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Featuring
¬ Feuerstein/Strickner

Reinhard Braun
Vom Gegenstand zur Information.
Der Künstler als Servomechanismus

"Kleidung, Porzellan, Wohnungseinrichtung und Stadt sind Medien der nationalen, politischen oder sexuellen Identität und des Zeitgeistes geworden. Sie sind Thermometer einer psychischen Kondition. Bäume reichen Botschaften bezüglich Windstärke und Umweltverschmutzung weiter. Alles strahlt Bedeutung aus und berichtet von etwas anderem als der eigenen Existenz. Wo Gegenstand war, ist Information geworden."1 - Und, wie man hinzufügen muß: wo Autor war, ist Programm geworden. Die Mediatisierung gegenwärtiger hochtechnisierter Kulturen ist eine durchgängige. Mit dem Begriff der Mediatisierung wird jener Umstand bezeichnet, daß zahlreiche Aspekte der Vergesellschaftung, der kulturellen Kommunikation und des Konsums, der Wissensbildung, der Archivierung, der Verwaltung und Disziplinierung etc. auf der Grundlage von Medien bzw. Mediensystemen operieren. In Fortführung der kulturellen Hegemonie mechanischer Medienverbundsysteme, allen voran der Bereiche der "Aufschreibesysteme" und Drucktechniken, haben sich die elektronischen und digitalen Medien als effiziente Kanäle kulturtechnischer Operationen erwiesen, besonders jene der Informationsverarbeitung und der visuellen Systeme (Fernsehen). Versteht man nun künstlerische Arbeit auch eine als Praxis, die innerhalb allgemeiner kultureller Strukturen operiert, ihre Verschiebungen, Ungleichzeitigkeiten und Paradoxien zu erkennen und zu "beschreiben" versucht, verschiebt sich nicht nur der Kontext dessen, was (noch) als Kunst bezeichnet werden könnte, es verschieben sich vor allem die Felder, in denen sie als möfliche Form von Kunst agiert. "Sollte keine Katstrophe einbrechen - und die ist ex definitionem unvorhersehbar -, dann werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die technischen Bilder das existenzielle Interesse der künftigen Menschen auf sich konzentrieren."2 Diesem Interesse zu folgen heißt, sich in jene Systemräume zu begen, die diese technische Bilder produzieren und distribuieren.

Letztlich bedeutet die zunehmende Sättigung der Gesellschaft mit medientechnischen Maschinen, Apparaturen und Oberflächen eine grundlegende Veränderung des Zugangs zur Wirklichkeit. Medien entfalten nicht nur "die in den modernen Maschinen präformierten Apperzeptionsformen", sondern es werden "dadurch Erfahrungen maßgebend, die die technische Organisation der kollektiven Physis revolutionieren".3 Dieser kollektive Prozeß, der ein modernes und industrielles Paradigma der Technisierung der Arbeit, des Konsums, der Wahrnehmung und der Kommunikation fortführt, bedeutet letztlich die fortwährende Einführung und Erweiterung von technisch vermittelten und auf technischen Objekten (Prothesen) beruhenden Interaktionsformen mit der Umwelt. Und damit produziert die technische Vermitteltheit der Wirklichkeit auch "eine neue Region des Bewußtseins"4 durch ihre spezifischen Apperzeptionsangebote und -suggestionen. Elektronische bzw. digitale Medien führen dabei eine neue Radikalität ein, indem sie die subjektorientierten Wahrnehmungsformen verlassen und sich auch nicht mehr als Prothesen im engeren Sinn bezeichnen und damit an das Subjekt rückbinden lassen (wie das noch etwa bei der Fotografie der Fall ist). Der Horizont dessen, was als Wirklichkeit erfahren und als Umwelt quasi prozessiert werden kann, hat sich dadurch erheblich verschoben: zahllose mediale Operationen erweitern das Feld der Sichtbarkeit, der möglichen Erkenntnis, das Feld an Informationen, die prinzipiell zugänglich gemacht werden können, der Kommunikationen, die prinzipiell vollzogen werden können usw. "Diese emanzipierte Technik steht nun aber der heutigen Gesellschaft als eine zweite Natur gegenüber."5 Eine zweite Natur, die im wesentlichen aus maschinenprozessierten Effekten, d. h. Informationen besteht. Information ist daher kein Begriff mehr, der nur innerhalb dieses maschinellen Systems Sinn macht, er kennzeichnet bereits wesentliche Aspekte unserer Umwelt insgesamt. Dementsprechend richten künstlerische Strategien, die innerhalb dieser Maschinen- und Kommunikationssystemen operieren, ihr Hauptaugenmerk nicht mehr auf konventionelle Gegenstände, klassische Objekte, sondern auf jene "Objekte", die diese Maschinen- und Mediensysteme vorrangig produzieren: Informationen, Informationsketten, Datenstrukturen.

