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Featuring
¬ G.R.A.M.

Reinhard Braun
G.R.A.M.s Paparazzi: Eine Parable vom Leben in Bildern

Wir leben in einer Zeit, in der der Wert von Daten, Bildern und Ideen den von materiellen Errungenschaften und physischen Territorien überholt hat.
Douglas Rushkoff

Auch noch nach der Postmoderne gehört es zu den polulärwissenschaftlichen Gemeinplätzen zu behaupten, das kollektive Unbewusste sei visuell organisiert (womit sich gleichzeitig behaupten lässt, dass viele postmoderne Erkenntnisse ihr diskursives Ablaufdatum noch nicht erreicht haben). Doch ging es bei dieser als postmodern bezeichneten Beschreibung der Kultur als durch umfassende Prozesse der Visualisierung und Ästhetisierung gekennzeichnet nicht nur darum, eine Ekstase der Bilder und Zeichen theoretisch "dingfest" zu machen - oder in einer Hyper-Theoretisierung der Theorie zu verdoppeln -, im Kern drehte und dreht sich das Beschreibungs- und Denk-Modell um eine fundamentale Revision des Verhältnisses von "Wirklichkeit", Abbild und Individuum (und diese Revision ist in ihren Auswirkungen aktueler denn je): dass sich nämlich die (medialen, zunehmend bewegten) Bilder sozusagen um den Kern des Realen angelagert hätten, wodurch dieser quasi verschwunden ist, gar nicht mehr ausgemacht werden kann in einer Operation der Repräsentation. "Woher kommt wohl diese verrückte Vorstellung, dass man das Geheimnis lüften, d. h. die Dinge in ihrer nackten Substanz erfassen kann, nur um zur radikalen Obszönität der Wahrheit und des Realen zu gelangen? Es gibt kein Reales, es hat niemals existiert (...)." (Jean Baudrilard) Mag dies auch heute noch spekulativ formuliert klingen (und hat sich die Rezeptionsgeschichte auch und gerade von Jean Baudrillard abgewendet), so kann man auch salopper sagen: "Man braucht die Medien nicht mehr anzuschalten, weil man sich schon die ganze Zeit in ihnen befindet." (Agentur Bilwet) Sprich: das gegenwärtige Individuum ist nicht mehr durch die Akkumulation "echgeschöpfter Realitätsvokabel" (Hermann Broch) geprägt, sondern durch eine symbiotische Beziehung mit Medien (Douglas Rushkoff). Mit diesem "cultural shift" hat sich seit den späten 80er Jahren Mediengeschichte als die tatsächliche Sozialgeschichte etabliert (symptomatisch wird diese Entwicklung auch an einer Publikation wie "Wickie, Slime und Piper", in Österreich ein Bestseller, in dem die Sozialisierung einer ganzen Generation - jener der 70er und frühen 80er, in den USA als "Generation X" bezeichnet, - anhand von Konsum- und Medienprodukten nacherzählt und zelebriert wird). Und damit handelt es sich bei diesem Diskurs auch nicht um eine Bildtheorie oder eine ästhetische Theorie, sondern um eine Beschreibung einer mittlerweile in allen Aspekten des Alltags manifesten Interaktion zwischen Medien, öffentlicher Meinung und individuellem Begehren.

