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Featuring
¬ GranularSynthesis

Reinhard Braun
Kammerflimmern

"Noise Gate - M6", GranularSynthesis,
Museum für angewandte Kunst, Wien 14. 1. - 8. 2. 1998

"Nicht-lineare Formprinzipien sind in der Tat das Maß einer Kultur, die die Fragmentarisierung und die Montage gewohnt ist." (Timothy Druckrey) Seit 1991 arbeiten Kurt Hentschläger und Ulf Langheinrich unter dem Label "GranularSynthesis" an der Rekonfiguration des ästhetischen Potentials von audiovisuellem Material (Video, Sound) auf der Grundlage von computergesteuerten Zeitachsenmanipulationen. In verschiedenen Modellreihen (Modell 3 bis 5 seit 1992) unterzogen sie das visuelle Ausgangsmaterial - Aufnahmen von Performer/innen - einer Überarbeitung, die sich zunächst als radikale Demontage der Zeitformation Video darstellt (die nicht mehr, wie Godard noch vom Film behaupten konnte, als - jetzt - 25 mal Wahrheit pro Sekunde beschrieben werden kann). Video bedeutet nicht nur für den Produktionsprozeß eine folgenreiche Rückkoppelung von Aufnahme und Wiedergabe, es erlaubt vielmehr eine grundlegende Revidierung jeder zeitlichen Formation der Bilder. Video, so könnte man dementsprechend formulieren, ist 25 mal Manipulation pro Sekunde. Diese Manipulation erzeugt schließlich jene Granulare, Grains, d. h. die kleinstmöglichen isolierbaren visuellen Einheiten der videografischen - später digitalisierten - Magnetspur, Zeit-Pixel, wenn man so will. Diese Granulare werden entgegen ihrem ursprünglichem Ereignishorizont (einer Performance etwa, d. h. der Bewegung eines Körpers, die nicht nur Bilder, sondern auch Töne erzeugt) in neue - und wesentlich nicht-lineare - zeitliche Abfolgen gebracht, wodurch diese Elemente ihre "Geschichte", ihre Bedeutung und ihren Sinn verlieren (bzw. eine Fiktion eines solchen Sinns erzeugen: die Bewegung, die entsteht, ist gerade jene maschinische Re-Formation der ursprünglichen Bewegung, mit der GranularSynthesis im Wesentlichen arbeiten). Diese Intervention in die Zeitfolge der Bildpartikel erzeugt eine völlig neue visuelle Dramatik. Es ist die Zeit, die dabei zu einer Art Territorium wird. Schließlich errichtet die Koppelung dieser Schnittechnik mit Großbildprojektionen (zumindest vier Leinwände nebeneinander) und einem komplexen Soundenvironment (das in verschiedenen Installationen in unterschiedlichen Anteilen live entsteht) ein hoch-energetisches Feld von Medieneffekten, von maschinischen Parametern der Wahrnehmung, erzeugt diese Koppelung Orte einer Intensität auf Zeit, hypothetische Orte von unwahrscheinlichen Synästhesien und (ästhetischen) Mutationen, Orte eines spezifischen Zusammenspiels von audiovisuellen Ereignissen, die sich generell auf die Vorherrschaft des technologischen Signifikanten beziehen und diese Vorherrschaft in eine Anordnung der "Bestrahlung" der Besucher/ innen übersetzen, eine Anordnung, die die Besucher/innen mit Zuständen konfrontieren, die aus dem Inneren von Maschinen stammen, Zustände, denen sie sich nicht entziehen können, die einen Wahrnehmungsraum erzeugen, der einen rigorosen Schnitt darstellt zu bekannten Formen der Medienrezeption. Letztendlich arbeiten diese Modelle an der grundsätzlichen Verschiebung und Irritierung der unser Handeln bestimmenden Kontexte und Erfahrungszusammenhänge, wie sich sich unter Medienbedingunen abzuzeichnen beginnt. Dieses Langzeit-Modell-Projekt, als das man die Arbeit von GranularSynthesis seit 1992 bezeichnen könnte, stellt die grundsätzliche Frage nach Erfahrung unter Medienbedingungen, die Frage nach dem vollständig mediatisierten Raum als Parameter der Wahrnehmung von Wirklichkeiten, seitdem diese unter dem Einfluß von Medienmaschinen geraten sind.