Exemplarisch für diesen Übergang von einer objektorientierten zu einer informationsorientierten Strategie erscheint das Projekt "Spurenapparat" von Feuerstein/Strickner, wobei der Titel bereits diesen "Übertritt" in einen anderen Kontext anzeigt: wenn der Begriff "Spur" noch jenen der Gestik konnotiert, hat doch der Apparat die Produktionsformen von Spuren bereits annektiert und automatisiert. Die Geste, der gestische, ästhetische Akt ist somit bereits eine Geste des Apparats und nicht mehr des Subjekts, seiner physischen oder psychischen Konditionen. Die paradoxen, weil letztendlich nicht ohne weiteres auf ein Material rückführbaren Spuren, um die es geht, sind also nicht mehr die eines Künstlersubjekts, seiner Subjektivität, Expressivität oder Virtuosität, und auch nicht seiner Konzepte, sondern jene einer automatisierten, mathematisierten, maschinellen bzw. informationellen Ordnung. Indem eine bestimmte mathematische Verteilung bzw. ihre formale Übersetzung zum Ausgangspunkt einer Gestaltung (und damit weiterhin einer Form der Ästhetik) wird, schreibt sich kein Subjekt mehr auf einer Oberfläche ein, sondern nur mehr die Maschine selbst schreibt sich fort, schreibt ihr Programm aus. In einer weiteren Paraphrase läßt sich also sagen: Wo Informel war, ist Information geworden.

Wurde eingangs das technische Bild als paradigmatischer Gegenstand des Interesses eingeführt, geht es letztendlich jedoch um eine Ebene sozusagen hinter dem Bild, um die maschinellen Prozeduren, die ein Bild erst generieren. Es geht also im wesentlichen um eine Form der Schrift, um eine Programmschrift, ein maschinelles Schreiben, das nicht nur das Bild beschreibt und aufbaut, sondern letztlich alles, was die Maschine überhaupt an Effekten zu produzieren in der Lage ist - die Schrift erscheint als Modell einer auf bestimmten Regeln basierenden (fiktionalen) Verarbeitung der Welt, als Modell einer Distanzierung der Erscheinungen und der Entkoppelung von Kommunikation und Information, d. h. einer geografischen Freisetzung von Information - indem nicht nur verstanden werden kann, wo gesprochen wurde, sondern überall dort, wo es schriftliche Aufzeichnungen dieses Sprechens gibt. Schrift ist somit als das erste Tele-Medium zu bezeichnen, der "Spurenapparat" mithin als telematische Skulptur. Er bezieht sich als "Spur" einer Automatisierung ästhetischer Verteilungen bzw. einer Verteilung automatisierter Ästhetiken auf kein kunstimmenentes Kompositionsschema oder -verfahren, sondern auf allgemeine Aspekte grammatikalischer Ordnungen und thematisiert diese als Schrift der Maschine, als automatisierte symbolische Manipulation an der Wirklichkeit - weil es der Signifikant ist, der das Spiel der Differenzen bestimmt.6 Das Subjekt bewohnt quasi gemeinsam mit der Maschine das Reich der Sprache. Und die Schrift der Maschine als ihre Sprache ist das Symbolische.8

