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Featuring
¬ Joachim Brohm

Reinhard Braun
Joachim Brohm: Reste des Authentischen? / Remnants of the Authentic?

"Tatsächlich steht die gesamte Geschichte der Repräsentation auf dem Spiel, in dem Maße, in dem die Technologien des Künstlichen das Verhältnis zwischen der Subjektivität und ihrem Anderen neu bestimmen!" (Timothy Druckrey)

Den bekannten Titel der gleichnamigen Ausstellung in Essen aus dem Jahr 1986, an der auch Joachim Brohm teilgenommen hat, mit einem Fragezeichen zu versehen, heißt weniger, dessen Aussage in Frage zu stellen als vielmehr nach den mittlerweile veränderten Bedingungen einer solchen Aussage zu fragen - Veränderungen, die schließlich in den Arbeiten Jochaim Brohms nicht nur ersichtlich, d. h. auf einer ästhetischen Ebene lesbar werden, sondern einen grundlegenden Aspekt ihrer Methode darzustellen scheinen. Dabei geht es nicht nur darum, ob eine (residuale) Form der Authentizität noch Teil einer fotografischen Methode werden (oder sein kann), sondern inwiefern Fotografie noch Reste eines solchen Authentischen überhaupt vermitteln, sie in eine Darstellung übersetzen kann, die schließlich als authentisch wahrgenommen oder gedeutet werden kann. Sind die Voraussetzungen dafür noch gegeben? Oder sprechen nicht viele Anzeichen der Entwicklung unserer visuellen Kultur dagegen? Schließlich betrifft diese Frage nicht nur die Fotografie sondern ein grundsätzliches Verhältnis zur Welt, eine Problematik nicht nur der Erfahrung, sondern in erster Linie einer Medienpraktik wie -theorie. Es geht also nach wie vor um die Frage der Repräsentation, wenn auch längst in einem anderen Sinn, als sie von Roland Barthes und seitdem immer wieder formuliert wurde: Repräsentation meint nicht nur ein (technisches) Verhältnis zum Gegenstand der Aufzeichnung, sondern ein bestimmtes Verhältnis dieser Aufzeichnung zum Betrachter; es geht also um ein System der Erkenntnis und Deutung von Welt aufgrund von Vermittlungen, die in einer bestimmten Weise gelesen, gedeutet, d. h. mit einem bestimmten Sinn belegt werden können. Es geht dabei also - und auch dadurch wird dieser Zusammenhang eine Frage der Medientheorie - um Lesearten von Medienoberflächen. Sind wir nach wie vor in der Lage, diesen Oberflächen den Begriff der Authentizität einzuschreiben? Inwiefern hat diese Frage mit den fotografischen Projekten von Joachim Brohm seit dem Beginn der 80er Jahre zu tun?

1995 publiziert Joachim Brohm in der Edition der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, an der er seit 1993 Fotografie lehrt, das Buch Kray, das im wesentlichen zwei Werkgruppen aus den Jahren 1980 - 83 bzw. 1988 - 92 umfaßt. Diese beiden Werkgruppen sind als solche im Buch identifizierbar, weil sie sich in ihrem Ansatz und in ihrer Methode sichtlich unterscheiden: diese Differenz ist es, die die Frage nach dem unterschiedlichen Status der Bilder aufwirft, wenn man nicht davon ausgeht, daß allein ästhetische, bildimmanente Faktoren diese Differenz bedingen. Gleichzeitig kann davon ausgegangen werden, daß durch diese Gegeneinanderstellung und Mischung der Werkgruppen ein eigener visueller Raum entsteht, den das Buch in seiner Abfolge konstruiert und der beide Positionen umfaßt - um hier wie immer vereinfachend von zwei Positionen, besser: Methoden einer Position zu sprechen. In gewisser Weise wird durch diese Mischung eine Differenz fotografischer Strategie angedeutet, eröffnet, wie gleichzeitig die Spur dieser Differenz verwischt wird: es entsteht ein spezifischer Bildraum, der als diskontinuierlich, aber gleichzeitig erfahren wird. Eine Methode, ein fotografisches Buch zu konstruieren, wird den fotografischen noch hinzufügt - ein komplexer Bildraum entsteht, der eine bestimmte fotografische Methode gleichzeitig vermittelt wie befragt. Im folgenden wird diese Gleichzeitigkeit der Präsenz aller Bilder wieder in eine zeitliche Abfolge überführt, es wird - wie immer - eine Geschichte erzeugt und erzählt.

