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Featuring
¬ Valie Export

Reinhard Braun
Gegen die Asemie der Kunst

Im November letzten Jahres zeigte die Landesgalerie des oberösterreichischen Landesmuseums in Linz eine umfangreiche Ausstellung der in Linz geborenen Künstlerin und Filmemacherin Valie Export, eine Retrospektive, die schwerpunktmäßig die künstlerische Fotografie und ihre Medienarbeiten zum Gegenstand hatte.
Die Ausstellung "Valie Export" umfaßte demnach vor allem fotografische Arbeiten aus den Jahren 1968 bis zu den neuen digitalen Fotografien von 1992, daneben Fotografien von Installationen und Performances und exemplarisch kleinere Videoarbeiten, Installationen und verschiedene Video-Tapes. Die Retrospektive versuchte also, besonders die fotografische Ebene im Werk Valie Exports und die letztlich auch auf fotografische Strategien und Analysen zurückgehenden allgemein medienreflexiven Ansätze in den Arbeiten mit anderen Medien aufzuzeigen und zu vermitteln.

Was sich an der Konstellation der Ausstellung und dem gelungenen Katalog (zahlreiche Abbildungen, guter Überblick und vor allem viele Originaltexte, die Einblick in die Konzepte geben) ablesen läßt, ist zuallererst eine spezifische Interpretation der Fotografie bzw. des Fotografischen durch Valie Export: diese/s erscheint weniger als rein visuelles und/oder Kunst- Medium, sondern vielmehr als visuelle, auf dem Feld der Darstellung und Repräsentation arbeitende Kulturtechnik, als sozusagen beispielhaft konnotatives Medium, das einen reichen kulturellen Text, kulturelle Bedeutungen repräsentiert, absorbiert, produziert und verbreitet. Auf der fotografischen Oberfläche erscheinen visuell codierte Bedeutungs- (und damit Konditionierungs-) muster, die die Fotografie zu einem diskursiven System machen und seine ästhetischen Effekte und Ebenen überschreiten - auch in der scheinbar einfachen Darstellung/Abbildung. Die Fotografie zeigt sich in den Arbeiten Valie Exports als eine symbolisch Ordnung, die Darstellungen nach spezifischem Muster produziert, Darstellungen, die sich analysieren, übersetzen lassen und durch die sich Bedeutungen, d. h. Differenzen, Informationen produzieren lassen. Die frühen konzeptuellen Arbeiten lesen sich wie eine Erforschung dieser Modi, um im Feld der Fotografie operieren zu können, d. h. intendierte Differenzen und damit Bedeutungen zu erzeugen, fotografisch zu "sprechen".
Das bedeutet, daß der Status des Dargestellten - sein Verhältnis zu Wirklichkeit - und seine möglichen Bedeutungen/Decodierungen im Feld dieser Wirklichkeit nicht immer ident, in jedem Fall aber erst bestimmt bzw. analysiert werden müssen - deshalb auch die umfängliche Beschäftigung mit den Darstellungs- bzw. Reproduktionsmechanismen der Fotografie in den 70er Jahren insgesamt (vergleichbar auch mit Arbeiten Jan Dibbets', Ger Dekkers oder Richard Kriesches). Im Zuge dieser Analyse und Archäologie der Medien durch Valie Export entsteht ein breites und komplexes Œ uvre an im weitesten Sinn konzeptueller Fotografie, das einen wesentlichen Beitrag zur österreichischen Fotografie insgesamt darstellt (siehe auch: Peter Weibel, Zur Geschichte der Künstlerfotografie, III. Künstlerfotografie in Österreich 1951 - 1983, in: CAMERA AUSTRIA 13/1984, S. 46ff). Valie Export bearbeitet bereits in dem frühen "SEHTEXT: FINGERGEDICHT" (1968) dieses diskursive und quasi sprachliche Moment der Fotografie. Exemplarisch werden die einzelnen Fotografien zu einem Text, d. h. entlang einer Logik der Sprache bzw. des Schreibens gereiht, wobei der durch Fingersprache artikulierte Text sich nochmals auf diese Verzahnung bezieht: "Ich sage die Zeige mit Zeichen im Zeigen der Sage." "Im Zeigen der Sage" markiert dabei die - nicht nur - metaphorische Sprachlichkeit der Fotografie, sondern deutet sie bereits als Medium, dessen spezifischer Text auch eine sprachliche Textur aufweist, wobei Bild und Text bei Valie Export immer wieder zueinander in Beziehung gesetzt werden (etwa in "Raumsprung II", 1972). Daß Valie Export größtenteils mit Serien arbeitet, erscheint unter dieser Perspektive kaum verwunderlich: um die Fotografie der traditionellen - und in diesem Sinn eben nicht nur fotografischen - Sprachlichkeit zu entziehen, ist die Konstruktion eines spezifischen Kontexts notwendig, ein Kontext, der die "Les"art der Bilder, ihre Grammatik spezifiziert. Um die Logik etwa der "Körperkonfigurationen" (1973/1982) oder der Arbeiten zum Thema "Ontologischer Sprung" (1974) zu erkennen, ist mehr als ein Bild notwendig: der Kontext ist es, der die Fotografien diskursiv werden läßt, sie der Ästhetik der Perspektive, der ungewohnten Blickwinkel und der Hell-Dunkel-Verteilungen entzieht, sie als Erzählung jenseits der Bilder transparent werden läßt. Erst durch die Serie wird deutlich, daß es nicht allein um die innerbildliche Konfrontation der Motive geht, sondern um eine Konfrontation der fotografischen Oberfläche mit jener anderen: dem Körper, als einer multiplen und komplexen Oberfläche für kulturelle Einschreibungen und Kennzeichnungen. Denn es geht um die Sprache des Körpers, die Fixierung seiner funktionalisierten Gebärden und überdies um den weiblichen Körper, seine Konditionierungen, die visuelle und ästhetische Funktionalisierung und letztendlich um die Aufhebung dieser umfassenden Fremdbestimmung, die Aufhebung der Unfähigkeit, sich in Gebärden, einer Sprache des Körpers, zu äußern (Asemie), u. z. in Gebärden, die keine Projektionen reproduzieren, sondern von der subjektiven Befindlichkeit des (weiblichen) Körpers sprechen. Die Fotografie ist das Medium, diese andere Sprache des weiblichen Körpers zu transportieren, kommunizierbar zu machen, zu entwickeln - wenn auch als prinzipiell unauflösliche Ambivalenz. Es geht weniger um die Entwicklung einer positiven Utopie, als vielmehr um eine Entzerrung der Ansprüche und Konditionierungen. Dies gelingt nur, wenn die Bildmedien als theoretische, d. h. einer Logik zugängliche definiert werden; ästhetisch allein wäre kaum mehr als eine relative - weil subjektive - Kritik möglich.

