wo keine Sichtbarkeiten existieren, sondern nur Effekte, Konsequenzen, die maschineninternen Filtern und Programmierungen folgen. Es sind diese anderen Transfers als jene subjektorientierten, die zunehmend relevant für metasoziale und -ökonomische Entwicklungen geworden sind, dadurch auch das Subjekt eminent beeinflussen und konditionieren - sich gleichzeitig aber dem Subjekt entziehen.

Mit dieser Transgression von Relevanz, Effektivität, ja zum Teil von gesellschaftlicher "Realität" in die Sphäre von Informations- und damit Datentransfersysteme ist auch eine Irritierung traditioneller kultureller - und damit symbolischer - Zeichensysteme und Ordnungen verbunden. Der Unterschied etwa zwischen Ware und Kunstwerk wird jetzt nicht mehr auf der Ebene der Objekte, ihrer Funktionalität, ihres Gebrauchs, ihrer Symbolik oder Metaphorik in Frage gestellt, wie dies noch in der ästhetischen Ordnung der Werbung (bzw. in der konzeptuellen des Ready made) der Fall gewesen ist und noch ist, sondern auf der Ebene einer möglichen Konstruktion von Differenzen dieser Kategorien selbst, d. h. diese Systeme jenseits der Objekte unterminieren zunehmend die Möglichkeiten, zwischen Kunst bzw. anderen Objektkategorien auf der Basis einer Analyse deren Qualitäten, Kontexte etc. zu unterscheiden, da sie die Objektebene aufgeben: der aggressive Rekurs auf die digitalen/universellen Zeichensysteme und deren exzessiver Produktion von Bedeutungen verursacht eine Konfusion der Wertigkeiten aller Systeme, die sich der Objekte bedienen oder durch sie fundieren: selbst die Schrift, die Sprache, Kommunikation, die Ware, die Sozietät etc. und die durch sie erzeugten Bedeutungen werden auf die Ebene von Daten und Datentransfers verlagert und damit auf eine Ebene vor den Objekten und deren möglichen Zeichen von Differenz (Ästhetik). Es wird jetzt eine Ordnung hinter der Sprache, hinter der Schrift, hinter der Ware und der Kunst, selbst hinter den (sozialen) Objekten erzeugt, auf der die Konstitution dieser Begriffe stattfindet - oder eben nicht mehr im Hinblick auf diese Kategorien stattfinden kann. Es wird eine Ordnung hinter den Bedeutungen, VOR jeder Bedeutung erzeugt. Wenn alles zu einer Frage der Datenmuster geworden ist, d. h. keine ontologischen, am Objekt und seinen Erscheinungen orientierten Differenzen mehr eine Rolle spielen, sondern nur mehr solche einer variablen Darstellung und Interpretation dieser Datenmuster, dann wird der Kulturbegriff und seine historischen Ausdifferenzierungen selbst erfaßt: die prinzipiellen "Differenzen" zwischen Kunst, Ökonomie, Wissenschaft, Militärtechnologie usw. werden eingezogen.

Diese Situation reflektiert das Projekt "Hausmusik", indem es sich nicht mehr "als Kommentar zur Kunst im Feld der Kunst" (Joseph Kosuth) bewegt, sondern im Feld jener "Universalzeichen" und den Modi ihrer Interpretation, Übersetzung und Darstellung - Modi, die längst auch die Kunst erfaßt haben. Die Logik des Projekts setzt keinen Kontext "Kunst" voraus (obwohl die Präsentation sehr wohl darauf fundiert), sondern versucht, durch spezifische Manifestationen und Übersetzungen von Daten einen Kontext zu erzeugen und damit gleichzeitig zu demonstrieren, daß Fragen der Kultur und der Kunst zu Fragen temporärer Kontextualisierungen geworden sind, und zwar von Kontextualisierungen, die jenen Meta-Kontext der digitalen Systeme zwar spezifizieren und konkretisieren, immer aber bereits darin angesiedelt sind - eine Form der Immanenz. Insofern spielen hier keine ästhetischen Kategorien eine Rolle, sondern Programm-Parameter, Befehlshierarchien und deren Zuordnung, Zeittabellen, Zeichenketten, Steuercodes, Signalabfragen und ähnliches.