Die symbolische Produktion der Maschine durch den "Spurenapparat" in eine manifeste Form zu überführen und diese sozusagen vorzuführen, sie als dasjenige zu bezeichnen, das eine Umwelt heute produziert und sie zugleich einzuführen in das Feld der Kunst, gleicht zunächst einmal einer Demonstration. Die Arbeit hat etwas von einer demonstrativen Geste. Und wenn im Zusammenhang mit dieser Geste des Apparats von der Schrift der Maschine die Rede ist, vom Symbolischen als der Ordnung, in der Sinn produziert wird, sich ereignet und kommuniziert wird, und vom Signifikanten, der diese Kommunikation trägt, dann meint das einen skizzenhaften Entwurf von Zusammenhängen jener Verschiebungen, Umbildungen und Diskontinuitäten, wie sie die Maschine in ihrer Heimsuchung der Kultur produziert hat und noch produziert, eine Skizze von Ebenen der Rückwirkungen und Rückkoppelungen, die schließlich die Frage nach dem Primat von Subjekt und Maschine stellt - eine Maschine, die längst eine post-mechanische ist. Sie manipuliert keine Kräfte, Beschleunigungen und Hebelwirkungen, sondern allein Zeichenketten. Und jene Zeichenketten sind es, die die Projektionsfläche der Gegenwart bilden, die ein "Tableau" produzieren, auf dem das Reale angeordnet und zur Erscheinung gebracht wird. Die Maschine ist eine Metapher: "Alle Medien sind mit ihrem Vermögen, Erfahrungen in neue Formen zu übertragen, wirksame Metaphern."9 Die "Oberfläche ihres Auftauchens"10 ist eben jene Sphäre der maschinellen Zeichnmanipulation durch die digitale Maschine. "Was in der Maschine stattfindet, findet statt, weil und wie es geschrieben wurde."11 Die entsubjektivierte Schrift - nach dem Informel - bildet die Grundlage für das gegenwärtige kulturelle Projekt der Darstellung von Wirklichkeiten. Und die Darstellungsebene dieser Wirklichkeiten, ihr "Tableau", auf dem sie sozusagen präsentiert werden, ist die symbolische Schrift der Maschine, eine universelle Schreib-/Zeichen-/Lesefläche, der Ort, "wo sich alles berühren kann"12. Der Systemraum der Maschine wird zur symbolischen Topografie, in der sich alles ereignet, was nicht nur Sinn produziert, sondern wo gleichzeitig produziert wird, worauf sich durch einen Sinn verweisen läßt. Die Schrift der Maschine produziert unausgesetzt Signifikanten. Was die Arbeit "Spurenapparat" vor Augen führt, ist jene Konsequenz und Folge maschinisierter Kulturtechniken, Diskurse nicht mehr "als Gesamtheiten von Zeichen (von bedeutungstragenden Elementen, die auf Inhalte oder Repräsentationen verweisen), sondern als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen. Zwar bestehen diese Diskurse aus Zeichen; aber sie benutzen diese Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnnung von Sachen."13 "Alles strahlt Bedeutung aus und berichtet von etwas anderem als der eigenen Existenz."14 Die Maschine ist Medium der Metapher: sie spricht von der Welt als einem Anderen, indem sie es als etwas Differentes produziert - sie spricht die Welt anders, sie schreibt sie anders: die Maschine produziert einen ontologischen Spalt. Ihr Mechanismus kann nicht mit dem Begriff der Repräsentation beschrieben werden, sondern nur in Begriffen der Differenz.
Im "Spurenapparat" geht es also nicht um Kunst und ihre Mechanismen der Darstellung und Bezeichnung, es geht um den "Raum", auf den sich auch die Kunst reduzieren läßt, wenn der operative Modus der Weltbeschreibung in die Maschine diffundiert. Von dort aus stellt sich die Frage nach dem Subjekt15, auf die noch zurückzukommen sein wird. Zunächst aber läßt sich die Arbeit "Spurenapparat" weiter spezifizieren. Sie ist im wesentlichen als metaphorisches Objekt zu lesen, das sich auf der Grundlage maschinenorientierter Produktionsmodi auch Modi der bildenden Kunst aneignet, sie sozusagen als Transportmaterial verwendet. Die skulpturale Form ist hier buchstäblich als formale Strategie zu lesen, als Produkt einer Übersetzung und Veranschaulichung, einer Demonstration. Indem sich die jeweilige Realisierung des "Spurenapparats" an einer konkreten Raumsituation orientiert, wird sozusagen einer minimalen Anforderung aus dem Kontext der Kunst entsprochen: ästhetisch zu operieren, einen Gegenstand der "aisthesis" zu produzieren, wo letztendlich nur abstrakte Zeichenketten und unzugängliches Datenmaterial produziert wird. Insofern ist der Spurenapparat eine "wirksame Metapher", die eben nicht nur davon erzählt, wie die Maschine Sinn und Bedeutung (etwa Bilder oder Texte, seien es auch Hypertexte) mithilfe ihrer symbolischen Operationen produziert - dieses Verhältnis würde nach wie vor im Feld der Repräsentation agieren. Indem die Arbeit aber keine Sachen bezeichnet, sondern strukturell vorführt, wie die "Gegenstände" gebildet werden, von denen die Maschine in ihrer Schrift spricht, besetzt die Arbeit sozusagen eine Leerstelle in der Maschine, wo sie selbst nicht hinreicht, ihren blinden Fleck: sie kann sich selbst gegenüber keine Meta-Position einnehmen und sich innerhalb sich selbst abbilden. Diese Operation an bzw. mit der Maschine führen Feuerstein/Strickner mithilfe des "Spurenapparats" durch.
Es handelt sich also um eine Strategie der Transparenz, der Sichtbarmachung, wobei gerade das sichtbare Material nicht der eigentliche Gegenstand des Konzepts ist. Spätere Projekte - etwa "Hausmusik" oder "Real Data Stampede" - positionieren diese Übersetzung anders: keine Objekte werden produziert, das im wesentlichen informationell-prozessuale Konzept wird wiederum nur als Bild- bzw. musiklaischer Prozeß, d. h. als andere Form der Information zugänglich. Von den Arbeiten selbst bleibt keine ästhetische Form zurück. Der "Spurenapparat" ist somit als Ausgangsform eines Projekts zu bezeichnen, das vom Gegenstand zur Information weist - und das sich damit immer weiter vom Kontext der bildenden Kunst entfernt.