Erzeugte etwa das "Modell 5" - u. a. zur Ars Electronica 1995 aufgeführt - noch eine frontal ausgerichtete Schaufront von Leinwänden, auf denen der irritierend monumantale, maschinisierte Kopf der Performerin Akemi Takeya zu sehen war, in parallelisierten Abläufen, synchron verlaufend, wieder asynchron auseinanderdriftend und so einen dynamischen Rhythmus erzeugend, wurde dieses Konzept durch die Aufführung "Areal A" im steirischen herbst 97 insofern verändert und erweitert, als sich die Anordnung der Projektionen (wie schon bei "Xtended Thrill" am ICC in Tokyo 1997, einer Zusammenarbeit mit "Sensorband") einen Raum völlig aneignete und den Besucher in das Zentrum eines solchen Maschinenraumes versetzte. Vier Leinwände an je zwei Seiten einer Halle sowie 12 Stroboskope in der Achse dieses ausgeschnittenen, durch Licht sowie die Leinwand-"Membranen" markierten Raumes, erzeugten ein vollständig durch die Medienbestrahlung der Künstler definiertes "Areal", ein Areal, das als ein massives mediales Triebwerk bezeichnet werden könnte, nicht zuletzt durch die intensive Beschallung. Stärker noch, als dies für "Modell 5" festgestellt werden konnte, war "Areal A" an einem Ausloten von ästhetischen und akustischen Intensitätsmassen interessiert - mit der Betonung auf Intensität. "Areal A" führte die Besucher/innen direkt in eine - auch körperlich erfahrbare - Resonaz mit den Medien als Maschine - nicht zuletzt durch die Aufführungsdauer von vier Stunden. Was hier aus dem Jenseits der Maschine - durchwegs live - generiert wurde, erschien als ein Dröhnen, eine Ladung, die entlang einer Zeit- und Raumachse bewegt und manipuliert wurde: als Ergebnis entstand ein Areal der intensiven Koppelung zwischen Individuum und Medienmaschine.

"Wo die Maschine ist, da ist immer der Abgrund und das Nichts ...". (Antonin Artaud) "Noise Gate - M6" führt die Besucher/innen durch eine Schleuse geradewegs in ein solches Nichts: ein dunker Raum, der nur durch Sound erfüllt ist, ein Sound, der monoton dahinzugleiten scheint, aber durch die Bewegungen der Besucher subtil modifiziert und in seiner Intensität und Verteilung im Raum gesteuert wird. Von diesem Raum gelangt man durch weitere Schleusen in eine Ringgalerie, deren dem Hauptraum zugewandte Seiten von je 2 Videoprojektionen bestrahlt werden - auch hier empfängt die Besucher/innen unmittelbar der "faszinierende, ungeheure Lärm, der zu diesem jüngsten Experiment gehört" (Tom Sherman im Katalog; offensichtlich hatte er jedoch nicht die Möglichkeit, die Aufführung von "Areal A" in Graz zu besuchen; dort hätte sich die Bedeutung des Ausdrucks "betörender Lärm" in ihrer Buchstäblichkeit erst ermessen lassen).

Michael Krammer, der auch schon für die Modelle 3 und 4 als Performer agierte, taucht in "Noise Gate - M6" als Gegenstand der obsessiven Betrachtung wieder auf. Diesmal hatten ihn die Künstler dazu überreden können, auf und in einer Konstruktion von Leo Schatzl zu agieren, der "Kopfbox", einem Kubus, durch Neonlampen erhellt, der auf der Stirnseite eine Glasfläche aufweist, durch die er von der Videokamera erfaßt wurde - die eigentliche Performance war durch diese Anordnung auf die Bewegungen des Kopfes beschränkt, sein Schwenken, aber auch das Anschlagen an die Begrenzungen, insbesondere auf die der Kamera zugewendete Glasfläche. Sechs Stunden dauerte dieses Performance-Experiment (das wesentlich länger angelegt war) - in "Noise Gate - M6" werden allerdings nur wenige Sequenzen daraus verwendet.