Zieht man die erste Werkgruppe heran, so handelt es sich großteils um Aufnahmen, die im Ruhrgebiet, in der Umgebung von Essen entstanden sind. Die Fotografien zeigen Landschaften und urbane Randgebiete, Siedlungen, Naherholungsgebiete, Parkplätze, einen Park, einen Eislaufplatz, durchwegs von einem erhöhten Standpunkt aufgenommen, jedoch ohne merkbare Verzerrungen der Perspektive. Die Bilder weisen eine reduzierte Farbigkeit auf und errichten durch den Blickpunkt eine Distanz, die sich zwischen Fotograf/Betrachter und dem Bildraum bzw. den Personen in den Bildern einstellt. Die Fotografien repräsentieren einen sachlichen, distanzierten Blick auf die Szenerie aus Landschaft, Gebäuden und Personen, einen Blick, der kein erkennbares Zentrum anvisiert, sondern einen gleichmäßigen, quasi handlungslosen Raum erzeugt, der seinen Zusammenhang erst durch das Bild selbst und seine Gestaltung erhält. Die Fotografie ist es, die hier aus einer potentiell beliebigen (nichtsdestotrotz genau gewählten) Ansicht einen definitiven Schauplatz herstellt, Bezüge konstruiert, Bedeutungen vermuten läßt. Die Bilder gewinnen dadurch ein "Thema": städtische Rand- und Erholungsgebiete, Zonen des Übergangs von Stadt und Land, die sich ohne definitive Ordnungskriterien ausdehnen und in Besitz genommen werden - wie etwa in "Essen 1982": es zeigt einen Landschaftsausschnitt (einen ehemaligen Schuttplatz?), der es ermöglicht, Speklationen darüber anzustellen, was das für eine Landschaft sein mag, sie mit der eigenen Erfahrung von Landschaften zu vergleichen. Die Fotografie deutet auf Eingriffe in Natur, durch die Mischzonen entstehen, in die man schnell bei jedem Spaziergang gerät. Die Fotografien zeigen also einen Teil des gegenwärtigen Lebens in einem großen Ballungszentrum, dessen wirtschaftliche Struktur sich in den letzten 15 Jahren grundlegend verändert hat (es tauchen immer wieder Anzeichen von industrieller Beschäftigung in den Bildern auf, insbesondere als Spuren und Rückstände). Der Begriff der Topografie macht hier noch Sinn, geht es doch auch um die bildhafte Fixierung und Beschreibung einer bestimmten Kulturlandschaft, um die Erarbeitung einer Bildform für ihre Beschreibung; Topografie meint hier auch die Herstellung einer (Bild-) Ordnung, eines geordneten Bildraums, der auf den Versuch deutet, durch die fotografische Arbeit eine analoge Ordnung zu errichten, einen Standpunkt einzunehmen, der sich auf die Ordnung der Dinge, die Ordnung der Welt bezieht, der sich gegenüber dieser Welt beziehen läßt. Läßt sich eine solche Ordnung allerdings noch ausmachen? Oder ist die Ordnung nicht längst eine Projektion der fotografischen Methode, eine semantische Aufladung durch den technisierten Blick (eine rhetorische Metapher)?