Diese sprachlich-kommunikative Deutung und Thematisierung der Fotografie läßt sich durchaus mit Arbeiten der Gruppe "Art & Langage" sowie von Joseph Kosuth vergleichen, die ebenfalls die Kunst (und/oder die Fotografie) als ein System der Bezeichnung definieren, das mit anderen Systemen der Bedeutungserzeugung korrespondiert; erinnert sei dabei an die mittlerweile paradigmatische Arbeit von Kosuth "One and Three Chairs" (1967), die quasi die Mittel der Bezeichnung einer Objektwelt - und auch der Körper gehört dieser Objektwelt an - zusammenzufassen versucht. Der Unterschied zur Strategie Kosuths liegt darin, daß Valie Export nicht allein Aussagen zur Kunst im Rahmen der Kunst macht, sondern über die Ebene der Konnotationen der Fotografie in das Feld des Kulturellen zurückzuwirken versucht, d. h. immer auch ideologisch produziert.
Die Fotografie konstruiert demnach eine spezifische Repräsentation der Dinge, die Struktur dieser Repräsentation kann allerdings auch nach sprachlich/kommunikativen Kriterien analysiert werden. Die Bezeichnung einer Arbeit, die aus der Montage von Fotos ein Bild einer Leiter (oder eines Mastes) konstruiert, durch den Begriff "Leiter" (1972) (oder "Mast", 1973) verdeutlicht diese Strategie: das Bild der Leiter muss mit dem Begriff der Leiter bezeichnet werden, da es sich ja nicht um eine Leiter handelt; diese Notwendigkeit einer Kennzeichnung der Fotografie (auf die bereits Walter Benjamin hingewiesen hat) macht aber deutlich, daß die Fotografie nicht jenseits der Sprache und der Begriffe existiert, und daß nach den Konditionierungen der Fotografie durch die Sprache gefragt werden muß, u. z. IM Bild, d. h. durch die Konstruktion von Bildern, in diesem Fall durch die Montage mehrerer ausschnitthafte Fotografien derselben Leiter. Die Verbindung des Fotografischen mit dem Sprachlichen - als Metapher kultureller Bedeutungserzeugung - ist auch deshalb interessant, da sie dem vielzitierten Realismus der Fotografie eine abstrakte Ordnung überblendet, die Fotografie von einer Frage der "aisthesis" zu einer Frage der "episteme" werden läßt. Diese Frage wird durch Valie Export permanent mit der Frage nach dem Weiblichen (als Bild, als Vorstellung, als Begriff) verbunden, d.h. auch dieser Begriff als ein Fotografie-immanenter thematisiert: die Sprache der Frau als eine mögliche Sprache der Fotografie einerseits, die Sprache über die Frau als eine Sprache durch die Fotografie andererseits.