Auch die Arbeit "Kontigente Welten" kreist sozusagen um den Begriff des "Tableaus" und produziert metaphorische Objekte. Leuchtstoffröhren mit dem applizierten Bild einer Satellitenaufnahme der Erde bilden ein systematisches wie gleichermaßen stochastisches Geflecht von identischen Weltbildern, angeordnet auf der selben Ebene der Präsentation: sie überziehen den Boden wie ein Kristallgitter. Wiederum zielt der Modus der Weltbeschreibung bzw. -anordnung auf die maschinelle Erfassung der Welt, auf ihre systematische Beschreibung durch die Schrift der Maschine. Der Satellit als Generator des Bildes der Erde referiert auf den "orbitalen Status"16 der Maschine, auf den Umstand, daß sich die Welt ständig ihrer maschinellen Erfassung ausgesetzt sieht, d. h. potentiell zu einem Gegenstand der digitalen Maschine in toto geworden ist. Die Frage der Immanenz der Darstellung hat sich völlig aus dem Bereich der subjektiven Repräsentation verlagert. Das künstlerische Objekt ist deshalb konsequenterweise nur mehr die kontingente Anordnung maschineller Bilder und Objekte. Die Verkettung dieser maschinellen Weltbilder als Verknüpfung der Leuchtstoffröhren erzeugt wiederum ein Weltbild-System, das im wesentlichen jenes der elektronisch/ digitalen Medien als Meta-Maschine gegenüber der Welt ist. In einer Variante der "Kontingenten Welten" wird dieses Meta-Medienbild direkt in Szene gesetzt: ein Monitor, der über einen entsprechenden Computer mit Daten aus einem Meteo-Satelliten gekoppelt ist, wird in Verbindung mit einem Schubkarren und einem Globus zum Sinnbild des gegenwärtigen Aufbaus der Welt: weniger das Bild der Erde aus dem Weltraum selbst als der Modus seiner Generierung steht für einen sich ständig ausweitenden Zugriff auf die Welt mittels digitaler Bilder, und das heißt: mittels Berechnungen und Neukonstruktionen von Daten über diese Welt anhand maschinenverarbeiteter Prozesse, die wiederum einer Programm-Schrift der Maschine folgen. Die Ästhetisierung der Welt durch Medienbilder läßt sich also als eine neue Form der Re-Literarisierung der Welt beschreiben.