Diesem Zweifel scheinen die Aufnahmen jener Werkgruppe zu folgen, die gegen Ende der 80er Jahre begonnen wurde - am Beispiel "Gelsenkirchen 1989": wir blicken auf einen undefinierten Ausschnitt eines Stück Bodens; ein Handschuh verschwindet beinahe im umliegenden Sand, der unregelmäßig von Steinen überzgogen ist. Diese Fotografie liefert überhaupt keine Hinweise mehr für ihre Lokalisierung, sie könnte überall entstanden sein; jede Identifizierung und Zuordnung erfolgt allein über den Titel (ein bereits ironisches Statement zur sachlichen Fotografie?). Die Bildausschnitte verringern sich, Personen wie Gegenstände verschwinden zunehmend aus den Bildern, wir blicken auf Oberflächen (Wiesen, Erde, Fliesen, Sand) mit marginalen Spuren kultureller Bearbeitung, mit Rückständen von Materialien oder Dingen, mit Spuren der Verwitterung - diese Bilder erscheinen zum Teil wie Ausschnittsvergrößerungen der früheren Arbeiten. sie sind keiner topografischen Zone mehr zuordenbar (obwohl im Bildtitel nach wie vor der Ort angegeben wird, an dem sie entstanden sind), sie entwerfen auch kaum mehr eine fotografische Topografie bzw. deuten sie auf einen grundlegend veränderten Begriff der Topografie. Die Diskontinuierung der Welt - auch die Diskontinuierung ihrer Wahrnehmung und damit einer spezifischen Ordnungsform der Welt - scheint hier drastisch vor Augen geführt: wie könnte ein (fotografisches) Bild noch von der Komplexität der Zerstreuung der Kultur "sprechen"; was ließe sich über ein Bild davon vermiteln? Gerade weil ein solches Bild eine radikale Form der Authentizität vor Augen zu führen scheint, stellt es die Frage nach einer noch möglichen Form fotografischer Vermittlung von Authentizität, einer glaubwürdigen Dokumentation eines Gegebenen. Indem der Bildauusschnitt sozusagen auf die Spitze getrieben wird, ohne jedoch die Methode wesentlich zu ändern, wird das Bild zu einem Kommentar fotografischer Funktionsweise: partikulares Dokument eines Wirklichkeitsausschnitts zu sein, ohne ausgehend von diesem Bildpartikel noch auf ein zusammenhängendes Sinnsystem verweisen zu können, ohne noch im Rekurs auf übergreifende Bedeutungszusammenhänge als Bildmedium der Vermittlung von Authentizität, von Wissen, von Ordnung fungieren zu können, ohne noch imstande zu sein, im eigentlichen Sinn des Wortes zu repräsentieren - für den Fotograf bedeutet das: von einem definierbaren (panoptischen?) Standpunkt aus eine (Bild-) Ordnung (vielleicht auch nur eine ästhetische) konstruieren zu können, die solche Zusammenhänge noch reflektieren, einen Widerschein einer derartigen Idee spiegeln würde.

Die Reduktion des Bildgegenstandes, die dem Bild quasi immer mehr Inhalt entzieht, deutet vielmehr auf den Zerfall einer solchen einheitlichen Perspektive, eines bezeichenbaren und einnehmbaren Standpunktes - der Fotograf verschwindet als rekonstruierbarer Autor, wie er nicht mehr in der Lage ist, einen kohärenten Bildraum zu konstruieren, einen Bildraum, der eine Metapher wäre für einen zusammenhängenden Kulturraum, einen Bildraum, der seinen Standpunkt auf diesen Raum vermitteln würde. Diese Bilder sind als Diskontinuierung der Kultur zu lesen, die auch den Blick erfaßt, ihn zerstreut, die es vor allem erschwert, noch von kohärenten Bedeutungszusammenhängen zu sprechen und solche in einer Bildserie nachzuzeichnen.