Beim Gang durch die Ringgalerie begleitet die Besucher/innen das rhytmische Pochen der Stirn des Performers gegen das Glas, in z. T. elegischer Zeitlupe, dann wieder in rasendem Tempo. Auch hier werden die Änderungen in den Bild (-Programm-) Abläufen durch die Besucher/innen gesteuert, wenngleich nicht im herkömmlichen Sinn interaktiv. Erst nach langen monotonen Sequenzen zeigen sich Übergänge und Sprünge in der Bildfolge, begleitet von Änderungen im Sound. Deutlicher als in den "Modell 5"-Aufführungen zeigt sich (wie schon in "Areal A") die Intention, die Besucher/innen nicht durch interessante Bilder, spannende Abfolgen oder Schnitte zu unterhalten, sondern mit dem gesamten Ereignis zu konfrontieren, die Aufmerksamkeit nicht nur auf das Bild zu lenken, sondern auf die gesamte Anordnung und Abfolge, die dadurch realisierte Intensität der Identität mitzuverfolgen, die innerhalb eines begrenzten Bereiches variiert, d. h. mit minimalen Varianzen an einer maximalen Intensität arbeitet. Eine Beschreibung dieser Szenerie kann nur völlig scheitern; nicht nur fehlen die Sinnesreize, es fehlt auch die Dimension der Zeitlichkeit, der Dauer, die ganz wesentlicher Teil von "Noise Gate - M6" ist; war etwa "Modell 5" mit etwa 45 Minuten durchaus noch als Aufführung gedacht, sprengte schon "Areal A" diesen Zeitrahmen; als Ausstellungsprojekt taucht in "Noise Gate - M6" die Zeit als Variable auf, je nachdem, wie lange sich die Besucher/innen in den Räumlichkeiten aufhalten wollen, wieviel an "Rauschen" und Intensität sie sich zumuten möchten - der zeitliche Rahmen selbst ist endlos, die Ausstellung, die Ausstellungsmaschine, die Ausstellung als Maschine läuft den ganzen Tag. "Der Eintritt in die Noise Gate - M6-Installation selbst wird zu einem Akt des Eintauchens oder der Unterordnung in einem unter Druck stehenden Behälter." (Tom Sherman im Katalog) Dieses Eintreten wird allein schon durch die Schleusen deutlich - durch den Sound, durch die Ennervierung durch den Sound gelangt man in eine weitere "Schale" der Bilder, die mit einem völlig anderen Sound gekoppelt sind. GranularSynthesis operieren mit "einfachen" Mitteln - es werden keine neuen Interfaces entwickelt, keine komplexen Einbauten realisiert, es ist der Raum, die Besiedelung des Raumes durch Bilder und Töne und die Besucher/innen, wodurch das Arbeitsfeld abgesteckt wird. Die Technik selbst bleibt verborgen, jene Software- und Systementwicklung durch Dirk Langheinrich, die die Medienmaschine am Laufen hält, die direkte Interventionen in den Ablauf sowie fortgesetzte Modulierungen ermöglichen, ohne daß die Besucher/innen dies wahrnehmen. Im Mittelpunkt steht die Arbeit an den Möglichkeiten, das Individuum durch die Effekte der Medien, die sie benutzen, eminent und massiv zu affizieren, "zuzukleistern", wie sich die Künstler selbst ausdrücken, Medien, die sie, da sie zum Repertoire des alltäglichen Mediengebrauch zu zählen sind, um so präziser definieren müssen, um sich gerade von diesem Gebrauch, von dieser unausgesetzen Konsumption abzuheben. Und "zukleistern" bedeutet nicht, einen wahllosen Overload zu produzieren, sondern durch präzise Dramaturgie ein labiles Gleichgewicht zu erhalten, an einer Grenze zu operieren, an der das Subjekt sich den Bildern augesetzt sieht, sich in einem Zustand des Kontrolliert-Werdens befindet, doch über diesen Zustand bescheid weiß, im Wissen darüber gehalten wird. "Indem sie sich entschließen, kleine Elemente der Wirklichkeit in Spannungsfeldern (erschöpfend) neu zu kombinieren, ohne jemals eine Beschreibung der Metastruktur zu liefern, überlassen Hentschläger und Langheinrich einem grundlegenden Paradoxon das Ruder." (Tom Sherman) Es geht nicht um Identität, um Identifizierung, es geht um "Zerstörung", um Auflösung, um Zerstreuung. Sosehr "Noise Gate M6" daran arbeitet, die Besucher durch diese Zerstreuung "zu berühren", sie in ihre/seine Gewalt zu bekommen, sosehr bleibt diese Gewalt dennoch fiktiv, beruht sie nicht zuletzt auf einer Übereinkunft: sich dem Paradoxon auszusetzen, sich dem mit Lust auszusetzen, sich dem auszusetzen, Gegenstand eines Experiments zu sein: "Wie das Publikum damit zurechtkommt, ob es sich anpaßt, zusammenbricht oder spürt, wie es in einem solchen Spannungsfeld koexistieren und funktionieren kann, bildet den Kern dieser Untersuchungen." (Tom Sherman)



© Reinhard Braun 1998

erschienen in:
Camera Austria 61/1998



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