Die zentralen Stichworte innerhalb dieses kulturellen Vielecks aus Zeichen, Medien, Codes, Information und Individuum scheinen auf den ersten Blick "Massenmedien", "Infotainment", "Konsum", "Unterhaltung" etc. zu sein. Im Kern stehen jedoch Begriffe (und die durch diese beschriebenen kulturellen Inter- und Transaktionen) wie Präsenz, Repräsentation und Authentizität auf dem Spiel - also Fragen nach der Herstellung und Vermittlung einer wie immer gearteten "Wahrheit des Realen", das es nicht nur aufzufinden, festzuhalten, abzubilden gilt, sondern das im Mittelpunkt jeden kulturellen Austauschs steht: als Koordinaten jeder Kommunikation, jeder Erfahrung und jedes (auch politischen) Konsenses. Zugegebenermassen: die Konsequenzen von Medienverhältnissen auf kulturelle Zusammenhänge wurden und werden breit diskutiert. Hier geht es auch nicht darum, diesen Diskurs weiterzutreiben, sondern ein Feld künstlerischer Produktion abzustecken, einen Kontext herzustellen für ein Projekt, das sich gerade mit den immer verschlungeneren Prozessen medialer Konstruktion von Wirklichkeit(en) und Authentizität(en) beschäftigt, diese Prozesse thematisiert, sie sich aneignet und in einer (teilweise) geradezu perfiden Art und Weise den Betrachter aufs Glatteis kultureller Kommunikation führt: G.R.A.M.s "Paparazzi"-Projekt simuliert ein mediales Spiel mit der Präsentation von Authentizität (einer Substanz gewissermassen) und simuliert damit gleichzeitig die Fragwürdigkeit jeder Authentizität (und damit jeder Repräsentation), die sich medialer Prozesse der Bildherstellung bedient (wessen sollte sie sich aber sonst bedienen?). "Paparazzi" dreht sich also nicht um eine wie auch immer differenzierte Kritik an Repräsentationsver-hältnissen, sondern darum, diese Repräsentationsverhältnisse zu einem Gegenstand der Repräsentation selbst zu machen: man nannte diese Strategie in den 80er Jahren "Affirmation" - demgegenüber ist heute wieder viel die Rede von Kritik und Kritik an der Kritik. Das Problem jeder Kritik besteht darin, den Gegenstand der Kritik innerhalb des Systems der Kritik "abzubilden", zu rekonstruieren. Wenn man aber, wie eingangs zitiert, die Medien erst gar nicht anzuschalten braucht, weil man sich ohnehin permanent in diesen befindet, wie liesse sich ein Gegenstand "Medien" ausserhalb von Medienverhältnissen rekonstruieren, um ihn als Gegenstand überhaupt zu gewinnen? Es geht hier nicht nur um theoretische Spielereien - diese Frage taucht jedesmal auf, wenn wir versuchen, Gewissheiten über kulturelle, gesellschaftliche Verhältnisse zu gewinnen (haben sich X und Y auf diesem Boot nun geküsst oder nicht?): es gibt kein Bildungssystem ausserhalb der Massenmedien (am Vortag der österreichischen Nationalratswahl stehen die TV-Konfrontationen der Spitzenkandidaten im Mittelpunkt der Berichterstattung und der Frage danach, wer welche Botschaften am "besten" imstande war, zu "transportieren", sprich: über Medienkanäle effizient zu addressieren). Man kann diese Verhältnisse kritisieren, ablehnen, verabscheuen - entziehen kann man sich ihnen jedoch nicht. (Das mag fatalistisch klingen, bedeutet aber lediglich, die Basis der eigenen Argumentation und die Konstruktion der Kritik genauestens auf ihre Voraussetzungen hin zu prüfen - es bedeutet nicht, keinerlei Aussagen treffen zu können.)

Kehren wir also zum Projekt "Paparazzi" der Gruppe G.R.A.M. zurück (womit wir innerhalb des skizzierten Kontextes bleiben) und halten wir fest, dass dieses Projekt ohne die unausgesetzte und steigende Präsenz von Medien-"Objekten" (Bilder etwa) und Medien-"Erzählungen" ("129 DIE IN JET!", Andy Warhol, 1962) gar nicht denkbar wäre. Und indem es sich auf die kulturell wirksamen Mechanismen dieser Objekte und Ezählungen richtet, lässt sich das Projekt gleich-zeitig als "virales Vehikel im 'Körper' einer Transästhetik der Banalität" beschreiben. Weshalb viral? Weshalb banal? - Spätestens seit jenem verhängnisvollen Unfall in einer Pariser Unter-führung hat jedermann/jedefrau (der westlichen, oder besser: der ersten und zweiten Welt) genügend über Paparazzi erfahren: hartnäckige, aufdringliche Fotografen, die permanent daran arbeiten, in die Privatsphäre von Stars und Berühmtheiten einzudringen mit dem einzigen Ziel, Bilder zu erbeuten, die ebendiese Stars und Berühmtheiten in Situationen zeigen, die sich dem Auge der Öffentlichkeit normalerweise entziehen (mit den Begriffen "Intimität" und "Authen-ti-zität" codiert sind). Insofern kann man von Banalität sprechen (ohne diesen Begriff rein pejo-rativ verwenden zu wollen): das Begehren nach der Lüftung von Geheimnissen, die Befriedi-gung von Neugierde, die Produktion von "Neuheit", die Zirkulation von Informationen und Pseudo-Informationen, die teilweise die Gestalt von Handlungsanweisungen für den Alltag annehmen (Mode). "An sich erzeugt jede Kommunikation soziale Redundanz." (Niklas Luhmann) Insofern steckt im Zentrum jeder Information und Kommunikation die Notwendigkeit zur ständigen Produktion "neuer" Information, die wiederum Kommunikation nach sich zieht und, wenn Sender (Massenmedien) und Empfänger (Konsumenten) über die selbe Information verfügen, in Redundanz umschlägt (die sprichwörtlichen "Nachrichten von gestern"). Das größte Potential zur Informationsproduktion und damit zum Aufrechterhalten einer (ökonomisch ausgerichteten) Kommunikation haben scheinbar noch immer Skandale und Normverletzungen bzw. -überschreitungen (also etwa Lady Di ohne Büstenhalter auf einem südamerikanischen Flughafen; ganz Großbritannien war für einen Moment geschockt!?). Indem G.R.A.M. in ihrem Projekt "Paparazzi" gerade keine Informationen produzieren indem sie so tun, als ginge es um Information, ist die Arbeit sozusagen von vorneherein redundant, sowohl was die ästhetischen Codes betrifft (Form), als auch, was die semantischen Codes (Inhalt) betrifft. Insofern lässt sich "Paparazzi" als viral bezeichnen, als es (visuell, also ästhetisch) mediale Codes repliziert, ohne dass es sich auf den eigentlichen Gegenstand des Begehrens richtet, der durch diese Codes bezeichnet wird. "Paparazzi" zeigt keine Berühmtheiten (und wenn, dann mehr oder weniger zufällig?), keine intimen oder privaten Situationen von Interesse, die in den Bildern in Öffentlichkeit verkehrt würden. Die Fotografien tun lediglich so, als ob dem so wäre (sind also in einem weiteren Sinn banal, weil es sich durchwegs um zufällige Situationen des Alltags handelt). Sie verwandeln "fact" in "fiction" indem sie sich als "fact" verkleiden. Sie geben "Zeugnis" von einem Vorgang, den sie selbst erfinden, indem sie sich als Bilder "tarnen", die den visuellen Codes der "Enthüllungspresse" folgen. Und da Redundanz der fatalste Antikörper jeder Information und Kommunikation ist, kann man das Projekt sogar als subversiv im Rahmen des beschriebenen Vielecks aus Zeichen, Medien und Codes bezeichnen.