Auch die Serie mit dem lakonischen Titel "1987", die in Berlin entstanden und im Katalog zur Ausstellung im Kunstverein Lingen 1991 publiziert ist, demonstriert diesen veränderten Begriff der Dokumentation von Orten, der fotografischen Konstruktion einer Topografie, ein (Be-) schreiben und damit Beschriften von Orten: hier geraten überdies durch gezielten Tiefenschärfeverlauf konkrete Dinge überdeutlich in den Blick, heben sich vom unscharfen Hintergrund halluzinatorisch genau ab - Zaunpfähle, aufgebogene Eisenstangen, bröckelnder Mauerputz, ein eiserner Gartenzaun. Auch in dieser Serie entsteht keine (verborgene) Geschichte (Berlins), wird keine (marginale) Geschichte der Stadt (Berlin) erzählt, entsteht keine bezeichenbare Logik der Verknüpfung von Orten - es reihen sich Bilder von unscheinbaren Situationen, von zufälligen Zuständen oder Aufmerksamkeiten aneinander (wiewohl nicht vergessen werden sollte, daß dieser Beiläufigkeit in jedem Fall eine Strategie zugrundeliegt). Diese Zustände sind aber solche von Dingen und nicht von Menschen - es geht hier also auch nicht als Modus einer Fluchtbewegung vor der "großen Repräsentation" um ein psychologisierendes (Selbst-) Porträt, kein Fortschreiben einer autorenfotografischen Bildsprache. Es scheint, als wäre jedes Subjekt, jede Form der Subjektivität aus den Bildern abgezogen, weil gerade ein subjektiver Standpunkt nicht mehr ohne weiteres einzunehmen ist, ein Standpunkt, der seit der Einführung der Perspektive als bildnerisches Zeichensystem immer auch die Konstruktion eines Welt-Bildes implizierte, als symbolische (und nicht zuletzt ideologische) Form zu lesen war. Wie die entsprechende Werkgruppe in Kray erscheinen die Bilder der Serie "1987" weniger als Fotografie gewordener Blick, der einer/m Dritten als Aussage über Verhältnisse der Wirklichkeit vor Augen geführt wird - es sind quasi die Bilder selbst, die uns als diesen Dritten anzublicken, die die Frage zu stellen scheinen, ob durch ihre Betrachtung noch so etwas wie repräsentative Vermittlung stattfinden kann, ob es noch Sinn macht, mit dem Wiedererkennen als symbolischer Operation zu agieren, ob das fotografische Bild noch von einer Welt spricht, die der Betrachter teilt und als zusammenhängend, strukturiert und einer Ordnung entsprechend identifizieren kann oder ob nicht vielmehr die Bilder, die Geschichte der technischen, medialen Bilder, nicht nur die Geschichte der Welt verstellt, sondern sich schon an deren Platz gesetzt haben. Beide Geschichten nähern sich dann einem Zustand der Fluktuation und Zirkulation von Bild- bzw. Bedeutungsfragmenten; keine "große Erzählung" mehr, keine zusammenhängende Geschichte, sondern ein sprunghaftes Wechseln der Bezüge und Bedeutungshorizonte - aber auch keine postmoderne Resemantisierung von verdrängten symbolischen Elementen. Was dann?

Indem Joachim Brohm an die Grenze des Gegenständlichen geht (und dies durch klassische fotograische Methoden, nicht etwa durch elektronische Manipulation!), steht das Bild nicht nur als ästhetisches Konstrukt auf dem Spiel, sondern als Bedeutungsträger, als funktionales Element unserer Kultur: als ein Mediensystem. Fotografie erscheint dann weniger als permanenter Versuch, einen Rest von Authentizität, eines subjektiven (d. h. besonderen, bemerkenswerten, absurden, überraschenden usw.) Blicks zu vermitteln oder Geschichten zu erzählen, zu konstruieren, sondern primär als Dokument eines spezifischen visuellen Zugriffs auf die Welt - als Freilegung dieses Zugriffs bzw. als Freilegung der veränderten Bedingungen eines solchen Zugriffs. Wenn etwa in der Ausstellung in der Kunsthalle Düsseldorf von November 1996 bis Januar 1997 verschiedene Oberflächen von Gebäuden, Fassaden, Fensterscheiben oder auch der TV-Bildschirm in den Mittelpunkt gerückt werden, dann scheinen diese "Sujets" die Reduzierung der fotografischen Oberfläche zu einer buchstäblichen Oberfläche fortzuführen. Es sind nicht allein Verdoppelungen von Oberflächen oder eine ästhetische Reduktion der Fotografie auf Bilddimensionen, nicht allein ein Ausschalten jeder Bildtiefe, jeden Bildraumes - es geht um die Frage der prinzipiellen Möglichkeiten von Fotografie, etwas zu zeigen, eine Darstellung zu erzeugen, eine Infragestellung dieser Möglichkeiten, etwas zu zeigen (eine bestimmte Konstellation von Dingen oder Situationen), das auf eine Bedeutung schließen läßt, das einen Sinn herstellt und damit bestimmten Ordnungskriterien folgt. Wenn sich das Bild also zunehmend verschließt, sich gegen jede Identifizierung abschließt, entfällt mithin eine wesentliche Eigenschaft nicht nur des fotografischen Bildes, nämlich einzustehen für etwas Abwesendes. Es handelt sich nurmehr bedingt um Abbilder, wiewohl gerade die fotografische Repräsentationstechnik nicht außer Kraft gesetzt wird, die Bilder keiner (elektronischen, digitalen) Manipulation unterzogen wurden. Wenn das Bild also wie der leere Bildschirm in gewissem Sinn sinn-los wird, intervenieren diese Fotografien vor allem in den Mechanismus der Bedeutungsproduktion indem sie ihn freilegen. Sie zeigen nicht nur bestimmte Dinge bzw. ausschnitthafte Ansichten von Dingen, sie zeigen vor allem auch dieses Zeigen bzw. die Grenzen dieses Zeigens. Indem das Bild gewissermaßen abgeschlossen, der fotografischen Konvention der Darstellung immer mehr entzogen wird, wird es zu einer reinen Oberfläche, einer Medienoberfläche, mehr noch, zu einem Objekt - es wird quasi ein visuelles Objekt, an dem der Betrachter seine Fähigkeit der Bedeutungserzeugung erproben muß, ein Ding, das er in einen fotografischen Zusammenhang und in eine (Medien-) Geschichte des Bildes zurückvermitteln muß.