Das, was durch die Fotografie visuell konstruiert wird, ist also nicht nur visuell zu decodieren - obwohl Valie Export auch dezidiert Perspektiv-Untersuchungen angestellt hat -, sondern vor allem auch sprachlich, darstellungslogisch, ideologisch. Immer wieder entstehen Serien von Fotografien, die mit der Kombination von Bild und Sprache operieren - "Schriftzug" (1973), "Ebbe & Flut" (1974) usw. - oder aber diese Analogie im Titel anzeigen, etwa in "Zeitgedicht" (1970). Alle diese Zyklen erscheinen an der Frage orientiert: wie läßt sich - etwa mit Hilfe des fotografischen Mediums - ein System erzeugen, das Intentionen transportiert, die sich dem Medium traditionellerweise entziehen oder die dort traditionellerweise völlig anders besetzt sind?

Spätere bzw. anschließende fotografische Arbeiten, aber auch Videoinstallationen und andere Installationen setzten an dieser Definition und Fragestellung an: die Fotografie ist diskursiv, kulturell codiert und bestimmt und wird jetzt zum Gegenstand von Differenzen, Konfrontationen mit spezifischen Intentionen und anderen Medien und Materialien. Die Serien zum "Ontologischen Sprung" (1974) repräsentieren Fotografien von Kombinationen von Fotos und "realen" Gegenständen und Körperteilen. Durch die fotografische Reproduktion wird diese Differenz aber gleichzeitig wieder eingezogen: die Fotografie konstruiert eine quasi illegitime, dafür aber kennzeichnende Synthese ontologischer Differenzen, d. h. es geht wiederum um die Gegenüberstellung von Medium und dessen kulturellem Text (in diesem Fall: als Abbildung des Realen gelesen zu werden) bzw. um die punktuelle Besetzung durch eine Irritation, die den Mythos der Repräsentation auflöst und somit auch die Mythen der durch diese Repräsentationen erzeugten Inhalte und Bedeutungen (etwa des Weiblichen). Es drehen sich die frühen Video-Arbeiten und Performances ebenso um die Frage der Repräsentation: von Raum und Körper, bzw. in komplexen Überblendungen um die Verwischung dieser Spuren, die Verwischung und Aufhebung einer Möglichkeit zur Rekonstruktion, welcher Ordnung die Motive im Bild noch angehören ("Adjungierte Dislokation", 1973; "Raumsehen und Raumhören", 1974). Wieder entspinnen die Arbeiten einen Diskurs über ritualisierte und mechanisierte Decodierungen und Bedeutungsfelder (hier im Rahmen der Wahrnehmung). Allerdings geraten mit dem Video zunehmend räumliche und bewegungshafte Effekte in den Mittelpunkt der Recherche - immer jedoch im Hinblick auf ihr Verhältnis zu Wirklichkeiten, die jenseits des Mediums bestehen, selbst aber konstruiert sind, d.h. die Arbeiten beziehen sich immer auf einen Text des Realen, eine Textur der Wirklichkeit, die Raum, Körper, den weiblichen Körper, die Wahrnehmung und vieles mehr durch bestimmte Filter erkennt und bestimmt. Insofern handelt es sich um künstlerische Gegen-Texte, die durch die Arbeiten entstehen: indem auch im Medium des Video eine Irritation der Repräsentation inszeniert wird, läßt sich auch Video als Repräsentationssystem kritisieren bzw. wird wiederum klar, daß es nicht um die Darstellung allein geht (die Bilder), sondern um die Texte, die sie erzeugen, die Symbole, Suggestionen, Klisches, Verkürzungen, die Mythen, die sie produzieren und zirkulieren lassen; es geht also um die Ordnung "hinter" der Darstellung, dem Erscheinen.
Die Freilegung dieser Textur eines Mediums bedeutet eine Freilegung der Strukturen, die jene Bedeutungen erzeugen. Insofern erscheinen auch die vordergründig formal bzw. wahrnehungstheoretisch angelegten Arbeiten ("Corner Study", 1972, die Reihe "Ohne Titel", 1975, "Foto-Schatten-Faden", 1972/1982, "Triangel", 1974, und viele mehr) als Arbeiten am Bedeutungssystem Fotografie, eine Analyse dessen, wodurch die Fotografie erzeugt, was an ihr abgelesen werden kann - eine Aufklärung der Fotografie.