Die Installation "Kontingente Welten" bildet somit eine (ästhetische) Anordnung, die ähnlich dem "Spurenapparat" eine andere Formation evoziert, auf diese verweist. Als installatives "Tableau" - jene Projektions- und Darstellungsebene, auf der sich "alle Dinge berühren" - wiederholt die Installation jene "diskursive Formation"17, die auf der Grundlage symbolmanipulierender Operationen keine Wirklichkeit repräsentiert, sondern bereits eine Re-Formulierung dieser darstellt. "Wir leben in einer eingebildeten Welt der technischen Bilder (...) [und] wir verdanken diese Bilder einer Technik, welche ausschließlich aus wissenschaftlichen Theorien stammt (...)".18 Insofern sind die technischen Bilder selbst Produkte von Theoriekomplexen, d. h. Konsequenzen, Effekte von Zugriffs-, Verarbeitungs- und Darstellungsmodi der Wirklichkeit. "Ein technisches Bild entziffern heißt nicht, das von ihm Gezeigte entziffern, sondern sein Programm aus ihm herauszulesen."19 Denn selbst bzw. gerade auch die Repräsentation ist eine Folge dieses Programms, d. h. theoretischer Effekt bzw. ein Effekt theoretischer, selbst apparateimanenter Begriffe. Dementsprechend lassen sich, Flusser folgend, technische Bilder als "informative Texte" lesen. "Ihre Absicht ist nicht, die Welt zu verändern, sondern die Bedeutung der Welt zu verändern. Ihre Absicht ist symbolisch."20 In diesem Sinn geht es nicht primär um die konkreten Inhalte der Repräsentationen, nicht um die Zeichen des Spurenapparats, nicht um das Satellitenbild auf den Leuchtstoffröhren oder dem Monitor, sondern um die Tatsache, daß es sich dabei um Produkte eines apparativen Prozesses handelt, um maschinenimmanente Effekte: die Bedeutung elektronischer Bilder liegt darin, den Gegenstand, auf den sie sich richten, in einen Sachverhalt des Apparats, der digitalen Maschine umzuformen, d. h. in maschinenimanente Sachverhalte zu übersetzen, ein Element ihrer Schrift. "Es geht hier um ein Umkehren des Bedeutungsvektors: Nicht die Bedeutung, sondern das Bedeutende, die Information, das Symbol sind wirklich, und diese Umkehrung des Bedeutungsvektors ist kennzeichnend für alles Apparatische und für die Nachindustrie überhaupt."21 Es geht um die Produktion von Signifikanten. Beim "Universum technischer Bilder" handelt es sich also "um einen Symbolkomplex von abstrakten Begriffen, um zu symbolischen Sachverhalten umcodierte Diskurse."22 Genau an diesem Punkt setzt die Installation "Kontingente Welten" ein: sie versucht, eine Form der Darstellung jener diskursiven Formationen zu errichten, die das "Apparatische" darstellt. Es ist weniger ihre ästhetische Dimension zu beachten, als der Bedeutungsvektor, den sie im Hinblick auf ihr "Thema" produziert. Und dieser Bedeutungsvektor weist auf die Information, auf die Schrift der Maschine: "Das eben charakterisiert die Nachindustrie: Die Information, nicht das Ding ist wertvoll."23 "Wo Gegenstand war, ist Information geworden."24