Als ein solches Ding "spricht" es in zweierlei Weise vom Gegenständlichen - es zeigt (oder verbirgt teilweise) Dinge als rudimentäre Zeichen von Gegenständlichkeit und damit von jenem anderen der Fotografie, das wir noch immer als Wirklichkeit bezeichnen; es setzt sich aber auch als Bild quasi an die Stelle der Gegenstände selbst. Die Repräsentation von (ausschnitthaften, angeschnittenen) Oberflächen, die so oft in den jüngeren Arbeiten Joachim Brohms auftauchen, deutet nicht nur darauf, daß wir in unserer alltäglichen Welt von immer mehr (medialen) Oberflächen umgeben sind, sie deutet auch auf die Möglichkeit, diese Oberflächen gegeneinander auszutauschen, die eine für die andere zu nehmen und damit die Fotograie in dieses Spiel von Medienoberflächen zu ziehen, sie als Medienoberfläche zu definieren - endlich nicht mehr als Fenster zur Welt. Indem die Sehfläche immer mehr eingegrenzt wird, tritt die Fläche, auf der dieses Sehen projiziert wird, immer deutlicher zutage, wird diese Fläche als Fläche sichtbar. Die Fotografie wird dabei zu einem Medien-Ding, einem puren Artefakt, zu einer artifiziellen (und eigentlich fremdartigen, der Wahrnehmung des Subjekts überhaupt nicht entsprechenden) Medientechnik.

Was wäre also, wenn diese Bilder von Einzelheiten, von unscheinbaren Gegenständen, weder von diesen Gegenständen selbst noch von einem sehenden und seinen Blick reproduzierenden Subjekt sprächen? Ließe sich dann noch mit dem Begriff der Authentizität operieren? "Die Massenkultur kennt nicht das Authentische, sondern das Stereotyp und die Wiederholung. Sie zwingt deshalb die Kunst, sich zunächst auf diese Wahrnehmung einzulassen, bevor sie den Betrachter woanders hinführen darf. Die Antwort der Kunst besteht in diesem doppelten Spiel, sich in Frage zu stellen und sich gerade dabei zu behaupten. Sie wird vom Betrachter, der inzwischen schon seine eigene Wahrnehmung wahrnimmt, nur ernstgenommen, wenn sie ihn am Schauplatz der unvermeidlichen Medien in einer medial verspiegelten Gestalt empfängt. Wo wir kein Medium entdecken, durch dessen Brille wir sehen, fühlen wir uns hintergangen, weil wir schon nicht mehr glauben, noch unvermittelt wahrnehmen zu können." (Hans Belting) Was wäre, wenn die besprochenen fotografischen Arbeiten Joachim Brohms seit dem Ende der 80er Jahre sich zunehmend um die Darstellung der technischen Umwandlung eines "vormals nur 'Gegebenen' in ein technisch arbiträr Verfügbares" (Christoph Lischka) drehen? Dann würde die Art und Weise der Vergegenständlichung der Welt gerade auf die Vergegenständlichung eines grundlegenden technisch-visuellen Verhältnisses zur Welt verweisen, sich auf Fotografie als Medientechnik richten. Dann wären sie auch in einem präzisen Sinn einer gegenwärtigen Medienpraktik einschreibbar: sie referieren nicht nur auf ein sich dramatisch veränderndes Verhältnis des Subjekts zur Welt aufgrund von Mediensystemen in einem allgemeinen Sinn, sondern beziehen sich auf den Betrachter als jenen semantischen Operateur, der aufgrund dieser Veränderungen aus den Medienoberflächen Wirklichkeit zunehmend rekonstruiert, als daß er diese auf ihnen abliest - Authentizität ist dann zu einem Einsatz in diesem Medienspiel geworden. Der Rezipient wird in seiner Fähigkeit angesprochen, diesen Einsatz zu rekonstruieren, nicht durch Medien hindurch auf Wirklichkeit zu blicken, sondern trotz Medien noch eine Vorstellung von Wirklichkeit zu entwickeln. Die Dinge selbst als Gegebenes, als Anderes der Subjektivität haben ihr symbolisches Potential eingebüßt (es sei denn, sie treten als Ware auf), sie werden zunehmend erst als Medien-Dinge, als Gegenstand der Operationen von Medien bedeutend, einem Sinn, einer Geschichte zugänglich.