"Medien lehren uns, dass wir unser Verhalten nicht nach der unmittelbaren Umgebung richten müssen, sondern vom Informationsangebot lenken lassen können." (Agentur Bilwet) Wenn kurz der handlungsanleitende Charakter medial konstruierter "Informationen" (eines scheinbar direkten Blicks auf Vorgänge und Personen, einer Art Zeugenschaft) angesprochen wurde, so steht gerade diese mediale Konstruktion solcher Handlungsanweisungen im Mittelpunkt des Projekts "Paparazzi" - und mit dieser Konstruktion die Begriffe der Repräsentation, Authentizität und Präsenz. Das "Spiel", das G.R.A.M. mit ihrem Projekt seit 1997 betreiben, involviert die Betrachter in Identifikationsprozesse, initiiert Lesevorgänge, durch die sich Identifikationen bilden, zumindest aber beeinflusst werden. Als vermeintliche "Spuren von Präsenz" oder besser: von Bedeutung bilden die Fotografien der "Paparazzi"-Serie eine Art Rohstoff zu Herstellung von Repräsentatiosverhältnissen, deren fragiler und hypothetischer Charakter dadurch markiert wird. Was wir glauben, was wir glauben möchten, wie wir aussehen und uns verhalten möchten (d. h. im wesentlichen: unser ganzes Spektrum sozialer Kommunikation) läuft über Bildverhältnisse, über Darstellungen von Handlungen und Personen, die im Rahmen von übergeordneten Medienerzählungen eine bestimt Bedeutung erhalten ("Hollywood"). G.R.A.M. simulieren solche Verfahren der Bedeutungskonstruktion und entlarven diese als Medienmechanismen: es sind die Bilder selbst, die solche Bedeutungen produzieren. Erst diese Bild- und Medienimma-nenz (von Wirklichkeitsproduktion!) ermöglicht es, sich diese Vorgänge anzueignen und mit den dadurch erzeugten Projektionen, Phantasmen und dem Begehren zu spielen. Wenn sich etwas mit Sicherheit aus der Strategie des Projektes "Paparazzi" ableiten lässt, dann die Tatsache, das gerade so etwas wie Authentizität und Repräsentation in Bild- und Medienverhältnisse verstrickt ist, die quasi eine eigene "Welt" erzeugen, die die "wirkliche" gar nicht streift - es sei denn als gesellschaftlicher "Rohstoff", der nicht mehr aus Wirklichkeitsverhältnissen gewonnen wird, sondern aus Medienkreisläufen. Damit aber sind die Bilder sozusagen schon längst wirklicher als wirklich und die Frage nach "Wirklichkeit", nach einer "nackten Substanz" der Dinge hat sich erübrigt. Insofern erzählt "Paparazzi" eine reichhaltige "Geschichte" - eine Geschichte allerdings, in der es um Bilder geht, nicht um Personen, nicht um Ereignisse (doe Personen, die "Stars" werden gewissermassen selbst in einen Code verwandelt). Der Wunsch nach "Authentizität" wird durch Bilder scheinbar befriedigt, die aber doch nur von der Unmöglichkeit "sprechen", diesem Wunsch überhaupt noch nachzukommen. "Nicht existiert von sich aus, es gibt nur Zeichensysteme - und Zwangscodes, um sie lesen zu können (...)." (Agentur Bilwet) Mit "Paparazzi" eignet sich die Gruppe G.R.A.M. solche Zeichensysteme an, überträgt sie in den Kunstkontext und ermöglicht den Betrachtern nicht nur ein intellektuelles Spiel mit der eigenen Kompetenz im Entziffern von Bildcodes, sondern auch ein durchaus lustvolles Spiel mit dem eigenen Blick und dem eigenen Begehren. Und vielleicht ist es ja doch Sharon Stone, die gerade ...



© Reinhard Braun 1999

in gekürzter Version erschienen in:
"Tiefen|Schärfen", Festivalkatalog Duisburger Filmwoche 23/1999



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