Nochmals einsichtig wird dieser strategische Komplex, wie ihn Feuerstein/ Strickner verfolgen, an der Serie der "WERT"-Arbeiten. Hier wird erneut die Schrift der Maschine zum Bild, das Kategorien der konkreten Poesie aufgreift, d. h. wieder Aspekte des Kunstkontextes instrumentalisiert, dabei aber gleichzeitig von etwas anderem "spricht" (erneut). Die Anordnung der entsprechenden Buchstaben auf jedem Keyboard (und bereits auf jeder Schreibmaschine) wird zunächst zum Ausgangspunkt einer Bildgestaltung. Die serielle Reihung des Wortes "WERT" wird zur Textfläche, gespiegelt, und diese zweite Textfläche der ersten Überlagert, das Wort als Text zum Teil ausgeblendet, überschrieben, ausgelöscht. Hier wird die Schrift, ein Wort, das selbst bereits in seiner Anordnung auf dem maschinellen Interface Resultat einer Standardisierung und Automation des Schreibens ist, zum Gegenstand ihrer eigenen Manipulation, wird auf sich selbst rückbezogen, sodaß ein rekursives Moment der Bildfindung analog zur Rekursivität der Ausgangsformel des Spurenapparats entsteht. Das Textbild ist völlig selbstbezüglich, entzieht sich jeder Darstellung bis auf jene, wiederum "wirksame Metapher" für den Prozeß der Immanenz zu sein, die die Schrift angesichts der Maschine ergriffen hat. Hier drückt sich ein System aus, das nicht mehr an Repräsentation "denkt", sondern an einer unausgesetzten Selbstreproduktion: die Maschine schreibt sich fort, schreibt ihr Programm aus.

Wenn diese Text-Bild-Folie dann als Textur den Boden überzieht, taucht auch das "Bild" des Tableaus wieder auf. Es taucht aber auch jene Fabel von Jose Louis Borges auf, die Jean Baudrillard zu Beginn seines Essays über die "Agonie des Realen" zitiert, in der die Kartografen des Reiches eine so detaillierte Karte dieses Reiches anfertigen, daß Karte und Territorium schließlich exakt zur Deckung kommen. Und der Nachsatz von Baudrillard, daß es heute (der Essay wurde in den 70er Jahren geschrieben) nicht mehr um jene Formen des Duplikats geht, sondern um Modelle der Generierung einer Karte ohne Reich, eines Realen ohne Ursprung, welche er mit dem Begriff des Hyperrrealen bzw. der Simulation kennzeichnet.25 Die "WERT"-Folie, wie sie den Boden eines Raumes in der Medienkunst-Galerie in Innsbruck überzogen hat, zielte auf jene Transgression der Ordnung der (digitalen) Maschine durch die Etablierung ihrer Schrift, die gleichzeitig - wie bereits erwähnt - eine Ordnung hinter bzw. vor der Schrift, vor dem Bild, vor jedem Effekt darstellt, den sie selbst produziert, weil die Grammatik ihrer Schrift selbst nicht bedeutend ist (wohl aber jene Sprachen, die auf dieser Schrift aufbauen). Aus diesem Grund bildet diese "Folie" wie der "Spurenapparat" und die "Kontingenten Welten" nichts ab: sie exemplifizieren "lediglich" jenes apparative, maschinelle, informationelle, digitale "Tableau" als Ausgangspunkt jenes Hyperrealen, das die Welt nicht abbildet, sondern ersetzt. "Der Sinn einer Botschaft ist die Veränderung, die sie in einem Vorstellungsbild hervorruft."26 Letztendlich zielen alle Arbeiten auf jene Vorstellungsbilder (des Rezipienten) und versuchen, durch ihre Anordnungen und Verfahren ein Bild der "post-modernen" Maschine und ihrer Systeme zu skizzieren (nicht aber abzubilden).