"Hausmusik" - ein Projekt von Feuerstein/Strickner, Mathias Fuchs und Mia Zabelka greift nicht auf kunstspezifische "Daten" zurück, auf kein kunstspezifisches Zeichen- und Bedeutungssystem, sondern auf das Feld und die Sphäre fluktuierender Daten innerhalb der globalen Informations- und Austauschsysteme von Nachrichtenagenturen (Reuters) - der Meta-Kontext. Diese ON-line-Wirtschaftsdaten werden mittels Softwareroutinen in wieder andere Daten konvertiert (MIDI) und steuern ein Midi-Klavier und einen Violin-Roboter. Ein erstes Terminal empfängt die Daten via Modem vom Reuters-Host-Rechner in Wien und filtert die Börsenkurs-Daten aus diesem Informationsstrom. Ein zweites Terminal zeigt diese Börsendaten an (und zwar nur die Kursänderungen und die betreffenden Wertpapiere) und wandelt sie gleichzeitig in ASCII Code bzw. Steuersignale um, die dann einem Macintosh LC II übermittelt werden. Dort wird mit Hilfe eines "Round Robin" die Datenschnittstelle abgefragt, die Daten eingelesen, die Steuerzeichen herausgefiltert und der Rest als ASCII-Zeichenkette angezeigt. Diese Zeichenkette liefert die Parameter für das MIDI-Interface: der Kurswert wird in Tonhöhe, Lautstärke und Zeitdauer umgerechnet und als MIDI-File abgespeichert. Dieser MIDI-File wird jetzt von einem Macintosh-Hyper Card-Programm auf die beiden MIDI-Kanäle aufgeteilt und ausgegeben; der Vorgang wird mit jedem Kurswert durchgeführt. Die Tatsache, daß der Macintosh-Computer nicht gleichzeitig Daten lesen und ausgeben kann, führt zu einer Leerstelle in der Musik-Performance - die Hardware-Konstellation wird unmittelbar zu einem Faktor der Performance.

Das "Hausmusik"-System von Modem, Computern, MIDI-Interfaces und MIDI-gesteuerten Musikinstrumenten generiert also keine spezifisch strukturierten Datenmuster (Komposition), sondern arbeitet mit den vorgegebenen Datensätzen des Reuters-Host-Computers: es findet lediglich eine Transformation, ein Transfer von Daten statt, ein Transfer, der zeigt, daß die Information selbst keine Bedeutung hat, sondern erst ihre Konvertierung innerhalb und durch einem bestimmten konkreten Kontext (Software) Bedeutung und Sinn erzeugt - als Anzeigen, als Kursbewegungen oder als Zeichenketten, die Instrumente steuern. Dieser Kontext ist allerdings der Sphäre der Daten-Systeme zugehörig: nicht die Instrumente oder der Rahmen der Präsentation definiert die Steuersignale (wie etwa innerhalb interaktiver Installationen), sondern ein Zusammenwirken von Programmen wird zur Schnittstelle zwischen Input und Output, die Instanz der Interpretation und Darstellung, d. h. die Instanz, die die Produktion zugleich determiniert und ausführt. Die Ordnung der Bedeutungserzeugung wechselt von subjektorientierten Standards zu jenen der Systeme, eine variable Semantik, eine flottierende und temporäre Signifikation wird inszeniert, die die Daten nicht beeinträchtigt, sondern spezifisch interpretiert; "Kunst" wird zu einer Software-Frage, wird als Begriff und Vorstellung plötzlich Teil eines automatisierten Systems, das Musik als Verlängerung von Programmen und Steuersignalen (vorläufig) definiert. Die Frage der Aufführung wird entsprechend dieser Logik der "Ferne des Subjekts" ebenso an das System delegiert, keine subjektiven Kategorien wie Virtuosität, Ausdruck, Interpretation, Präsenz etc. spielen hier eine Rolle, sondern automatisierte Instrumente.

Insofern stellt "Hausmusik" die Frage nach der Kunst (über die Musik), nach der Möglichkeit, in dieser Sphäre von verschiedensten Daten und Datentransfers noch eine Differenz zu erzeugen, die als Kunst verstanden und rezipiert werden kann. Wenn der Binärcode alles bedeuten kann, ist er dann nicht schon immer AUCH Kunst? Oder ist ein Konzept und/oder eine Performance, die auf dieser universellen Zeichensprache fundiert, einfach nicht in der Lage, systemintern jene spezifische Differenz "Kunst" zu erzeugen (ohne dabei wieder auf jenen anderen, "analogen" Kunstkontext zurückzugreifen)? Oder stellt sich diese Frage nur so lange, wie es noch eine andere Differenz gibt, jene zwischen Datensystemen und anderen kulturellen Kontexten, die noch immer einen Begriff der Kunst erzeugen, der auf dem Subjekt fundiert, der es als Instanz der Produktion und der Rezeption vorraussetzt? Wird sich DIESE Differenz auflösen?

Die Frage über den Charakter und die Reichweite dessen, das die "Hausmusik" produziert, wird zu einer Frage nach den prinzipiellen Mechanismen und Bedeutungen einer Kunst, die sich digitaler Systeme und Medien nicht nur bedient - das variiert nur die Frage nach dem "Werkzeug" und unterschätzt die Situation -, sondern sich innerhalb dieser Systeme als System-Variable selbst ansiedelt. Schließlich muß man zuletzt auch danach fragen, ob es noch wichtig erscheint, sich im System Kunst zu bewegen oder dieses aufrecht zu erhalten?



© Reinhard Braun 1993

erschienen in:
"Reflexionen. Zu Kunst und neuen Medien", Triton, Wien 1993



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