Es geht hier also nicht um eine Phänomenologie der Arbeiten Valie Exports, nicht um eine Analyse oder Kritik ihrer Inhalte, Themen und ästhetischen Erscheinungsformen, sondern um die Entwicklung und Betonung einer Perspektive auf ihre Arbeiten: Fotografien als visuelle, theoriefähige Objekte zu behandeln und eine künstlerische Medienstrategie danach zu befragen - bei allen Differenzen, die sich gegenüber der Arbeit mit Film und Video im einzelnen ergeben.
Unter dieser Perspektive scheinen die neuesten, digitalen Fotografien allerdings hinter den Reflexionsstand der konzeptuellen Fotografien zurückzugehen. Besonders ihr synthetischer Charakter, die Zusammenführung disparater Bild- und auch Textmotive auf einer Bildoberfläche scheint den komplexen Gehalt (die Textur) wieder auf das Bild selbst zu reduzieren und die ästhetische Dimension der Oberfläche erneut zu forcieren. Etwa das "Selbstporträt mit Stiege und Hochhaus" (1989) führt in der Überlagerung von architektonischen Elementen mit dem Selbstporträt quasi buchstäblich zusammen, was in den Körperkonfigurationen zeichenhaft, zwischen den Fotografien, d. h. aber auch: gleichzeitig ästhetisch und abstrakt und damit einem kollektiven Diskurs über die unterschiedlichen Ordnungen einschreibbar, angelegt war. Es ging nicht um die Motivik und eine Darstellung allein, sondern die Differenzen und die Ausschließungen von kollektiven Vorstellungen und deren Beeinträchtigung durch Bilder, und somit potentiell um Arbeiten, die über die Kunst hinaus reichten. Durch die "buchstäbliche" Visualisierung - das Hochhaus als Hochhaus als Arm - kehrt die Thematik aber in das Feld der Darstellungstechnik und Ästhetik und damit der Kunst zurück, wird eine Entschärfung der Differenzen verursacht; die Arbeiten werden wieder auf der ästhetischen Ebene - und vorrangig auf dieser - rezipierbar. Die "Split Reality" (so ein Titel eines Videos aus dem Jahr 1967) wird auf der symbolischen Oberfläche der Kunst durch die (traditionelle) Methode der Montage sinnfällig, doch gerade dadurch werden ihr die Spannungen entzogen, diese ästhetisch aufgelöst.
Demgegenüber wären die digitalen Bild-Medien ebenso auf ihre Effekte und Bedeutungserzeugungen hin zu testen, wären Konstellationen zu entwickeln, die diese - zumindest fragmentarisch - kennzeichnen und transparent machen. Zwar erscheinen diese digitalen Fotografien, wie Florian Rötzer es im Katalog beschreibt, "als Dekonstruktion eines 'restringierten Codes', der den Körper in seinem Ausdruck formiert und auch kulturell produziert", und die Architekturfragmente als Teile des Körpers als Zerstörung "der Vorstellung der Natürlichkeit des Leibes, der immer schon kulturell codiert und technisch verändert wird" (beides Seite 196), allerdings als Bildformel und nicht als Formel, die durch die Bilder erzeugt wird, d. h. die Bilder werden wieder denotativ - sie sind, was sie zeigen. Eine Penetration, die sich in der Wirklichkeit ereignet, wird neuerlich zu einem Drama des Bildes; ein Weg zurück zur bildenden Kunst, wie wir sie kennen?



© Reinhard Braun 1993

erschienen in:
Camera Austria 42/1993



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