Und schließlich entfernt sich dieses künstlerische Projekt nicht nur vom Objekt, sondern auch vom Subjekt - und damit auch von vielen Rollen des Künstlers als (junger) Genius (hier wird vielleicht so etwas wie ein Bildnis des Künstlers als junger Maschinist erstellt). Das Bewußtsein ist in seiner Tätigkeit des Erkennens längst kein Spiegel der Natur mehr, "Die Idee eines einzelnen inneren Raumes, in dem körperliche und perzeptuelle Empfindungen (...), mathematische Wahrheiten, moralische Regeln, die Idee Gottes, depressive Stimmungen und die übrigen, heute mental genannten Vorgänge"27 nicht nur angesiedelt sind, sondern auch beobachtet und verarbeitet werden können, liest sich 3 Jahrhunderte nach René Descartes wie eine Beschreibung jener Systeme, die die Herstellung und Verarbeitung des Realen - bzw. des "Reelen", wie Kittler den Begriff des Realen bei Lacan übersetzt28 und dabei bereits auf den mathematischen bzw. in weiterer Folge medientechnischen Hintergrund des Begriffs hinweist - anstelle des Bewußtseins - dort, wo nach Lacan "Ich" nicht bin, weil "Ich ein anderer ist"29 - übernommen haben. Der Spiegel hat sich in ein System von Medienmaschinen-Effekten verwandelt, die weniger darstellen, als daß sie das Objekt ihres "Begehrens" - den Betrachter - einzubinden versuchen. Die Schrift der Maschine operiert damit nicht nur "unabhängig von uns dort draußen"30, sondern seit langem schon quasi im selben Raum, in dem "subjektive" Zeichenketten von Bedeutung, Sinn und Ästhetik generiert werden. Die Arbeiten von Feuerstein/Strickner reflektieren genau diesen Übergang einer Fundierung der Kunstproduktion auf das innovative, kreative etc. Subjekt zu einer Fundierung auf die Maschine. Ruft man sich nochmals in Erinnerung, daß bereits Marshall McLuhan in den 60er Jahren die "all involving sensory" der Medien, und damit auch in einer Vorwegnahme die digitale Maschine als Extensionen des Subjekts bezeichnet hat, die allerdings nicht dort draußen verbleiben, sondern eminent auf das "hier drinnen" des Subjekts zurückwirken, indem man sich sozusagen den Effekten der urprünglichen Amputation seiner Sinne gegenübergestellt sieht, dann läßt sich auch seine Redewendung vom Subjekt als Servomechanismus der Maschine erneut aktualisieren. "Indem wir fortlaufend neue Techniken übernehmen, machen wir uns zu ihren Servomechanismen."31 Das meint nicht mehr und nicht weniger als jene Rückkoppelungseffekte, die sich schließlich als Form der Synthese beschreiben lassen (beschrieben werden müssen?): der Systemraum der Medien und ihrer Maschinen umfaßt auch das Subjekt und seine intrinsischen Prozesse, indem er eine Synchronizität zwischen der Logik des Be- und Unbewußten und der Logik der Medien (-maschinen) erzeugt. Wir sind gewissermaßen an uns selbst (und an unser Begehren) angeschlossen. Es geht nicht mehr um Repräsentation einer Wirklichkeit, ihre Analyse, ihre Kritik oder ihre bloße Beschreibung, es geht um Effekte (einer Karte ohne reales Reich): Effekte der Schrift der Maschine, die über diese Effekte unser Begehren affiziert und dabei selbst nach der Strategie des Begehrens operiert, die Slavoj Zizek als Prozeß beschreibt, der das Objekt, auf den er sich richtet, selbst produziert, d. h. seine Ursache ist.32 Indem das Subjekt genau dieses Objekt des Begehrens der Medienmaschine darstellt, erscheint es nicht mehr unerhört zu behaupten: "Der Mensch wird sozusagen zum Geschlechtsteil der Maschinenwelt".33