Der Widerstand der Wirklichkeit in diesem Medienspiel ist ein Widerstand gegen ihre Zirkulation als Mediengegenstand, als ein Konstrukt der Medien - nicht zuletzt die Konzentration auf konkrete Dinge, ihre überdeutliche Präsenz im Bild verweist auf diesen Widerstand des Gegebenen, sich in ein Medienkonstrukt zu verwandeln. Das Beharren auf einer sachlichen Methode (das überdeutliche Zitieren der fotografischen Referenz) verschärft diesen Widerspruch zwischen (scheinbarer) Abbildung und Auflösung von Wirklichkeit in einer technisch-symbolischen Ordnung. Die Fotografien von Joachim Brohm sind in diesem Sinn einer medienimmanenten Konstruktion von Vorstellungen und Begriffen (Authentizität, Repräsentation, Abbildung, Dokumentation etc.) auch als eine Arbeit an diesem Widerstand lesbar, als Übersetzungsversuche - wie lassen sich innerhalb des Kontextes der Fotografie unter den veränderten Bedingungen einer zunehmenden Vermitteltheit der Welt Bilder herstellen, die noch von dem Anderen des Subjekts handeln, es noch als solches vermitteln können? - Indem sie den Modus der Vermittlung mitdarstellen, um dem Rezipienten damit zu ermöglichen, diese Vermittlung als Medientechnik freizulegen. Im eigentlichen Sinn erscheinen die Arbeiten von Joachim Brohm dadurch als nach-authentische Bilddokumente; in ihnen zeigt sich die Zersprengung des Visuellen als Metapher für die fortwährende Zersprengung eines einheitlichen Begriffs von (sozialer, politischer, sexueller etc.) Wirklichkeit, aber auch einer ständigen Transformation und Auflösung der Welt in Bilder, wodurch die Bilder selbst mehr als ihre Gegenstände zu einer Wirklichkeitsform unserer Kultur geworden sind, die als Bruchstücke zirkulieren und keinen homogenen Sinn mehr zu stiften in der Lage sind. Unter diesen Bedingungen ist auch die Fotografie ständig neu zu deuten, zu definieren und zu positionieren. So nimmt es nicht wunder, wenn Joachim Brohm an einer solchen Deutung des fotografischen Bildes arbeitet. Die Bedeutung diese Arbeit selbst liegt nicht zuletzt darin, den fotografischen Diskurs nicht zu verlassen und ihn dennoch umzudeuten.

Timothy Druckrey, "Cn command, control, communication, culture, consciousness, cognition, cybernetics, computing, cyberspace, cyborg [...]", in: Brigitte Felderer (Hg.), Wunschmaschine Welterfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert, Wien 1996, S. 222-249, S. 222.
Hans Belting, Das Ende der Kunstgeschichte. Eine Revision nach zehn Jahren, München: Beck 1995, S. 85.
Christoph Lischka, "Spurlos", in: Lab. Jahrbuch 1995/96 für Künste und Apparate, Kunsthochschule für Medien, Köln 1996, S. 113-121, S. 114.



© Reinhard Braun 1997

erschienen in:
Camera Austria 57-58/1997



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