[start]



Featuring
¬ G.R.A.M.

Reinhard Braun
"Echte Bilder"

Österreichische Galerie im Belvedere/Atelier im Augarten,
Wien 17. 10. - 21. 12. 1997
Grazer Kunstverein, Graz 14. 11. - 21. 12. 1997

"Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien". Damit eröffnet Niklas Luhmann seine systemtheoretische Analyse der "Realität der Massenmedien", um bald zu dem Schluß zu kommen, daß ihr Code die Unterscheidung von Information und Nichtinformation ist, und um bei der Frage zu enden, wie es möglich ist, "Informationen über die Welt und über die Gesellschaft als Informationen über die Realität zu akzeptieren, wenn man weiß, wie sie produziert werden." In der Tat scheinen uns die zahllosen unausweichlichen Nachrichten aus allen möglichen Teilen der Welt oftmals völlig unglaubwürdig, wir mißtrauen zunehmend den Schnappschüssen von allen möglichen - scheinbar wichtigen - Ereignissen, wir sind zunehmend geübt im Erkennen massenmedialer Konstruktionen von Wirklichkeiten als Rahmen jeder Wirklichkeitskonstruktion, d. h. wir sehen in allem die Rahmung der Medien als Teil dessen, was wir als Wirklichkeit erkennen können. Es sind die Massenmedien, die den Sachverhalten Bedeutung verleihen. Andererseits vermögen wir trotz dieses "re-entry" unserer Beobachtung immer weniger Kriterien für eine sinnvolle Unterscheidung zwischen Konstruktion und Wirklichkeit ausmachen, wenn Wirklichkeit ohnehin nur als Konstruktion denkbar verblieben ist. "Wo wir kein Medium entdecken, durch dessen Brille wir sehen, fühlen wir uns hintergangen, weil wir schon nicht mehr glauben, noch unvermittelt wahrnehmen zu können", kennzeichnet Hans Belting in seiner Revision des Endes der Kunstgeschichte diesen Umstand der vollständigen Mediatisierung. Die Paradoxie dieser Situation ist offensichtlich (und für bestimmte - auch künstlerische - Formen von Kritik fatal): im Zusammenfall von realer und fiktionaler Realität wird es zunehmend problematisch, einen authentischen Weltbezug herzustellen, zu vermitteln, darzustellen bzw. etwas wie "Entfremdung" überhaupt als solche - d. h. als Ideologie, als Konditionierung, als eine Form von Macht - zu kennzeichnen (es ist ja alles nur Unterhaltung!). Das Individuum findet sich angesichts dieser permanenten Dissimulation zugleich "angereichert und verunsichert durch das, was es durch die Massenmedien weiß". (Luhmann) Es kommt zu unentwirrbaren Durchmischungen realer und fiktionaler Realität: postmoderne Kultur?

Die Grazer Künstlergruppe G.R.A.M. arbeitet seit Jahren immer wieder im Rahmen ästhetischer wie semantischer Konstruktionen der Massenmedien: kollektive Vorstellungen, Topoi und Schemata, Identifikationsfiguren, Mythen und Klischees werden ironisch im Rahmen des Kunstkontexts thematisiert: Kontaktanzeigen, Tätowierungen, Abziehbilder, Hollywood, Werbung und Autokultur(en) - Sex, Voyeurismus, billiges Vergnügen, Lifestyle, Popkultur und deren Rituale sind der Hintergrund der Themen. In zwei Ausstellungen - im Grazer Kunstverein und im Atelier im Augarten in Wien - zeigten sie von Dezember bis Jänner neue Arbeiten unter dem Titel "Paparazzi" - aus wohlbekanntem Anlaß eines der meistdiskutierten massenmedialen Phänomene der letzten Monate, obwohl die Idee zu diesen Ausstellungen schon ein Jahr zurückliegt, es sich also um ein längerfristiges Projekt handelt (im übrigen hat der Malstrom der Redundanz längst schon jene Pariser Unterführung mitsamt all' ihren Nachrichten von Gestern verschlungen). "Paparazzi" bewegt sich also offensichtlich und neuerlich an der Schnittstelle zwischen Medien und Kunst, zwischen Alltag und Fiktion, zwischen Identifikation und Desavouierung, zwischen Information und Nicht- bzw. Desinformation, zwischen Klischee und - der Unmöglichkeit, demgegenüber noch so etwas wie Wirklichkeit, wie Authentizität zu formulieren. In Graz sind es großformatige, nachbearbeitete Paintbrush-Bilder von Schauspielern, die während eines Los Angeles-Stipendiums aufgenommen wurden (in touch with Dennis Hopper und Jack Nicholson!) - Aufnahmen, die sie sozusagen selbst zu "Paparazzi" stempeln, die die Wiederholung einer Affizierung belegen, einen Affekt, ein Begehren, Aufnahmen, die sie in ein "Ritual der Abtastung" hineinführen, die sie zu einem Teil werden lassen - einem Teil wovon? Von Kultur im Sinne der Umformung von allem und jedem in ein Zeichen von Kultur (Luhmann) - eine Spirale der Signifikation. Doch die Arbeiten fügen diesen Zeichen - von Schönheit, Reichtunm, von Geliebt-und-Bewundert-Werden, etc. etc. - Irritationen bei, zeigen deutliche (im anderen Fall kaum sichtbare) Brüche im Gefüge dieser vollständig selbstbezüglichen Bildkonstellationen (züngelnde Flammen, kunstvoll mäandernder Rauch einer Zigarette oder simple Einschußlöcher). Sie spielen damit nicht nur mit der Unterscheidung zwischen Inszenierung, Fiktion und Wirklichkeit, sondern bereits mit - ästhetischen - Figuren solcher Unterscheidungsversuche und denunzieren sie als falsche Alternative: nicht, was hergestellt wird, ist interessant (die Ikone, der Star, das Starlet), sondern wie diese Konstruktion zustandekommt, wie sie zu einem Schemata von Teilhabe wird, einer Teilhabe, die ganz wesentlich durch verschiedenste Oberflächen geprägt ist (weswegen auch das Sichtbar-Bleiben zu den wichtigsten Anliegen eines Stars gehört, das Erscheinen). In der Wiener Ausstellung tauchen wiederum solche großformatigen Fotos von Stars auf, die sie diesmal höchst privat zeigen - etwa Richard Gere nackt im Swimmingpool oder im Meer, unscharf mit dem Tele aufgenommen, eine Aufnahme, die die Künstler in einem entsprechend spezialisierten Geschäft in Los Angeles kauften und wiederum überarbeitet haben: Richard Gere hält - völlig sinnlos - einen Tennisschläger in der Linken. Diese Aufnahmen werden mit kleinformatigen Fotografien kombiniert, die sie selbst während ihres Stipendiumaufenthaltes von Nachbarn oder Personen machten, die sich in der näheren Umgebung aufgehalten hatten. Diese Fotografien folgen in ihrer Ästhetik präzise jenen Paparazzi-Schnappschüssen: unscharf, verwischte Vordergründe, ungünstige Ausschnitte, reduzierte Kontraste etc. Diese Ästhetik kennzeichnt sie als Dokumente, als Dokumentationen von - scheinbar - beobachtenswerten Personen und/oder Ereignissen (Einbrüche, Drogen-Deals, konspirative Gespräche, eine Flucht?).