1 Agentur Bilwet, Medien-Archiv, Düsseldorf: Bollmann 1993, S. 24.
2 Vilém Flusser, Ins Universum der technischen Bilder, Göttingen: European Photography 31990, S. 8.
3 Norbert Bolz, "Die Schrift des Films", in: F. Kittler, M. Schneider, S. Weber (Hg.), Diskursanalysen 1: Medien, Opladen: Westdeutscher Verlag 1987, S. 26-34, S. 28.
4 Walter Benjamin, zit. n.: Norbert Bolz, "Schrift des Films", S.27.
5 Ebda, S.30.
6 Gerda Pagel, Jacques Lacan, Hamburg 1991.
7 Walter Seitter, Jacques Lacan und ..., Berlin 1984.
8 Friedrich Kittler, "Die Welt des Symbolischen - Die Welt der Maschine", in: Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, Leipzig 1993, S. 58-80.
9 Marshall Mcluhan, Die magischen Kanäle - Understanding Media, Dresden-Basel 1994, S. 97. 10 Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt 1973, S. 63.
11 Jens Schreiber, "Stop Making Sense", in: Norbert Bolz, Friedrich Kittler, Christoph Tholen (Hg.), Computer als Medium, München 1994, S. 91-110, S. 100.
12 Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge, Frankfurt 1971.
13 Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt 1973, S. 74.
14 Agentur Bilwet, Medien-Archiv, a. a. O.
15 Vgl. Reinhard Braun, "Systeme", in: Reflexionen. Zu Kunst und neuen Medien, Wien 1993, S. 35-48.
16 Peter Weibel (Hg.), Jenseits der Erde. Kunst, Kommunikation und Gesellschaft im orbitalen Zeitalter, Linz 1987.
17 Michel Foucault, Archäologie, a. a. O., S.
18 Vilém Flusser, Universum, a. a. O., S. 35.
19 Ebda, S. 35.
20 Vilém Flusser, Für eine Philosophie der Fotografie, Göttingen: European Photography 31989, S. 23.
21 Ebda, S. 35.
22 Ebda, S. 41.
23 Ebda, S. 47.
24 Agentur Bilwet, Medien-Archiv, a. a. O., S. 24.
25 Jean Baudrillard, Agonie des Realen, Berlin 1978, S. 7f.
26 Marshall McLuhan, a. a. O., S. 50.
27 Richard Rorty, Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie, Frankfurt 1981, S. 64. 28 Friedrich Kittler, a. a. O., S. 65.
29 Gerda Pagel, a. a. O, S. 23.
30 Norbert Bolz, Theorie der neuen Medien, S. 119.
31 Marshall McLuhan, a. a. O., S. 81.
32 Slavoj Zizek, Liebe Dein Symptom wie Dich selbst!, Berlin 1991, S. 65.
33 Marshall McLuhan, a. a. O., S. 81.



© Reinhard Braun 1994

erschienen in:
Thomas Feuerstein, "System-Daten-Welt-Architektur", Triton: Wien 1995



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