Es geht bei all' dem jedoch weniger um einen Transfer solcher Bildformationen, ihrer Schemata und Mechanismen in den Kunstkontext: die Frage der Repräsentation, wie verschlungen auch immer, kann dort am wenigsten überraschen. Der Unterschied zu Strategien der Pop Art erscheinen evident: nicht das pure Aufgreifen oder Bearbeiten von pop-kulturellen Phänomenen als ein Thema von Kunst steht im Mittelpunkt, es sind die Mechanismen der repräsentativen Konstruktionen innerhalb von Alltagskulturen, es sind die Mechanismen der Affizierung des Begehrens der Betrachter/innen - nicht primär der Betrachter/innen einer Kunstausstellung, sondern der Betrachter/innen von Magazinen, Infotainment-Sendungen, der News-Kultur, der zahllosen TV-Kanäle, über und durch die das Individuum mit den "großen Erzählungen" der Kultur verschaltet, an diese angeschlossen, von diesen vereinnahmt werden (obwohl doch diese großen Erzählungen eigentlich nicht mehr existieren dürften?). "Wir leben in einer Welt (...), in der die höchste Funktion des Zeichens darin besteht, die Realität verschwinden zu lassen und gleichzeitig dieses Verschwinden zu maskieren." (Jean Baudrillard) Wenn sich aus dem "re-entry" der Beobachtung, daß es die Medien sind, die fiktionale wie reale Realität konstituieren, kein Weg aus der wilden Semiose zwischen Information und Unterhaltung finden läßt, dann scheinen die "Paparazzi"-Serien von G.R.A.M. genau diesen Umstand aufzugreifen. Was auf den Fotografien der Nachbarn zu beobachten ist, ist keine Handlung, kein Ereignis, sondern das Provozieren eines Lesevorganges, der sich als zugleich zulässig und völlig inadäquat herausstellt, ist ein Bruch in der Repräsentation, der von der Repräsentation selbst verdeckt - d. h. dissimuliert - wird. "Irritierbarkeit wird ja durch Erwartungshorizonte erzeugt, die entweder Normalitätserwartungen bereitstellen, die aber im Einzelfall durch Zufälle, Vorfälle, Unfälle durchbrochen werden können; oder durch Unbestimmtheitsstellen, die als laufend ausfüllungsbedürftig reproduziert werden." (Niklas Luhmann) Was in den verschiedenartig erzeugten Irritation auf den Bildern der "Paparazzi"-Serien zum Vorschein kommt, ist der Umstand, daß vielfach gar nicht mehr zwischen den Konstruktionsmodi der Medien und derjenigen des Individuums unterschieden werden kann: diese Nichtunterscheidbarkeit ist jedoch eine Konstruktion der Medien, durchzieht sie wie ein Sprung, an dessen Verbergen ständig gearbeitet wird (höhere Auflösung, bessere Übertragung, Morphing etc.). Es scheint diese Unbestimmtheitsstelle zu sein, auf die sich das Interesse der Gruppe G.R.A.M. in vielen ihrer Arbeiten zu richten scheinen, weil es gerade der/die Besucher/in sind, die diese Unbestimmtheit ausfüllen, Bedeutungen konstruieren wie in Frage stellen - ob nun die dabei offensichtliche Ironie als Kritik erscheinen mag oder als Folge einer Brechung der eigenen Lust am "Drag". Die Frage, wer wodurch woran angeschlossen wird, läßt sich im Rahmen der gegenwärtig sich abzeichnenden Rückkoppelungskultur, einer Kultur des Kurzschließens aller möglichen und unmöglichen Kontexte und Begehren ohnehin nicht mehr ohne weiteres feststellen. Und allein deshalb erscheint es legitim und macht auch Spaß, über Haubenspanner, Zusatzbremsleuchten, Wunderbäume, David Hasselhoff, LA, James Dean und die Segnung eines "Ford Dreamlover" in der kalifornischen Wüste auf einmal nachzudenken.



© Reinhard Braun 1998

erschienen in:
Camera Austria Nr. 61/1998.



[download text als pdf][get acrobat reader]



[start]





last modified on 2002 04 09 at 19:36 by braun /